17. 3. 2008 : Ausnahmezustand in Jerewan
Die Anreise mit der AUA nach Jerewan klappte überpünktlich. 10 Minuten vor der Zeit landeten wir. Die Nordwestfront am Balkan war ein Anschieber. Aber drei Stunden gingen durch die Ostrichtung verloren, so dass wir statt um 1 Uhr 50 (MEZ) um 4 Uhr 40 lokaler Zeit da waren.
Ein Rollstuhl war bestellt. Es dauerte aber länger. So konnte ich kurz mit den Stewardessen plaudern. Sie fliegen bald wieder nach Wien zurück.
Der Rollstuhl kam, war aber so klapprig, dass ich das innere Schutzblech vom Rad wegdrücken musste. Sonst hätte es ihn immer wieder total eingebremst.
Für die Abfertigung und die langen Wege bis zu unserem Kleinbus erwies er sich wieder hilfreich. Als Reiseleiter empfing uns Dr. Baghramyan, etwa 30 Jahre jung, groß, schlank und elegant. Er schickte uns vor zum Minibus. 5 waren schon da. Auf zwei musste er noch warten. Außer mir 6 Damen, ich war – wie eine Dame meinte – gleichsam der Hahn im Korb. Mit einem Bein, ergänzte ich. Der Fahrer heißt Varig.
Unser Ziel ist das Hotel Marriott am Platz der Republik. Obwohl Ausnahmezustand herrscht, sollten wir uns keine Sorgen machen. Es ist sehr ruhig. Es passiert nichts. Die Situation ist sicher, wir können uns fei bewegen. Die Soldaten stehen nur pro forma herum.
Ausnahmezustand bedeutet nur dreierlei: Sie können jederzeit Autos kontrollieren, die Presse zensurieren und keine Demos zulassen. Aber sonst kann man auch nachts unbehelligt ausgehen.
Währung, Wochenbedarf, heutige Besichtigungen
Die restlichen zwei Gäste besorgten sich hier das Visum. Sie mussten erst Geld wechseln. Zahlen kann man nur in armenischer Währung. 1 Euro sind 440 Dram (kommt offenbar von Dirham oder Drahma). Nach Mittags werden wir zur Stadtrundfahrt aufbrechen. Hernach fahren wir zu Kirchen etwa 30 km entfernt am Fuße des Ara-Berges besichtigen. Abschließen werden wir den Ausflug bei einer Familie, wo wir essen werden.
Er selber heißt Hrair, das heißt feuriger Mann, obwohl er gar nicht feurig sei. Zum Einwechseln empfiehlt er einen Betrag von 100 Euro für unsere Reisewoche. Damit können wir auch die Ausreisesteuer von 10.000 Dram oder 22 Euro bezahlen. Für ein Mittagessen müssen wir mit etwa 8 Euro rechnen. Das Bier kostet etwa 500-600 Dram. Ein Glas Wein 1-2 Euro.
Ist nicht der Dollar noch immer die Zweitwährung, erkundigt sich von hinten eine Dame? Auch wenn das noch in manchen Führern steht, trifft das beileibe nicht mehr zu. Früher nahm man den Dollar gern. Jetzt, wo er einen Wertverlust von fast 45% erlitten hatte, will ihn kaum jemand mehr. Und was ist mit dem Trinkgeld?
Trinkgeld und Zahlung für Arbeitsstelle
Das offiziell verrechnete Trinkgeld gehört dem Lokalbesitzer. Daher muss man der Bedienung zusätzliches Trinkgeld geben. Die Armenier geben zumeist mehr als 10% und runden Kleinbeträge großzügig auf. Denn nur dieses Trinkgeld ist der Verdienst des Kellners. Denn viele arbeiten ohne Gehalt. Ja manche zahlen noch davon an den Lokalbesitzer, dass sie überhaupt arbeiten dürfen. Die Fahrt geht zügig. Bei dieser frühen Morgenstunde kurz vor sechs sind kaum Autos und Menschen zu sehen. Eine autobahnartige Straße führt in das Stadtzentrum. Ein beleuchteter Turm mit Glaskuppel gehört zum Rathaus. Zwei Fabrikanlagen neben der Straße. In der einen wird Wein, in der anderen Kognak hergestellt und in der folgenden Kirche verehren sie den heiligen Sergius.
Platz der Republik und unser Hotel, alte Teppichtradition
Und am runden Platz der Republik bilden die Gebäude Kreissegmente, eines davon ist unser Marriott. Daneben das Regierungsgebäude, das Bauwerk für armenische Geschichte und Gemäldegalerie sowie das Außenministerium.
Im Hotel wurde ich anschließend mit dem Rollstuhl noch zum Zimmer 541 gebracht, wo wir bis 10 Uhr vier Stunden ruhen konnten. Denn nach dem Frühstück erwartete uns um 12 Uhr die Stadtrundfahrt.
Um 12 Uhr zuerst noch Geldwechseln und dann einmal um den Republikplatz langsam herum. Die Mitte des mehr als Fußballplatz großen Areals ziert das Muster eines Teppichs aus dem 14. Jahrhunderts. Laut Reiseleiter hat Armenien schon im 5. Jahrtausend vor Christus mit der Teppichtradition begonnen. Die ältesten Muster kommen daher aus Armenien.
Mit Ausnahme des Museums für Geschichte, das erst nach dem 2. Weltkrieg entstand, stammen alle anderen Bauwerke aus der Zwischenkriegszeit, so zum Beispiel das Regierungsgebäude aus 1926. Wäre nicht das Haus der Geschichte dort errichtet worden, bestünde noch immer eine direkte Verbindung zur 400 Meter entfernten Oper.
Innenstadtbereich, entsorgter Lenin und armenische Schrift
Vor dem Haus mit der Post stand bis zur Wende ein riesiges Lenindenkmal. Dieser Lenin reichte bis zur Höhe der siebenstöckigen Bauten und liegt heute im Museum.
Am Weg zur neuen Kathedrale sehen wir links die italienische Straße mit der Botschaft von Italien. Rechts lassen wir das Rathaus und sehen zur linken das Denkmal für den ersten armenischen Generalsekretär Alexander Miasnikian und weiter vorne die Weinfabrik.
Die Häuser sind mittlerweile alle in Privatbesitz. Ein Denkmal zeigt den Armenier Stefan Schahumyan. Er hat in der Hauptstadt von Aserbaidschan 1918 die kommunistische Revolution ausgerufen und die Herrschaft über das Land übernommen. Da kamen dann die Engländer. Sie verhafteten ihn und 26 seiner Mitkämpfer. Alle wurden erschossen.
Auf eine Frage meint unserer Reiseleiter: Heute gibt es in Armenien kaum mehr Kommunisten.
Alte Häuser säumen nun die Straße, in der der Verkehr heftig pulsiert. Als Fußgänger aus Mitteleuropa muss man sich an die hiesigen Verkehrsgebräuche erst gewöhnen. Zebrastreifen haben für die Autofahrer hier keine Bedeutung. Desgleichen soll man selbst bei Grün als Fußgänger besonders Acht geben. Die Schilder zeigen unterschiedliche Schriften.
Denn die Armenier lernen in der 1. Klasse die armenische, in der 2. Klasse die russische und in der 3. Klasse die lateinische Schrift.
Die Straße öffnet sich zu einer größeren freien Fläche. Zur Rechten dominieren die so genannte „chinesische Botschaft" meine er scherzhaft. Es ist ein Gebäude, das aussieht wie eine Riesenpagode – und zur Linken die neue katholische (armenisch-apostolische) Kathedrale diesen Stadtteil.
Die neue Kathedrale und Streit um das Spendengeld
Dort stand bis 1934 eine Kirche, ehe sie von den Kommunisten gesprengt wurde. Über Spenden wurde aus Anlass von 1.700 Jahren armenisches Christentum die neue Kirche wieder errichtet. 2001 wurde sie durch eine feierliche Messe, die der Papst und der Patriarch gemeinsam feierten, wieder eingeweiht.
Eine mächtige zentrale Kuppel krönt diesen kreuzförmig ausgerichteten Bau aus Tuffgestein. Dieses helle, gelbliche Gestein wird nahe der türkischen Grenze abgebaut. Die Kosten von 45 Mio. $ wollte die Bevölkerung unter sich verteilen. Diese Spenden waren aber zweckgewidmet. Trotz der Diskussionen wurden dann die Spenden dem Kirchenbau zugeführt.
Wir betreten die Kirche beim Seiteneingang. Es fällt auf, dass die Armenier die Kirche im Rückwärtsgang verlassen und dabei das Kreuzzeichen machen. Man darf dem Altar nicht den Rücken zuwenden.
Nach dem Haupteingang steht ein Baldachin über dem Grab des Gregor des Erleuchters. Papst Johannes Paul II ließ dessen Gebeine anlässlich der Einweihung hierher aus Rom bringen. Der Baldachin stammt aus dem 17. Jahrhundert. Sehr feine Malereien zeigen neben den vier Evangelisten mit ihren Symbolen auch die heilige Familie. Um 13 Uhr starten wir zur Fahrt durch das Universitätsviertel hinauf zur „Mutter Armeniens".
Christentum, Schachmeister, Universitäten, Radio Jerewan
Da ist zunächst das Denkmal eines Heerführers. 451 wollten die Perser die Armenier zum Glauben an Zarathustra zwingen. Dieser Heerführer schlug somit erstmals eine Schlacht für den christlichen Glauben. Damals fand gleichzeitig auch das Konzil von Chalzedon statt. An diesem nahmen die Armenier nicht teil. Dort kam es aber zur Spaltung der christlichen Kirchen in die römisch-katholische einerseits und die orthodoxen Richtungen wie altorientalische, altsyrisch-aramäische, koptische und armenische Kirche andererseits. Thema war die Natur von Jesus.
Nach Radio Jerewan sehen wir die Halle für die Schachmeisterschaften. Armenien stellte mit Petrossian, Aronyan und Gasparov (früher Gasparian) Welt- und Olympiameister, zuletzt in der Olympiade in Turin.
Dann taucht schon die staatliche Universität von Jerewan auf. Sie wurde 1919 gegründet. 21 Fakultäten werden von 13.000 Studenten besucht und von 3.000 Lehrpersonen betreut. Auch er kam aus dieser Universität. Die anschließende pädagogische Universität ist privat, wie viele andere Privatunis.
Die vier überregionalen Universitäten beruhen auf zwischenstaatlichen Abkommen Armeniens mit Amerika, Frankreich, Europa und slawischen Staaten.
Wunder von Armenien und neuarmenische Schrift
Als wir das Universitätsviertel verlassen, fahren wir hinauf zum Siegespark. Zuerst noch das Denkmal eines armenischen Dichters und Pädagogen. Mit seinem Werk „Wunder von Armenien" legte er die Grundlage für die neuarmenische Schrift und Sprache. Dafür wurde er heftig vom Klerus, der der alten Schrift verpflichtet war, kritisiert. Das Thema des Werkes war die Befreiung der armenischen Hauptstadt Jerewan aus der Herrschaft der Perser durch die russische Armee.
Die Menschen sprachen damals schon das neu-armenische. Er selber wurde von einem Türken getötet, dem er Geld verliehen hatte.
Mutter Armeniens verdrängt Stalin im...