Mittelalter
Damen aus besten Familien
Judith – eine verlassene Ehefrau
Im Jahr 1073 ließ ein Markgraf namens Hermann seine Gemahlin Judith mit dem gemeinsamen Sohn sitzen. Doch die verlassene Ehefrau weinte weder, noch zürnte sie. Und Hermann I. begab sich auch nicht in die Arme einer anderen Frau, sondern nach Cluny, ins damals berühmteste Kloster des Abendlands. Er wollte sein Leben Gott weihen und Knechtsdienste verrichten.
Judith war eine moderne Frau. Eine von denen, die aus innerster Überzeugung einem reformorientierten Frömmigkeitsideal anhingen. Für die Weltflucht ihres Gemahls hatte sie Verständnis. Vermutlich war sie sogar stolz auf seinen radikalen Schritt. Auch die Nachfahren des frommen Paares, die Markgrafen von Baden, haben es Hermann nicht verübelt, dass er Weib und Kind verließ, um in Burgund nach Selbstheiligung zu streben. Im Gegenteil: Ein aufstrebendes Adelshaus konnte sich kaum einen würdigeren Stammvater wünschen als einen vornehmen Herrn, der aus freien Stücken auf weltlichen Besitz verzichtete und sich der strengen klösterlichen Disziplin unterwarf, für die Cluny bekannt war.
Markgraf Hermann († 1074) stammte aus einer mächtigen Sippe, deren Machtzentrum zwischen Neckar und Schwäbischer Alb lag und die zudem im Breisgau und in der Ortenau Herrschaftsrechte besaß. Er trug den Titel eines Markgrafen von Verona (in Italien), den er von seinem Vater, Berthold mit dem Bart, übernommen hatte. Der bärtige Berthold, von dem nicht nur die Markgrafen von Baden, sondern auch die Herzöge von Zähringen abstammten, dürfte große Pläne mit diesem Sohn gehabt haben. Er verheiratete ihn mit Judith, die wahrscheinlich jenen Besitz am nördlichen Rande des Schwarzwalds mit in die Ehe brachte, der später die territoriale Grundlage der Markgrafschaft Baden bilden sollte. Wie über viele andere vornehme Frauen ihrer Zeit ist über Judith wenig bekannt.
Hermann I. von Verona machte die väterlichen Pläne zunichte, als er sich für ein Leben in Armut entschied. Das karge Leben in Cluny – er soll dort die Schweine gehütet haben – hielt er nicht lange durch. Ein knappes Jahr nach seinem Eintritt ins Kloster starb er.
Die verlassene Ehefrau nahm seinen Tod in christlicher Demut hin. Als junge Witwe unterstützte sie die vom Kloster Hirsau ausgehende, an Cluny orientierte Reformbewegung nach Kräften. Ihr Leben endete 1091 in Salerno, wo sie sich im Umfeld Papst Urbans II. aufhielt. Möglicherweise hatte die Markgräfin diesen Aufenthaltsort im Gedenken an ihren Gemahl gewählt: Der Heilige Vater war zuvor Mönch und Prior in Cluny gewesen.
Die Familie „von Baden“. Zu Lebzeiten Hermanns I. und seiner Frau Judith war von „badischen“ Markgrafen noch keine Rede. Das änderte sich, als der ebenfalls Hermann genannte Sohn des frommen Paares um 1100 hoch über dem alten Römerort Baden (heute: Baden-Baden) die Burg Hohenbaden errichten ließ. Obwohl sich die Markgrafenfamilie dort zunächst nicht allzu häufig aufhielt, benannte sie sich fortan bevorzugt nach diesem Herrschaftssitz „von Baden“. Die erste Urkunde, in der Hermann II. als „Markgraf von Baden“ auftaucht, stammt aus dem Jahr 1112.
Judith „von Backnang“ – Herrschaftsausbau am Mittleren Neckar
Auch wenn Hermann II. († 1130) am Rande des nördlichen Schwarzwalds die namengebende Burg erbauen ließ, war noch nicht abzusehen, dass die Zukunft Badens am Ober- und Hochrhein liegen würde. Vielmehr zeigten die frühen Markgrafen Interesse an einem Herrschaftsausbau am Mittleren Neckar. Hermann II. vermählte sich denn auch mit einer Frau, die vermutlich Backnang mit in die Ehe brachte. Sie hieß Judith, wie Hermanns Mutter.
Backnang erhielt für die Markgrafen von Baden besondere Bedeutung, denn Hermann und seine Judith gründeten dort 1122 das Augustiner-Chorherrenstift St. Pankratius. Es diente der Familie „von Baden“ bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts als Grablege.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet: Heiratspolitik
Es war das Zeitalter der Minnelieder und der ritterlich-höfischen Kultur. Bei der Wahl ihrer Ehefrauen und Schwiegertöchter ließen sich adelige Herren allerdings nicht von hohen Idealen und schon gar nicht von Zuneigung leiten. Was auf den Prüfstand kam, war vor allem der familiäre Hintergrund der potenziellen Braut. Gerne genommen wurden Damen, deren Verwandtschaft Vorteile fürs eigene Haus versprach. Markgraf Hermann III. von Baden († 1169) etwa heiratete eine Frau namens Berta. Sie soll eine Stauferin gewesen sein und entstammte demnach einem Geschlecht, das römisch-deutsche Könige und Kaiser hervorbrachte. Von dieser Verwandtschaft gedachten die badischen Markgrafen zu profitieren.
Zudem nahm man vor einer Verlobung penibel die Besitzverhältnisse und mögliche Erbansprüche der potenziellen Braut unter die Lupe. Kluge Eheschließungen konnten über die Zukunft ganzer Geschlechter entscheiden.
Freilich waren die Heiratsgeschäfte, bei denen bereits über Kleinkinder verfügt wurde, sehr konfliktträchtig. Manche Ehe wurde überhaupt nur geschlossen, weil sich die Kuppler auf diesem Weg den Besitz der angeheirateten Verwandtschaft anzueignen gedachten. Die Heiratspolitik gehörte neben kriegerischen Auseinandersetzungen und mächtigen Verbündeten zu den wichtigsten Stellschrauben beim Herrschaftsausbau adeliger Familien.
Zumindest nicht zum Nachteil gereichte Bildung den adeligen Heiratskandidatinnen in der schriftarmen Zeit: Da edle Herren viel Zeit auf Kriegszügen verbrachten, schätzten sie Gemahlinnen, die in der Lage waren, ihre Stellvertretung zu übernehmen. Die Talente der Damen als Regentinnen waren zudem für den Fall gefragt, dass der Ehemann starb und die Söhne noch minderjährig waren.
Irmengard – die „Gute Frau“
Ein vielversprechendes Geschäft war auch die Heirat Hermanns V. von Baden (um 1175–1242/43) mit Irmengard (um 1200–1260): Die Braut war eine Tochter Herzog Heinrichs von Braunschweig, des welfischen Pfalzgrafen bei Rhein. Dessen einziger als Erbe in Frage kommender Sohn starb jung – und die Pfalz war neu zu vergeben. Man durfte davon ausgehen, dass einer von Heinrichs Schwiegersöhnen den Zuschlag erhalten würde. In Frage kamen Hermann von Baden und Otto von Wittelsbach (1206–1253), der freilich noch ein Kind war: Der Bayer war mit Blick auf die sich in der Pfalzgrafschaft eröffnenden Möglichkeiten bereits als Sechsjähriger mit Irmengards Schwester Agnes (um 1202–1267) verlobt worden.
Die Entscheidung lag bei König Friedrich II., der zwischen zwei seiner Parteigänger wählen musste. Dabei zog der badische Markgraf den Kürzeren: Der Staufer entschied zugunsten des Wittelsbachers. Damit nahm die Länderverbindung von Bayern und der späteren Kurpfalz ihren Anfang.
Den wegen des entgangenen Erbes tief enttäuschten Badener suchte Friedrich II. anderweitig zu entschädigen. Er schenkte ihm die Stadt Durlach, übertrug ihm Ettlingen zu Lehen und verpfändete ihm Lauffen, Sinsheim und Eppingen. Auch die Stadt Pforzheim, die bis dahin in staufischer Hand gewesen war, fiel in dieser Zeit an die Badener.
Mit dem Erwerb von Durlach, Ettlingen und Pforzheim begann sich das badische „Kernland“ herauszukristallisieren. Die Besitztümer der Markgrafen am Mittleren Neckar gerieten hingegen allmählich ins Abseits.
Abb. 1:
Markgräfin Irmengard gründete das Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal, das zur neuen Grablege des Hauses Baden wurde. Ihr eigenes Grabmal entstand um 1340/50.
Hermann V. von Baden blieb ein unbeirrbarer Parteigänger Friedrichs II.: Er folgte dem Staufer in sein italienisches und sizilisches Reich, nahm an einem Kreuzzug teil und geriet zeitweise in arabische Gefangenschaft. In Deutschland verfocht er die Interessen des Kaisers gegen dessen aufständischen Sohn Heinrich. Markgräfin Irmengard hat die auf Macht- und Besitzgewinn ausgerichtete Politik sowie die nicht eben friedliche Lebensweise ihres Gemahls offenbar mitgetragen – und damit die Erwartungen erfüllt, die man an eine brave Ehefrau stellte. Das Epos von der „Guten Frau“, eine anonyme niederalemannische Erzählung aus der Zeit um 1230, berichtet von einem vollkommenen Fürstenpaar, das vermutlich Hermann und Irmengard von Baden nachempfunden ist. In dem Werk wird der ritterliche Tugendkatalog mit zeittypischen Frömmigkeitsidealen verknüpft.
Auch die reale Irmengard fühlte sich den religiösen Strömungen ihrer Zeit tief verbunden. Heute ist sie vor allem als die Gründerin des Zisterzienserinnen-Klosters Lichtenthal am Rande der Stadt Baden-Baden bekannt (mehr dazu unten).
Stuttgart – eine badische Hochzeitsgabe. Während man sich mit einer Ehefrau idealerweise neue Besitztümer, Vermögen oder interessante Anwartschaften einhandelte, konnte die Verheiratung von Töchtern und Schwestern mit beträchtlichen Aufwendungen verbunden sein. Auf diesem Weg verloren die Markgrafen Stuttgart, das nach neueren Forschungen eine badische Gründung war und wohl unter Hermann V. zur Stadt erhoben wurde. Stuttgart gehörte zum Heiratsgut von Hermanns Tochter Mechthild (Mathilde), die mit Graf Ulrich I. von Württemberg vermählt wurde.
Eine goldene Braut und eine Grafentochter aus der Provinz
Kühl kalkulierend mischten die Markgrafen von Baden auf dem Heiratsmarkt mit. Oft lässt bereits die Herkunft der Bräute erahnen, welches politisch-dynastische Ziel mit der jeweiligen Eheschließung verfolgt wurde. So heiratete einer von Irmengards Söhnen, Hermann VI. († 1250), die Herzogin Gertrud von Österreich, eine Babenbergerin. Das war ein großer Coup, der diesem Markgrafen den österreichischen Herzogstitel...