2. Die Entstehung der Erde
Die Kant-Laplacesche Theorie ist auch heute noch die Grundlage unserer Erklärungen für die Entstehung des Sonnensystems, obwohl sie natürlich durch die Entwicklungen der Astrophysik und der Astronomie, der Geochemie und der Kosmochemie sowie der Physik mit ihren immer genaueren Altersbestimmungen und Spektraluntersuchungen erweitert worden ist. Tabelle 1 gibt zunächst eine grobe Übersicht über die Ereignisse, die zur Bildung und Entwicklung der Erde geführt haben. Man ist sich recht sicher, daß eine Supernova, ein zusammenbrechender gigantischer Stern, einige 100mal größer als unsere Sonne, vor 6–9 Milliarden (= 109) Jahren eine riesige Wolke aus Staub und Gas hinterlassen hatte. Diese Wolke enthielt bereits die gleichen chemischen Elemente, die wir heute in unserer Galaxis, der Milchstraße, und im Sonnensystem antreffen. Sie besteht zu 99 % aus den leichten Gasen Wasserstoff (H) und Helium (He) und nur zu einem Prozent aus schwereren Elementen.
Tab. 1: Wichtige Ereignisse zur Bildung und Evolution der Erde.
Urknall Galaxien entstehen Quasare entstehen Ur-Wolke unseres Sonnensystems entsteht Sonnenwolke beginnt zu kollabieren Bildung von Sonne und Planeten Formative Phase, Meteoritenbombardement Archaikum, Bakterien und Algen bilden sich (im Meer), Beginn der Photosynthese Proterozoikum, vom Einzeller zum Mehrzeller; O2 auch in Atmosphäre langsam ansteigend; CO2 langsam abnehmend; erste Großkontinente Paläozoikum, Organismen mit Skelett, Leben vom Meer zum Land; Reptilien, später Dinosaurier Mesozoikum, Extinktionen und Neuentwicklungen vieler Arten, frühe Vögel und Säuger Känozoikum, Aussterben (Extinktion) und Neuentwicklungen, Säuger werden zahlreicher, Affen und Hominiden Homo sapiens | 14 " 1 × 109 11 " 1 × 109 10–1 × 109 9–6 × 109 4,7 × 109 4,6 × 109 4,6–3,9 × 109 3,9–2,5 × 109 2,5–0,6 × 109 600–230 × 106 230–65 × 106 65–0 × 106 5–7 × 106 0,1 × 106 |
Alle Zeitangaben in Milliarden Jahren (109 Jahre = Gigajahre = Ga) oder in Millionen Jahren (Ma = 106 Jahre).
Der Sonnennebel umkreiste auf einer recht weit außen liegenden Bahn das Zentrum unserer Galaxis. Dazu braucht er etwa 250 Ma (= 106) Jahre, wie das auch heute noch für den Umlauf unseres Sonnensystems um das Zentrum der Milchstraße gilt. Was den Nebel veranlaßte, vor etwa 4,6–4,7 × 109 Jahren zusammenzubrechen, ist nicht bekannt. Die anfänglich nur leicht rotierende Wolke erreichte beim Zusammenziehen eine hohe Rotationsgeschwindigkeit, ähnlich dem Schlittschuhläufer, der seine Arme und Beine näher zur Drehachse bewegt. Längs scheibenförmiger elliptischer Bahnen entsteht ein Gleichgewicht zwischen Schwerkraft und Zentrifugalkraft. Materie außerhalb dieser Scheibe unterliegt keinem Gleichgewichtszustand und stürzt entweder zur Mitte oder entflieht. Unter dem Einfluß der Schwerkraft kommt es zu einer kritischen Massenansammlung im Zentrum, zur späteren Sonne. Die sich hier akkumulierende Masse und die entstehende hohe Temperatur werden so groß, daß ein nuklearer Fusionsprozeß einsetzt, der den Wasserstoff (H) zu Helium (He) verbrennt und uns seit dieser Zeit mit Strahlung (und Wärme) versorgt. Weiter außen kondensiert Restmaterie zu Planeten, die terrestrischen (erdähnlichen) Planeten innen, die großen, vorwiegend gasförmigen Körper weiter außen.
Die leichten Gase H und He konnten sich auf den relativ kleinen inneren Planeten nicht halten. Auch war der nach dem Kollaps noch übriggebliebene „Sonnennebel“ innen recht heiß, und ein starker „Sonnenwind“ blies die leichten, flüchtigen Elemente nach außen, wo sie sich in der kälteren Umgebung um die Kerne von Jupiter, Saturn und Uranus festsetzten und zu riesigen Masseansammlungen führten. Diese war bei Jupiter so groß, daß fast auch ein Fusionsprozeß hätte einsetzen können. In diesem Falle wäre eine „Doppelsonne“ entstanden, wie wir sie in unserer Galaxis sehr häufig beobachten. Es hätten keine geordneten Umlaufbahnen für die Planeten, keine kontinuierliche Klimageschichte und kein Leben entstehen können.
Ein besonders interessanter Aspekt entwickelt sich aus der Frage nach der chemischen Zusammensetzung von Sonne und Planeten. Denn sie erscheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Trotzdem ist ihr Ausgangsmaterial verblüffend ähnlich. Aus der Astrophysik mit ihren Spektraluntersuchungen wissen wir, daß die Sonne fast nur aus Wasserstoff (H) und Helium (He) besteht und daß sie diese leichten Gase wegen ihrer riesigen Masse an sich binden kann, wie es ja auch die großen äußeren Planeten können. Der in der Sonne einsetzende Fusionsprozeß verbrennt H zu He und hat schon etwa die Hälfte seines Brennstoffs H in den vergangenen 4,6 × 109 Jahren verbraucht. Zwar nimmt die Strahlung kontinuierlich zu, etwa 10 % pro Milliarde Jahre (Ga), doch wird sie erst in 1–2 Ga unsere Ozeane verdampfen lassen.
Abbildung 1 zeigt die Verteilung chemischer Elemente in unserem Sonnensystem und darüber hinaus in unserer Galaxis. Die zu beachtende sägezahnähnliche Verteilung hängt mit der atomphysikalischen Symmetrie und der Instabilität verschiedener Elemente zusammen und soll uns jetzt nicht interessieren. Verblüffend ist, daß sowohl die (physikalischen) Spektraluntersuchungen der Sonne (und ähnlicher Sterne) als auch die geochemischen Untersuchungen an Meteoriten, Erde, Mond- und Planetenmaterie die gleiche Verteilung der Elemente ergeben haben, mit Ausnahme der leichten und flüchtigen Elemente, vor allem H und He. Diese sind in der Sonne (auch in Jupiter und Saturn) 1 000mal stärker vertreten als die nächsthäufigen Elemente (Skala von Abb. 1 ist logarithmisch!). Interessant ist die relativ große Häufigkeit von Eisen (Planeten, einschließlich der Erde, haben metallische Kerne). Aber auch Silizium (Si) und Schwefel (S), Sauerstoff (O) und Kohlenstoff (C) sind relativ häufig vertreten.
Die schweren oder metallischen Elemente, aus denen sich der Erdkörper geformt hat und die auch im Sonnenspektrum zu beobachten sind, müssen wir aus dem ursprünglichen Sonnennebel „geerbt“ haben. Die Sonne selbst kann in ihrem Fusionsprozeß nur Helium produzieren. Nur eine Supernova, der gewaltige Tod eines Sterns, mindestens 100mal größer als unsere Sonne, ist in der Lage, die schweren Elemente zu erzeugen. Der frühe Kollaps einer Supernova vor etwa 6 bis 9 Ga in unserem Bereich der Galaxis muß demnach das Inventar der Elemente dem Sonnennebel hinterlassen haben.
Als weitere Erbschaft der anfänglich heftig rotierenden Staub- und Gaswolke haben alle Planeten den gleichen Umlaufsinn und liegen auf nahezu scheibenförmigen elliptischen Bahnen, die der Erde auf der „Ekliptik“, wie ihre Bahn um die Sonne genannt wird.
Abb. 1: Relative Häufigkeiten chemischer Elemente in unserem Sonnensystem aus Spektraluntersuchungen und chemischen Analysen an Meteoriten. Man beachte die logarithmische Skala! (Wasserstoff ist fast 10.000mal stärker vertreten als Sauerstoff.)
Abbildung 2 zeigt unser Sonnensystem und die Umläufe der Planeten, die seit ihrer Entstehung weitgehend gleichgeblieben sind. Die Bahnen folgen exakt den Keplerschen und Newtonschen Gesetzen. Das Alter der Zusammenballung, und damit die Entstehung von Sonne und Planeten, ist durch radiogene, d.h. absolute Altersbestimmungen an Meteoriten, im Sonnenspektrum und an Modellaltern von Mond und Erde, recht genau auf 4,6 × 109 Jahre ermittelt worden. Die Methode der Altersbestimmungen beruht auf dem bekannten Zerfall instabiler Elemente mit Halbwertszeiten zwischen 104 und einigen 1010 Jahren. Sie stellt für die Erforschung der gesamten Evolution der Erde eine der wichtigsten Methoden dar. Die gewaltigen Größenunterschiede zwischen Sonne, äußeren und inneren Planeten sind in Abbildung 3 verdeutlicht.
Abb. 2: Übersicht unseres Sonnensystems. Alle Planeten (und Monde) bewegen sich annähernd auf einer Ebene (Ekliptik) mit gleichem Drehsinn um die Sonne.
Abb. 3: Die relativen Größen von Sonne und Planeten. Zwischen Mars und Jupiter: der Asteroidengürtel.
Wir beschränken uns im folgenden auf die uns benachbarten „erdähnlichen“, d.h. die terrestrischen oder inneren Planeten, die durch den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter von den äußeren Planeten getrennt sind. Ein Vergleich mit Mond und Nachbarplaneten ist schon deswegen interessant, weil sie zwar im wesentlichen aus gleichem Material...