5 Wirkungen von Zielen und Rückmeldungen (S. 271-272)
Das Führen mit Zielvereinbarungen hat derzeit wieder Hochkonjunktur. Die Unternehmen versprechen sich hiervon einige Vorteile, z.B. dass den Mitarbeitern die organisationalen Leistungserwartungen deutlicher werden und die Arbeitsmotivation zunimmt. Wie unsere vorherige Analyse zeigt, ist diese Erwartung in der Führungsforschung ebenfalls weit verbreitet. Mit Blick auf die Gerechtigkeits- und die Partizipationsforschung werden in vielen (neueren) Führungstheorien zumeist partizipative Formen der Zielvereinbarung empfohlen. Um den erwarteten Nutzen des Führens mit Zielen belegen zu können, wird gewöhnlich auf die Zielsetzungstheorie von Locke und Latham verwiesen. Genau dieser Theorie und den diesbezüglichen Befunden ist dieses Kapitel gewidmet.
Nachdem die grundlegenden Annahmen der Zielsetzungstheorie und hierzu vorliegende neue Ergebnisse erläutert sind (Kap. 5.1), betrachten wir die derzeitigen Erkenntnisse zunächst für das individuelle Leistungshandeln (Kap. 5.2) und dann für das Leistungshandeln in Gruppen (Kap. 5.3) noch genauer. Auf jeder Ebene schenken wir dabei drei Fragen besonders Beachtung. Es wird erstens geprüft, welche Mechanismen die Zieleffekte erklären können. Zweitens wird analysiert, ob die Wirkungen partizipativer Zielvereinbarungen sich von denen direktiver, ermunternder Zielsetzungen des Vorgesetzten unterscheiden. Weil die Theorie ferner postuliert, dass Ziele unser Handeln dann besonders effektiv steuern, wenn diese mit Rückmeldungen kombiniert sind, wird drittens gesichtet, was man über die Wirkungen von Leistungsrückmeldungen weiß und ob die postulierte Wechselwirkung empirisch gefunden wurde.
In diesem Zusammenhang würdigen wir auch die Erkenntnisse zum Managementsystem PPM. Hierbei handelt es sich um ein Produktivitätsmess- und Feedbacksystem für Gruppenarbeit, das schon sehr erfolgreich zur Steigerung der Produktivität von Arbeitsgruppen eingesetzt wurde. Ein wesentliches Resümee (Kap. 5.4) der Analyse wird sein, dass die überwiegend am Modell individuellen Handelns orientierte Zielsetzungstheorie erheblich erweitert werden muss, wenn sie im Kontext von Gruppenarbeit gewinnbringend genutzt werden soll. Zur erfolgreichen Anwendung der Theorie auf Gruppenebene sind viele zusätzliche Randbedingungen und Prozesse zu beachten. Zudem darf im Einklang mit den Befunden aus PPM-Studien erwartet werden, dass sich sowohl die Partizipation bei der Zielvereinbarung als auch Rückmeldungen auf Gruppenebene mehr bzw. häufiger auszahlen werden als auf der dyadischen Ebene, insbesondere bei komplexeren Gruppenaufgaben mit hohen Kooperationsanforderungen.
5.1 Grundlegende Annahmen der Zielsetzungstheorie
Menschliches Verhalten ist zu einem sehr beachtlichen Teil zielgerichtetes Handeln, wobei in der Psychologie weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass insbesondere die Ausrichtung einer Tätigkeit auf ein bewusstes Ziel hin die Unterscheidung zwi- schen Verhalten und Handeln erst sinnvoll macht (Hacker, 1999; Sonnentag, Fay & Frese, in Druck; vgl. aber Bargh, Gollwitzer, Lee-Chai, Barndollar & Trötschel, 2001). Während das Verhalten auch Reflexe, Instinkthandlungen, Reifungsprozesse und die unbewusste Bedürfnisanregung und -regulation umfasst, ist von Handeln zumeist nur dann die Rede, wenn bewusste gedankliche Vornahmen (Vorsätze) der Person im Format „Ich will X erreichen" eine bestimmte Tätigkeit veranlassen.
Dass Vornahmen (Ziele) in Kombination mit einigen anderen Variablen (Emotionen, Wissen, Erwartungen, Rückmeldungen, Ursachenerklärungen, vgl. Kasten 3) menschliches Verhalten antreiben und kausal mitsteuern, wird lediglich noch von einigen Philosophen bezweifelt, die oft unverhältnismäßig strenge Nachweiskriterien der Kausalitätsprüfung anlegen (vgl. Gierer, 1991; Prinz, 1998; Hacker, 1999). Weil nicht nur die subjektive Erfahrung, sondern auch viele wissenschaftliche Belege den spezifischen Zielen von Menschen eine prominente Rolle bei der Verhaltenssteuerung zusprechen, sind Ziele von Menschen und hierauf bezogene Rückmeldungen im Handlungsprozess zwei zentrale Konstrukte in nahezu allen psychologischen Handlungsregulations- bzw. Motivationstheorien (Austin & Vancouver, 1996; Boekaerts et al., 2000; Kuhl & Heckhausen, 1996; Rheinberg, 2000; Schmidt und Kleinbeck, in Druck, Schneider & Schmalt, 2000; Wegge, 1998b, 2001d, 2003c). Überall dort, wo es darum geht, zu verstehen und zu erklären, wie eine Selbst- und Fremdsteuerung menschlichen Verhaltens gelingen kann, sind Ziele von Belang.
Ziele finden daher nicht nur in der psychologischen Grundlagenforschung zu Motivations- und Willensprozessen, sondern auch in zahlreichen anwendungsorientierten Forschungsbereichen Beachtung, etwa:
• im Kontext von pädagogischen Fragestellungen (z.B. Trash & Eliot, 2001; Wegge, 1998a)
• in Zusammenhang mit persönlichkeitspsychologischen Analysen (Brunstein, Maier & Schultheiß, 1999; Button, Mathieu & Zajac, 1996)
• mit Blick auf eher klinisch-psychologischen Problemstellungen (Bagozzi, Baumgartner & Pieters, 1998; Taylor, Pham, Rivkin & Armor, 1998)
• in der Sportpsychologie (Beckmann, 1999; vgl. auch Hacker, 1999).
Auch das Verhalten von Menschen in Organisationen ist ohne Frage zu einem wesentlichen Teil zielgerichtetes (Arbeits-)Handeln. In der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung werden daher sowohl die habituell bevorzugten Ziele (im Sinne von Persönlichkeitsdispositionen), als auch die aktuell verfolgten Ziele von Vorgesetzten wie Mitarbeitern besonders gründlich diagnostiziert und zu beeinflussen versucht.