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Friedenskonzepte im Wandel

Analyse der Vergabe des Friedensnobelpreises von 1901 bis 2016

VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783706558945
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Die Publikation 'Friedenskonzepte im Wandel. Analyse der Vergabe des Friedensnobelpreises von 1901 bis 2016' untersucht die Entwicklung der Vergabe des Friedensnobelpreises seit Beginn und fragt nach den jeweiligen zugrunde liegenden Friedenskonzepten des Nobelkomitees bei seiner jährlichen Entscheidung. Neben der systematischen Analyse aller Preisverleihungen wird in zwölf repräsentativen Fallstudien im Detail auf die entsprechenden wissenschaftlichen sowie geopolitischen Kontexte der Friedenskonzepte bzw. der Friedensarbeit der PreisträgerInnen eingegangen. Der Wandel des Friedensbegriffs von der 'bloßen' Abwesenheit zwischenstaatlicher Kriege hin zu einem breiten Friedensbegriff, der innerstaatliche Faktoren wie Demokratie, sozioökonomische Gleichheit und Einhaltung von Menschenrechten berücksichtigt, zeigt, dass das Nobelkomitee im Lauf der Zeit eine große Bandbreite von Friedenskonzepten mit dem Friedensnobelpreis auszeichnete, wobei auch eine klare politische Agenda des Komitees in der Auswahl der PreisträgerInnen - zu verstehen in den jeweiligen geopolitischen Kontexten - herausgearbeitet werden konnte.

Dr. Birgitta Bader-Zaar ist Assistenzprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Wien. Nach dem Studium der Geschichte und Ethnologie an der Universität Wien sowie, als Fulbright Stipendiatin, an der University of Minnesota, Minneapolis (USA) war sie u.a. an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig und wechselte 1993 als Universitätsassistentin an die Universität Wien. Zu ihren engeren Forschungsinteressen gehören die Geschichte des (Frauen-)Wahlrechts sowie der Grund- und Menschenrechte im Allgemeinen in Europa und Nordamerika, vorwiegend aus einer vergleichenden und transnationalen Perspektive, und die Geschichte der amerikanischen Sklaverei, insbesondere Selbstzeugnisse von Sklaven und Sklavinnen. Mag.a Gertraud Diendorfer, Leiterin des Demokratiezentrums Wien. Lehrbeauftragte an den Universitäten Klagenfurt und Wien, Referentin in der LehrerInnenfortbildung an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen Österreichs sowie in der Erwachsenenbildung. Schulbuchautorin und Herausgeberin von (Online-)Lehr- und Lernmaterialien. Leitende Mitarbeit an Forschungsprojekten zu zeitgeschichtlichen und demokratiepolitischen Themen und Forschungs-Bildungs-Kooperationen. Gründerin des Forums Politische Bildung, das als interdisziplinär zusammengesetzter Verein die Publikationsreihe Informationen zur Politischen Bildung herausgibt. Susanne Reitmair-Juárez MA hat Politikwissenschaften an der Universität Salzburg studiert. Seit 2013 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Demokratiezentrum Wien. Sie ist Mitglied im Vorstand der Interessengemeinschaft Politische Bildung, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung und im Redaktionsteam der Schriftenreihe Informationen zur Politischen Bildung, herausgegeben vom Forum Politische Bildung. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Migration und Integration, direkte Demokratie und Partizipation, Global Citizenship Education sowie Friedensforschung.

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Leseprobe

1.  Gesamtanalyse der Vergabe der Friedensnobelpreise – Längsschnitt


1.1  Methodische Vorgehensweise


Diese Studie untersucht die Forschungsfrage, inwiefern sich die Friedenskonzepte, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden, im Laufe der Zeit (1901–2016) verändert haben. Die Analyse zielt auf die Ableitung unterschiedlicher Friedenskonzepte aus den verwendeten Quellen. Als Arbeitshypothese wurde formuliert, dass sich das Friedensverständnis von Nobelkomitee und PreisträgerInnen seit 1901 schrittweise von einem engen negativen Friedensbegriff (Frieden bedeutet Abwesenheit von Krieg) hin zu einem positiven Friedensbegriff, der die Qualität des Friedens einbezieht (Freiheit von Not, Freiheit von Furcht), entwickelt hat. Es wird davon ausgegangen, dass diese Öffnung und Erweiterung des Friedensbegriffs weitgehend linear verläuft, sodass etwa ab den 1970er Jahren ein immer umfassenderes Verständnis von Frieden vorherrscht, indem etwa die Regierungsform eines Staates, die sozioökonomische Entwicklung und vor allem die Verteilung von Wohlstand innerhalb einer Gesellschaft, Bildung, Einhaltung der Menschenrechte etc. als wichtige Elemente nachhaltigen Friedens verstanden werden.

Als Quellen für diese Untersuchung wurden die Reden des norwegischen Nobelkomitees bei der Vergabe des Preises am 10. Dezember jedes Jahres analysiert. Ebenso wurden Acceptance Speeches und Nobel Lectures der PreisträgerInnen verwendet. Diese Texte beziehen sich ausführlich auf die Errungenschaften, für die jemand ausgezeichnet wird. Es wird von Nobelkomitee und PreisträgerIn argumentiert, welche Ziele das jeweilige Engagement verfolgt und warum diese Arbeit als Friedensarbeit verstanden wird, was wiederum auf das dahinterstehende Friedenskonzept schließen lässt. Besonders in späterer Zeit benennt das Nobelkomitee explizit den eigenen Friedensbegriff und argumentiert diesen. Die Wortwahl lässt dabei darauf schließen, dass es (wiederkehrende) Kritik an der Vergabe der Preise und/oder dem dahinterstehenden Konzept von Frieden bzw. an der Interpretation von Alfred Nobels Testament durch das Komitee gibt.

Diese Texte sind fast alle online auf der Homepage des Nobel Instituts in englischer Sprache verfügbar. Für die frühen Jahre ist die Quellenlage nicht vollständig. Es fehlen die Dankesreden von 1901 (Jean Henry Dunant und Frederic Passy), 1909 (Auguste Marie Francois Beernaert und Paul Henri Benjamin Balluet d’Estournelles de Constant), 1910 (Permanent International Peace Bureau), 1911 (Tobias Michael Carel Asser und Alfred Hermann Fried), 1913 (Henri La Fontaine) und 1917 (International Committee of the Red Cross). 1925 (Joseph Austen Chamberlain und Charles Gates Dawes) wurden nur Telegramme der Preisträger mit Danksagungen verlesen, sie waren aber beide nicht persönlich anwesend und hielten keine Reden, ebenso Gustavo Stresemann und Aristide Briand (1926). 1931 konnte Jane Addams nicht an der Verleihung teilnehmen, ihr Co-Preisträger Nicholas Murray Butler war jedoch anwesend und hielt auch eine Rede. 1935 wurde Carl von Ossietzky vom NS-Regime, dessen Gefangener er war, daran gehindert, den Preis entgegenzunehmen und zu sprechen. Dag Hammarskjöld war zum Zeitpunkt der Preisverleihung bereits verstorben, weshalb der schwedische Botschafter Rolf Edberg eine Rede (über Hammarskjöld und seine Überzeugungen) hielt. 1973 lehnte der vietnamesische Politiker Le Duc Tho den Preis ab, dementsprechend war er nicht bei der Verleihung anwesend und es gibt keine Rede. Sein Co-Preisträger Henry Kissinger ließ nur ein Telegramm verlesen. 1975 war der Preisträger Andrei Sacharow bei der Zeremonie verhindert, da er nicht aus der Sowjetunion ausreisen durfte, seine Frau verlas seine Rede. Für den Preis 1976 an Betty Williams und Mairead Corrigan gibt es nur eine Rede (obwohl beide anwesend waren), vorgetragen von Betty Williams. Liu Xiaobo konnte 2010 nicht zur Preisverleihung aus China ausreisen, da er gerade im Gefängnis saß und seinen Prozess erwartete. Es wurde ein Statement von ihm verlesen, das er bereits 2009 veröffentlicht hatte, in dem er seine Arbeit erläuterte und gleichzeitig, wohl in Richtung der chinesischen Behörden, betonte, dass er „keine Feinde habe“.

Laut Statuten des Nobel Instituts kann das Nobelkomitee in einem Jahr auch entscheiden, dass keine/r der Nominierten die von Alfred Nobel vorgegebenen Kriterien für den Friedensnobelpreis erfüllt und die Vergabe aussetzen. Es kann dann im darauffolgenden Jahr der Preis für das vergangene und das aktuelle Jahr vergeben werden. Davon wurde mehrmals Gebrauch gemacht: Elihu Root erhielt den Friedensnobelpreis für 1912, dieser wurde aber erst 1913 vergeben (in diesem Jahr wurde Henri La Fontaine ausgezeichnet). Auch die Preise 1919 (Woodrow Wilson), 1925 (an Chamberlain und Dawes), 1929 (Frank Billings Kellogg), 1933 (Sir Norman Angell), 1935 (Carl von Ossietzky), 1944 (Internationales Komitee vom Roten Kreuz), 1952 (Albert Schweitzer), 1954 (UN-Flüchtlingshochkommissariat), 1960 (Albert John Lutuli), 1962 (Linus Carl Pauling) und 1976 (Mairead Corrigan und Betty Williams) wurden jeweils erst im darauffolgenden Jahr verliehen. Davon zu unterscheiden sind Jahre, in denen das Nobelkomitee verkündete, dass es keinen Preis geben würde, weil es keine bedeutenden Fortschritte hin zum Frieden gegeben habe – darauf wird später eingegangen.

In frühen Jahren waren einige PreisträgerInnen aufgrund von Krankheit, Reisen oder Ähnlichem verhindert – sodass die Zeremonie mit der Rede, die hier analysiert wird, erst später stattfand. Dies mag auch darin begründet sein, dass anfangs das Prestige des Preises nicht so groß war; darüber hinaus waren die Reisemöglichkeiten noch beschwerlicher und die Verleihung auch weniger „institutionalisiert“. Es kam also mehrmals vor, dass Reden nur von VertreterInnen (meist den BotschafterInnen der jeweiligen Länder) verlesen bzw. Jahre später bei einer Veranstaltung gehalten wurden. Dadurch konnten sich die PreisträgerInnen dann auf Entwicklungen nach ihrer Auszeichnung beziehen.

Das Nobelkomitee verliest seine Entscheidung in englischer Sprache. Viele PreisträgerInnen halten ihre Dankesreden in ihrer jeweiligen Muttersprache. Das bedeutet, dass die Texte, die hier als Quellen verwendet wurden, meist Übersetzungen aus der Originalsprache ins Englische sind und die vorliegende Analyse wiederum auf Deutsch durchgeführt wird. Bei manchen Begriffen, die für das Konzept des Friedens oder die Konzeptualisierung von AkteurInnen bedeutend sind, werden daher hier die englischen Begriffe, die im Quellentext verwendet wurden, in Klammern ergänzt. Aus diesen Texten sowie aus (online zugänglichen) Kurzbiografien wurden die Kodierungen für die quantitativen sowie für die qualitativen Variablen, die im Folgenden vorgestellt werden, abgeleitet. Das Gerüst aus Variablen und Ausprägungen wurde im Laufe der Quellenarbeit weiterentwickelt.

Allgemein lässt sich feststellen, dass diese Reden mit der Zeit immer länger, programmatischer und kritischer werden. Das kann als Ausdruck der steigenden Bedeutung des Friedensnobelpreises gesehen werden: Die „Institution“ des Preises und die große Plattform der Verleihung mit der medialen und politischen Aufmerksamkeit, die damit einhergeht, werden zunehmend genützt, um eigene Interessen und Anliegen vorzubringen, öffentlich auf Missstände oder auch auf Fortschritte hinzuweisen und mehr Engagement für den Frieden einzufordern – dies gilt sowohl für das Nobelkomitee als auch für die PreisträgerInnen.

Kodierung der quantitativen Variablen

Für die Erstellung eines quantitativen Überblicks und chronologischen Längsschnitts wurde eine Datenbank angelegt, die kodierte Informationen zu allen PreisträgerInnen enthält. Diese Kodierungen lauten:

Zur formalen Einordnung eines Preisträgers/einer Preisträgerin wurde zunächst die AkteurInnenebene definiert. Dazu wurden drei Kategorien verwendet, nämlich staatlich, nichtstaatlich sowie supranational. Unter staatlichen AkteurInnen werden sowohl Personen als auch Organisationen verstanden, welche im Auftrag eines Staates bzw. in einer politischen Funktion handeln. Sie sind mit formeller (Entscheidungs-)Macht und Handlungsspielräumen ausgestattet, die nichtstaatlichen AkteurInnen in diesem Ausmaß nicht zur Verfügung stehen. Das bedeutet, sie handeln für einen Staat und können für diesen Staat verbindliche Entscheidungen treffen, Abmachungen eingehen usw. Prozesse, die von staatlichen AkteurInnen angestoßen oder dominiert werden, sind demnach top-down organisiert.

Nichtstaatliche AkteurInnen werden als Personen oder Organisationen definiert, die in ihrer Funktionsfähigkeit, Organisationsstruktur und Handlungsweise außerhalb des formellen politischen Systems operieren. Nichtstaatliche AkteurInnen haben weder formelle Entscheidungsbefugnis noch ein Mandat von einem Staat und können keinen Friedensvertrag unterzeichnen. Sie sind Teil der Zivilgesellschaft und versuchen, politische oder gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen, z.B. durch den Aufbau öffentlichen Drucks, Meinungsbildung, Kampagnen, durch Kontakte zu EntscheidungsträgerInnen, Lobbyarbeit usw. Prozesse, die von nichtstaatlichen AkteurInnen angestoßen oder...

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