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E-Book

Geisel des IS

Die wahre Geschichte einer 13-monatigen Gefangenschaft

AutorPuk Damsgard
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783959716062
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Über ein Jahr lang wurde der Fotograf Daniel Rye von der Terrororganisation Islamischer Staat in Syrien gefangen gehalten, bevor seine spektakuläre Befreiung gelang. Geisel des IS erzählt seine dramatische Geschichte und beschreibt eindringlich und fesselnd das Martyrium, das er erleiden musste. Dabei folgt die Erzählung auch Daniels Familie, die mehr als 2 Millionen Euro Lösegeld für Daniels Befreiung auftrieb, und deren nervenaufreibenden Verhandlungen mit seinen Entführern. Ihr Weg durch eine Reihe schier unüberwindbarer Hindernisse und schwieriger Entscheidungen bietet einen seltenen Einblick in die geheime Welt der Ermittlung, um Daniel, aber auch den ebenfalls mit ihm gefangen gehaltenen amerikanischen Journalisten James Foley ausfindig zu machen und zu befreien. Das Buch basiert auf Daniels persönlichen Schilderungen und auf Interviews mit ehemaligen Mitgefangenen, Dschihadisten und Personen, die im Hintergrund gearbeitet haben, um Daniels Freilassung zu ermöglichen. Ein Buch, das zum ersten Mal die Qualen der Gefangenschaft beim IS hautnah beschreibt. Eine durch und durch bewegende Geschichte über Freundschaft, Folter und das Überleben.

Puk Damsgard ist seit 2011 Nahost-Korrespondentin, nachdem sie zuvor viele Jahre lang in Afghanistan und Pakistan gelebt hat. Sie hat eine Reihe von Auszeichnungen für ihre journalistische und schriftstellerische Arbeit erhalten.

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Leseprobe

Alles Gute zum Geburtstag, Jim


Das Flugzeug hatte eben vom Flughafen Heathrow abgehoben und schwebte hoch über den Wolken, als Daniel seine Brieftasche öffnete und ein kleines Stück weiße Pappe herausholte. Stumm musterte er sein mit Bleistift daraufgezeichnetes Gesicht. Auf dem Bild trug er keine Brille, und er hatte einen Bart; aber er war zu erkennen. Er zeigte das Bild Arthur, seinem Reisebegleiter, der neben ihm saß und die langen Beine unter den Sitz vor ihm streckte.

„Eigentlich hatten wir manchmal richtig Spaß“, sagte Daniel und hielt das Miniporträt zwischen den Fingern fest. „Wir spielten unsere eigene Version von Risiko und ich machte mit den anderen Geiseln Gymnastik.“

Die Zeichnung war das einzige Souvenir aus seiner Zeit als Geisel des ISIS in Syrien. Angefertigt hatte sie Pierre Torres, eine der anderen westlichen Geiseln, der sie innen an seinen Ärmel genäht und aus dem Kerker geschmuggelt hatte. Pierre gehörte zu den Glücklichen, deren Freilassung ausgehandelt worden war.

Als Daniel frei war, fürchtete er das Schlimmste. Der Islamische Staat begann, die verbliebenen westlichen Geiseln zu töten. Deshalb flog er nun mit Arthur über den Atlantik nach New Hampshire zur Gedenkfeier für James Foley.

Daniel steckte die Zeichnung in seine Brieftasche zurück und bat um ein Glas Wein zur üblichen Bordverpflegung: „Huhn oder Rindfleisch?“ Nach dem Essen schlief er ein; sein Kopf ruhte auf der immer noch gefalteten und in Plastik verpackten Decke, die er als Kissen benutzte. Seine Haare standen in alle Richtungen ab – eine Folge der statischen Elektrizität – und sein Mund stand offen. Fünf Stunden später wachte er auf, kurz vor der Landung in Boston. Außerhalb des Flugsteigs zündete er sich in der klaren Herbstluft eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen ein. Normalerweise rauchte er nicht. Inzwischen holte Arthur den Schlüssel für den Mietwagen ab und sie fuhren zu ihrem Hotel am Stadtrand.

Am nächsten Morgen fuhren sie zum Haus der Familie Foley in Rochester, New Hampshire. Der 18. Oktober 2014 begann mit wenigen Wolken am Himmel. An diesem Tag wäre James einundvierzig Jahre alt geworden.

Im August 2014 hatte der freie Journalist in der syrischen Wüste sein Leben verloren. Er war die erste westliche Geisel, der ein britischer ISIS-Milizionär namens „Jihadi-John“ die Kehle durchschnitt.

Daniel war dreizehn Monate lang in Syrien festgehalten worden, acht davon hatte er in Gesellschaft von James und anderen westlichen Geiseln verbracht. James blieb stets zuversichtlich, obwohl er seit November 2012 gefangen war. Daniel hatte ihn sehr geschätzt. Sie hatten viel Zeit, einander kennenzulernen und James hatte Daniel von seinen Geschwistern und Eltern erzählt. Nun war er auf dem Weg zu James’ Eltern, um einer Freundschaft, die im Kerker begonnen und geendet hatte, die letzte Ehre zu erweisen.

Die Bäume entlang der Old Rochester Road verneigten sich einladend. Diese schmale, alte Landstraße windet sich durch ganz New England. Hellrote Ahornbäume überragten die grünen Kiefern und gelbe, orangefarbene und braune Blätter hingen an den Ästen wie ein letzter Atemzug vor dem Wintereinbruch. Der Duft des nahen Winters vermischte sich mit dem Rauch aus Daniels und Arthurs Zigaretten. Daniel scrollte durch die Musik auf seinem iPhone und spielte das melancholische Lied „Add Ends“ der dänischen Gruppe When Saints Go Machine. Diesen Song hatte er seit James’ Ermordung unzählige Male gehört.

Große, gepflegte Häuser schmiegten sich zwischen die Bäume und man sah Kürbisse mit fröhlichen geschnitzten Gesichtern und sternförmigen Augen. Manche allerdings schienen bedrohlich zu kreischen. Diese Kürbislaternen hielten auf dem Rasen und an den Einfahrten Wache. Selbst das Lebensmittelgeschäft des Ortes war so üppig mit ihnen geschmückt, dass sie fast den Eingang versperrten.

Als sie in die Straße zum Haus der Foleys einbogen, wechselte das Orange zu Schwarz. Sie fuhren an einem großen Gebäude vorbei, dessen Tür ein Skelett mit Kapuze bewachte. Die Straße kurvte um vereinzelte Häuser und amerikanische Fahnen, die im Gras neben dem Asphalt steckten. Das ganze Viertel trauerte angesichts der Tragödie, die über die Familie in dem weißen Haus am Ende der Straße hereingebrochen war.

Der ausgedehnte Rasen vor dem Grundstück war dicht und glänzte und Licht fiel durch die Fenster auf die Einfahrt, wo ein paar Autos parkten. Daniel ging zielstrebig zur Haustür, gefolgt von Arthur. Er klopfte und trat ein, als er Stimmen hörte. Diane und John Foley, James’ Eltern, begrüßten die beiden schon auf der Matte, auf der „Willkommen“ stand. Diane umarmte Daniel lange und mütterlich; ihr volles dunkles Haar streifte sein Gesicht, als sie ihn an sich zog. Sie drückte seinen Arm und führte ihn in die überfüllte Küche, um ihn der Familie vorzustellen. Über der Tür zwischen der Küche und dem Wohnzimmer waren die Worte gemalt: „Verbreitet mit Gottes Segen Liebe und Lachen in diesem Haus.“ Es roch nach Kaffee, Parfüm und Toast.

„Das ist Daniel“, sagte Diane mit Dankbarkeit und Schmerz in der Stimme.

Nach einem Jahr in Gefangenschaft hatte Daniel endlich das Gefühl gehabt, bald freigelassen zu werden. James bat ihn, seiner Familie eine Nachricht zu überbringen, traute sich aber nicht, einen Brief zu schreiben. Hätte man den gefunden, hätte seine Familie ihn wohl nie bekommen und Daniels Freilassung wäre gefährdet gewesen. Also setzten sie sich in der Zelle nebeneinander und James diktierte die Worte, die Daniel so lange wiederholte, bis er sich im Schlaf an sie erinnerte.

Kaum war Daniel frei und wieder in Dänemark, rief er Diane an und wiederholte James Botschaft Wort für Wort am Telefon. Es war der einzige und letzte Gruß, den die Familie von ihrem gefangenen Sohn erhielt. Diane schrieb James’ Worte auf, um sie nie zu vergessen.

Für die Gedenkfeier hatte sie die Worte drucken lassen, damit die Gäste und die ganze Welt sie ebenfalls lesen konnten. Der Titel lautete: „Ein Brief von Jim“. Auch eine Nachricht an seine Großmutter war dabei:

„Oma, bitte nimm deine Arzneien, geh spazieren und hör nicht auf zu tanzen. Ich möchte dich ins Margarita ausführen, wenn ich nach Hause komme. Bleib stark, denn ich brauche deine Hilfe, damit ich mein Leben zurückfordern kann.“

„Danke, Daniel“, sagte James’ Großmutter in der Küche, als sie ihm die Hand drückte. Die schmächtige Dame mit den Perlohrringen trocknete sich die Augen und es schien, als werde sie unter der Last ihrer Sorgen gleich zusammenbrechen.

An seine jüngere Schwester Katie, die Frau mit dem langen, glatten Haar, hatte James diese Worte gerichtet:

„Katie, ich bin sehr stolz auf dich. Du bist die Stärkste von uns allen! Ich weiß, wie hart du arbeitest, um als Krankenschwester Menschen zu helfen. Ich bin so froh, dass wir uns kurz vor meiner Entführung gesimst haben. Ich bete, dass ich zu deiner Hochzeit kommen kann.“

James’ Brüder Mark, John und Michael standen ebenfalls in der Küche. Alle trugen dunkle Anzüge und hatten die braunen Augen unter weiten dunklen Brauen und ein breites Lächeln mit James gemeinsam. Daniel hatte das Gefühl, sie seit Langem zu kennen, weil James sie sehr vermisst und daher ausführlich von ihnen erzählt hatte. Er wusste auch, dass die Brüder sich nach guten Nachrichten von James gesehnt hatten. Seine Botschaft hatte ihnen für kurze Zeit neue Hoffnung gegeben:

„Ich habe gute und schlechte Tage. Wir sind dankbar, wenn jemand freikommt, aber wir sehnen natürlich auch unsere Freiheit herbei. Wir versuchen einander zu ermutigen und Kraft zu geben. Man gibt uns jetzt besseres Essen, sogar täglich. Wir haben Tee und manchmal Kaffee. Ich habe fast so viel zugenommen, wie ich voriges Jahr abgenommen habe … Wenn ich an die vielen schönen Zeiten mit der Familie denke, fühle ich mich nicht mehr als Gefangener … Ich spüre euch besonders, wenn ich bete. Ich bete dafür, dass ihr stark bleibt und glaubt. Wenn ich bete, habe ich wirklich das Gefühl, dass ich euch berühre, sogar in dieser Dunkelheit.“

James war nun endlich von seinen Qualen erlöst und die Familie versuchte, der Dunkelheit zu entfliehen. Mark und seine Frau Kasey erwarteten ihr erstes Kind.

„Er soll James Foley heißen“, sagte Kasey voller Stolz auf ihren ungeborenen Sohn, als sie in Hausschuhen in der Küche stand und ihren Bauch streichelte.

Der Gottesdienst sollte um zehn Uhr beginnen. Alle leerten ihre Kaffeetassen und zogen die Schuhe und Mäntel an. Kasey behielt ihre Pantoffeln an, als die Familie zum Auto ging. Diane bestand darauf, auf dem Rücksitz neben Daniel Platz zu nehmen und hielt seine Hand, während John stumm zur Kirche fuhr.

Die Kirche Unserer Lieben Frau vom Heiligen Rosenkranz in Rochester war mit Angehörigen und Freunden gefüllt. Vor dem Altar stand ein Bild von James Wright Foley. Er zeigte sein charmantes schiefes Lächeln, das ihm dem Vernehmen nach bei Frauen große Erfolge beschert hatte. Gelbe und rote Blumen umrahmten sein Gesicht. Die Augen ließen erahnen, was für ein warmherziger Unruhestifter er gewesen war.

Es gab keinen Sarg. James’ Leichnam war bereits irgendwo in Syrien bestattet worden. Seine Familie brachte es nicht übers Herz, das letzte Bild zu betrachten, das die Welt von ihm gesehen hatte. Es zeigte die auf dem Bauch liegende Leiche in einer orangefarbenen Gefängniskluft mit den Armen an den Seiten. Zwischen den Schulterblättern lag der Kopf.

Die meisten Medien hatten das IS-Propagandavideo über James’...

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