Das Zukunftsinstitut, als einer der einflussreichsten Think-Tanks der europäischen Trend- und Zukunftsforschung, listet zur Zeit elf Megatrends auf. Als Megatrend werden Trends mit einer vermuteten Dauer von 30 Jahren oder mehr bezeichnet, deren „Impact“ große Bereiche des sozialen Lebens und der Wirtschaft verändert (zukunftsinstitut, 2013). In der Schnittmenge der drei Megatrends Neo-Ökologie, Gesundheit und Mobilität findet sich die „Innovation Elektrofahrrad“ wieder. Die vorliegende Studie soll die Auswirkungen der Elektrofahrräder auf den Fahrradtourismus herausarbeiten. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern diese Innovation durch ihre zusätzliche elektrische Antriebskraft neue fahrradtouristische Aktionsräume erschließt, welche zuvor vom Fahrradtourismus weitgehend unberührt blieben.
Elektromobilität ist von einem reinen Forschungsfeld in unsere Alltagspraxis vorgedrungen. Im Gegensatz zu Elektroautos, sieht man Elektrofahrräder immer mehr auf unseren Straßen und Wegen. Vor wenigen Jahren wurden E-Bikes noch als „Rentnermobil“ belächelt. Durch die stetige Weiterentwicklung von Akkus, Antriebstechnik und Design erschlossen sich die Hersteller weitere Kundengruppen. Heute sind Elektrofahrräder ebenfalls bei jungen, technikbegeisterten Menschen, Berufspendlern, Einkaufsradlern und jungen Familien beliebt (Effert, 2012, S. 14). Allein zwischen 2009 und 2011 hat sich die Anzahl derjenigen, welche am Thema Elektrofahrrad interessiert sind auf 47 % verdoppelt (sinus, 2011, S. 70). In diesem dynamischen Markt entstehen kontinuierlich neue Produkte und Angebote. Die Fahrradbranche spricht vom „Elektro-Boom“. Innovative Unternehmen kaufen vermehrt E-Bikes für ihre Firmenflotte und tragen so ebenfalls zu einem „jüngeren“ Image von Elektrofahrrädern bei. Auch Städte, Kommunen und Regionen reagieren nun auf diesen Trend. Großstädte wie Aachen oder Stuttgart betreiben eigene E-Bike-Verleihstationen.
Viele sehen im Elektrofahrrad eine umweltschonende, nachhaltige und kostengünstige Alternative zum Auto. Der Trend, bis ins hohe Alter mobil und leistungsfähig zu sein bringt zusammen mit dem demographischen Wandel einen weiteren Anschub der Verbreitung von E-Bikes (vgl. Effert, 2012, S. 14).
Dieser in allen Medien präsente Trend, wurde auch von der Tourismusbranche erkannt. Nach und nach entdecken Regionen das Potenzial der Elektrofahrräder um ihren Tourismus nachhaltig weiterzuentwickeln. Sie verleihen E-Bikes, entwerfen spezielle E-Bike-Routen und schaffen Ladestationen, an welchen E-Bike-Fahrer ihre Akkus laden können (ETRA, 2010, S. 13).
Da die Mehrheit der Fahrradfahrer jedoch ein weitestgehend flaches Gelände bevorzugt (siehe Abb. 5), stellt die Topographie einer Region den bedeutsamsten natürlichen Faktor für die Destinationswahl dar. Aus diesem Grund befinden sich die von Radfahrern hochfrequentierten Zielgebiete mehrheitlich in ebenen Landschaftstypen. Besonders beliebt sind Fahrradregionen entlang von Gewässern, da dort ein „genussvolles“ Radeln ohne größere Steigungen und ohne Orientierungshürden möglich ist (BMWi, 2009, S. 59). Durch die Innovation E-Bike allerdings, versuchen nun auch jene Destinationen Radtouristen anzulocken, die bisher – aufgrund ihrer topografischen Gegebenheiten – für diese eher unattraktiv waren. Die entsprechenden Werbetexte suggerieren, dass die „natürlichen Feinde des Radfahrers“ – Steigungen und Gegenwind (BMWi, 2009, S. 59) – durch die Nutzung eines E-Bikes obsolet werden.
„Mit eigener Kraft, unterstützt durch die ausgeklügelte Technik eines Pedelecs[1] können nun auch bergige Etappen geradezu spielend zurückgelegt werden. Dank Elektromotor – dieser schaltet sich per Knopfdruck hinzu, wenn man ganz normal in die Pedale tritt – […] wird jede steile Bergstraße zum topfebenen Terrain, jeglicher Gegenwind zum lauen Lüftchen“ (Schladming-Dachstein, 2012).
Besucht man aktuelle Tourismusmessen (siehe Kap. 1.4), fällt auf, dass heute bereits die große Mehrheit der Destinationen –unabhängig von ihrer Topographie – Elektrofahrräder in ihr touristisches Angebot im Aktivsegment einbinden. Viele Zielgebiete präsentieren sich sogar als „E-Bike-Region“. Es scheint daher richtig von einem Wandel im Radtourismus zu sprechen.
Die Studien zum Thema „E-Bike“ konzentrieren sich bisher auf nachfrageseitige Aspekte. Sie untersuchen die Akzeptanz und Veränderung der Alltagsmobilität durch Elektrofahrräder, evaluieren deren Marktsituation oder beschäftigen sich mit technischen Fragestellungen zum neuen Fahrradtyp. Hierbei fällt auf, dass überproportional viele schweizerische und niederländische Studien existieren. Aufgrund der noch sehr jungen Existenz des Phänomens „E-Bike-Tourismus“ findet dieses Forschungsfeld erst in jüngster Zeit mehr Beachtung. Bisher beschränken sich die Forschungsergebnisse jedoch auf regionale Einzelstudien oder liegen gebündelt, ohne regionale Auflösung, auf nationaler Ebene vor.
Pussak & Schuldt (2009) zeigen in einer Evaluation des E-Bike-Projekts im Hochschwarzwald, dass die Akzeptanz hoch ist, der Erfolg jedoch noch begrenzt ist. Die schwierigste Hürde sei der Schritt zur erstmaligen Nutzung, denn wer einmal E-Bike gefahren sei, sei von den Vorteilen überzeugt. Ein beginnender Imagewandel führe dazu, dass die Zielgruppe sich auch auf junge und sportliche Menschen erweitere.
Die unveröffentlichten Marktstudien „Radreisen der Deutschen“ des Kölner Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Trendscope (2010; 2012c), liefern erste repräsentative Daten zu soziodemographischen Merkmalen und dem Reiseverhalten von E-Bike-Touristen in Deutschland. Ein weiterer unveröffentlichter Trendscope-Bericht (2012a) gibt Auskunft über die von Elektro-Mountainbikefahrern bevorzugten Wegearten und Landschaftstypen.
Zastrow (2011) kann am Beispiel der Destination Rügen zeigen, dass das Elektrofahrrad grundsätzlich großes Potenzial auf dem Freizeitmarkt birgt, auch wenn in der derzeitigen Anfangsphase das E-Bike-Angebot nur als Ergänzung des Kerngeschäfts zu betrachten sei, welches Stammgästen sowie Erstbesuchern ein attraktives Zusatzangebot biete. Ein Hindernis bestehe in subjektiven Vorurteilen seitens der potenziellen Nutzer. Aus diesem Grund reiche für den weiteren Erfolg ein reines Bereitstellen der Elektrofahrräder nicht aus und verlange erhöhten Handlungsbedarf in Marketing und Kommunikation. Diese dürfe nicht nur von Seiten der koordinierenden Tourismusorganisation, sondern müsse auch durch hohe Eigeninitiative der E-Bike-Verleihstationen erfolgen.
Miglbauer (2011) erarbeitet zunächst die Voraussetzungen für E-Bike-Konzepte und trägt in einem Lehrbuch über Radtourismus (vgl. Dreyer, Miglbauer & Mühlnickel, 2012, S. 25-31) allgemeine, vor allem qualitative Erkenntnisse zum neuen Trend E-Bike-Tourismus zusammen. Als Erster vergleicht er auch die Strukturen der Angebotsseite, allerdings ohne dabei gezielten Forschungsfragen nachzugehen.
Da derzeit noch keine Studie existiert, welche den E-Bike-Tourismus aus raumwissenschaftlicher Sicht beleuchtet, wird mit vorliegender Arbeit Neuland betreten. Ziel der Studie ist es, diesbezüglich einen Grundstein zu setzen und allgemeine Strukturen der Raumnutzung des E-Bike-Tourismus herauszuarbeiten (siehe Kap. 1.3).
E-Bike-Tourismus ist in den Medien sehr präsent. Liest man die Werbematerialien der Urlaubsregionen, scheint es als radelten vielerorts bereits viele begeisterte Touristen auf Elektrofahrrädern. Neben Werbung und Medien geben auch Studien zur allgemeinen E-Bike-Nutzung (siehe Zitat) Anlass dazu, die propagierte Loslösung der bisher geltenden Bindung des Radtourismus an flache Landschaftstypen intensiver zu untersuchen.
“[…] The Dutch polders, the Loire region or the cycling path along the Danube are suited for the overall majority of cyclists. The Alps, Abruzzo [sic!] or the Dolomites however are reserved to the very well trained cyclists or to those who enjoy pedal assistance”[2] (ETRA, 2010, S. 13).
Hartenstein (2012), Koordinatorin des fahrradtouristischen Angebots im Bundesland Rheinland-Pfalz, weist jedoch darauf hin, dass „dieser Medienhype […] nicht der Realität im Tourismus [entspricht]. Das Volumen ist noch klein.“ Um einen von Medien und Werbung ungetrübten Überblick der touristischen Nutzung von E-Bikes zu bekommen, soll die vorliegende Studie zunächst den Status quo erfassen. Untersucht werden dabei sowohl Angebotsseite als auch Nachfrageseite des E-Bike-Tourismus im deutschsprachigen Raum.
Ohne Zweifel bietet die Technik des Elektrofahrrads nun auch die Möglichkeit in Regionen mit stärkeren Steigungen...