EINLEITUNG • Familien-Geschichten
Familien-Geschichten
Franziska Augstein und Monika Hohlmeier über ihre Väter Rudolf Augstein und Franz Josef Strauß. Moderation und Bearbeitung: Martin Doerry
Frau Augstein, Sie haben kürzlich erklärt, dass Sie das Jahr 1962 und die SPIEGEL-Affäre als eine Anbahnung des Jahres 1968 begreifen würden. Mit den Sympathiekundgebungen der Bürger für Rudolf Augstein hätten sich die Deutschen vom Obrigkeitsstaat verabschiedet. War Franz Josef Strauß ein Katalysator für diesen Prozess?
Franziska Augstein: Ja - sicher. Der Vater hatte vielerlei Anlass, Strauß sehr dankbar zu sein.
Monika Hohlmeier: Das stimmt. Das finde ich auch.
Franziska Augstein: Nicht nur, weil Strauß auf diese Art und Weise 1968 vorbereitet hat, sondern auch, weil er entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Auflage des SPIEGEL sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre fast verdoppelte.
Frau Hohlmeier, wenn Sie heute hören, dass die SPIEGEL-Affäre von manchen Historikern als wahre Geburtsstunde der Nachkriegsdemokratie in Deutschland bezeichnet wird, verletzt Sie das? Immerhin war Ihr Vater dann ein Hindernis für diese Demokratie.
Monika Hohlmeier: Nein, ich würde es einfach ein bisschen differenzierter sehen. Ich gestehe dem SPIEGEL den Blickwinkel zu, das ist klar. Der SPIEGEL sagt: »Wir sind das Symbol dafür.« Es wäre seltsam, wenn der SPIEGEL das nicht tun würde. Aber ich glaube, dass auch ein anderer Faktor eine Rolle gespielt hat: Wenn Wohlstand zunimmt, dann nimmt die Bereitschaft, befehlsartig Obrigkeit entgegenzunehmen, deutlich ab. Sie können jetzt auch in vielen anderen Ländern dieser Welt beobachten, dass mit zunehmendem Wohlstand der Wunsch, selbst zu entscheiden, Selbstverantwortung zu übernehmen und selbst seine Bürgerrechte durchzusetzen, deutlich zunimmt. Zudem gab es natürlich auch andere Medien, wie die »Frankfurter Allgemeine«, die »Welt«, die »Bild«, die »Süddeutsche« und etliche weitere, die sich die Pressefreiheit und Demokratie auf die Fahne geschrieben hatten.
Frau Augstein, wann haben Sie erfahren, welche besondere Bedeutung Franz Josef Strauß für Ihren Vater hatte?
Franziska Augstein: Ganz früh. Strauß lief sozusagen mit. Schon für das ganz kleine Mädchen, also aus der Sicht der Volksschülerin, so zweite, dritte Klasse, da gab es immer den »Strauß«. Wir haben damals Politik gespielt in der Schule, und die Kinder von Eltern, die CDU wählten, die malten dann »CDU« an die Tafel. Dann kamen die SPD-Kinder und haben das durchgestrichen und haben »SPD« hingemalt. Es hat keiner »CSU« gemalt, das war in Hamburg schlecht zu machen.
Was haben Sie gemalt? Sie können doch weder das eine noch das andere gemalt haben.
Franziska Augstein: Ich habe natürlich SPD gemalt. Ich bitte Sie.
Monika Hohlmeier: Ihr Vater war aber lange in der FDP.
Franziska Augstein: Das ist richtig, das habe ich aber immer für eine Verirrung gehalten. Damals, in dem Alter, als war dieses Spielchen machten, fragte ich einmal den Vater: »Papa, sag mal, warum hat der SPIEGEL so viel Erfolg gehabt? Wie ist das gekommen?« Und dann hat er gesagt: »Fränzchen, gleich nach dem Krieg gab es wenig Papier, und die Leute brauchten etwas, um sich den Hintern abzuwischen.« Ich habe das geglaubt. Danach erst kam die SPIEGEL-Affäre ins Spiel. Da gab es also noch eine zweite Komponente, die den SPIEGEL wichtig gemacht hatte.
Als Strauß 1980 Kanzlerkandidat wurde, waren Sie 16 Jahre alt. Es gab damals in der jungen Generation eine massive Ablehnung des Kandidaten Strauß. Haben Sie sich an diesen Diskussionen beteiligt?
Franziska Augstein: Ja. In Hamburg - ehrlich gesagt - musste man über Strauß nicht viel diskutieren. Ich glaube, es bestand in dieser Frage flächendeckend durch alle Parteien hindurch in Hamburg mehr oder minder Einigkeit.
Monika Hohlmeier: Wobei die Veranstaltungen mit meinem Vater gerade hier in Hamburg riesengroß waren.
Franziska Augstein: Das glaube ich Ihnen sofort. Das ist eine Sache, die der Vater immer bestätigt hat. Neben Herbert Wehner und Rudi Dutschke, so hat er gesagt, sei Franz Josef Strauß der allerbeste Volksredner im Lande gewesen. Und deswegen waren die Säle voll, wenn Ihr Vater auftrat.
Monika Hohlmeier: Die Erinnerungen, die ich an die Veranstaltungen in Hamburg oder Lübeck habe, sind sehr zwiespältig. Da spielte der SPIEGEL 1980 eindeutig auch eine Rolle, weil mein Vater als der Kriegstreiber, der Kriegslüsterne, der Machtmensch, der Korrupte dargestellt wurde. Das hat ihn sehr, sehr verletzt, hat aber auch bei den Veranstaltungen dazu geführt - und das lag sicher nicht allein in der Verantwortung des SPIEGEL -, dass es zum Teil zu Auseinandersetzungen kam, die eigentlich einer Demokratie nicht würdig waren. Dass meinem Vater mitunter fast das Rederecht streitig gemacht wurde, dass Menschen auf der Straße ausfallend wurden, weil sie glaubten, sie müssen sich da gegen einen Wüstling verteidigen. Natürlich war mein Vater ein temperamentvoller Mensch. Wenn der einmal einen Wutausbruch hatte, dann war das schon wie ein ordentliches bayerisches Gewitter. Aber er war auch einer, der sehr sorgfältig nachgedacht hat, und gerade dieser Vorwurf der Kriegstreiberei hat ihn ganz extrem verletzt. Mein Vater hat einen wunderbaren Satz geprägt: »Ich kenne den Krieg, und deshalb will ich den Frieden.« Mein Vater war Soldat im Zweiten Weltkrieg und hat daraus die Einstellung mitgenommen, man muss im Frieden auch wehrbereit sein und den Frieden - wenn notwendig - verteidigen. Diese Haltung hat ihn ja ursprünglich mit Ihrem Vater verbunden. Manchmal war Franz Josef Strauß Ihrem Vater fast zu wenig national. Eine überraschende Konstellation, das weiß man heute fast gar nicht mehr.
Franziska Augstein: Wir können uns vielleicht darauf einigen, dass Ihr Vater sich sehr martialisch für den Frieden eingesetzt hat.
Monika Hohlmeier: Ja, darauf können wir uns verständigen. Das stimmt.
Frau Augstein, wenn Sie heute den linken Zeitgeist der späten siebziger Jahre betrachten, mit dem Feindbild Strauß, empfinden Sie das alles auch ein wenig als selbstgerecht?
Franziska Augstein: Also, das, was Frau Hohlmeier erlebt hat, das ist nicht fair gewesen. Selbstgerecht kann ich die politische Opposition gegen Strauß nicht finden. Die war politisch gerechtfertigt.
Aber besonders differenziert war das Bild von Strauß in der linken Öffentlichkeit nicht, oder?
Franziska Augstein: Dann muss ich jetzt noch ein bisschen aufzählen: Also, vom Atom-Strauß habe ich nicht viel mitbekommen. Seine Zeit als Atom-Minister, das war ja in den fünfziger Jahren, und auch seine Haltung in der SPIEGEL-Affäre waren in meiner Jugendzeit nicht mehr akut. Aber wir hatten ja neuen Stoff in den siebziger Jahren. Außenpolitisch zum Beispiel hat er einige Kommentare geäußert, die jeden empören mussten. Das Apartheidregime in Südafrika zum Beispiel fand er ganz in Ordnung.
Monika Hohlmeier: Oh, oh, oh - Vorsicht...
Franziska Augstein: Pinochets Diktatur in Chile: Da hat er dem Pinochet bescheinigt, es sei eine gute Demokratie, die er da eingerichtet habe.
Monika Hohlmeier: Das ist auch nicht richtig so...
Franziska Augstein: Das waren Dinge, die fanden wir schlimm, und ich finde sie rückblickend immer noch schlimm.
Frau Hohlmeier, warum ist das nicht richtig?
Monika Hohlmeier: Mein Vater hat natürlich in der Außenpolitik auch einen pragmatischen Kurs verfolgt. Wenn ich seine Reise zum Beispiel nach China betrachte, zu Mao Zedong, in dessen Ära Grausiges geschehen ist. Trotzdem war sich mein Vater klar darüber, dass China einer der ganz großen Mitspieler auf dieser Erde werden würde. Also hat er sich auf den Weg gemacht, als noch keiner sich auf den Weg machen wollte.
Franziska Augstein: Mein Vater war damals auch in China...
Monika Hohlmeier: Franz Josef Strauß hat sich für die Befreiung Nelson Mandelas eingesetzt, hat wirklich mit dem Regime intern gerauft, und hat deswegen einen Besuch in Südafrika gemacht - und wurde dann als bedingungsloser Befürworter des Apartheidregimes dargestellt. Das hat ihn empört, weil er natürlich auch bei diesen Reisen nicht nur liebenswürdig mit den Herrschaften gesprochen, sondern das genaue Gegenteil getan hat. Die Meinungsbilder meines Vaters waren durchaus differenziert. Zum Beispiel wurde er ja immer wieder dargestellt als einer, der unbedingt Zugriff zu Atomwaffen haben wollte. Das ist nachweislich falsch. Ich habe meinen Vater in den achtziger Jahren gefragt, wie er dazu steht. Und mir wurde klar: Niemand hatte mehr Angst vor dem Krieg als mein Vater. Das, was ihn umgetrieben hat, war die Konstellation, dass Deutschland - wie es manchen anderen Ländern ja ergangen war, Ungarn etwa, Kuba - plötzlich zum Spielball zwischen zwei Mächten wird und nicht die Möglichkeit hat, sich selbst zu verteidigen. Er hatte Angst davor, dass die Amerikaner irgendwann ihre Bündnispartner im Stich lassen...