Kapitel 1
1999
Necker Island, Silvester 1998. Ich war in meinem Schlafzimmer im Great House und versuchte, eine Liste mit dringend zu erledigenden Dingen zu schreiben. Während ich auf das leere Blatt Papier vor mir starrte, dröhnte mir von draußen über einen sandigen Pfad zum wiederholten Mal ein Song entgegen, den Prince 1982 veröffentlicht hatte. Es war ein Song, der alle wissen ließ, dass 1998 fast vorbei war und nun das letzte Jahr des Jahrtausends beginnen sollte – und da würde man ordentlich auf den Putz hauen: 1999.
Die Silvesterfeierlichkeiten waren in vollem Gange. Meine Tochter Holly hatte bei dem Fest mit unserer Familie und Freunden das Heft in der Hand. Ich hörte das Klirren der Gläser, als meine Frau Joan mit Freunden anstieß, während unser vierzehnjähriger Sohn Sam umherlief und ihr stets in die Quere kam. Es waren die vertrauten Klänge des Familienlebens und ich war dankbar, sie nun wieder zu hören, nach meinen Abenteuern der vergangenen Wochen.
Erst fünf Tage zuvor, am zweiten Weihnachtsfeiertag, war ich von meinem letzten Ballonfahrtabenteuer auf die Insel zurückgekehrt. Ich konnte von Glück reden, dass ich noch lebte. Am 18. Dezember hatten Steve Fossett und ich uns von Marrakesch aus auf den Weg gemacht, in der Hoffnung auf eine Weltumrundung, die Rekorde brechen sollte. Was folgte, war eine Mischung aus Abenteuer mit hohem Einsatz und Diplomatie – wir mussten Gefälligkeiten erbitten, um mit unserem Ballon den libyschen Luftraum zu überqueren, dann wurde die Genehmigung, über China zu fliegen, zunächst aufgehoben und uns schließlich wieder erteilt, während wir auf unserem Weg über Nepal waren. Schließlich, nachdem wir fast den Pazifik überquert hatten, bliesen uns die Winde zurück und zwangen uns, in der Nähe von Hawaii im Meer zu landen. Ich schaffte es, zu Weihnachten auf Hawaii zu sein, und flog am nächsten Tag weiter nach Necker Island.
Zurück in der Geborgenheit meines Zuhauses, mit dem bevorstehenden Jahresende und dem nahenden Jahrtausendwechsel, befand ich mich in der Stimmung, sowohl auf Vergangenes zurückzublicken, als auch nach vorne zu schauen. Wie so oft in meinem Leben als Unternehmer hatte ich keine Ahnung, was als Nächstes kommen würde. Ich hatte das größte unabhängige Plattenlabel der Welt gegründet und verkauft, und ich kämpfte hartnäckig darum, Virgin Atlantic zur besten Fluggesellschaft der Welt zu machen. Die Virgin Group war von ein paar Firmen auf mehr als hundert angewachsen und ich hatte mich von einem Hippie, der sich gerade mal über Wasser halten konnte, zu einem stolzen Vater und Geschäftsmann entwickelt. Meine Gedanken schweiften zu anderen Projekten, neuen Zielen und größeren Träumen. Innerhalb von zwölf Monaten würden wir neun verschiedene Unternehmen gründen und damit beginnen, Virgin zu der umfassenden globalen Marke zu machen, die sie heute ist. Es war Zeit für einen Neuanfang, Zeit, zu den Sternen hinaufzuschauen.
***
Wie wird man Millionär? Diese Frage wird mir oft gestellt, und seit ich 1984 Virgin Atlantic gründete, ist meine Antwort stets dieselbe: »Starten Sie als Milliardär und gründen Sie eine Fluggesellschaft.«
Wie wird man Millionär? Diese Frage wird mir oft gestellt, und seit ich 1984 Virgin Atlantic gründete, ist meine Antwort stets dieselbe: »Starten Sie als Milliardär und gründen Sie eine Fluggesellschaft.«
Die ersten fünfzehn Jahre von Virgin Atlantic waren eine verrückte und wilde Geschichte voller Spannung, Innovation und Überlebenskampf. Wir hatten es mit der mächtigen British Airways (BA) aufgenommen und im Gegensatz zu den Fluggesellschaften, die dies vor uns versuchten, hatten wir die ganze Sache erfolgreich überlebt. Tatsächlich gewannen wir einen der größten Verleumdungsfälle in der britischen Geschichte, nachdem BA mit einer schmutzigen Kampagne versucht hatte, uns aus dem Geschäft zu drängen. Es war eine Kampagne, die die meisten Leute in der Branche unter einem anderen Namen kannten: Operation Barbara. Warum sie so hieß? Weil Barbara Cartland eine Menge Romane über Jungfrauen geschrieben hatte, denen übel mitgespielt wurde.
Nachdem wir uns aus dieser enorm schwierigen Phase herausgewunden hatten, waren die Aussichten zum ersten Mal seit geraumer Zeit gut und ich erkundete neue Horizonte für die Marke Virgin. Viele Experten werden Ihnen sagen, dass es in der Regel ein Jahr dauert, bis ein Unternehmen auf den Weg gebracht ist, von der ersten Idee über die Planung, Marktforschung und Entwicklung bis zur Markteinführung. Ich persönlich habe diese Regel stets missachtet. Meiner Erfahrung nach sollte jeder, der dieser Regel folgt, seine Finger von Unternehmensgründungen lassen.
Als ich noch ein etwas blauäugiger Teenager war, haben wir den Versandhandel der Plattenfirma innerhalb weniger Tage auf die Beine gestellt, und selbst weitaus komplexere Geschäfte wie Virgin Atlantic wurden von der Idee bis zum Abheben innerhalb von wenigen Wochen umgesetzt. Im Allgemeinen arbeiten wir gerne schnell: Wir probieren Ideen aus, schauen, ob sie was taugen, und wenn nicht, gehen wir schnell zur nächsten über.
Ich arbeite am besten, wenn mein Verstand in der Lage ist, blitzschnell von einem Thema zum nächsten zu springen. Das hält die Dinge lebendig und es ist erstaunlich, wie oft gute Ideen für eine Firma aus einem völlig anderen geschäftlichen Kontext entstehen. Als ich ein wenig Abstand von dem alltäglichen Geschäft mit Virgin Atlantic nahm, konnte ich mich darauf konzentrieren, was als Nächstes für Virgin kommen würde. Wie sich herausstellte, wurde es weitaus mehr, als selbst ich mir jemals hätte vorstellen können.
Die Jahrhundertwende sollte sich als beispiellos produktiv erweisen, selbst nach unseren Maßstäben. Nach meiner ersten Welle als Schallplatten-Impresario und der zweiten als Gründer einer Fluggesellschaft stand die dritte Welle meiner Karriere als globaler Unternehmer kurz davor, ernsthaft Fahrt aufzunehmen. Einige der Unternehmen, und zwar Virgin Blue (heute: Virgin Australia), virginmoney.com, Virgin Wines und Virgin Mobile Australia, haben sich zu großen Erfolgsgeschichten entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits Virgin Clothing, Virgin Brides, Virgin Cola, Virgin Vodka und Virgin Vie Cosmetics auf den Markt gebracht, die alle in den darauffolgenden Jahren wieder verschwanden. Aber Misserfolge haben mich nie abgeschreckt. Es hat Spaß gemacht, sich in jedes einzelne Projekt einzuarbeiten, und wir haben dabei viele wichtige Lektionen gelernt.
Einige Unternehmen erwiesen sich schnell als alles andere als erfolgreich. Virgin Cars, unsere Automobilfirma, lief einige Jahre lang ganz gut, aber entpuppte sich über Nacht als nicht praktikabel. Unser Geschäftsmodell, Autos, vor allem aus den Niederlanden und Belgien, zu kaufen und für den Verkauf nach Großbritannien zu importieren, scheiterte an den wettbewerbsbeschränkenden Praktiken der großen Automobilhersteller und Währungsschwankungen. V.Shop, kleine Plattenläden, die wir nach der Markenumstellung von Our Price gründeten, sind nie richtig in Gang gekommen, und ganz ähnlich verhielt es sich mit Virgin Student, Virgin Energy und Virgin Travelstore. Die Dotcom-Blase war immer noch sehr erfolgreich, aber wir hatten den Dreh noch nicht ganz raus. Da unsere Kerngeschäfte solide blieben, wurde die Marke durch diese kleineren Ausfälle nicht aus der Bahn geworfen. Ich konnte dadurch sogar mehr Zeit mit meiner jungen Familie verbringen und das Leben ein wenig mehr genießen. Ich hatte nicht das Gefühl, viel beweisen zu müssen, und fühlte mich zunehmend wohler in meiner Haut. Wenn auch das eine oder andere Geschäft nicht klappte, war ich doch zuversichtlich, dass sich irgendwann ein anderes ergeben würde.
Wir erkannten allmählich, in welche Kernbereiche wir die Marke ausbauen konnten, aber es dauerte noch einige Zeit, bis ich begriff, wie flexibel die Marke Virgin war, wo sie sich erfolgreich entwickeln konnte und wo sie scheitern würde. Der Schlüssel zum Erfolg lag immer dort, wo wir uns von der Konkurrenz unterscheiden konnten – sowohl in puncto Service als auch in Bezug auf das Produkt –, und wo es einen echten Willen zur Veränderung gab. Wir waren noch weit davon entfernt, jene strukturiertere Strategie zu verfolgen, die wir heute haben, aber es war eine riesige Herausforderung und auch ein großer Spaß, herauszufinden, was funktionieren würde – und was nicht.
Mit der finanziellen Schlagkraft, die wir durch den Verkauf von Virgin Records gewonnen hatten, und dem gestiegenen Ansehen, das uns unsere Kämpfe gegen BA ungewollt beschert hatte, wuchs auch die Bekanntheit von Virgin Atlantic und damit ihr Profit. Ich war fest entschlossen, dass wir daraus Kapital schlagen sollten. Unsere Flotte wuchs auf 28 Jets an und Ende 1999 einigten wir uns darauf, 49 Prozent des Unternehmens für 600 Millionen Pfund in bar an Singapore Airlines zu verkaufen. Das würde uns mehr Möglichkeiten bieten, in neue Geschäfte zu investieren und den Kundenservice von Virgin Atlantic auszubauen, während wir gleichzeitig eine Mehrheitsbeteiligung an unserer Fluggesellschaft hielten. Wir waren schon damals die erste Fluggesellschaft der Welt, die in ihrer Flotte einen Videobildschirm in die Rückenlehnen eingebaut hatte. Nun avancierten wir zum weltweit ersten Kunden für den neuen Airbus A340-600 und führten neue erfolgreiche Strecken von Las Vegas nach St. Lucia, von Neu-Delhi nach Barbados und von Shanghai nach Kapstadt ein.
Ich fing an, Virgin Atlantic noch mehr zu genießen, als wir die allerersten Doppelbetten in der Business Class...