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E-Book

Franz Liszt

AutorBarbara Meier
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl150 Seiten
ISBN9783644541917
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Franz Liszt war ein höchst widersprüchlicher Mensch. Dieses Buch schildert ihn als Virtuosen, der für seine Berühmtheit mit lebenslanger Heimatlosigkeit bezahlt hat, als Lehrer vieler bekannter Pianisten, als Dirigenten, der Richard Wagner den Weg bereitet hat - und als Komponisten, dessen Werk Entwürfe einer zukünftigen Musik enthält. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Barbara Meier, geb. 1938 in Magdeburg, Studium der Schulmusik in Köln, später der Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Münster, 1991 Promotion zum Dr. phil. Veröffentlichungen: «Geschichtliche Signaturen der Musik bei Mahler, Strauss und Schönberg» (1992), «Giuseppe Verdi» (rm 50593, 2000), «Franz Liszt» (rm 50633, 2008) und «Robert Schumann» (rm 50714, 2010).

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Leseprobe

Zu Höherem bestimmt


Im Frühjahr 1819 erschien bei dem bekannten Wiener Klavierpädagogen Carl Czerny ein siebenjähriger Junge zum Vorspiel. Sein Vater, der ihn begleitete, stellte sich als der fürstlich-esterházysche Beamte Adam Liszt vor. Das auffällig blasse Kind wirkte schwächlich, es wankte «wie betrunken» am Klavier hin und her, beständig in Gefahr, im nächsten Augenblick vom Stuhl zu fallen. Sein Spiel erschien dem Lehrer «ganz unregelmäßig, unrein, verworren». Umso erstaunter verfolgte er, wie der Kleine die ihm vorgelegten Stücke mühelos vom Blatt spielte, wie er über ein vorgegebenes Thema improvisierte und, ohne harmonische Regeln zu kennen, einen «gewissen genialen Sinn» in seinen Vortrag legte.

In Czernys «Erinnerungen»[1] erscheint Franz Liszt als ein kränkliches, introvertiertes Kind mit deutlichen nervösen Störungen. Noch am Tag seiner Geburt hatte Adam Liszt ins Tagebuch geschrieben: «Mein Sohn, du bist vom Schicksal bestimmt! Du wirst jenes Künstlerideal verwirklichen, das vergeblich meine Jugend bezaubert hat.»[2] Und der Sohn, unerbittlich zur Virtuosität bestimmt und sehnsüchtig nach Anerkennung, hatte sich im Entsagen üben müssen. Aus scheuem Respekt vor dem Vater war er kaum jemals ungehorsam, Schläge bekam er für Fehler, die er machte.

Schon Adam Liszt sollte nach dem Willen seines Vaters, eines Dorfschullehrers[3], etwas «Höheres» werden. Er durfte das Gymnasium in Preßburg[4] besuchen und spielte mehrere Instrumente: Klavier, Violine, Cello, Gitarre. Mit achtzehn trat er in den Franziskanerorden ein, wurde aber nach zwei Jahren wegen seiner «unbeständigen und veränderlichen Natur»[5] wieder entlassen. Danach begann er an der Preßburger Akademie ein Philosophiestudium, das er, weil das Geld fehlte, nach anderthalb Jahren abbrach. Er wurde Wirtschaftspraktikant auf einem der Güter des Fürsten Esterházy[6], dann Amts- und Rentschreiber in der Güterverwaltung, wechselte aber oft die Stellen, unzufrieden mit dem Leben auf dem Land. Nach Eisenstadt zog es ihn, wo es Theater- und Opernaufführungen gab und Konzerte der fürstlichen Kapelle, die einmal von Joseph Haydn geleitet worden war. Um sich dem Fürsten zu empfehlen, hatte Adam Liszt 1801 ein Tedeum für ihn komponiert. Als er endlich nach mehreren Bittgesuchen Amtsschreiber am Eisenstädter Hof geworden war, durfte er gelegentlich als Cellist in der Kapelle mitspielen, unter der Leitung des berühmten Konzertmeisters Johann Nepomuk Hummel. Doch schon drei Jahre später, wegen einer ehrenvollen Beförderung zum Schäferei-Rentmeister, musste er Eisenstadt wieder verlassen. Seine Arbeit erledigte er weiterhin gewissenhaft, aber er wurde unglücklich, ja verbittert.

Im Januar 1811 heiratete er die elf Jahre jüngere Maria Anna Lager aus Krems. Früh zur Selbständigkeit gezwungen, hatte sie als Stubenmädchen in Wien gearbeitet und etwas Geld gespart. Adam Liszt, damals 34, war als Rechnungsführer der fürstlichen Schäferei in Raiding[7] ein angesehener Mann. Unwürdig muss ihm das unstete Leben seines Vaters Georg Adam vorgekommen sein, der 25 Kinder aus drei Ehen hatte, zweimal wegen Unzuverlässigkeit und Streitsucht aus dem Dienst entlassen worden war und immer wieder in Not geriet, sodass sein Sohn Adam ihn zeitweilig bei sich aufnahm.

Dann bekam Adam Liszts Leben mit der Geburt des einzigen Kindes am 22. Oktober 1811, im Jahr des «Großen Cometen», wieder ein Ziel. Das astronomische Wunder[8] deutete er als Zeichen, dass sein Sohn zu Großem bestimmt sei, und auf diese Bestimmung hin entwarf er einen Lebensplan.

Im Taufbuch findet sich der Eintrag «Franciscus List», die ungarische Schreibweise bestimmte der Vater dann der Aussprache wegen, ohne das z hätte man «Lischt» gelesen. Denn Raiding, damals Doborján, 35 Kilometer südlich von Eisenstadt gelegen, gehörte bis 1821 noch zu Ungarn. Wenngleich die Bevölkerung zu 90 Prozent aus Deutschen bestand, Deutsch die Amtssprache war und man selbst im fürstlichen Theater kein Wort Ungarisch zu hören bekam, verstand sich Adam Liszt, der wie sein Sohn nie die ungarische Sprache lernte, immer als Ungar.

Wenn der Vater auf dem Spinett spielte, war das Kind sein einziger Zuhörer. Bald sang es die gehörten Melodien nach und bat unaufhörlich, selber spielen zu dürfen. So wurde der Vater sein erster Lehrer. Dessen Ansprüche waren, was das Lernpensum betraf, unverhältnismäßig hoch: Etüden, klassische Stücke und Bach’sche Fugen, Übungen im Transponieren, zur Belohnung Fantasieren und Vierhändigspiel. Vernachlässigt blieben dabei Spieltechnik, Präzision und theoretische Grundlagen. Fast den ganzen Tag saß der Junge am Instrument, begierig zu lernen und versunken in seine eigene Welt. Der schlechte Gesundheitszustand des Kindes, das in den ersten drei Lebensjahren über Monate schwer krank gewesen war, machte den Eltern Sorgen. Erst als der Junge in die Schule kam, schienen die gefährlichsten Krisen überwunden.

Der Lehrer Johann Rohrer unterrichtete die Raidinger Schüler in einem einzigen Raum. Im Sommer, wenn die Kinder bei der Landarbeit gebraucht wurden, kam nur die Hälfte zum Unterricht. Franz Liszt blieb viereinhalb Jahre dort, bis zum Mai 1822, da war er zehn, danach besuchte er nie mehr eine Schule. Noch 1850, als er von der guten, nach keiner Richtung vernachlässigten Erziehung des Gymnasiasten Frédéric Chopin berichtet, wird das Gefühl der eigenen Benachteiligung spürbar.[9] Unter dem Mangel an Bildung, der oft peinlichen Unsicherheit des Autodidakten, der sich alles Wissen selbst anlesen musste, hat er sein Leben lang gelitten. Intellektuell sei er, schrieb er einmal, in der Lage eines verschämten Armen geblieben.[10]

Bald suchte Adam Liszt nach einem professionellen Lehrer. Am liebsten hätte er seinen Sohn zu Hummel geschickt, den er ja von Eisenstadt her kannte. Aber Hummel leitete jetzt die Hofkapelle in Weimar und war viel zu teuer. Am besten geeignet für die Ausbildung zum Virtuosen und Komponisten schien Wien, die Stadt Beethovens und Schuberts, für Adam Liszt der «Wohnsitz der Music»[11], im Übrigen, wie der Kritiker Eduard Hanslick fand, geradezu ein «Stapelplatz von Wunderkindern»[12]. Adam Liszt hatte alle Kosten für das Leben im «geldfressenden» Wien[13] genau zusammengerechnet: für den theoretischen und praktischen Musikunterricht seines Sohnes, für Reisen, Sprachunterricht, Konzertbesuche, Noten und Bücher, für Kost und Logis. Mit den Plänen ihres Mannes war Anna Liszt nicht einverstanden. Sie dachte an die Strapazen einer Künstlerlaufbahn und hätte es am liebsten gesehen, wenn ihr Sohn Geistlicher geworden wäre. Dem Jungen blieben die Zukunftssorgen der Eltern nicht verborgen, die wachsende Nervosität des Vaters, die kränkende Abhängigkeit vom fürstlichen Wohlwollen. Auslöser dieser Schwierigkeiten war er ja selbst, und wie oft verzögerten Krankheiten den Fortschritt. Adam Liszt reichte mehrere Gesuche an den Fürsten Esterházy ein, die jedes Mal den schwer durchschaubaren Beamtenapparat zu passieren hatten, untertänigste Bitten um eine Versetzung nach Wien, um Förderung des Jungen, Empfehlungen, Beihilfen. Unter «Thränen» bat er im Frühjahr 1820 um ein Jahr unbezahlten Urlaub und eine finanzielle Unterstützung für den Aufenthalt in Wien, denn betteln gehen könne ein fürstlicher Beamter doch nicht.[14] Erst zwei Jahre später wurde der Urlaub gewährt. Dass Nikolaus II. sein Mäzen gewesen sei, wies Franz Liszt später nachdrücklich zurück: Der Fürst habe nie irgendetwas für ihn getan.[15]

Im Oktober 1820 war Franz Liszt zum ersten Mal in der Bezirkshauptstadt Ödenburg, heute Sopron, öffentlich aufgetreten. Vor vielen Zuhörern zu spielen begeisterte ihn geradezu. Dem Publikum gefiel er sofort: durch seine Anmut, sein Temperament, den frappierenden Gegensatz zwischen der grazilen Gestalt und der Kraft seines Spiels, durch die Unbefangenheit, mit der er aus dem Stegreif über vorgeschlagene Melodien fantasierte. Als er einen Monat später im Preßburger Palais vor adliger Gesellschaft spielte, erklärte sich spontan eine Gruppe ungarischer Aristokraten bereit, dem Jungen für die Dauer von sechs Jahren ein Stipendium von jährlich 600 Gulden zu gewähren. Adam Liszt verkaufte seinen gesamten Besitz, das Vieh, die Möbel, das Spinett, und zog am 8. Mai 1822 mit seiner Familie in die Residenzstadt, sozusagen als freier Unternehmer, ein Jahr später beantragte er seine Entlassung aus den fürstlichen Diensten.

Carl Czerny, damals Anfang dreißig, war trotz seiner Jugend ein gesuchter Lehrer in Wien. Da seine Tage mit Klavierstunden ausgefüllt waren, unterrichtete er Franz Liszt abends, bald schon unentgeltlich. Er konnte mich ob meines Fleißes gut leiden, trotz meines Herunterhudelns, berichtete Liszt später. Fleißig waren sie beide, Czerny, der mit Muzio Clementi, Johann Nepomuk Hummel, Ferdinand Ries und Ignaz Moscheles die «brillante Wiener Schule» vertrat, hat über tausend Werke hinterlassen. Anfangs stand die technische Schulung im Mittelpunkt, die Czerny strikt vom Studium der Klavierliteratur trennte, ein rein mechanisches Training des «richtigen» Fingersatzes, der Geläufigkeit, des Anschlags, der Taktfestigkeit. Und bevor der Junge Bach, Beethoven, Hummel und Moscheles studieren durfte, stopfte ihn sein Lehrer tüchtig mit Clementi.[16] Übungen im Fantasieren und Vom-Blatt-Spielen ergänzten den Unterricht.

Der...

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