Nummer sieben
DER LETZE WUNSCH DES SCHRAUBENKÖNIGS
Jemand hatte mich gewarnt. «Ich hoffe für Sie, dass er einen guten Tag hat», orakelte der Jemand, und ich wollte wissen, was er damit meint. «Na ja», antwortete er, «der Kerl ist launisch. Manchmal hat er keine Lust. Dann sitzt er einfach nur da und schweigt. Sie hätten es leichter, wenn Sie eine Frau unter dreißig wären.»
Jetzt ist es so weit. Der launische Kerl hockt neben mir an einem runden Intarsientisch, und die Abendsonne, die sich in den Panoramafenstern des Büros spiegelt, taucht den Himmel in die Farben von Fünfhundertern. Hinter ihm stehen Modelle seiner fünf Privatjets. Die Originale parken auf seinem eigenen Airport. Er fliegt sie selbst und ist gerade von einem Businesstrip durch Asien zurück: von Schwäbisch Hall nach Shenyang, von Shenyang nach Tianjin, von Tianjin nach Shanghai, von Shanghai nach Colombo, von Colombo nach Chennai und von dort aus wieder in die Heimat. Das alles in dreizehn Tagen. Er residiert auf einem Schloss aus dem fünfzehnten Jahrhundert und lässt sich manchmal wie ein Feudalherr porträtieren. Er hat sechzehntausend Kunstwerke gesammelt und vierzehn Museen auf der ganzen Welt gegründet. Er besitzt die «Vibrant Curiosity», eine fünfundachtzig Meter lange Hundert-Millionen-Dollar-Yacht mit einem gläsernen Atrium, einem eigenen Beach-Club und vierzehn Gästezimmern. Er hat mehrere Ehrendoktorwürden und könnte mit seinen Bundesverdienstkreuzen einen Tannenbaum schmücken. Er beschäftigt fünfundsechzigtausend Mitarbeiter. Sein Unternehmen macht zehn Milliarden Euro Umsatz. Es liegt an einer Straße, die seinen Namen trägt. So also fühlt es sich an, mit einem der zehn reichsten Deutschen Kaffee zu trinken.
Die Top Ten haben drei Dinge gemeinsam: Sie sind Milliardäre, sie kommen aus Familienunternehmen, und sie verstecken sich irgendwo hinter hohen Mauern und gepanzertem Glas. Deshalb ranken sich so viele Legenden um sie. Nummer eins ist ein Phantom. Es gibt nicht mal ein aktuelles Foto von ihm. Trotzdem habe ich mir den Spaß erlaubt und bei Aldi Süd ein Interview mit Karl Albrecht angefragt. Minuten später kam die Absage. Der Vierundneunzigjährige stehe grundsätzlich nicht zur Verfügung, hieß es. Bei Nummer zwei, der Erbengemeinschaft seines Bruders Theo Albrecht, Aldi Nord, ist es ähnlich. Nummer drei ist ein gewisser Dieter Schwarz. Ihm gehören Lidl und Kaufland, und soweit ich weiß, sind nur zwei Aufnahmen von ihm bekannt: ein uralter Schnappschuss mit Tropfenbrille und gepunkteter Krawatte und ein Paparazzibild vor einem Buchsbaum in einem Hauseingang. Auf Rang vier ist ein schweigsamer Parfum- und Putzmittelclan. Die Reimanns stecken hinter Calgon, Cilit Bang und Clearasil, gelten als begeisterte Skifahrer und leidenschaftliche Steuertrickser. Susanne Klatten ist Nummer fünf. Die BMW-Erbin geriet ins Licht der Öffentlichkeit, als ein Liebhaber sie mit unfeinen Fotos und Videos erpresste. Der Sprecher von Nummer sechs rief mich persönlich zurück, um sich über mich zu amüsieren. «Ihnen ist doch wohl klar», sagte die Stimme am Telefon, «dass Michael Otto ganz selten Interviews gibt. Warum sollte er ausgerechnet mit Ihnen reden?» Auf diese Frage fand ich keine Antwort und schwieg. «Ach, ich weiß auch nicht», schob er nach, «aber irgendwie fände ich es super. Ich frag ihn mal, ob er’s macht.» Leider machte es der Katalogkönig nicht. Und Nummer sieben? Ließ mich zappeln. Wochenlang. Dann sagte er zu, aber nur unter einer Bedingung: Ich müsse ein halbes Jahr auf den Termin warten.
Jetzt sitzt er also neben mir und tut etwas, das er eigentlich hasst. Er schwätzt. Ich muss einen guten Tag erwischt haben. Einen sehr guten. «Net schwätze, schaffe!», diktiert er seinen Angestellten gewöhnlich, aber heute ist er selbst kaum zu bremsen. «Ich glaube, er mag Sie», flüstert die Pressesprecherin, und es klingt, als würden wir über einen Berggorilla, einen Schneetiger oder eine andere seltene Art sprechen. Die Assoziation ist gar nicht so abwegig. Noch nie bin ich einer solchen Kreatur, der Spezies Milliardär, persönlich begegnet. Weltweit gibt es nur etwa fünfzehnhundert Exemplare, doch ihre Gattung ist alles andere als bedroht. Gerade in Krisenzeiten vermehrt sie sich ganz prächtig.
Ich versuche zu erkennen, ob man dem Geschöpf Geld und Macht in den Augen ansehen kann, finde darin aber etwas anderes: Charme. Der Superyacht-Kapitän, dessen Büste im Eingangsbereich der Unternehmenszentrale steht, ist ein kleiner Mann mit Lachfalten und schütterem Grau, den ich in die Wange knuffen möchte, wenn er mir erzählt, dass er am liebsten seine Linsen mit Spätzle und Saitenwurscht mag. «Aber nicht diesen Drei-Sterne-Pipifax und diese Firlefanz-Kocherei, wo alles in sieben Farben auf dem Teller brilliert, und schmecken tut’s dann grausam.» Wenn ich jedoch zu einer Frage über Gerechtigkeit ansetze, seufzt er nur und antwortet mit Darwin. Dann spricht er in knappen Sätzen von Auslese, Reinigungsprozessen und Survival of the Fittest. Das ist seine kalte Seite. Nummer sieben ist ein Wechselblüter.
Professor Dr. h.c. mult. Reinhold Würth steht an der Spitze der Nahrungskette. Auf seinem Gebiet ist er der Stärkste der Starken. Einmal im Monat läuft er in leicht gebücktem Gang durch sein neues Logistikzentrum und freut sich, als würde er mit einer elektrischen Eisenbahn spielen. Dann sieht er zu, wie Roboter zwischen haushohen Regalen herumsausen und Päckchen packen, die zu Hunderten und Tausenden auf Laufbändern kreuz und quer durch die Hallen flitzen. Er hätte sich niemals träumen lassen, dass ein kleiner Schraubenhandel solche Ausmaße annehmen kann. Würth musste ihn von heute auf morgen übernehmen, als sein Vater an einem Herzinfarkt starb. «Neunzehn war ich damals», erzählt er, «und jetzscht bin ich immer noch da. Mensch, Meier.» Wir schreiben das Jahr 1954, und die junge Bundesrepublik erlebt drei Wunder: das Wunder von Bern, das Wirtschaftswunder und das Wunder von Künzelsau, einem Dorf, das irgendwo im Bermudadreieck zwischen Mulfingen, Ingelfingen und Kupferzell liegt. Würth verschraubt und verdübelt den Wiederaufbau und macht aus einer Klitsche mit zwei Mitarbeitern einen Global Player. Bald beliefert er Dachdecker, Schmiede, Elektriker, Maurer und Mechaniker mit allem, was sie brauchen. Vermutlich gibt es kein Haus, das nicht von seinen Schrauben zusammengehalten wird. Der kleine Mann aus der Provinz ist Weltmarktführer in einer Branche, die sich «Befestigungs- und Montagetechnik» nennt. Nicht sexy, aber lukrativ.
Vielleicht ist es unverschämt zu fragen, ob er mit seinen sechzehntausend Picassos, Chagalls und Lichtensteins etwas zu kompensieren hat, aber Würth widerspricht nicht. Wer sein Vermögen mit Spax-Schrauben, Sprühkleber, Parkettleim, Spreizdübeln, Stechbeiteln, Flachsteckern, Nietgeräten und Lötpistolen macht, brauche manchmal etwas fürs Herz. Allerdings scheint Nummer sieben mehr Schwabe als Schöngeist zu sein. Er deutet auf ein Fenster. «Da draußen steht ’ne Plastik von Eduardo Chillida. Die hab ich mal für anderthalb Millionen Mark gekauft. Wenn Sie die heute verauktionieren, bringt die vier, fünf, sechs, sieben, acht Millionen Euro. So gibt es viele Fälle, ne?» Ich sehe ins Freie. Seine wertvolle Kunst ist ein Ungetüm aus drei rostigen Beinen, die sich ineinander verschlingen.
Es ist doch seltsam, welche Mondpreise auf dem Markt gezahlt werden. Nicht nur für einen Chillida oder einen Sachs. Die Immobilienblase hat eindrucksvoll gezeigt, dass Häuser und Wohnungen nicht immer die sicherste Geldanlage sind, und nun investieren die Reichen gerne in Gemälde und bizarre Skulpturen. Übrigens darf jeder Würth-Mitarbeiter sein Büro mit einer Malerei aus der Sammlung des Schraubenkönigs schmücken. Der Milliardär glaubt, dass die Schönen Künste seinen Angestellten etwas verleihen, das er «Sozialprestige» nennt. Als die Pressesprecherin bei Würth einstieg, hing in ihrem Büro ein Werk in Knallorange. Sie ließ es gegen ein anderes Meisterstück austauschen. Es ist pechschwarz.
Die Würth-Gruppe ist purer Darwinismus. Sie nährt sich aus dem Konkurrenzkampf ihrer dreißigtausend Vertreter, die täglich ausschwärmen und nur zwei Ziele haben: Verkaufen und Wegbeißen. Den Stärkeren belohnt die Evolution mit einem größeren Dienstwagen, einem Bonus oder einer Incentive-Reise. Der Schwächere fliegt. Wenn die Vertreter Pech haben, begleitet sie das Alphatier höchstpersönlich auf ihren Touren. Würth hat seinen Außendienstlern lange untersagt, bei ihren Kundenbesuchen einen Laptop zu benutzen. Sie sollten den Schlossern, Dachdeckern und Maurern gefälligst in die Augen sehen und nicht in ihr «Rechenkäschtle» starren. «Aber mittlerweile setzscht sich dann doch die Erkenntnis durch, dass ein Computer leichter isch als ein Acht-Kilo-Katalog.»
Von einer dieser Fahrten ist ein Zwischenfall überliefert, der den Patriarchen besser beschreibt als alles andere. Er steigt am frühen Morgen in einen Vertreterwagen, und der Verkäufer düst erst mal zur nächsten Tankstelle. Zehn Minuten dauert der Stopp, und Würth wird nervös. Wenn dreitausend Außendienstler jeden Tag zehn Minuten Treibstoff nachfüllen, rechnet er, verschenken sie zwei Prozent ihrer Arbeitszeit. Damit bezahlt er also sechzig Vertreter nur fürs Tanken. Seitdem gibt es eine neue Dienstanweisung: Boxenstopps nur vor oder nach der Schicht.
Obwohl sich Würth schon lange aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, schreibt er seinen Verkäufern gelegentlich siebenseitige Manifeste mit weisen Ratschlägen wie «Ohne Fleiß kein Preis» und «Morgenstund hat Gold im Mund». Zitat:
Unsere Mitarbeiter/innen im...