0 Einleitung
Telling a story is by far the most effective way of getting through to audiences and if the content of a particular work is centred around a coherent and interesting storyline, even complex material can be made enjoyable and digestible (Dörnyei 2007, 278)
Die Bezeichnungen der Jugendgeneration überschlagen sich heute förmlich und spiegeln den schnellen Wandel unserer Gesellschaft: Plakative Wortschöpfungen wie „Generation Google“, „Generation Facebook“, „Generation Smartphone“ „Generation Praktikum“, „Generation Stress“, „Generation XXL“, „Generation Z“, „Generation Doof“ (Bonner/Weiss 2008), „Generation beziehungsunfähig“ (Nast 2016), „Generation Porno“ (Gernert 2010), „Generation Ich“ (Keller 2015), „Generation ADHS“ (Kowitz 2013), „Generation Globalisierung“ (Gebhardt-Eßer 2013) oder „Generation Wodka“ (Siggelkow u.a. 2011) spuken durch die Medien, um die Herausforderungen der Gegenwart auf einige greifbare Merkmale zu reduzieren.
Unbestritten ist, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler in einem Umfeld aufwachsen, das sich vor allem durch Unbeständigkeit, Leistungsanspruch, Pluralität und Komplexität auszeichnet, so dass man keineswegs – wie die obigen Generationenbezeichnungen suggerieren – von einer homogenen Gruppe ausgehen kann, und es „sehr schwer geworden ist, sich ein Gesamtbild zu verschaffen“ (Bauer, Q. 2007, 6), denn die junge Generation erweist sich als „hochgradig differentiell hinsichtlich ihrer Lebenslagen“ (Stein/Stummbaum 2011, 218). Fakt ist, „die“ Jugend gibt es nicht (Anhorn 2010)!
Die vielseitigen und vielschichtigen Veränderungen im Alltag der Jugendlichen, die sich in äußerst heterogenen Biographien, Kompetenzen und Bedürfnissen niederschlagen, stellen erhöhte und komplexe Anforderungen an die jungen Menschen – auch im Umgang miteinander. Sie wirken sich selbstverständlich auch auf die Schule aus. Darüber hinaus bewirkt die Informationsflut der Medien eine ständige Bewusstmachung der angeblich zunehmend schwierigen Lebenssituation auf den unterschiedlichsten Ebenen. Klafki (1996) spricht von den „epochaltypischen Schlüsselproblemen“ unserer Gegenwart, mit deren Bewältigung sich die junge Generation, neben der Auseinandersetzung mit persönlichen Problemen und Herausforderungen in Familie, Schule und Freundeskreis, ständig konfrontiert sieht – und dies vermutlich stärker als frühere Generationen: Es geht um die Friedensfrage, die Umweltfrage, die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, Auswirkungen der neuen Kommunikations- und Informationsmedien sowie die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Dazu kommen aktuell die Themen „Globalisierung“ und „Multikulturalität“. Folglich müssen die Schülerinnen und Schüler im Sinne des lebenslangen Lernens verstärkt auf eine schnelllebige und komplexe Gesellschaft und Berufswelt vorbereitet werden, so dass sie ihre individuelle Zukunft flexibel, aktiv und reflektiert gestalten können. Das bedeutet aus meiner Sicht eine ganzheitliche Bildung, die eben nicht nur auf wirtschaftliche Nützlichkeit abzielt, sondern insbesondere auch die Selbstentfaltung des Menschen im Sinn hat.
Es stellt sich hier die Frage, ob und inwiefern Schule und Unterricht der zunehmenden Heterogenität der Lernenden sowie der Komplexität und Schnelllebigkeit der Gesellschaft gerecht werden und die erforderlichen Kompetenzen vermitteln, um in der zukünftigen Gesellschaft und Berufswelt bestehen und diese zugleich kritisch reflektieren und mitgestalten zu können bzw. wie diese Kompetenzen in Schule und Fremdsprachenunterricht erworben werden können. Eine zweite Frage lautet, wie angehende Lehrerinnen und Lehrer darauf vorbereitet werden können, mit den gegenwärtigen Herausforderungen und Anforderungen konstruktiv umzugehen. Und: „Welche Voraussetzungen unterschiedlichster Art muss ein Fremdsprachenlehrer erfüllen, wenn er dazu beitragen will, Lernwege zu erkennen, Lernbarrieren auszuräumen und Lernprozesse zu effektivieren und autonomer zu gestalten?“ (Königs 2013, 18).
Problemstellung:
Schule und Unterricht gelingen nur, wenn sie auf die Zielgruppe abgestimmt sind, wenn also die Lernenden mit ihren heterogenen Voraussetzungen und Bedürfnissen in der gesamten Planung und Entwicklung von vornherein berücksichtigt und beteiligt werden. In der Theorie gehört diese Einsicht längst zum Allgemeingut, in der Praxis dagegen ist davon (zu) wenig zu spüren, denn noch immer bestimmen Frontalunterricht und Lehrwerke den Schulalltag in erheblichem Maße.
Selbstbestimmtes, aktives, handlungsorientiertes, lernerzentriertes, aufgabenbasiertes, problemorientiertes, ganzheitliches, kooperatives und sinnerfülltes Lernen – das alles sind Begriffe (die Liste ließe sich noch fortsetzen), die in der Fachdidaktik teilweise schon seit mehreren Jahrzehnten thematisiert und diskutiert werden. Entsprechend „reiche“ Lernumgebungen und Lernmaterialien sollen das Fremdsprachenlernen motivierend, effektiv und nachhaltig machen. So die Theorie. Wie aber sieht die Praxis aus? In den meisten Klassenzimmern (und vermutlich auch in den meisten Hörsälen der Universitäten) wird – so belegen diverse Studien – noch immer vorrangig via Frontalunterricht gelehrt, mit der (gut gemeinten) Absicht, möglichst schnell viel „Stoff“ zu „vermitteln“ (heute auch gerne in Form von komplexen PowerPoint- oder Smartboard-Präsentationen). Das Bild vom „Nürnberger Trichter“ ist also noch immer allgegenwärtig. Man gewinnt somit leicht den Eindruck, dass die vielfältigen Erkenntnisse aus der Fremdsprachenforschung und ihren diversen Bezugswissenschaften nicht ankommen bzw. ignoriert werden (vgl. auch Königs 2013, 18f.).
Wo liegt das Problem? Zu großen Teilen offenbar an der Umsetzung der Theorie (deklaratives Wissen) in die Praxis (prozedurales Wissen). Eine meiner Kernfragen lautet deshalb: Wie können Studierende angeleitet werden, das an der Hochschule erworbene Theoriewissen in reflektiertes Handlungswissen umzusetzen? Und: Welche Konzepte und Ansätze bieten sich an, um die oben erwähnten buzzwords mit Leben zu erfüllen, damit diese nicht nur leere Worthülsen bleiben?
Obwohl ich schon einige Jahre als Englischlehrerin in verschiedenen Institutionen gearbeitet hatte und auch als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg tätig war, wurde mir nach einem Workshop mit Steve Bell, einem der founding fathers des Storyline Approach, im Oktober 1992 bewusst: Das ist die Antwort! Dieser Kurs hat meine berufliche Weiterentwicklung sehr geprägt und ich fragte mich: Wie kann man das Storyline-Modell, das ursprünglich für den muttersprachlichen Unterricht in der Grundschule konzipiert wurde, im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I einsetzen? Und später: Was motiviert Schülerinnen und Schüler und was lernen sie in Storyline-Projekten? Sicher ist Storyline kein Allheil- oder Wundermittel, aber aus meiner Sicht ein guter Weg, um die oben genannten Desiderate mit Hilfe des integrativen Konzepts einzulösen.
Die vorliegende Arbeit beschreibt also in gewisser Weise auch meine eigene Lernbiographie: von der Entwicklung und Implementierung des ersten Storyline-Projekts in einer sechsten Realschulklasse bis zum Einsatz des Storyline Approach an der Hochschule als logische Konsequenz meiner Schulerfahrungen. Ich hatte das große Glück, im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten an der PH Freiburg, verbunden mit mehreren Forschungsaufenthalten in Glasgow und Aalborg (Dänemark), meine Erfahrungen und Kenntnisse ständig zu erweitern und sie darüber hinaus auf Tagungen im In- und Ausland vorzustellen und zu diskutieren – meaningful and purposeful learning im besten Sinne.
Die insgesamt neun Fallstudien der hier vorgestellten Langzeitstudie bauen alle direkt aufeinander auf: Die sechs Untersuchungen an den Schulen basieren auf verschiedenen Storyline-Projekten, die auf Grund der positiven Erfahrungen fortlaufend weiterentwickelt und anschließend in unterschiedlichen Kontexten ausprobiert wurden. Auf diese Weise konnte ich mein Wissen und meine Kompetenzen im Hinblick auf den Storyline Approach erweitern, davon abgesehen erhöht sich durch die Verschiedenheit der Projekte und Einsatzorte auch die Validität der Befunde.
Nach Abschluss der sechs Pilotstudien stellte sich mir die Frage, wie ich meine vielseitigen Storyline-Erfahrungen in die Lehrerausbildung einbringen und sowohl Sachwissen als auch Handlungswissen, also know how und do how, gewinnbringend an Studierende des Faches Englisch vermitteln kann, um den Fremdsprachenunterricht für Lehrende und Lernende motivierender zu gestalten und möglichst viele Potenziale der heterogenen Lerngruppen auszuschöpfen. Die drei aufgeführten Fallstudien, die anschließend an der Hochschule durchgeführt wurden, spiegeln diesen Prozess wider.
Auch wenn die Fallstudien in den Realschulen inzwischen einige Zeit zurückliegen, haben die Ergebnisse meines Erachtens immer noch Gültigkeit, da es in der Zwischenzeit nur wenige curriculare, strukturelle und institutionelle Veränderungen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht an Realschulen gegeben hat: Zwar wurde 2004 und 2016 in Baden-Württemberg ein neuer Bildungsplan in Kraft gesetzt, allerdings wird in der Rheinschiene das Fach Englisch nach wie vor erst in der Sekundarstufe unterrichtet und die (neue) Kompetenzorientierung entspricht ohnehin dem Grundgedanken des Storyline Approach. Auch Aspekte wie Stundentafel, Organisation des Unterrichts, Lehrwerkorientierung, Klassengröße, Ausstattung...