1. Ursprung des Christentums
Weltgeschichte III, Kap. 5 S. 152 ff.
Zu den universalhistorisch wichtigsten Handlungen der Römer gehört es, daß sie den Jehovahkult in der Zeit der Makkabäer vor der Vernichtung schützten. Sie waren auch später davon entfernt geblieben, ihn zu unterdrücken; Pompejus betrat das Allerheiligste des Tempels, allein die Gottesverehrung in demselben störte er nicht; er ließ selbst den Tempelschatz unberührt. Das römische Reich schloß diesen Dienst in sich ein. Wenn aber die anderen Religionen der besiegten Völker, die italischen, griechischen, selbst die asiatischen und die ägyptische, Eingang in Rom fanden, und sich auf eine oder andere Weise eine gewisse Geltung selbst in der Hauptstadt verschafften, so war dies der jüdischen unmöglich;52 sie war und blieb heterogen und unverständlich. Die Ursache davon liegt in der mit der römischen verwandten Natur der erstgenannten Religionen; sie schlossen sämtlich eine Vergötterung der Naturkräfte in sich ein. Anders verhielt es sich mit der Religion des Volkes Israel; sie beruhte auf dem Glauben an einen intelligenten Gott, den Schöpfer der Welt. Dieser Glaube war durch die strengsten Satzungen festgehalten worden, so daß der Monotheismus in der Form der Nationalität erschien.
Im Laufe der Begebenheiten war nun aber das Land des monotheistischen Gesetzes in sehr eigenartige Verhältnisse zu den Römern getreten, bei denen sich aus der politischen Verflechtung nach und nach auch ein religiöser Gegensatz von höchster Bedeutung erhoben hat. Die Autorität der Römer im Lande, welche von den Juden doch selbst gewünscht worden war,53 bildete einen Teil der Weltherrschaft der Römer, deren Idee zugleich eine religiöse Seite hatte; der Widerstand, den die Juden leisteten, beruhte auf dem religiösen Partikularismus, den sie bekannten. Sie träumten von einem König, der sie von Rom losreißen und die Welt mit eisernem Zepter regieren werde, so wie jetzt sie von einem solchen regiert wurden: so verstanden sie die ihnen vom Altertum her überlieferte Prophezeiung eines Messias, der sie befreien und die Welt ihnen unterwerfen werde.
In der Tat aber war doch ihre Religion in der provinzialen Form, die sie annahm, unfähig, nicht allein sich in der Welt Bahn zu machen, sondern auch nur sich einer viel stärkeren Macht gegenüber zu behaupten. Wenn der Kampf begann, so konnte er nicht anders als zum Untergang Judäas führen. In dieser Krisis nun, in welcher die politisch-militärische Vielgötterei und der aus den Urzeiten stammende, mit den hierarchischen Formen einer Landesverfassung umkleidete Monotheismus miteinander in einen Kampf gerieten, in dem sich für den letzteren nichts als der Untergang absehen ließ, ist Jesus Christus erschienen.
Indem ich diesen Namen nenne, muß ich, obwohl ich glaube ein guter evangelischer Christ zu sein, mich dennoch gegen die Vermutung verwahren, als könnte ich hier von dem religiösen Geheimnis zu reden unternehmen, das doch, unbegreiflich wie es ist, von der geschichtlichen Auffassung nicht erreicht werden kann. So wenig, wie von Gott dem Vater, kann ich von Gott dem Sohne handeln; die Begriffe der Verschuldung, Genugtuung, Erlösung gehören in das Reich der Theologie und des die Seele mit der Gottheit verknüpfenden Bekenntnisses. Dem Geschichtschreiber kann es nur darauf ankommen, die große Kombination, der welthistorischen Momente, in welchen das Christentum erschienen ist, wodurch dann auch seine Einwirkung bedingt wurde, zur Anschauung zu bringen.
Von allen herrlichen Worten, die von Jesus Christus vernommen worden sind, ist keines wichtiger, folgenreicher als die Weisung, dem Kaiser zu geben was des Kaisers, und Gott was Gottes ist. Dieses Wort hatte nach beiden Seiten hin eine zugleich nahe und unermeßliche Tragweite. An der von dem römischen Imperium in Anspruch genommenen Divinität54 konnte man dann nicht länger festhalten; die religiösen Vorstellungen der römisch-griechischen Welt, wie sie noch obwalteten, ihre uralten und niemals aufzulösenden Beziehungen zu den politischen Zuständen mußten aufgegeben werden. Ebenso stand der Gedanke in Widerstreit mit den Gebräuchen und Gesetzen der Juden; diese waren ohne Zweifel notwendig gewesen, um den Monotheismus zu behaupten, jetzt aber verhinderten sie vielmehr, daß er sich in der Welt geltend machen und von allem Zufälligen gereinigt als Religion hätte angenommen werden können.
Und unter den Juden selbst war der Gedanke einer prinzipiellen Abweichung bereits gefaßt worden. Aus der Einsamkeit der Wüste kommend, wo er sich von Heuschrecken und mildem Honig nährte, war Johannes, wie einer der alten Propheten anzusehen in seinem Gewande von Kamelhaaren, das durch einen ledernen Gurt zusammengehalten wurde, in den oberen Jordanlanden als Lehrer des Volkes aufgetreten. Er predigte Verpflichtung zu einem frommen, sittlichen und gerechten Lebenswandel durch Eintauchen in das Wasser; die Reinheit des Körpers sollte die Reinheit der Seele bedeuten. Wenn wir den bei einem jüdischen Autor, Josephus,55 vorliegenden Bericht recht verstehen, so hat sich Johannes der Vorstellung, als liege in Waschungen eine Befreiung von der Schuld, entgegengesetzt; erst nach vollbrachter Büßung soll die Verpflichtung zu einem reinen und gottgefälligen Lebenswandel eintreten, nicht als Genugtuung für das Vergangene, sondern als Pflicht für das Zukünftige. Johannes meinte die jüdische Nation in diesem Sinne zu vereinigen, denn ein Jude war er durch und durch. Herodes Antipas in Galiläa, sein Landesherr,56 dessen Ehe er tadelte, da sie den jüdischen Begriffen entgegen lief, hat ihn deswegen umbringen lassen; er ward ein Opfer des häuslichen Unwesens, das in der idumäischen Familie überhaupt herrschte.
Zu der Schule des Johannes nun gehörte auch Jesus von Nazareth. Aber zu einem Anachoreten wie Johannes war er nicht geboren; er schlug seinen Sitz nicht in der Wüste Juda, sondern in einer volkreichen, durch mannigfaltigen Verkehr belebten Landschaft am See Genezareth auf. Wer hat nicht von den Naturschönheiten der Umgebung dieses Sees, die noch heute die Bewunderung der Reisenden auf sich zieht, gehört und von dem Überfluß, den die Fruchtbarkeit seiner Ufer hervorbringt, so daß das Leben leicht und mühelos dahinrinnt. Was aber den Schüler des Johannes, der auch seinerseits Jünger um sich sammelte, dahin zog, und daselbst fesselte, war die kleine Stadt Kapernaum, deren die frühere und auch die spätere Geschichte kaum gedenkt. Sie bildete den Mittelpunkt des dortigen Lebens. An der großen Landstraße gelegen, die auf der einen Seite nach Ägypten, auf der anderen nach Phönizien führte, wurde sie von Fremden verschiedener Nationalitäten besucht. Schon darin zeigt sich die Wirkung der Römerherrschaft, welche alle diese Landschaften zu einem Ganzen vereinigte. Die Römer hatten daselbst die ihnen eigentümlichen Einrichtungen getroffen; Kapernaum war zugleich eine römische Zollstätte und Station einer Abteilung römischer Truppen unter einem Zenturio. Fast mehr als im übrigen Judäa, namentlich auch in Jerusalem, griff hier das weltbeherrschende Verhältnis, der Gegensatz zwischen den Eingeborenen und der römischen Autorität, in das tägliche Leben ein. Jesus, der in der Synagoge lehrte, trat doch mit Beamten des Zollamts, welche von den übrigen Juden als Befleckte betrachtet wurden, und mit den Römern selbst in gesellschaftliche Verbindung. Daß er nun aber hier etwa die Vielgötterei der Römer, oder die Juden, welche sich an dieselben anschlossen, hätte bekämpfen und anderen Sinnes machen können, ließ sich nicht erwarten, da gerade dort in den Synagogen die starke provinzielle Färbung, mit welcher der Monotheismus für andere unverständlich war, den Gegensatz verstärkte.
Kapernaum kann als die Metropole eines neuen Glaubens betrachtet werden, der die Gegensätze aufzulösen bestimmt war. Es war nur ein Schritt, durch welchen sich Jesus von Johannes entfernte, aber ein Schritt, welcher der intellektuellen und religiösen Weltbewegung eine neue Richtung gegeben hat. Johannes war bei den jüdischen Zeremonien stehen geblieben; die eigentlichen Johannesjünger beobachteten sie so streng wie andere Juden: Jesus wandte sich davon ab. Wenn die Idee des Johannes nur dahin gegangen war, die Juden, welche von ihm die Taufe nahmen, zu einem gottgefälligen Lebenswandel zu verpflichten, so erhob sich in Jesu der universalhistorische Gedanke, nicht die Juden allein, sondern alle Völker zu einem Leben der Gerechtigkeit und gottgefälligen Tugend zu erwecken und in diesem Bestreben zu vereinigen.
Die heiligen Bücher, in denen die Schriftgelehrten vornehmlich die Verpflichtung zu dem zermoniellen Judaismus sahen, erklärte Jesus auf eine Weise, daß vielmehr die Einheit der göttlichen Gewalt, welche alle Völker umfassen konnte, hervortrat. Von der jüdischen Überlieferung riß er sich keineswegs los, aber er gab ihr eine Auslegung, die ohne Zweifel ihrem ursprünglichen Geist entsprach: denn von dem höchsten Gott, den Abraham anbetete, war sie in die nationale Strömung der jüdischen Geschichte verflochten worden. Von der strengen und strafenden Gottheit, die jede Abweichung von dem Gesetz unnachsichtig heimsucht, ging Jesus zu der Lehre von der väterlichen Liebe Gottes über, welche alle Menschen umfaßt; er nahm Abstand von den Ideen des Imperiums, auf denen die damalige Welt beruhte, aber auch von den Ideen, welche den Tempel von Jerusalem und die Schriftgelehrten beherrschten; er lehrte eine allgemeine Kindschaft zu dem ewigen Vater, gleichweit entfernt von den beiden religiösen Begriffen, zwischen denen die Überlieferung und Verehrung sich teilte. Er sah in...