Die Anfänge
70 n.Chr. | Zerstörung des Zweiten Tempels |
1862 | Moses Hess, Rom und Jerusalem |
1882 | Leon Pinsker, Auto-Emancipation |
1881/82 | Entstehung der Chibbat-Zion-Bewegung |
1882 | Gründung von Rischon le-Zion |
Seitdem der Tempel von Jerusalem nicht mehr existiert und seitdem es Juden in der ganzen Welt gibt, besteht ihre Sehnsucht nach einer Rückkehr ins »Heilige Land«: In der Liturgie zum Sabbat wird darum gebetet, dass Gott Jerusalem wieder aufbaue, und zum Pessachfest wird folgender Segen über die Mazzot gesprochen: »Dies ist das Brot der Armut, das unsere Väter im Lande Ägypten aßen. Jeder, der hungrig ist, komme und esse, jeder, der bedürftig ist, komme und feiere. Dieses Jahr hier, nächstes Jahr im Land Israel, dieses Jahr Knechte, nächstes Jahr frei.« Ebenfalls zum Pessach gehört der Wunsch, das Fest »nächstes Jahr in Jerusalem« begehen zu können. Diese Sehnsucht stellt kein politisches Programm dar, sondern gehört in den Bereich der messianischen Hoffnungen: Es wird erwartet, dass eines Tages der Messias kommen wird, um die alte Größe Israels wiederherzustellen.
Ebenfalls religiöser Natur waren die Zionslieder, die Juda Halevi im 12. Jahrhundert verfasst hat, und die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wanderungen frommer Juden ins Heilige Land: Auch sie hatten keinen politischen Charakter, sondern dienten der Erfüllung spiritueller Hoffnungen.
Die politische Hoffnung auf eine Heimstatt der Juden oder sogar auf einen jüdischen Nationalstaat kam erst im 19. Jahrhundert auf. Dabei waren vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend:
Zum einen entstanden als Folge eines allgemeinen Anwachsens antisemitischer Ressentiments zwischen den sechziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Forderungen nach einem jüdischen Siedlungsgebiet, in dem Menschen jüdischen Glaubens ohne Angst leben sollten. Dieses war die Folgerung aus der enttäuschten Hoffnung, Aufklärung und Emanzipation der Juden könnten zu einer gleichberechtigten Existenz von Juden und Nichtjuden in einem Staat führen.
Zum anderen verfehlten auch die nationalen Einigungsbewegungen in Deutschland und Italien und das Erwachen nationalen Denkens in Osteuropa ihre Wirkung auf die Juden nicht und führten zu einem jüdischen Nationalismus. Man wurde sich wieder mehr des eigenen Erbes bewusst und weigerte sich, dieses Erbe, verkörpert durch die hebräische Sprache und die jüdische Religion, aufzugeben, um länger der trügerischen Hoffnung einer Akzeptanz der Umwelt durch Anpassung an sie anzuhängen.
Ziel dieser neu entstandenen jüdischen Nationalbewegung war es, eine Nation wie jede andere zu sein, was zu einer dialektischen Spannung führte: Zum einen sollte diese Nation aus der eigenen Vergangenheit und Kultur schöpfen, zum anderen sollten die Unterschiede zu den anderen Nationen eingeebnet werden.
Geographisch konzentrierte sich die Sehnsucht nach einer jüdischen Nation recht schnell auf Palästina, das damals zum Osmanischen Reich gehörte. Die innere Schwäche dieses Reiches seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – man sprach gerne vom »kranken Mann am Bosporus« –, die noch durch territoriale Verluste auf dem Balkan verstärkt wurde, weckte bei den europäischen Großmächten das Interesse an seiner Aufteilung, aber auch die Sorge, was nach seinem Ende kommen könnte. So überlegten britische Politiker, ob nicht die Schaffung eines jüdischen Staates als Puffer zwischen dem Kern des Osmanischen Reichs, also der Türkei, und dem von Großbritannien beherrschten Ägypten wünschenswert sei. Der Grund dafür lag in der Annahme, dass ein solcher Staat aufgrund mangelnder politischer Beziehungen zu dieser Region ein neutrales Gebilde wäre.
Bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts forderte Mordecai Manuel Noah (1785–1851), der sich zunächst für einen jüdischen Staat in der Nähe von New York ausgesprochen hatte, eine Staatsgründung in Palästina. Die beiden Rabbiner Zwi Hirsch Kalischer (1795–1874, in Thorn wirkend) und Jehuda Chai Alkalai (1798–1878, in Semlin, heute zu Belgrad gehörend, tätig) hofften, mit der Rückkehr ins Heilige Land die messianische Zeit und die Erlösung des Volkes Israel einzuleiten. Dasselbe schrieb David Gordon (1831–1886) in Hamaggid, einer hebräischen Zeitschrift aus Lyck, die sich vor allem an die jüdischen Aufklärer in Russland wandte. Ziel dieser Aufklärer war einerseits die Erziehung des jüdischen Volkes zur eigenen Hochkultur, ausgedrückt durch die Verwendung der hebräischen statt der jiddischen Sprache, andererseits eine Öffnung zur Umgebungskultur. In den sechziger Jahren gründete Chaim Lorje (1821–1878) in Frankfurt an der Oder eine Gesellschaft für die Ansiedlung in Palästina.
Der Sozialist Moses Hess (1812–1875) äußerte 1862 in seinem Werk Rom und Jerusalem die Hoffnung, einen jüdischen Staat mit der Hilfe Frankreichs errichten zu können, der dann als ethisches und moralisches Vorbild für alle Völker dienen sollte. Dabei verband Hess die Idee eines jüdischen Staates mit der Einigung Italiens, indem er postulierte, dass nach der Gründung des italienischen Königreichs nur noch die nationale Frage der Juden ungelöst und insofern der Moment gekommen sei, diese Frage anzugehen. Bei den deutschen Juden stieß Hess mit seiner Idee eher auf Nichtbeachtung oder sogar auf Ablehnung, da sie eine Abkehr vom Konzept der Assimilation darstellte, das zu diesem Zeitpunkt vorherrschend war. Dieses Konzept ging von der Möglichkeit einer politischen und gesellschaftlichen Teilhabe aus, wenn die Religion zur reinen Privatsache würde. Dagegen zeigte sich der Historiker Heinrich Graetz (1817–1891) begeistert. Erst später sollten die Begründer des Zionismus Rom und Jerusalem würdigen.
Zur selben Zeit schrieb der hebräische Autor Perez Smolenskin (1840/42–1885) in seiner Zeitschrift Haschachar, die in Wien erschien und sich ebenfalls an die russischen Aufklärer wandte, über die geistigen Grundlagen des jüdischen Nationalismus.
In derselben Zeitschrift erschien in den 1870er Jahren ein Artikel von Elieser Ben-Jehuda (1858–1922, ursprünglich: Elieser Jitzchak Perelman), in dem Palästina als geistiges Zentrum für die nationale Wiedergeburt propagiert wurde. Mit dieser Wiedergeburt verknüpfte nicht zuletzt Ben-Jehuda eine Wiederbelebung der hebräischen Sprache, die er an die Bedürfnisse des modernen Lebens anpassen wollte, ohne die alten Wurzeln zu vernachlässigen. Dazu begann er mit der Arbeit am ersten modernen Wörterbuch des Hebräischen, das in Zukunft nicht nur als religiöse Sprache, sondern als Mittel der täglichen Kommunikation dienen sollte. Ben-Jehuda schuf neue Ausdrücke oder schenkte alten Begriffen eine neue Bedeutung. In diesem Bemühen war Ben-Jehuda so erfolgreich, dass man ihn heute als den Vater der modernen hebräischen Sprache betrachtet.
Nach den russischen Pogromen infolge der Ermordung des Zaren Alexander II. im Jahr 1881 ließen auch dort viele Juden die Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch eine fortgeschrittene Emanzipation und Assimilation fahren. Dieser Stimmung verlieh der Arzt Leon Pinsker (1821–1891) aus Odessa mit seiner auf Deutsch...