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E-Book

Freiheit unterm Ladentisch

Mein Leben als Punk in der DDR

AutorDaniel Krause
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783745306507
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
»Stinker? Drauf geschissen! Wir waren nicht wie die, und wir wollten es auch nicht werden.« »Es sollte der geilste Tag des Frühlings 1987 werden. Zwischenzeitlich war er es auch - bis die Volkspolizei mit ihren Knüppeln dazwischenfuhr und dem Gefühl von Unbesiegbarkeit, das mich durch meine Jugend als Ostberliner Punker getragen hatte, einen ewigen Dämpfer verpasste.« Daniel Krause ist 18 Jahre alt und Punker, als ihm 1987 bei den Ostberliner Pfingstunruhen erstmals der Ruf »Die Mauer muss weg!« zu Ohren kommt. Endlich scheint der Freiheitsdrang, der seine Jugend in der DDR zum Spießrutenlauf gemacht hat, zur Massenbewegung zu werden. Doch in den Seitenstraßen lauern schon die Sittenhüter des Staates ... In Freiheit unterm Ladentisch erzählt der bekannte Seriendarsteller aus »Berlin - Tag & Nacht«, wie Jugendkultur im Osten jenseits von FDJ und politischer Widerstandsbewegung funktionierte, wie die kleinen Freiheiten im Angesicht der großen Unfreiheit aussahen und was Action-Deo, Chromalux-Fernseher und Leifalit-Sprühfarbe zur Wende beigetragen haben. Eine unterhaltsame Zeitreise in die letzten Tage der DDR - geistreich und mit hintergründigem Humor.

Daniel Krause ist Ostberliner Original, TV-Quereinsteiger und laut WELT »Deutschlands bekanntester Tätowierer«. Seit 2011 spielt er eine der Hauptrollen in der RTL-II-Serie Berlin - Tag & Nacht, gemeinsam mit Marcus Kaiser moderiert er seit 2014 die Morning-Show Kaiser und Krause und veröffentlichte als Autor u. a. das Buch Tattoo-Krause.

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Leseprobe

Prolog


»Helden für einen Tag«


Es sollte der geilste Tag des Frühlings 1987 werden. Zwischenzeitlich war er es auch – bis die Volkspolizei mit ihren Knüppeln und Schlägern dazwischenfuhr und dem Gefühl von Unbesiegbarkeit, das mich durch meine Jugend als Ostberliner Punker getragen hatte, einen ewigen Dämpfer verpasste …

Es war Pfingsten. Ich war 18. Mein erster Sommer als Volljähriger stand bevor. Für mich bedeutete das: Endlich durchdrehen, ohne dass mir irgendwer reinreden konnte. Ich war erwachsen. Mir hatte keiner mehr was zu sagen. Keine Regeln und keine Verbote, stattdessen Freiheit und Freundschaft ohne Ende. Nach Jahren des Suchens, Kämpfens und Aneckens hatte ich, der kleine Punker mit der Pumuckl-Frisur, endlich eine Ersatzfamilie aus gleichgesinnten Freunden gefunden, die mir das Gefühl gab, alles erreichen zu können, was ich wollte. Wenn Ralle, Wolle, Tippel, Wulzo und ich zusammen waren, konnte uns keiner aufhalten. Berlin war unser Revier, seine Regeln unser Spielzeug. Klar, da waren die Grenzen, die uns der DDR-Alltag an allen Ecken und Enden vor die Nase setzte, aber gegen diese Grenzen zu rebellieren war genau das, was uns im Innern antrieb und immer wieder zu Höchstform aufstachelte. Die Verachtung und das Unverständnis der DDR-Spießer waren für uns mehr Ansporn als Einschränkung. Dass uns der Wirt unserer Stammkneipe »Gambrinus« in die Soljanka spuckte und die Bauarbeiter aus unserer zweiten Stammkneipe, dem »Bürgereck«, uns als »Stinker« beschimpften … drauf geschissen. Wir waren nicht wie die und wir wollten es auch nicht werden. Für uns war jedes Zeichen der Ablehnung wie eine Bestätigung. Wir lachten uns jedes Mal halb tot über die Zusammenstöße mit den Stinos. Unter diesen Voraussetzungen versprach dieser Pfingstsamstag extraspaßig zu werden. »Treptow in Flammen« stand an, ein riesiges Volksfest mit Rummel und Feuerwerk im Treptower Park. Da gingen alle hin, die Bonzen genauso wie die Normalos, die FDJ-Streber genauso wie wir, die Punks aus Pankow. Das Beste war aber, dass sich diesmal auch die Punker-Gruppen aus Buch, Treptow, Baumschulenweg und Glienicke angekündigt hatten. Ein großes Treffen der bunten Jungs und frechen Mädchen stand bevor. Ich fieberte diesem Tag schon seit Wochen entgegen.

Die Luft zitterte förmlich vor Spannung, als wir am Nachmittag aus der S-Bahn stiegen und Richtung »Zenner« tobten. Der »Zenner« war ein Ausflugslokal an der Spree, wo sich die Ostberliner Bevölkerung traf, um bei Bier und Eisbomben den Alltag hinter sich zu lassen. Gleich nebenan lag die Insel der Jugend, wo wir am Wochenende häufig feierten. Aber diesmal war irgendwie alles anders – größer, aufregender, unvorhersehbarer. Wir standen schon in Flammen, als der Treptower Park noch vor sich hinschlummerte.

Als wir mit unseren bunten Haaren, bemalten Lederjacken und ausgelatschten Stiefeln an der Biergartenterrasse des »Zenner« ankamen, ernteten wir sofort die ersten abschätzigen Blicke. Wir waren das gewohnt. Viele der Ausflügler, die sich hier den Bauch vollschlugen und ihr Bier süffelten, hatten so was wie uns noch nie gesehen. Offiziell gab es keine Punks in der Deutschen Demokratischen Republik. Genauso wie es dort offiziell keinen Smog, keine Armut und keine Arbeitslosigkeit gab. Das waren alles Phänomene, die nur im dekadenten Westen vorkamen, für den sich offiziell niemand interessierte. Das war die verzerrte Version der Realität, die das SED-Regime in Schulen, Zeitungen und dem DDR-Fernsehen zu vermitteln versuchte. Für alle, die daran glaubten, muss der Anblick unserer Anarcho-Truppe ein ziemlicher Kulturschock gewesen sein. Zumal wir sehr bald nicht mehr zu sechst waren. Immer mehr Punker sammelten sich um uns herum. Viele von ihnen kannte ich nur flüchtig aus der »Partythek«, dem »Schmenkel-Club« oder von Partys im Jugendtreff am Baumschulenweg, andere hatte ich noch nie gesehen. Trotzdem verband mich mit jedem Einzelnen ein großes, überwältigendes Gefühl von Einigkeit. Das Kribbeln in meinem Bauch wurde immer stärker. Der geilste Tag des Frühlings schien zu halten, was er versprochen hatte.

Am frühen Abend war unsere Gruppe auf knapp Hundert Leute angewachsen, die sich auf der »Zenner«-Terrasse und im Park daneben tummelten. Es war der Wahnsinn. Noch nie hatte ich so viele Punker auf einen Haufen gesehen. Es wurde gesungen, gesoffen, gefeiert und um Berge aus Bierflaschen herumgepogt, dass es die pure Freude war. Ich selbst lag mit Tippel und Wolle in der Wiese und versank in den großen dunklen Augen der kleinen Tilli. Bis jetzt hatte ich die Punker-Schönheit mit der langen schwarzen Mähne und dem herzerweichenden Blick nur im »Schmenkel-Club« aus der Ferne angeschmachtet, ohne mich zu trauen, sie anzusprechen. Doch jetzt saß sie mir direkt gegenüber, hielt mir eine Flasche Berliner Luft entgegen und sagte mit einem hinreißenden Lächeln: »Hier, trink!«

Als der süße, klebrige Pfefferminzlikör meine Kehle hinunterrann und ich die Flasche an Wolle weiterreichte, fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Hier lag ich, inmitten einer Armee von Lederjacken-Typen mit bunten Haaren, während das schönste Mädchen der Welt mir sprichwörtlich schöne Augen machte. Konnte es besser kommen? Nie im Leben. Ich war unangreifbar, ich war besoffen, ich war verliebt. Wenn es so etwas wie einen perfekten Moment gab, dann fand er genau hier und jetzt statt. Ich wollte nirgendwo anders auf der Welt sein. Na gut, vielleicht ein paar Zentimeter weiter vorne. Direkt in Tillis Armen. Aber wenn sie so weiterlächelte, war der Weg bis dorthin gar nicht mehr besonders weit. Das Universum meinte es heute offenbar so richtig gut mit mir.

Doch dann: Peng! Während mein Blick noch verzückt auf Tillis geschwungenen Lippen hin und herschaukelte, erklang aus der Menge auf einmal der schneidende Ruf: »Komm, Krause, hoch mit dir, wir müssen los.«

»Los«? »Komm«? Nix da. Ich war im siebten Himmel, und dort würde ich auch bleiben. Als ich widerwillig meinen Blick von Tillis Mund löste und hochguckte, sah ich durch das Meer aus bemalten Lederjacken und hochtoupierten Frisuren Ralle auf mich zurasen. Seine Haare standen noch mehr zu Berge als sonst und sein Blick wirkte wie paralysiert. Er schien völlig außer sich zu sein. Im nächsten Moment hatte er mich am Kragen gepackt und versuchte, mich hochzuziehen.

»Nun gib endlich mal Gas, Alter«, motzte er mich an.

»Gas geben?« Ich liebte Ralle. Er war es, dem ich meinen Platz in unserer kleinen Punker-Familie verdankte, und er war es, aus dessen Zimmer wir fast jeden Samstag mit ein paar Bier und wilden Plänen im Kopf zu unseren Entdeckungstouren in den Berliner Wochenenddschungel aufbrachen. In diesem Moment hätte ich ihn allerdings am liebsten auf den Mond geschossen. »Warum denn Gas geben? Fängt doch gerade erst an, lustig zu werden.«

Beim letzten Satz zwinkerte ich Tilli verschwörerisch zu, doch der Annäherungsversuch verpuffte. Während Ralle weiter wie ein Besessener an meiner Jacke zerrte, sagte er den Satz, der meinen siebten Himmel von einem Moment auf den anderen in den Hintergrund treten ließ: »Alter, wir müssen zum Brandenburger Tor. Bowie spielt da. Für die Fans im Osten. Echt jetzt, ich hab’s im Westradio gehört.«

Der Name Bowie änderte alles. Neben The Cure, Depeche Mode und U2 war David Bowie schon seit Jahren der Held meiner Samstagnachmittage. Er war zwar kein richtiger Punk, aber eine absolute Stilikone. Seine Musikvideos, die ich etwas krisselig, aber dafür mit größter Aufmerksamkeit im Westfernsehen bei Formel Eins verfolgte, hauten mich regelmäßig aus den Socken. Ich hätte sonst was drum gegeben, den Mann einmal live auf der Bühne zu erleben. Gleichzeitig war mir klar, dass das nie passieren würde. Künstler aus dem Westen gaben im Osten keine Konzerte. Auch sie gehörten zu den dekadenten Phänomenen, für die man sich in der DDR offiziell nicht zu interessieren hatte. Dass sie auf Jugendliche wie uns damit eine umso größere Faszination ausübten, war der logische, aber unerwünschte Nebeneffekt der SED-Abschottung. Man kann sich also vorstellen, was für ein Stromstoß mir bei Ralles Worten durch den Körper jagte. Was hatte er gesagt? »Bowie spielt da. Für die Fans im Osten.« Allein die Vorstellung, dass ein West-Star von Bowies Format unsere Existenz im Schatten der Berliner Mauer auf dem Zettel hatte, verursachte Gänsehaut. Im Nullkommanix war ich auf den Beinen, stolperte Ralle hinterher und riss gleichzeitig Wolle, Tippel und Wulzo mit.

»Wie jetzt, Bowie spielt am Brandenburger Tor?«

»Die machen heute hinter der Mauer ein Riesenkonzert«, erklärte Ralle, während wir durch die Menge pflügten. »Die Westler haben die Bühne extra Richtung Osten gebaut, damit wir mithören können.«

Ein...

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