2 Opioide: Opium und seine synthetischen Verwandten
Die Opioide (Opiate) sind nach wie vor der Prototyp der Rauschdrogen; wie erwähnt, wurde das Betäubungsmittelgesetz bis 1972 als «Opiumgesetz» bezeichnet und regelte ausschließlich den Umgang mit dieser Substanzgruppe. An ihnen lassen sich auch gut allgemeine Fragen des Rauschdrogenkonsums exemplarisch darstellen.
2.1 Definition und Einteilung
Als Opioide («Opiumartige») werden im Allgemeinen Stoffe bezeichnet, welche in ihren pharmakologischen Effekten dem Morphin gleichen, dem Hauptalkaloid des Opiums; in einer exakteren Definition fasst man unter diesem Begriff Substanzen zusammen, die ihre Wirkung über die Stimulierung endogener Opioidrezeptoren entfalten. Die klanglich angenehmere Bezeichnung «Opiate» ist insofern nicht ganz korrekt, als viele dieser Substanzen, beispielsweise Methadon oder Fentanyl, chemisch nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit den Opiumalkaloiden haben und ohne Verwendung von Opiumprodukten hergestellt werden.
Hinsichtlich ihrer Herkunft lassen sich die Opioide in vier Klassen einteilen: natürliche Opioide (natürliche Opiate), halbsynthetische Opioide, welche durch chemische Behandlung natürlicher Opiate entstehen, zudem die vollsynthetischen und schließlich die endogenen Opioide; Letztere haben, wenigstens augenblicklich, weder als Medikamente noch als Genussdrogen Bedeutung, sind aber theoretisch von großem Interesse, weil an den für sie im Körper vorgesehenen Bindungsstellen die Opioide der anderen Gruppen, die sogenannten exogenen, ansetzen.
Natürliche Opiate sind Alkaloide des Opiums mit morphinähnlicher Wirkung; dazu gehört Morphin selbst, zudem Codein, welches v.a. in Hustensäften therapeutisch zur Anwendung kommt, dabei aber auch deutlich euphorisierende Wirkung hat. Manche Erwachsene erinnern sich noch gut, als Kind ausgesprochen gerne Hustensäfte eingenommen und sich danach sehr heiter gefühlt zu haben. Zahlreiche Süchtige decken ihren Opioidbedarf hauptsächlich mit Codein, und immer wieder wird von Einbrüchen in Apotheken berichtet, wobei außer Bargeld sämtliche Hustenmittel fehlen. Sowohl Morphin wie Codein zeigen die typische Alkaloidstruktur (siehe Kasten Alkaloide in Kapitel 3). Das ebenfalls im Schlafmohn enthaltene krampflösende Alkaloid Papaverin besitzt keine psychotropen Eigenschaften.
Die natürlichen Opiate werden aus Rohopium gewonnen, dem getrockneten Milchsaft, welcher beim Ritzen der unreifen Samenkapsel des Schlafmohns (Papaver somniferum) austritt; er nimmt nach kurzer Zeit durch Oxidation die Gestalt einer bräunlichen Masse an. Opium wird bekanntlich selbst als psychotrope Substanz verwendet, zuweilen auch als Medikament eingesetzt. Legt man Rohopium in Alkohol, so erhält man Tinctura opii, die zur Ruhigstellung des Darms eingesetzt werden kann.
Der an Alkaloiden reiche Papaver somniferum (Schlafmohn) wird bevorzugt in warmen Gebieten Asiens angebaut, häufig auf Hochebenen, so in der Grenzregion Thailand/Burma/Laos («Goldenes Dreieck»), in Afghanistan oder in Kleinasien; der in Europa, z.B. auf dem Balkan, kultivierte Schlafmohn ist im Allgemeinen weniger alkaloidhaltig.
Auch hierzulande wächst der rote Klatschmohn (Papaver rhoeas), zudem diverse Formen von Ziermohn als Gartenpflanzen. Klatschmohn gilt als morphinfrei, dürfte aber andere psychoaktive Alkaloide enthalten; in weiteren Mohnarten findet sich Morphin nur in sehr geringen Mengen. Die für Kuchen verwendeten Mohnkörner stammen zwar aus Papaver somniferum, jedoch aus den reifen, wesentlich weniger alkaloidhaltigen Samen (während Opium aus der unreifen Kapsel gewonnen wird).
Halbsynthetische Opioide lassen sich durch chemische Behandlung natürlicher Opiate gewinnen. Bekanntestes Beispiel ist Diacetylmorphin (Diamorphin), welches durch eine einfache chemische, in primitivsten Einrichtungen («Waschküchenlabors») durchzuführende Reaktion entsteht (nämlich durch eine Veresterung der beiden Hydroxylgruppen des Morphins mittels Essigsäure). Durch die Acetylgruppen ist Diamorphin in hohem Maße fettlöslich und überwindet daher gut die Blut-Liquor-Schranke, gelangt also sehr vollständig und insbesondere rasch ins Hirngewebe. Der entstehende Stoff wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der Firma Bayer unter dem Handelsnamen Heroin auf den Markt gebracht und großzügig therapeutisch eingesetzt, etwa als Husten- und Beruhigungsmittel, zudem paradoxerweise zur Behandlung der Morphinabhängigkeit. Auf dem Drogenmarkt hat Diamorphin (welches inkorrekt mit dem an sich geschützten Handelsnamen «Heroin» bezeichnet wird) nach wie vor Bedeutung. Ein weiteres halbsynthetisches Opioid (aus dem Opiumalkaloid Thebain gewonnen) ist Buprenorphin, das auch zur Substitutionstherapie eingesetzt wird.
Geschichte des Opiumanbaus und -gebrauchs
Hier ist keineswegs alles geklärt: Dies beginnt schon mit dem Namen, der sich nach einigen Historikern von dem griechischen Wort opós (Saft), mit dem Diminutiv ópion («Säftlein»), herleitet, nach anderen vom Sanskritwort apena kommt, was Mohnsaft bedeutet. Umstritten ist auch, ob die Heimat des Schlafmohns wirklich die griechisch-kleinasiatische Küste ist oder ob sich sein Herkunftsgebiet mit einer seiner heutigen Hauptanbauregionen deckt, nämlich Zentralasien.
Gesichert ist, dass die Substanz etwa seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert in die Heilkunde des Mittelmeerraums Eingang fand. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kam sie häufig als wichtiger Bestandteil der (schon in der Antike bekannten) wundersamen, aber auch nebenwirkungsreichen Mischarznei Theriak zur Anwendung und scheint mit dieser zeitweise an Bedeutung verloren zu haben. Ein breiterer Einsatz erfolgte erst später wieder in der Form Laudanum, einer Tinctura opii entsprechenden Mischung von Opium in Alkohol. Dieses Laudanum wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr freigiebig verordnet und gegen vergleichsweise harmlose Beschwerden eingenommen, so von einigen Dichtern der Romantik (siehe Kasten Opium und die Dichter). 1806 gelang dem Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner, Morphin als wichtigstes Alkaloid des Opiums zu isolieren; nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich die Technik der Injektion mittels Spritzen entwickelt worden war, verdrängte das wesentlich exakter dosierbare Morphin Opium weitgehend aus der Heilkunde.
Vollsynthetische Opioide werden labortechnisch ohne Rückgriff auf Opiumalkaloide hergestellt und besitzen bestenfalls geringe chemische Ähnlichkeit mit Morphin. Das bekannteste synthetische Opioid ist Methadon. Weiter zu nennen sind das hauptsächlich intravenös zur Analgesie (Schmerzlinderung) im Rahmen operativer Eingriffe eingesetzte Fentanyl sowie Pethidin (Dolantin®), zudem Pentazocin (Fortral®). Ein synthetisches Opioid, das nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, ist Tramadol (z.B. Tramal®). Die Substanzen wirken in komplizierter Weise unterschiedlich auf die einzelnen Typen von Opiatrezeptoren (siehe unten). Auch die in Abschnitt 8.2 beschriebenen Designeropioide gehören in diese Gruppe.
Angesichts der Wirkung von Opiatantagonisten lag die Vermutung nahe, dass sich die therapeutisch eingesetzten Opioide an spezifische Rezeptoren anlagern, was wiederum die Suche nach endogenen Liganden anregte, also körpereigenen Substanzen, die dort normalerweise andocken und Wirkung entfalten. Mittlerweile ist es gelungen, solche zu isolieren; sie werden als endogene Opioide, in starker Vereinfachung oft als Endorphine (endogene Morphine) bezeichnet – Endorphine stellen wie Dynorphine und Enkephaline nur eine Untergruppe der endogenen Opioide dar. Die Leistungsfähigkeit dieses «endogenen Opioidsystems» ist nicht zuletzt genetisch bestimmt. Kampfhunde mit teilweise extremer Schmerzunempfindlichkeit – welche durch spezielle Züchtungen immer weiter gesteigert wird – dürften ein sehr starkes Opioidsystem besitzen.
Einige endogene Opioide werden in Nervenzellen produziert und fungieren als Neurotransmitter. Andere, wie etwa β-Endorphin, werden in der Hypophyse gebildet und zeigen eher Hormoncharakteristika, gelangen also auf dem Blutweg an ihre Wirkungsorte. Keineswegs klar ist, ob die relativ großen Moleküle liquorgängig sind, also überhaupt in das Zentralnervensystem gelangen. Annahmen, der analgetische Effekt von Akupunktur oder von Placebomedikation beruhe auf der Ausschüttung endogener Opioide, gehören augenblicklich in den Bereich der (zweifellos interessanten) Spekulation.
Opiatrezeptoren
Mittlerweile kennt man verschiedene Typen von Opiatrezeptoren, an die sich sowohl endogene wie «exogene» Opioide unterschiedlich stark anlagern können: Deutlich vereinfacht (und etwas ungenau), unterscheidet man zum einen den μ-Rezeptor, der v.a. im limbischen System zu finden ist und dessen Stimulation offenbar einen stark euphorisierenden Effekt hat, den δ-Rezeptor, welcher vornehmlich im Rückenmark lokalisiert ist und u.a. für die Analgesie (die Hemmung der Weiterleitung in den Schmerzbahnen) verantwortlich ist, und schließlich den κ-Rezeptor. Letzterer findet sich gehäuft im Atemzentrum des Hirnstammes; seine Besetzung ist wahrscheinlich wesentlich für die atemdepressorischen Effekte der Opioide...