Die Diplomatentochter
Kindheit und Jugend
Es war Sophie Chotek nicht an der Wiege gesungen, daß sie eines Tages einen Skandal provozieren würde, der nicht nur in der kaiserlichen Familie und in Kreisen der Hocharistokratie Entsetzen und Ablehnung auslöste, sondern auch in der Bevölkerung zu Diskussionen Anlaß gab.
Doch an diesem 1. März 1868, als Sophie als Kind des Grafen Bohuslaw Chotek von Chotkowa und Wognin und seiner Gattin Wilhelmine, einer geborenen Gräfin Kinsky, in Stuttgart geboren wurde, war man davon noch drei Jahrzehnte entfernt. Gräfin Sophie Maria Josephine Albina Chotek, wie das Neugeborene in das Taufregister eingetragen wurde, hatte bereits einen Bruder namens Wolfgang und drei Schwestern: Sidonie, Marie und Karoline. Weitere drei sollten noch folgen.
Es war damals üblich, viele Kinder zu haben. Das galt für arm und reich, nur mit dem Unterschied, daß sich die begüterten Schichten den Kindersegen leisten konnten, während die Armen tatsächlich oft nicht wußten, wie sie das Nötigste für ihren Nachwuchs herbeischaffen sollten. Aber Verhütungsmittel gab es kaum, und die Kirche tat ein übriges, um sie zu verdammen. Viele Kinder zu haben, galt als gottgefällig. Außerdem war die Kindersterblichkeit groß, sie machte auch vor Schlössern und Palästen nicht halt. Nicht wenige Kinder vollendeten kaum das erste Lebensjahr. Infektionen oder Magen- und Darmerkrankungen ließen den Tod reiche Ernte halten. Die ärztliche Kunst ließ überdies sehr häufig zu wünschen übrig, abgesehen davon, daß viele es sich gar nicht leisten konnten, einen Arzt zu Hilfe zu rufen.
Die Familien Chotek und Kinsky stammten aus Böhmen, einem Kronland der österreichischen Monarchie, die sich zum Zeitpunkt von Sophies Geburt durch den sogenannten »Ausgleich« mit Ungarn zur österreichisch-ungarischen Monarchie wandelte. Trotzdem war ihre Sprache Deutsch. Es war die Sprache des Kaiserhofs, dem man zwar nicht angehörte, sich aber als Angehörige der führenden Schicht durchaus zugehörig fühlte. Auf tschechisch verständigte man sich nur dort, wo es nötig war, also hauptsächlich mit dem Personal, das sich ja meist aus dem Umland der Besitzungen rekrutierte.
Die Choteks gehörten dem böhmischen Uradel an. Mit Otto Chotek von Chotkow und Liblin wurden sie zum ersten Mal im 14. Jahrhundert in einer Urkunde erwähnt, die Linie Chotek von Chotkowa und Wognin, der Sophie entstammte, wurde 1732 in den Grafenstand erhoben; ihre Nachkommen waren vielfach im Staatsdienst tätig und brachten es dort zu hohen Ämtern. Auch Bohuslaw Choteks Vater Karl war Gouverneur von Tirol und Vorarlberg. Er setzte sich dafür ein, daß sein zweitgeborener Sohn nach einem Praktikum an der österreichischen Gesandtschaft in Dresden in den diplomatischen Dienst eintrat. Graf Chotek besaß die Würde eines Kämmerers und war Mitglied des Herrenhauses des österreichischen Reichsrates auf Lebenszeit, seine Gattin war Palastdame und Trägerin des Sternkreuzordens, der nur an Damen mit einer lupenreinen Stammtafel, mindestens sechzehn adeligen Ahnen, verliehen wurde.
Auch die Kinskys stammten aus Böhmen, waren dort seit dem 13. Jahrhundert beurkundet, sehr begütert und zählten zu den ersten Familien, die auch am Kaiserhof in Wien entsprechend angesehen waren und in dessen Diensten bedeutende Persönlichkeiten hervorbrachten. Das von Lukas von Hildebrandt erbaute Barockpalais der fürstlichen Linie gehört zu den schönsten der Wiener Innenstadt.
Graf Bohuslaw Chotek
Wie die meisten DiPlomaten hatte auch das EhePaar Chotek ein ziemlich bewegtes Leben. In den ersten zehn Jahren seiner Ehe war Bohuslaw Chotek in Stuttgart, in Berlin und London, Sankt Petersburg und Dresden tätig und war, als SoPhie geboren wurde, außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Er hatte also schon Karriere gemacht.
Das Karussell der Tätigkeitsorte des Grafen Chotek drehte sich auch nach Sophies Geburt weiter. Drei Jahre danach, 1871, nahm er eine Stellung als Provisorischer Statthalter in Prag an, kehrte aber kurz darauf in seinen alten Bereich zurück. Im selben Jahr starb Sophies jüngere Schwester Therese.
Sein nächster Posten war Madrid, doch die Familie wurde nicht glücklich dort. Das Leben war teuer, Graf Bohuslaw bemühte sich im Wiener Außenministerium um einen anderen Tätigkeitsbereich und wechselte nach Brüssel.
Der Tausch an sich war durchaus zu begrüßen, aber Schwierigkeiten blieben dennoch nicht aus. Zunächst bereitete die Wohnungsfrage Kopfzerbrechen. Der Vorgänger Graf Bohuslaws, der nach Madrid versetzt worden war und dessen Wohnung man sonst hätte übernehmen können, hatte keine Familie gehabt. Die Choteks dagegen waren inzwischen zu acht. Da es nicht gelang, in der Eile etwas Geeignetes zu finden, waren sie gezwungen, mit einem Hotel vorlieb zu nehmen.
Noch drückender aber waren materielle Sorgen. Das Außenministerium in Wien besoldete seine Diplomaten nicht gerade üppig. Da es sich um ein gemeinsames Ministerium der beiden Reichshälften handelte, mußte das Budget nicht nur vom österreichischen, sondern auch vom ungarischen Parlament bewilligt werden. Und die Abgeordneten waren angehalten zu sparen. Dreißigtausend Gulden für Gehalt samt Repräsentationszulage, für das Gros der Bevölkerung eine enorme Summe, reichten aber nicht aus, um die persönlichen und vor allem die hohen Repräsentationskosten zu decken, die der Beruf von
Graf Chotek forderte. Er repräsentierte in Brüssel schließlich nicht nur die österreichisch-ungarische Monarchie, sondern auch das Kaiserhaus. Empfänge und Diners für viele Gäste waren zu veranstalten, aber auch zu besuchen, was einen beträchtlichen Aufwand an Kleidung, vor allem für die Damen des Hauses, erforderte. Denn auch die Töchter wuchsen heran. Für ihre Zukunft war es wichtig, daß sie gesellschaftlichen Schliff bekamen und sich nebenbei vielleicht die Anbahnung einer guten Partie ergab. Die Abendroben, von denen Damen jener Gesellschaftsschicht für jede Saison einige brauchten, hatten natürlich aus edelstem Material zu bestehen und mußten in einem erstklassigen Salon nach Maß angefertigt werden. Das war teuer. Im Außenministerium fand man es dagegen selbstverständlich, daß der Diplomat als Diener des Staates eben zusah, wie er mit seinen Einkünften zurecht kam oder aber, daß er es als eine Ehre ansehen würde, dem Staat gefällig zu sein. Das hieß, notfalls in die eigene Tasche zu greifen. Viele entsprachen auch dieser Vorstellung und fanden sich klaglos damit ab. Das fiel den meisten gar nicht schwer. Sie entstammten reichen Familien, waren Herren über große Güter, die entsprechende Gewinne abwarfen, so daß diese Ausgaben für sie keine große Belastung bedeuteten. Aber es gab auch andere, die ihre Substanzen so sehr aufzehrten, daß sie bei ihrer Pensionierung letztlich am Ende ihrer Mittel waren.
Zu denen, die sich mit den Ausgaben schwer taten, die ihre Stellung mit sich brachte, zählte Graf Chotek. Er hatte sechs Kinder zu erhalten, für ihre standesgemäße Erziehung und Bildung zu sorgen und besaß nur das kleine Gut Ciwitz in Böhmen, dessen Verwaltung sogar zusätzliche Kosten verursachte.
Im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien befindet sich ein Schreiben, das Graf Chotek an seine vorgesetzte Dienststelle richtete. Darin bat er, ihm jene Kosten zu ersetzen, die ihm »anläßlich des Gesandtenwechsels entstanden sind und noch entstehen werden«[3]. Ob der Bitte stattgegeben wurde, ist nicht bekannt.
Ansonsten erfüllte Chotek seinen Beruf mit großer Hingabe. Zu tun gab es genug. Zwar stellte die Firma Remington seit 1873 Schreibmaschinen serienmäßig her, aber es dauerte lange, bis sie sich bei den Behörden durchsetzten. Das galt besonders für Wien. Kaiser Franz Joseph mochte keine Schreibmaschinen. Und da er sehr viele Berichte persönlich las, mußten sie schon aus diesem Grund handschriftlich erfolgen. Der Gesandte hatte also den Bericht jeweils aufzusetzen, die Angestellten schrieben ihn dann in sorgfältiger Schönschrift ab. Eine Menge von Repräsentionspflichten füllte viele Abende aus, wobei die charmante Gräfin Wilhelmine ihrem Gatten eine große Hilfe war. Bald waren die Choteks in Brüssel allgemein beliebt. Die Gräfin erfreute sich sogar der Freundschaft von Königin Marie Henriette, einer österreichischen Erzherzogin.
Die kleine Sophie blieb von den Sorgen ihrer Eltern unbehelligt und führte im Kreise ihrer Geschwister das behütete Leben eines Kindes aus gutsituierter Familie. Wenn die Mutter ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachging, kümmerten sich Kindermädchen und Erzieherinnen um sie, später sorgten Hauslehrer für die nötige Schulbildung, auf die großen Wert gelegt wurde. Kinder aus jenen Kreisen besuchten damals keine öffentlichen Schulen.
Eine heikle Mission für Graf Chotek
Im Laufe des Jahres 1879 kam eine ehrenvolle, aber sehr delikate Mission auf Graf Chotek zu. Er wurde vom Kaiser beauftragt, am belgischen Königshof zu erkunden, wie das Königspaar den Plan einer ehelichen Verbindung von Kronprinz Rudolf mit der belgischen Prinzessin Stephanie aufnehmen würde.
Katholische Prinzessinnen, besonders solche aus regierenden Häusern, waren rar in Europa, die Auswahl also nicht besonders groß. Der Kronprinz hatte sich schon ein wenig umgesehen, aber an keiner der jungen Damen Gefallen gefunden. Mathilde von Sachsen war ihm zu dick, die spanischen Infantinnen zu häßlich. Also entschied man sich für das Haus Sachsen-Coburg in Belgien, obwohl weder Kaiser Franz Joseph noch Kaiserin Elisabeth König Leopold II. besonders schätzten. Nur zu gut war noch in Erinnerung, mit welcher Tragödie die Heirat von Erzherzog Ferdinand Max, eines jüngeren Bruders des Kaisers, dem späteren Kaiser von Mexiko, mit Leopolds...