Vorwort:
Die Krise der modernen Ökonomie – und des Geldes
Viele der Gedanken in diesem Buch könnten Lesern, die mit den traditionellen keynesianischen und monetaristischen Lehren aufgewachsen sind, zu simpel vorkommen. Aber im Grunde genommen ist Geld tatsächlich ganz einfach: Wie wir in diesem Buch wiederholt darlegen werden, ist es im Wesentlichen ein Messinstrument. Alle Überlegungen, Strategien und staatlichen Maßnahmen, die mit Geld zu tun haben, sollten von dieser Wahrheit ausgehen.
Aber warum ist so viel von dem, was über Geld zu lesen ist, so unnötig kompliziert – voller undurchsichtiger Formulierungen und Gleichungen, die nur ein paar Akademiker verstehen? Und warum beharren so viele Menschen auf falschen Vorstellungen über Geldpolitik, wie »für mehr Beschäftigung braucht man höhere Inflation«? Wie können derartige Irrtümer so etabliert und unangreifbar sein, als wären sie wissenschaftliche Prinzipien?
In diesem Buch beschreiben wir, wie der jahrhundertalte Merkantilismus – im Prinzip nichts weiter als wirtschaftlicher Nationalismus – die Überzeugung geprägt hat, über die Geldversorgung lasse sich die Aktivität in einer Volkswirtschaft gezielt steuern. Die große Frage dahinter lautet, warum sich dieser Irrglaube so viele Jahrhunderte lang halten konnte. Und warum hängen ihm so viele unterschiedliche Denker an, die sich ansonsten ideologisch unversöhnlich gegenüberstehen?
Die Antwort hat damit zu tun, dass Marxisten, Keynesianer, Monetaristen und zum Teil sogar Angebotsökonomen eine gemeinsame Überzeugung haben: Sie sehen die Wirtschaft als eigenständiges, in sich geschlossenes Gebilde, in dem Geld eine Regelungsfunktion hat.
Zentral für dieses Denken ist die Vorstellung von einem Gleichgewicht: Wenn alles gut funktioniert, erreicht die Volkswirtschaft einen Ruhezustand. Die Preise in einem solchen System sollen stabil sein. Es soll Vollbeschäftigung herrschen (wie auch immer man das definiert), das Angebot der Nachfrage entsprechen. In der staubigen alten Welt der Ökonomie ist ein Gleichgewicht so etwas wie das Nirvana. Es mag äußere Ereignisse wie Kriege, Dürren, Hurrikane, Erdbeben und gelegentliche Finanzkrisen geben und natürlich auch Innovationen wie die Dampfmaschine, Eisenbahnen oder das Internet. Aber wenn die Auswirkungen solcher Störungen abklingen, kehrt die Wirtschaft in diesem Weltbild zum Gleichgewicht als ihrem »Normalzustand« zurück.
Klassische Ökonomen waren der Ansicht, dass sich dieser segensreiche Zustand am ehesten durch niedrige Steuern, zurückhaltende Staatsausgaben, freien Handel und solides Geld erreichen lässt.1 In den Augen von Keynesianern dagegen sind freie Märkte inhärent instabil und für ein reibungsloses Gleichgewicht braucht es gezielte Eingriffe in Form von staatlichen Investitionen, Steuern, Zinspolitik und Regulierung.2 Im Monetarismus wiederum, einem Abzweig des Keynesianismus, geht man davon aus, dass es die Regierung der Zentralbank überlassen kann, über die Steuerung der Geldversorgung für kontinuierliches, lang anhaltendes Wachstum zu sorgen.3 Schwankungen am Markt dagegen werden fast überall als störend angesehen – als Unannehmlichkeiten, die nach Möglichkeit verringert oder ganz verhindert werden sollten. In Lehrbüchern ist häufig von den Ursachen für den Konjunkturzyklus und möglichen Abhilfen zu lesen.
Grundlegend für diese Weltsicht ist die Annahme, dass es so etwas wie wirtschaftliche Stabilität überhaupt gibt. Das aber ist nicht der Fall. Um es mit dem bekannten Technologen George Gilder zu sagen: Schon Ereignisse im normalen Leben – die Höhe unseres zukünftigen Einkommens, Krankheiten oder Autounfälle – lassen sich nicht mit Sicherheit voraussagen. Warum glauben Ökonomen dann so fest daran, sie könnten in die Zukunft der Gesamtwirtschaft blicken?4
Sie können es nicht. Seit Jahrhunderten leidet ihre Profession an »Wissenschaftsneid«. Wir sagen es nicht gern, aber zum Teil ist dafür das herausragende Genie Isaac Newton verantwortlich. Meist erinnern wir uns an Newton nur wegen seiner bedeutenden Beiträge zur Physik, doch er spielt auch für die Geschichte der Ökonomie eine zentrale Rolle. In den 1690er-Jahren führten er und der Philosoph John Locke eine Bewegung gegen die Abwertung des britischen Pfundes an. Als Münzmeister des Vereinigten Königreichs legte Newton den Kurs der Landeswährung im Jahr 1717 auf 3 Pfund, 17 Shilling und 10,5 Pence (3,89 Pfund) pro Feinunze Gold fest – ein Verhältnis, das mehr als 200 Jahre Bestand haben sollte.5
Newton hat Herausragendes für unser Verständnis von Geld geleistet. Indirekt aber hatte sein wissenschaftlicher Genius eine ungute Wirkung auf das Fachgebiet der Ökonomie. Im Jahr 1687 veröffentlichte er eines der wichtigsten Bücher überhaupt, Philosophiae Naturalis Principia Mathematica6 (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie). Es veränderte grundlegend unseren Blick auf die Welt, läutete das Zeitalter der Wissenschaft ein und lieferte den letzten Anstoß für das Zeitalter der Aufklärung. Die Welt wurde nun als eine Art große Maschine verstanden – ein riesiges, extrem kompliziertes Uhrwerk, regiert von unveränderlichen Gesetzen.7
Nach Newton wollte sich fast jedes Fachgebiet mit Ausnahme der Theologie mit dem prestigeträchtigen Mantel einer exakten Wissenschaft kleiden. Bis heute wird die Beschäftigung mit Politik häufig als Politikwissenschaft bezeichnet. Ökonomie hieß einst Nationalökonomie und sie stürzte sich mit besonderem Eifer auf die Sprache und andere Insignien der Wissenschaft.
Im Verlauf dieses Buches werden wir erklären, wie Adam Smith und seine Schüler die geldpolitischen und ökonomischen Behauptungen des Merkantilismus zerlegten, einer Ideologie, die im 16. Jahrhundert aufkam und europäische Herrscher anschließend mehr als 200 Jahre lang eisern im Griff hielt. Smith und seine Klassiker-Kollegen erkannten richtig, welche Funktion Geld in der Wirtschaft hat und wie durch Handel Wohlstand entsteht. Aber seine Zeitgenossen, insbesondere David Ricardo, fielen ebenfalls dem Wissenschaftsneid zum Opfer.
Ricardo, im frühen 19. Jahrhundert ein Schüler von Smith, ist am bekanntesten für seine Erklärung, wie reiche und arme Länder durch Handel miteinander ihre jeweiligen Bedürfnisse besser erfüllen können: die Theorie der komparativen Vorteile. Außerdem zeigte er, wie ein Staat über den Kauf und Verkauf von Anleihen einen Goldstandard haben kann, ohne das gelbe Metall selbst zu besitzen.8 Diese Überlegungen bilden die Basis für das, was ein neuer, moderner Goldstandard für die USA werden könnte; in Kapitel 6 beschreiben wir dieses Konzept genauer. Ricardos Obsession für Zahlen und Mathematik allerdings – vor allem bei der Beschäftigung mit Löhnen und Gewinnen – plagt die Ökonomie bis heute. So behauptete Ricardo, die Gewinne könnten nur auf Kosten niedrigerer Löhne für die Arbeiter steigen,9 was später von Karl Marx konsequent aufgegriffen wurde. Tatsächlich verstanden sich manche Linke, bevor der Marxismus kam, als »ricardianische Sozialisten«.
Die Anziehungskraft des Begriffs »Wissenschaft« ist leicht zu verstehen, weil er für Akademiker fast gleichbedeutend ist mit Autorität. So gesehen ist es nicht weiter überraschend, dass die Begeisterung für Mathematik und Gleichungen in der Ökonomie immer weiter zunahm. Den vorläufigen Höhepunkt dabei bildete das Werk The General Theory of Employment, Interest, and Money10 (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, der Zinsen und des Geldes) von John Maynard Keynes aus dem Jahr 1936. Wie die Klassiker präsentierte Keynes darin eine von Newton inspirierte Sicht der Wirtschaft als geschlossenes System mit Potenzial für ein Gleichgewicht, in dem Nachfrage und Angebot ausgeglichen sind.11 Doch innerhalb dieses mechanistischen Denkrahmens führte er eine radikale Änderung ein.
Frühere Ökonomen hatten die Produktion von Gütern und Dienstleistungen als die reale Wirtschaft verstanden, und Geld und Kredit als die »Symbolwirtschaft«, also bloße Werkzeuge für den Handel. Unbeeindruckt drehte Keynes diese alte Hackordnung um: Für ihn waren Geld und Kredit die wahren Treiber der Wirtschaft, die Produktion von ihnen abhängig.12 In diesem Universum war die Regierung – die in Keynes’ Augen den Fluss von Geld und Krediten kontrollieren konnte – viel wichtiger für die Entwicklung einer Volkswirtschaft als normale Bürger, Entrepreneure und Unternehmen. Dies stellte eine radikale Abkehr von der klassischen Ökonomie dar.
Zwei Katastrophen sorgten dafür, dass Keynes’ pseudowissenschaftliches Paradigma, auch als Neomerkantilismus bezeichnet, zur neuen herrschenden Lehre werden konnte: der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, auch Great Depression genannt. Vor dem Ersten Weltkrieg galt als ausgemacht, dass Regierungen beim Umgang mit ihren Volkswirtschaften Zurückhaltung üben sollten. Der Krieg ließ solche Hemmungen verschwinden: Regierungen machten die Erfahrung, dass sie den Wohlstand einer Gesellschaft über Steuern, Inflation und Schulden in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß für sich nutzen konnten. Später kam die Great Depression – die unglückselige Folge eines weltweiten Handelskriegs, größtenteils ausgelöst vom Smoot-Hawley-Zollgesetz der USA (Einfuhrzölle wurden erhöht). Sie...