Der Fisch im Belastungstest
Sie haben einen wunderbaren Fisch? Ein Ausbund an Höflichkeit, Fürsorge und Aufmerksamkeit? Er verbindet puren Sex mit hingebungsvoller Zärtlichkeit? Er sieht blendend aus und ist Ihnen trotzdem unendlich dankbar dafür, dass Sie Ihre – wie er findet – kostbare Zeit mit ihm verbringen? Er behauptet, dass neben Ihnen selbst die Supermodels einpacken können, und wundert sich lautstark, weshalb Sie eigentlich nicht für den Literaturnobelpreis nominiert sind, bloß weil Sie ihm süße kleine Zettelchen schreiben, auf denen steht: »Ich liebe dich, Hasimausi?« Dann ist Ihre Liebe vermutlich noch ganz frisch und Sie glauben, über mehr als genug Gefühlsvorräte für mindestens vierzig gemeinsame Jahre zu verfügen, um jedwede Krise zu meistern. Schön für Sie, aber leider falsch. Auch auf die Gefahr hin, als elender Spielverderber dazustehen und nie mehr auf eine Hochzeit eingeladen zu werden, müssen wir Ihnen sagen, dass die Liebe nicht wie eine chemische Reinigung funktioniert, mit der man sich gegen Wirtschaftskrisen, gegen soziale, emotionale und mentale Schlechtwetterfronten imprägniert. Sicher ist es durchaus von Vorteil, einander vollkommen hingegeben und total verfallen zu sein. Aber es rettet einen nicht vor der Erfahrung, dass selbst der schillerndste Fisch seinen Glanz verliert, ganz egal, wie viel er davon einmal besessen haben mag. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Anglerin. Auch an ihr nagt selbstredend der Zahn der Zeit. Zweisamkeit und Liebe unterliegen eben nun mal einer gewissen Materialermüdung. Und niemand ist gegen die Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen, die emotionalen Erosionen des 24-Stunden-Gefühls-Ironman, genannt »Alltag«, gefeit.
Sie glauben uns nicht? Dann stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie wachen morgens auf und eine böse Fee hätte die Zeit um zehn Jahre nach vorne gestellt. Neben Ihnen liegt etwas, das eine entfernte Ähnlichkeit mit Ihrem einstigen Traumprinzen aufweist, aber ebenso gut auch ein deutsches Mittelgebirge sein könnte.Trotzdem glauben Sie immer noch, zehn gemeinsame Jahre seien nichts weiter als 3650 Tage, 120 Monate oder 87 600 Stunden? Wenn es bloß das wäre. Denn in Beziehungs-Kategorien gerechnet, heißt zehn Jahre auch:
300 Mal seinen genialen Masterplan zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und dem Hunger in der Welt bewundert
Zehn Kilo Fußnägel aufgesaugt
Ihn 20 Mal mit Pfefferminztee, Inhalator und Wärmflasche vor dem sicheren Erkältungstod gerettet
60 Schwiegermutterbesuche und ungefähr 1 Million Kalorien, untergebracht in fetten Sahnesoßen, Frankfurter Kranz und Fleischwurstbroten, bewältigt
2,5 Fußballweltmeisterschaften und ebenso viele Europameisterschaften über sich ergehen lassen, in denen er mit fünf Gleichgesinnten Ihre Wohnung in eine Müllhalde verwandelte (von den 10 Bundesligaspielzeiten wollen wir erst gar nicht reden)
520 Mal mit ihm darüber gestritten, ob er – säße er am Steuer – in die winzige Lücke zwischen zwei Autos sogar einen Airbus einparken könnte
50 Mal erklärt, wie die Spülmaschine funktioniert
60 Mal erläutert, dass man einen Sauerbraten nach zwei Wochen im Kühlschrank nicht mehr essen kann, auch dann nicht, wenn seine Mutter ihn gemacht hat
30 Mal einen Orgasmus vorgetäuscht (aber nur, um ihn nicht zu verletzen)
Neun Mal großzügig darüber hinweggesehen, dass er den Jahrestag Ihrer ersten Begegnung vergessen hat und fast gar nicht deswegen geheult
Zehn Mal Weihnachtsgeschenke für seine Familie gekauft und nichts gesagt, als seine Angehörigen wortreich seinen tollen Geschmack und seine Großzügigkeit bewundert haben
520 Mal Sex gehabt – statistisch. Unter uns: in Wirklichkeit waren es bloß 380 Mal – aber das weiß nur Ihre beste Freundin
Sechshundert Mal seine Unterwäsche gewaschen und dabei überlegt, ob Sie dafür eigentlich Ihr Einser-Diplom gemacht haben
3400 Mal die nassen Handtücher vom Boden aufgehoben, die er hat liegen lassen, und sich gefragt, ob das als mildernder Umstand für ein Tötungsdelikt geltend gemacht werden kann
50 Mal erlebt, wie er im Restaurant großzügig 29,70 Euro auf 30 aufrundete
Fünfzehn Mal einen Tag länger auf Reisen gewesen als geplant, weil er behauptete, eine prima Abkürzung zu kennen
Ihm 520 Mal erklärt, dass Sie mittwochs und nicht donnerstags ihre Gymnastikstunde haben
Ihm 3615 Mal dabei zugeschaut, wie er versucht, durch seine Ohren hindurch mit seinem Zeigefinger eine Gehirnoperation ohne Narkose durchzuführen
1654 Mal schon drei Sekunden vorher gewusst, dass er gleich »schaun mer mal!« sagt
Ihm 70 Mal erklärt, dass es seine Ex war und nicht Sie, die auf Kniekehlen-Kitzeln steht
30 Mal die Wiederwahltaste seines Handys bedient, heimlich die Mailbox abgehört und dabei entdeckt, dass er hinter Ihrem Rücken ein Sportcoupé angezahlt hat
Sich 40 Mal einen Vortrag darüber angehört, weshalb Sie mit 60 garantiert von Tütensuppe werden leben müssen, bloß weil Sie sich jetzt neue Schuhe gekauft haben
So weit die ganz normalen Härten des Beziehungslebens. Und das sind nur die, die sich durch die Verwandlung des Singulars in den Plural ergeben. Allein die genügen bisweilen schon, Frauen an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Aber leider erhalten laut eines Urteilsspruchs des Bundessozialgerichts Ehefrauen, die ihre Männer erschießen, keine Witwenrente. Und zweitens macht die Desillusionierung – das muss man fairerweise sagen – auch vor den Frauen nicht Halt. Selbst abzüglich des erfreulichen Umstandes, dass wir für unsere Umwelt grundsätzlich eine ähnlich große Bereicherung sind wie die Erfindung der Teflon-Pfanne, gibt es doch auch vereinzelt Eigenschaften,Verhaltensweisen, Marotten, die einem Mann mehr rauben können als nur die Vorstellung, dass Frauen die besseren Menschen sind. Besonders wenn ein Mann zehn Jahre lang Zeit und Gelegenheit hat, folgende Eindrücke zu sammeln. Denn in exakt 520 Wochen hat er immerhin:
Zehn Mal Freude über eine neue Krawatte geheuchelt, die er grauenhaft fand
Ihr 100 000 Mal gesagt: Nein, Schatz, du bist nicht dick!
Sich 80 Mal angehört, dass sie nichts zum Anziehen hat, obwohl ihr Kleiderschrank so groß ist, dass man darin die Bundesliga austragen könnte
Sich jedes Mal, wenn man eine zweite Flasche Bier aufmacht, anhören müssen, dass man mit dem Alkohol vorsichtig sein sollte
520 Mal ertragen, dass sie seinen Rasierer entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch zum Enthaaren der Beine benutzt
Sich 400 Mal überlegt, wieso Frauen immer links sagen, wenn sie rechts meinen
Ihr 35 Mal aus Rücksichtnahme nicht gesagt, dass er Fenchel hasst
520 Mal Sex gehabt – statistisch. Unter uns: in Wirklichkeit waren es bloß 380 Mal – aber das erzählt er nicht mal seinem besten Freund
250 Mal nachher noch gekuschelt, obwohl er am liebsten sofort eingeschlafen wäre
50 Mal erlebt, dass sie nicht mit ihm ins Bett wollte (allerdings hat er ihr nur deshalb Avancen gemacht, weil er sicher war, dass sie ihn abweisen würde – das wird sie aber nie erfahren)
21 Spinnen getötet, weil sie sonst ausgezogen wäre
Einmal gehört: »Ich dachte, du freust dich, wenn ich deine Platten sortiere!«
Ihr 21 Mal erklärt, dass man mitnichten 150 Euro gespart hat, wenn man ein um so viel reduziertes Paar Schuhe zum Preis von nunmehr 250 Euro gekauft hat
3650 Mal hinter ihr das Licht im Badezimmer ausgemacht
Ihr 20 Mal gesagt, dass er weder vor ihren noch vor seinen Freunden »Bubu-Bär« genannt werden will
120 Mal versichert, dass er sie wahnsinnig liebt und Sharon Stone für sie stehen lassen würde (bei ihrer besten Freundin wäre er sich da nicht so sicher)
20 Mal im Brustton der Überzeugung versichert, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, er Brustvergrößerungen für vollkommen bescheuert hält und es ihm egal ist, dass sie zehn Kilo zugenommen hat (und dabei gehofft, dass keiner seiner Freunde jemals davon erfährt)
30 Sonntagnachmittage bei ihren Eltern verbracht und ihren Vater ertragen, der ihn offenbar für einen Versager hält
Vier Doris-Dörrie-Filme mit ihr anschauen müssen
Zehn Mal beim Schuhkauf dabei gewesen
Vier Mal auf dem Sofa geschlafen, weil er zu betrunken war, wie sie fand (für was eigentlich?), und einmal eine Nacht im Hausflur verbracht (bloß weil sie herausgefunden hat, dass er sich hinter ihrem Rücken ein Sportcabrio bestellt hatte)
50 Mal aufdringlichen italienischen Kellnern im Restaurant ein Trinkgeld dafür gegeben, dass sie seine Frau betatschen – nur damit sie ihn nicht für...