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Geschichte des ökonomischen Denkens

AutorHeinz D. Kurz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
ReiheBeck'sche Reihe 2784
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406655548
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ökonomen verstehen ihr Fach gerne als «normale» Wissenschaft, die alle Ideen bewahrt, die richtig und wahr sind, und alle ausmustert, die falsch und irreführend sind. Doch auch Ökonomen irren sich - nicht selten, und dann oft mit gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Folgen. Heinz D. Kurz bietet in diesem Band nicht nur einen knappen, verständlichen Zugang zur Geschichte des ökonomischen Denkens, sondern er stellt auch, angefangen mit der Antike, Querverbindungen über die Epochen hinweg her, welche die Relevanz der Ökonomik illustrieren und vergegenwärtigen.

Heinz D. Kurz ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz, Leiter des Graz Schumpeter Centre und Herausgeber der Zeitschriften European Journal of the History of Economic Thought und Metroeconomica. Zuletzt sind von ihm erschienen 'Schumpeter für jedermann: Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus' und 'Adam Smith für jedermann: Pionier der modernen Ökonomie' (2012 bzw. 2013, mit Richard Sturn). Bei C.H.Beck hat er die 'Klassiker des ökonomischen Denkens' (2008, 2009) in zwei Bänden herausgegeben.

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Leseprobe

2. Ökonomische Klassik


Zu einer umfassenden Untersuchung des ökonomischen Systems kommt es erstmals durch die ökonomische «Klassik», die Marx und Schumpeter zufolge mit William Petty in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beginnt. Bedeutende Wegbereiter sind in Frankreich Pierre Le Pesant de Boisguilbert (1646–1714), François Quesnay (1694–1774) sowie Anne Robert Jacques Turgot (1727–1781), in Britannien Richard Cantillon (1680–1734) und David Hume (1711–1779). Die Klassik steht in voller Blüte bei Adam Smith (1723–1790) und David Ricardo (1772–1823).

Charakteristika des klassischen Denkens Folgende Merkmale kennzeichnen das klassische Denken. Erstens, menschliches Handeln zeitigt gesamtwirtschaftliche Konsequenzen, die vom Einzelnen weder beabsichtigt sind noch vorhergesehen werden können. Wie es Adam Ferguson (1723–1830) ausdrückt: «History is the result of human action, but not the execution of any human design» – die Geschichte ist das Ergebnis menschlicher Handlungen, aber nicht die Ausführung irgendeines menschlichen Plans.

Aufgabe der Politischen Ökonomie ist die Analyse der Verschlingung intendierter und nichtintendierter Konsequenzen und letztlich die Bekämpfung von Aberglaube, Begeisterung und Hysterie in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Dingen. Anreize, Wissen und Information sowie gesellschaftliche Institutionen spielen in dieser Analyse Hauptrollen. Man begreift, dass verschiedene Akteure und Wirtschaftszweige wechselseitig voneinander abhängen – die Idee der Interdependenz wird zu einem zentralen analytischen Konzept. Die Akteure werden als eigeninteressierte Wesen mit komplexen Motiven begriffen. Der Vorfahre des homo oeconomicus betritt gelegentlich die Bühne, so bei Quesnay, allerdings als jemand, der zugleich seinen Genuss (jouissance) maximieren und seinen Mitteleinsatz minimieren will. Das wird ihm schwerfallen: Möglich ist nur die Maximierung bzw. Minimerung der einen Größe für ein gegebenes Niveau der anderen.

Zweitens, die Wirtschaft wird als ein Gebilde begriffen, das eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, die erforscht, verstanden und genutzt werden können. Vorbild sind die jüngst erfolgreichen Naturwissenschaften. Francis Bacon (1561–1626) hatte die praktische Nutzanwendung der Naturwissenschaften im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts propagiert. In seinem Buch Political Arithmetick (1690) nimmt William Petty den Blickwinkel eines «Mediziners» ein, der sich nur «in Zahl, Gewicht oder Maß ausdrückt und nur solche Fälle betrachtet, die sichtbare Grundlagen in der Natur haben.» Jene Fälle, «die von den schwankenden Gemütern, Meinungen, Geschmäckern und Leidenschaften besonderer Menschen abhängen», überlässt er der Betrachtung durch andere. (Wir werden in Kapitel 5 sehen, dass solche Fälle den Fokus der marginalistischen Wertlehre bilden.) Die neue Wissenschaft muss quantitativ und empirisch sein, sie muss sich, so Quesnay, der Mathematik und der Statistik bedienen. Es geht um positive Ökonomik sowie darum, die Verhältnisse durch kluge wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Besseren zu verändern. Smith (und vor ihm Quesnay) konzipiert die neue Disziplin ausdrücklich als science of the legislator – als Wissenschaft des Staatsmannes.

Drittens, die während der Religionskriege in England und auf dem Kontinent gewonnene Überzeugung, ein sich selbst überlassenes System versinke notwendig in Bürgerkrieg und Anarchie, wird zurückgewiesen. Im Leviathan (1651) hatte Thomas Hobbes (1588–1679) argumentiert, im Naturzustand habe der Mensch ein natürliches Recht auf alles und werde angesichts seiner ungezügelten Begierden für seine Mitmenschen zum reißenden Wolf: homo homini lupus est. Der Naturzustand führt unweigerlich in einen Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes). Leviathan, der mit absoluter Macht ausgestattete absolutistische Staat, beende den Naturzustand und bewirke einen gesellschaftlichen Gleichgewichtszustand, indem er mit eiserner Faust die «Kinder des Stolzes» in Schach hält.

Nein, wenden Ökonomen jetzt ein: Bei einer auf Gewerbefreiheit und Freihandel beruhenden Wirtschaft handelt es sich (unter gewissen Umständen) um ein sich selbst regulierendes, homöostatisches System. Das Konzept des Gleichgewichts hält Einzug in die Vorstellungswelt der Ökonomen. Mehr noch: Eine solches System ermöglicht eine geschwindere Steigerung des gesellschaftlichen Reichtums als alle anderen Wirtschaftsordnungen, weil es Fleiß, Geschäftssinn und Erfindungsgabe anregt. Die Bedenken eines Hobbes seien unbegründet. Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même («Lasst sie nur machen, lasst es geschehen, die Welt dreht sich von alleine»), lautet die berühmte Forderung des Liberalismus.

Viertens, der Untersuchungsgegenstand ist eine auf Privateigentum an den natürlichen Ressourcen und produzierten Produktionsmitteln beruhende arbeitsteilige Wirtschaft, in der die Aktivitäten der zahlreichen Wirtschaftssubjekte über Märkte koordiniert werden. Diese sind interdependent, stehen also miteinander in Wechselbeziehung. Private Akteure interagieren in Verfolgung eigener Ziele auf eigene Rechnung, ohne zentrale Lenkung. Ein privat-dezentrales System kann allerdings nur dann bestehen, wenn es auf den Märkten zur Herausbildung von Preisen kommt, die alle im Zuge der Produktion anfallenden Kosten abdecken und darüber hinaus den Akteuren ein ausreichend hohes Einkommen sichern. Es geht um die Bedingungen der Reproduktion des Systems insgesamt. Das Herzstück der Klassik bildet daher die Erklärung marktvermittelter Koordination, der Preisbildung und der sich ergebenden Einkommensverteilung.

Fünftens, als Hauptquelle steigenden Wohlstands werden weder die Kolonisierung anderer Länder und Ausbeutung ihrer Ressourcen angesehen noch der vorteilhafte Fernhandel («Billig einkaufen, teuer verkaufen»), sondern die heimische Arbeit und Produktion und die Entwicklung der Produktivität der Arbeit. Das Hauptaugenmerk gilt reproduzierbaren Waren. Das Konzept des Reichtums bezieht sich nicht länger auf eine Bestands-, sondern auf eine Stromgröße und nimmt den modernen Begriff des Sozialprodukts vorweg: Eine Nation ist arm oder reich nach Maßgabe der Größe des von ihr während eines Jahres pro Kopf der Bevölkerung netto erzeugten Stroms an Gütern – des Bruttoprodukts abzüglich aller im Zuge der Produktion verbrauchten Güter (Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen sowie die notwendigen Lebensmittel der Arbeitskräfte). Quesnay spricht vom produit net, Adam Smith und David Ricardo von surplus oder neat produce.

Sechstens, die Gesellschaft ist unterteilt in verschiedene Klassen, deren Mitgliedern unterschiedliche Rollen im Prozess der Erzeugung, Verteilung und Verwendung des gesellschaftlichen Reichtums zukommen. Die Grundbesitzer beziehen für die Verleihung ihres Eigentums eine Pacht oder Rente: «sie ernten, wo sie nie gesät haben» (Smith). Tradierten feudalen Lebensweisen verhaftet, verwenden sie die Rente für aufwendigen Konsum. Sie sparen und investieren kaum, tragen also nicht nennenswert zur Kapitalbildung bei. Die Arbeiter besitzen außer ihrer Arbeitskraft fast nichts. Um sich und ihre Familien zu reproduzieren, müssen sie sich verdingen. Ihren Lohn geben sie für Nahrung, Kleidung und Behausung aus. Sie können nicht oder nur wenig sparen. Die Kapitaleigner oder «Masters» (Smith) sind die aufstrebende Klasse der Gesellschaft. Sie verfügen über Produktionsmittel, Geld- und Handelskapital. Im frühen Stadium sind sie zugleich Unternehmer – Eigentum und Kontrolle sind in einer Hand. (Später, mit dem Aufstieg von Aktiengesellschaften, wird Leitung und Kontrolle zunehmend Managern übertragen, und das sogenannte Principal-Agent-Problem kommt auf: Wie ist sicherzustellen, dass die Manager [die Agenten] im Interesse der Eigentümer [des Prinzipals] und nicht bloß im eigenen Interesse handeln?) Das Einkommen der Kapitaleigner ist der Profit oder Gewinn, die Differenz zwischen Verkaufserlösen und Produktionskosten, und im Fall von Geldkapital der Zins. Die Kapitaleigner sind in der Lage zu sparen und in Ausbau und Modernisierung des Produktionsapparats zu investieren, und die Konkurrenz setzt starke Anreize, dies auch zu tun.

Siebtens, unter Konkurrenz verstehen die klassischen Ökonomen Rivalität zwischen den Anbietern und Nachfragern einer Sache: Firmen konkurrieren miteinander um einen möglichst großen Absatz und Marktanteil, Arbeiter um Arbeitsplätze, Pächter um ein Stück Boden. Konkurrenz setzt voraus, dass die Verfügung über eine Sache nicht monopolisiert, sondern auf mehrere Akteure verteilt ist. Unter freier Konkurrenz, bei Smith das Ideal schlechthin, versteht man die Abwesenheit von Markteintritts- und Marktaustrittsschranken. Das mittelalterliche Zunftwesen, die Schollenpflichtigkeit des Landarbeiters oder ein durch Fürstengunst...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Inhalt5
Vorwort7
1. Frühes ökonomisches Denken12
Antike12
Scholastik17
Merkantilismus und Kameralismus18
Bedeutende Vordenker22
2. Ökonomische Klassik24
Charakteristika des klassischen Denkens24
François Quesnay30
Adam Smith31
David Ricardo36
John Stuart Mill42
Weiterentwicklung des klassischen Ansatzes43
3. Marx und die Sozialisten44
Karl Marx44
Wert- und Mehrwerttheorie45
Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate47
Zur Wirkung des Marxschen Werks49
4. Vom Aufstieg des Marginalismus51
Charakteristika des marginalistischen Denkens51
Vorläufer56
William Stanley Jevons58
Carl Menger60
Léon Walras63
5. Marshall und die Theorie des partiellen Gleichgewichts67
Partialanalyse68
Periodenanalyse68
Sraffas Kritik70
6. Utilitarismus, Wohlfahrtstheorie und Systemdebatte72
Francis Ysidro Edgeworth72
Vilfredo Pareto73
Arthur Cecil Pigou76
Kapitalismus oder Sozialismus?77
Der Markt als Entdeckungsverfahren79
7. Unvollkommener Wettbewerb80
Amerikanischer Institutionalismus80
Monopolistischer Wettbewerb82
8. Schumpeter und das Prinzip der schöpferischen Zerstörung84
Schöpferische Zerstörung85
Invention, Innovation, Imitation86
Lange Wellen86
Kredit und Banken87
9. Keynes und das Prinzip der effektiven Nachfrage89
Makrotheorie und -politik89
Kritik der Orthodoxie90
Das Prinzip der effektiven Nachfrage92
Der Multiplikator92
Zins, Geld und Beschäftigung93
Die «Keynesianische Revolution»95
10. Reaktionen auf Keynes96
Neoklassische Synthese96
Die lange Frist98
Postkeynesianische Theorie100
Neoklassisch-Keynesianische Synthese101
Monetarismus103
Neuklassische Ökonomik103
Neukeynesianer105
Neue Neoklassische Synthese106
11. Allgemeine Gleichgewichtstheorie und Wohlfahrtstheorie108
John Hicks108
Paul A. Samuelson109
Kenneth J. Arrow111
Amartya Sen113
12. Entwicklungen auf ausgewählten Gebieten115
Spieltheorie115
Kapitaltheorie116
Wachstumstheorie118
Raumwirtschaftstheorie120
Entwicklungsökonomik und Neue Wirtschaftsgeografie122
Public Choice-Theorie123
Verhaltensökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung123
Institutionenökonomik124
Finanzmarkttheorie124
Schlusswort125
Auswahlbibliographie126
Dank127
Personenregister127

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