1. Bewusstsein und die Konstruktion von Wirklichkeit
„Vorstellungskraft ist der Anfang von Schöpfung. Du stellst dir vor, was du ersehnst, du willst, was du dir vorstellst, und schließlich schaffst du, was du willst.“
(George Bernard Shaw)
Mary[4] führte ein Leben auf der Sonnenseite. Sie war klug, sozial gewandt und attraktiv. Sie hatte auf der „Überholspur“ zum Erfolg gelebt: Als Kind zog sie das Lob Erwachsener auf sich und glänzte in der Schule, sie erwarb einen naturwissenschaftlichen Doktortitel an einer angesehenen Universität, heiratete einen wunderbaren Mann und bekam zwei wundervolle Töchter. Im Beruf war sie ein Überflieger, sie hatte ein glückliches Familienleben und war finanziell abgesichert. Als sie im mittleren Lebensalter eine bedeutende Auszeichnung für ihr Lebenswerk erhielt, war sie verständlicherweise verwirrt, festzustellen, dass sie depressiv und unglücklich war. Etwas fehlte in ihrem Leben.
Mittels Trancearbeit begann Mary, ihr Leben tief zu erforschen. Sie fand Tränen und Ängste, aber auch freudevolle und wunderbare Momente des Erwachens von Bewusstsein. Vor allem aber erkannte sie, dass sie entfernt von ihren Seelenträumen gelebt hatte. Ihr war nicht einmal klar gewesen, dass sie Seelenträume hatte, Sehnsüchte, tiefer als äußerlicher Erfolg oder soziale Nettigkeiten. Sie entdeckte ein Verlangen sowohl nach spiritueller Entwicklung als auch danach, als Mentorin junge Wissenschaftlerinnen in ihrer extrem belastenden Berufswelt zu unterstützen. Außerdem begaben sie und ihr Ehemann sich auf interessante Reisen durch verschiedene psycho-spirituelle Prozesse.
Ihre alte Welt wurde keineswegs aufgegeben, sondern vertieft, um ein vollständigeres und erfüllenderes Leben zu ermöglichen. Insbesondere war Mary entzückt festzustellen, dass sie für ihr eigenes Leben verantwortlich und in der Lage war, es zu erschaffen. Es war eine Freude zu sehen, zu welcher Reise ihr Leben für sie wurde.
Die Sehnsucht, ein zutiefst sinnvolles Leben zu führen, ist recht verbreitet. Viele Menschen fühlen einen Ruf, über das Dorfleben hinauszugehen, ihrem Licht zu erlauben, hell und einzigartig in die Welt zu leuchten. Wenn solche Berufungen angenommen und unterstützt werden, kann Schönes, Wunderbares geschehen. Generative Trance ist ein großartiger Prozess, um eine solche Reise zu unterstützen.
Die Erfahrung Generativer Trance beginnt mit dem Verständnis, dass Wirklichkeit konstruiert ist, und dass jede(r) von uns selbst dafür verantwortlich ist, das eigene Leben in einer sinnvollen Weise zu kreieren. Als Navigationshilfe für eine solche Reise ist es hilfreich, ein Gefühl für diesen kreativen Prozess zu haben. Deshalb möchte ich in diesem ersten Kapitel einen allgemeinen Plan (eine Art Landkarte) für die Konstruktion von Wirklichkeit anbieten, sodass du dich selbst und auch andere auf diesem Weg unterstützen kannst.
Beginnen will ich mit drei verschiedenen Welten, durch die sich das kreative Bewusstsein bewegt: 1) eine Welt „reinen Bewusstseins“ von kreativer Liebe und Licht; 2) eine „Quantenwelt“ des kreativen Unbewussten, angefüllt mit unendlichen Möglichkeiten und purer Imagination; und 3) die klassische Welt des bewussten Verstandes, mit einem Bewusstsein von Raum-Zeit, Materie und anderen Elementen von „Realität“. Kreativität erfordert ein Fließen zwischen diesen drei Welten des kreativen Lichts, der unendlichen Imagination und der praktischen Realitäten.
Dementsprechend konzentriere ich mich zunächst darauf, wie sich Information / Energie zwischen diesen Welten bewegt. Hierfür gehe ich von „Bewusstseinsfiltern“ aus, die von einer Welt in eine andere überleiten. Diese Tore sind Buntglasfenstern vergleichbar, durch die einfarbiges Licht fällt und auf der anderen Seite Muster bildet. Eine für dieses Buch grundlegende Idee ist die Frage, ob diese Filter offen sind (in kreativem Flow) oder verschlossen (in neuromuskulärer Blockade). Eine neuromuskuläre Blockade sperrt das Bewusstsein in eine starre und abgetrennte Realität ein, was zu Problemen und enormem Leid führt. Generative Trance aktiviert den kreativen Flow, der Transformation, Heilung und eine große Reise ermöglicht.
1.1 Die drei Welten des Bewusstseins
Wie erschaffst du ein Leben, in dem es Sinnhaftigkeit und Wachstum gibt? Wenn dein Leben nicht funktioniert, wie lässt du los, um dich wieder mit Ganzheit und Frieden zu verbinden? Und wie schaffst du von diesem Ort der Ganzheit aus neue Wirklichkeiten, die deine Zerrissenheit heilen und neue Möglichkeiten hervorbringen? Um diese Kernfragen der Generativen Trance zu beantworten, unterscheiden wir drei Welten:
- Bewusstsein an sich („ursprünglicher Geist“)
- Quantenwelt („kreatives Unbewusstes“)
- klassische Welt („bewusster Verstand“)
1.2 Der „ursprüngliche Geist“ reinen Bewusstseins
„Nun, all die medizinischen Rituale, die wir untersucht haben, zielen darauf hin, zu den Ursprüngen zurückzukehren. Wir gewinnen den Eindruck, dass für archaische Gesellschaften das Leben nicht repariert werden kann, sondern nur durch eine Rückkehr zu den Quellen wieder-erschaffen. Und die „Quelle der Quellen“ ist das ungeheure Ausströmen von Energie, Leben und Fruchtbarkeit, das bei der Erschaffung der Welt geschah.“
(Mircea Eliade)
„Sei dir selbst ein Licht.“
(Buddha)
Wir beginnen unsere kreative Reise in „der Mitte von nirgendwo“. Milton Erickson pflegte spielerisch diesen Begriff zu benutzen, wenn er Menschen dazu einlud, in Trance einen sicheren Ort zu erleben, wo man sich von jeglichem Inhalt lösen konnte. Dieses Trancefeld diente als eine Art Übergangsraum, wo alte Identitäten losgelassen und neue Wirklichkeiten geboren werden konnten.
Die Buddhisten verwenden den Begriff ursprünglicher Geist, um sich auf diesen leeren Raum reinen Bewusstseins zu beziehen, aus dem alles kommt und in den alles geht. Er wird als nicht-duales Gewahrsein erfahren, leer von irgendwelchen Formen oder Qualitäten, aber leuchtend (lumineszent). Mit anderen Worten, Bewusstsein ist an seiner Quelle reines kreatives Licht.
Falls dies zu weit hergeholt klingt, sieh dir die Metaphern an, die kultur- und sprachübergreifend verwendet werden, um kreatives Bewusstsein zu beschreiben. Neue Ideen blitzen auf aus dem Nichts oder scheinen vom Himmel zu fallen. Eine Person ist helle, kann etwas glänzend, ist eine Leuchte, strahlt, ist ein Sonnenschein oder erleuchtet. Ein Einfall ist brillant und trifft einen wie ein Blitz. Ein gesteigertes Gewahrsein mag frei von Gedanken sein, ungetrübt, klar, wolkenlos oder weit offen. Zusammen betrachtet verweisen diese Ausdrücke intuitiv auf ein Bewusstsein vor und jenseits von Form, das mit Weisheit und Glückseligkeit verbunden ist.
Und dies ist von praktischer Relevanz. Wenn wir mit diesem kreativen Bewusstsein verbunden sind, befinden wir uns in unserem besten Zustand – glücklich, gesund, heilsam und hilfreich für andere. Zahllose Gedichte, Lieder und Geschichten singen Loblieder auf dieses Bewusstsein. Je nach philosophischer Tradition hat es verschiedene Namen: Geist, élan vital, Lebenskraft, Shakti, Chi, göttliches Bewusstsein und Prajna. Es erscheint in Momenten großen Erfolgs, wenn man ästhetische Schönheit wahrnimmt, oder in der Gegenwart tiefer Liebe. Plötzlich öffnet sich ein unbeschreiblicher Raum jenseits aller Gedanken und Formen, und eine euphorische Glückseligkeit erfüllt dich, wenn auch nur für einige wunderbare Augenblicke.
Damit Bewusstsein kreativ sein kann, ist eine Verbindung zu diesem ersten Bereich unerlässlich. Fehlt sie, fühlen wir uns abgetrennt und in zwanghaftem Tun und Denken gefangen. Ironischerweise haben wir oft gerade dann am meisten Angst davor, loszulassen, weil wir fürchten, in einen Abgrund ohne Wiederkehr zu fallen. Eines der ersten Ziele in Generativer Trance ist somit, sich damit wohlzufühlen, allen Inhalt loszulassen und sich der kreativen Quelle hinzugeben. T. S. Eliot[5] hat dies in seiner Dichtung wunderschön ausgedrückt:
„Ich sprach zu meiner Seele, sei still und warte, ohne zu hoffen,
Denn Hoffen wäre auf Falsches gerichtet; warte ohne zu lieben,
Denn Liebe wäre auf Falsches gerichtet; da ist noch der Glaube,
Doch Glaube, Liebe und Hoffnung sind alle im Warten.
Warte ohne zu denken, denn zum Denken bist du nicht reif,
Dann wird das Dunkel das Licht sein und die Stille der Tanz.“
Wenn wir dieses Licht von „allem, das ist“ in jedem/r von uns als primären Ausgangspunkt annehmen, kann eine große kreative Energie uns auf dem Weg leiten. Martha Graham, die große Lichtgestalt des amerikanischen Modern Dance, drückte es folgendermaßen aus:
„Es gibt eine Vitalität, eine Lebenskraft, eine Energie, eine Belebung, die durch dich in Handeln übersetzt wird, und weil es dich selbst nur ein einziges Mal gibt, ist dieser Ausdruck einzigartig. Und wenn du ihn blockierst, wird er niemals durch irgendein anderes Medium existieren, und er wird verlorengehen. Die Welt wird ihn nicht haben. Es ist nicht an dir, festzustellen, wie gut er ist oder wie wertvoll oder wie er im Vergleich mit anderem Ausdruck ist. Es ist an dir, ihn klar und direkt als deinen zu bewahren, den Kanal offen zu halten. Du brauchst nicht einmal an dich oder an deine Arbeit zu...