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Freiheit von der Pille - eine Unabhängigkeitserklärung

Essay

AutorSabine Kray
VerlagTempo
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783455002676
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seit 50 Jahren gilt die Antibabypille in Deutschland als sicherste Verhütungsmethode. Und noch immer wird sie als Meilenstein für die Emanzipation und Unabhängigkeit der Frau gefeiert.  Was passiert aber, wenn man diese Selbstverständlichkeiten in Frage stellt? Ist die Pille tatsächlich so alternativlos? Macht sie uns Frauen wirklich so selbstbestimmt? Wie kann es sein, dass wir uns über gesunde Ernährung, fair gehandelte Kleidung und Kosmetik ohne Tierversuche Gedanken machen, zugleich aber ohne groß darüber nachzudenken tagtäglich Hormone einnehmen, deren langfristige Effekte auf Körper und Psyche noch immer nicht hundertprozentig zu ermessen sind? Die Autorin und Übersetzerin Sabine Kray veröffentlichte im April 2017 bei Zeit Online den Artikel 'Die Antibabypille ist unzumutbar', dessen Text sich rasend schnell im Netz verbreitete und von vielen Frauen enthusiastisch kommentiert wurde. Sabine Kray hatte einen Nerv getroffen - schließlich spielen Verhütung, Kinderwunsch und Familienplanung eine elementare Rolle in unserem Leben. Dieses Buch berichtet, wie es zum zweifelhaften Siegeszug der Pille kam und schöpft aus aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema. Ergänzend dazu hat die Autorin mit vielen jungen Mädchen und Frauen über die Erfahrungen mit der Antibabypille und dem eigenen Körper gesprochen und zeichnet so das Bild einer Generation. Ein Buch für die Gespräche mit unseren Töchtern und Nichten und für junge Frauen, die sich informieren wollen - aber auch Vätern, Freunden und Ehemännern empfohlen.

Sabine Kray wurde 1984 in Göttingen geboren. Sie lebt als Autorin und Übersetzerin in Berlin, wo sie sich als Mentorin für junge Mädchen bei der Bürgerstiftung Neukölln engagiert. Ihr Debüt Diamanten Eddie erschien im Frühjahr 2014.

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Leseprobe

Unabhängigkeit


Über Entscheidungen und die Freiheit, sie zu treffen

Ich habe siebzehn Jahre lang hormonell verhütet. Bereits mit 15 bekam ich die Pille verschrieben, gegen meine heftigen Menstruationsbeschwerden und weil ich selbst darauf drängte. Auf der Mädchentoilette in der Schule erzählte man sich, die Pille mache schöne Haut, schöne Haare und große Brüste. Sign me up!, dachte ich mir, obwohl es noch drei Jahre dauern sollte, bis ich zum ersten Mal Sex hatte. Mit Kondom im Übrigen, denn über sexuell übertragbare Krankheiten wurden wir in den neunziger Jahren sehr gut aufgeklärt.

Bekam ich schönere Haut, größere Brüste? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß noch, dass es sich sehr erwachsen und sehr »fraulich« anfühlte, jeden Tag eine Pille aus dem bunten Blister zu drücken. Dazu gab es beim Frauenarzt noch ein Schminktäschchen und einen Erinnerungsaufkleber für den Badezimmerspiegel geschenkt. Die Aufklärung zu den Nebenwirkungen war oberflächlich, unter Eltern galt es als modern, jungen Mädchen die Pille früh verschreiben zu lassen.

 

Erst 17 Jahre später entdeckte ich, was für Auswirkungen die Präparate auf meine Libido, ja auf meine Persönlichkeit gehabt hatten. Dass die hormonelle Medikation mich alles andere als weiblicher, »fraulicher« oder emanzipierter gemacht hatte. Plötzlich, nachdem ich die Hormone abgesetzt hatte, kam es vor, dass ich unvermittelt an Sex denken musste, in der U-Bahn oder beim Einkaufen. Meine Libido meldete sich auf eine ganz neue Art, und irgendwann dachte ich mir: »Verdammt noch mal, ich habe immer geglaubt, das wäre nur bei Männern so …« Hatte die Pille jahrelang mein Sexleben ruiniert? Ich begann im Kreis meiner Freundinnen herumzufragen und stellte fest, dass es nicht nur mir so ergangen war. Einige berichteten auch über mehr Wucht im Alltag, mehr Durchsetzungsstärke.

Dazu sollte ich mal was schreiben, dachte ich mir, erst Monate später schrieb ich es, für 10 nach 8 bei Zeit Online. Was dann passierte, überrascht mich noch immer – innerhalb von weniger als 24 Stunden war der Artikel mit dem Titel Die Antibabypille ist unzumutbar von mehr als einer halben Million Menschen gelesen und tausendfach in sozialen Medien geteilt worden.

In den Wochen darauf sprachen mich fast täglich Frauen darauf an. Weitere Freundinnen, Bekannte, aber auch Fremde. Die meisten waren in meinem Alter und hatten aus dem einen oder anderen Grund aufgehört, die Pille zu nehmen. Die einen hatten sich zu diesem Schritt entschieden, weil sie ein Kind wollten, andere fragten sich, ob ihre schwächelnde Libido mit der Pille zusammenhängen könnte. Wieder andere hatten sich irgendwann beim täglichen Griff zur Tablette einfach nicht mehr wohlgefühlt, irgendetwas hatte sich gesperrt. Pillenmüdigkeit kann man das nennen, oder auch Bauchgefühl. Viele dieser Frauen teilten meine Erfahrungen, hatten aber auch andere Veränderungen am eigenen Körper, der eigenen Selbstwahrnehmung festgestellt, nachdem sie vom Teenageralter an die Pille genommen und schließlich abgesetzt hatten.

Von einem Apotheker erhielt ich eine E-Mail, in der er mich darauf aufmerksam machte, dass er einen Aspekt in meinem Artikel vermisst habe. Die Pille, so beschrieb er es mir, nehme durch die veränderte hormonelle Situation auch Einfluss auf die Partnerwahl. Immer neugieriger geworden, setzte ich meine Recherchen fort und fand heraus, dass auch das zumindest eine valide Vermutung darstellte. Und ich fragte mich: Was weiß man eigentlich darüber, was die jahrelange Einnahme synthetischer Hormone mit dem weiblichen Körper macht? Wie genau funktioniert die Pille und kann man eigentlich auch ohne sie sicher verhüten? Oder geht es vielleicht noch um sehr viel mehr?

Der erste Schritt auf dem Weg zu diesem Buch bestand darin, meine eigene Geschichte genauer zu betrachten. 17 Jahre lang hatte ich also hormonell verhütet. Ich kann nicht sagen, dass ich mir wenig dabei gedacht hätte. Mehrfach habe ich die Präparate gewechselt. Irgendwas war immer. Eine Hormonspirale hatte mich mit 20 fast umgebracht. Eine Eierstockentzündung, zwei verschiedene Antibiotika per Infusion, eine Woche im Krankenhaus. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich davon wieder erholt hatte. Ob es an der Hormonspirale lag, ließ sich nie eindeutig nachvollziehen. Trotzdem hatte ich die Alternativlosigkeit von hormoneller Verhütung nie angezweifelt. Warum? Nun, das habe ich mich auch gefragt, als ich im Februar letzten Jahres aufgehört habe, sie zu verwenden.

Die Entscheidung aufzuhören, kann man gar nicht wirklich als solche bezeichnen. Irgendwie hatte ich keinen Termin beim Frauenarzt bekommen, um mir ein neues Rezept zu holen und dachte spontan: Vielleicht lasse ich es einfach mal sein. Einen Freund hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Monaten nicht, ich verhütete mit Kondom, hätte die hormonelle Verhütung also gar nicht gebraucht, aber über die Jahre war es zu einem solchen Automatismus, ja einem selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden, dass erst einmal eine Reihe von Umständen zusammenkommen mussten, um diesen kleinen, unspektakulären Schritt zu gehen.

Nach einigen Wochen realisierte ich, dass sich mein Lebensgefühl veränderte, doch es dauerte ein wenig, bis ich den Zusammenhang herstellte, dass es mit dem Absetzen der Hormone zu tun haben könnte. Als Erstes fiel mir die Veränderung meines sexuellen Begehrens auf. Wo es zuvor immer einen kleinen Schubs, also die Initiative eines Mannes gebraucht hatte, um wach zu werden, war es plötzlich ein eigenständiger Teil von mir, kam unvermittelt und unangekündigt über mich. Ich begann mich selbstbewusster zu fühlen, in jederlei Hinsicht näher an meinen Bedürfnissen, nicht nur was den Sex anging.

Fasziniert beobachtete ich diesen neuen Teil von mir. In meinen Gesprächen mit anderen Frauen meines Alters stellte ich fest, dass viele ähnlich wie ich bereits als Teenager in die hormonelle Verhütung »hineingerutscht« waren. Fast alle von uns waren mit dem festen Vorsatz zum Frauenarzt gegangen, jetzt auch »endlich« die Pille zu bekommen. Keine von uns ging damals ohne Rezept nach Hause. Manche wurden auch von ihren Müttern zum Arzt geschickt, um sie verschrieben zu bekommen. Viele von uns hatten zu diesem Zeitpunkt nicht einmal einen Freund. Für fast alle spielte es eine Rolle, dass die Pille »schöner« machen sollte und dass wir die Menstruation, die die meisten von uns zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht lange hatten, als unangenehm empfanden.

Ein unregelmäßiger Zyklus, Menstruationsbeschwerden – das alles könne der Vergangenheit angehören, erfuhren wir aus Broschüren, von Freundinnen und schließlich vom Arzt. Eine weitere Rolle spielte wohl auch die Tatsache, dass die Pille eine Art Klub war, dem man gern angehören wollte. Eine 21-Jährige erklärte mir kürzlich während eines der Interviews, die ich für dieses Buch mit jüngeren Frauen geführt habe, dass es sich regelrecht »komisch« angefühlt habe, mit 16 eine von denen zu sein, die die Pille nicht einnahmen. Auch sie ließ sie sich verschreiben, obwohl sie noch keinen Freund hatte.

Hormonelle Verhütung ist offenbar eine Art Meilenstein auf dem Weg zum Frausein geworden – damals wie heute –, eine Selbstverständlichkeit, ein Automatismus, nicht nur in meiner persönlichen Geschichte. Mit ihr assoziieren wir Sorglosigkeit genauso wie Verantwortungsbewusstsein. Regelrecht absurd eigentlich, oder nicht? A dream come true, könnte man meinen. Verantwortungsbewusstsein ist in der Regel anstrengend, ganz besonders für Teenager. Welch ein Luxus, wenn es in Tablettenform erhältlich ist und uns quasi als »Nebenwirkung« auch noch die Sorglosigkeit im Bett ermöglicht.

Auch unter Jungs und jungen Männern hat sich diese Wahrnehmung festgesetzt, der Druck, sich die Pille verschreiben zu lassen, wächst nicht selten mit jeder Woche, die eine neue Beziehung währt. Wer sie nicht nimmt, gilt nicht nur als regelrecht verantwortungslos, sondern steht aus der Perspektive vieler junger Männer einem sorglosen, erfüllten Sexleben ohne Grund im Wege. Denn: Die Pille ist doch so praktisch! Und sicher. Und alle anderen nehmen sie doch auch! Dass noch andere Sorgen, etwa die um die Integrität des eigenen Körpers, der eigenen Persönlichkeit eine Rolle spielen könnten, ist für viele nicht nachvollziehbar, und zwar vor allen Dingen, weil die wenigsten Menschen überhaupt um diese Risiken wissen – ganz besonders die Männer, deren Körper und Persönlichkeiten in diesem Zusammenhang unangetastet bleiben.

Geht eine Beziehung in die Brüche, raten Frauenärzte in Deutschland häufig, sie einfach weiter zu nehmen, dann müsse sich der Körper nicht so oft umstellen. Das führt dazu, dass viele Frauen die Pille zehn bis 15 Jahre lang einnehmen, ob sie die empfängnisverhütende Wirkung gerade brauchen oder nicht. Erst wenn sich ein Kinderwunsch einstellt, soll sie abgesetzt werden, so lautet die landläufige Einstellung.

Kann das gut sein? Über die Risiken und Nebenwirkungen der Pille werden die meisten Frauen von ihren Ärzten nur unzureichend informiert, zumindest auf das Risiko von Thrombosen und Embolien wird inzwischen in den meisten Fällen hingewiesen. Auf die möglichen Auswirkungen der Pille auf das Wohlbefinden, auf den gesenkten Testosteronspiegel, der sich bei allen Anwenderinnen einstellt, und ihre potenzielle Wirkung auf die Libido werden junge Frauen meistens...

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