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E-Book

Geschriebene Identität – Lebenslinien in Tagebüchern

AutorIrmela Amelie Sperl
VerlagHerbert Utz Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl178 Seiten
ISBN9783831609871
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Warum schreiben Menschen Tagebuch? Was können uns eigene und fremde Tagebücher lehren über uns selbst und unsere Geschichte?
Auf welche Weise haben moderne Techniken auch in Tagebücher Einzug gehalten, und wie kommt es, dass sie sowohl als »Schatzkästchen« als auch als »Mülleimer« bezeichnet werden? Um diese Fragen beantworten zu können, hat die Autorin Tagebuchschreibenden in einer qualitativen Online-Studie quasi über die Schulter geschaut und gleichzeitig den privaten Raum, der die Tagebücher ja auch ausmacht, respektiert. Ziel der Arbeit war es, Tagebuchschreibende nach ihrer »Biografie des Schreibens« zu befragen und sie die individuelle Geschichte ihrer Aufzeichnungen erzählen zu lassen.
Es zeigt sich, dass Männer und Frauen auf unterschiedliche Weise die variable Strategie des Tagebuchschreibens nutzen: für emotionale Entlastung, als kreatives Werkzeug und als Raum für Eigenkommunikation und -reflexion. Das Tagebuch als unbestechlicher Zeitzeuge bietet darüber hinaus beim Lesen die Möglichkeit zur Integration vergangener Selbste und zu aktiver Identitätsarbeit.
Das vorliegende Buch gibt interessante Einblicke in die verschiedenen Variationen des Tagebuchschreibens im Lauf der Geschichte, ergänzt durch Informationen über die Arbeit des Tagebucharchivs in Emmendingen. Es lässt uns an den Erfahrungen von heutigen Tagebuchschreibern teilhaben und ermutigt auf diese Weise, auch selbst damit zu experimentieren.

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Leseprobe
2. Theoretischer Rahmen zum Thema Tagebuch (S. 7-8)

Der theoretische Rahmen zum Thema Tagebuch umfasst folgende Punkte: − Eine Darstellung bisheriger Forschungsarbeiten, und daraus abgeleitet die Formulierung meiner Fragestellung (2.1.). − Die Beschreibung der Merkmale eines Tagebuchs sowie der unterschiedlichen Tagebuchformen und -funktionen in der heutigen Zeit (2.2.). − Die historische Entwicklung von Tagebüchern und einige Sonderformen sind Thema im Abschnitt „Geschichte der Tagebücher“ (2.3.). Außerdem habe ich hier in einem Exkurs das deutsche Tagebucharchiv als Institution beschrieben, die diese Geschichte zugänglich macht. − Die Darstellung narrativer Identität im Zusammenhang mit Tagebüchern, sowie die narrativen Besonderheiten, die sie auszeichnen (2.4.).

2.1. Bisherige Forschung


In diesem Abschnitt möchte ich einen kurzen Überblick über Forschungsarbeiten geben, die sich allgemein mit Schreiben oder auf methodisch unterschiedliche Herangehensweise mit DiaristInnen beschäftigt haben. Auf einige Untersuchungen zum Thema Tagebuchschreiben möchte ich dann näher eingehen und darauf bezogen auch meine Fragestellung formulieren. Die allgemeinen Auswirkungen des Schreibens auf den gesundheitlichen Zustand der SchreiberInnen hat Pennebaker (vgl. 1997a, 1997b, 1999) wiederholt untersucht. Seine kontrollierten Studien über die allgemeinen Effekte von Schreiben und auch Tagebuchschreiben ergaben, dass sich Schreiben über problematische Ereignisse überwiegend positiv auswirkt. Medikamentengebrauch, das Erleben von körperlichen Schmerzen und depressive Gefühle nahmen ab, das Selbstwertgefühl gestärkt.

Zwar verschlechterte sich die Stimmung direkt nach dem Schreiben bei einigen Probanden, langfristig verbesserte sich jedoch ihr Gesundheitszustand und die psychische Verfassung stabilisierte sich. Soff (1989) hat anhand einer Tagebuchsammlung individuelle Entwicklungsverläufe in Frauentagebüchern unterschiedlicher Generationen analysiert. Auf diese Weise konnte sie die biografische und psychologische Entwicklung der Schreiberinnen über mehrere Jahre hinweg verfolgen, und außerdem einen generationenbezogenen Vergleich sowie themenorientierte Vergleiche der Inhalte durchführen.

Diese umfassten die Bereiche Liebe und Freundschaft, Selbst, Lebensplanung und Beruf, Religion, Natur, Politik und Zeitgeschehen, Aktivitäten und Interessen. Melchior (1998) hat Tagebücher im Rahmen eines Projekts zur Erforschung der Sozialisation in Frauentagebüchern eine Untersuchung mit biografietheoretischem Schwerpunkt durchgeführt. In einer aktuellen Arbeit hat Kochinka (2008) mit psychologischem und kulturtheoretischem Fokus zwei Tagebücher von jungen Mädchen sequentiell analysiert und qualitativ als Fallstudien ausgewertet.

Die folgenden Studien erschienen mir besonders relevant zum Thema „Tagebuchschreiben“, daher habe ich die jeweiligen Ergebnisse hier genauer ausgeführt: Mithilfe statistischer Erhebungsverfahren hat Zinnecker (1985) im Rahmen der Shell-Studie „Jugendliche und Erwachsene“ Aussagen von Jugendlichen zum Thema Tagebuchschreiben untersucht. Insgesamt gaben 11 % der befragten männlichen und 45 % der weiblichen Jugendlichen an, Tagebuch zu schreiben,viele von ihnen hatten keine höhere Schulbildung. 22 % der männlichen und 70 % der weiblichen Befragten hatten schon irgendwann in ihrem Leben Tagebuch geschrieben (ebd., S. 310 ff.)."
Inhaltsverzeichnis
Vorwort7
Inhaltsverzeichnis11
1. Einleitung14
2. Theoretischer Rahmen zum Thema Tagebuch20
2.1. Bisherige Forschung21
2.2. Tagebücher und ihre Erscheinungsformen25
2.2.1. Typische Merkmale25
2.2.2. Formen von Tagebüchern27
2.2.3. Abgrenzung zu Brief und Autobiografie30
2.3. Geschichte der Tagebücher32
2.3.1. Historische Entwicklung32
2.3.2. Besondere Formen von Tagebüchern39
2.3.3. Exkurs: Das deutsche Tagebucharchiv (DTA)40
2.4. Tagebücher und narrative Identität45
2.4.1. Allgemeines45
2.4.2. Narrationen und ihre Bedeutung47
2.4.3. Identität und Narrationen49
2.4.4. Die zeitliche Perspektive narrativer Identität52
2.4.5. Narrative Besonderheiten in Tagebüchern53
3. Methodisches Vorgehen59
3.1. Gedanken zum qualitativen Forschungsdesign60
3.2. Entwicklung der Methode62
3.3. Online-Forschung65
3.4. Datenerhebung70
3.4.1. Gestaltung des Fragebogens70
3.5. Weitergabe der Fragebögen74
3.5.1. Durchführung des zusätzlichen Interviews75
3.6. Auswertungsschritte77
3.6.1. Zirkuläres Dekonstruieren77
3.6.2. Qualitätssicherung81
4. Ergebnisse83
4.1. Vorüberlegungen84
4.2. Auswertung der Metaphern85
4.3. Aspekte des Schreibens86
4.3.1. Allgemeines über die Tagebuchschreiber86
4.3.2. Spezielle Merkmale88
4.3.3. Tagebuchbiografie95
4.3.4. Bedeutung des Tagebuchschreibens98
4.3.5. Kreativität108
4.3.6. Auswertung nach Gruppen112
4.4. Lesen und Erinnern126
4.4.1. Gedächtnis127
4.4.2. Lebendige Vergangenheit129
4.4.3. Die Ambivalenz des Erinnerns133
4.4.4. Die Begegnung mit dem früheren Ich137
5. Geschriebene Identität142
5.1. Zusammenfassung der Ergebnisse143
5.2. Narrative Möglichkeiten im Tagebuch145
5.2.1. Narrative Freiheit145
5.2.2. Die räumliche Dimension der Schrift146
5.2.3. Narrative Kontinuität146
6. Diskussion149
6.1. Diskussion des methodischen Vorgehens150
6.2. Diskussion der Fragestellung153
6.3. Ausblick157
6.4. Diskussion zu Tagebuch und Identität160
Literaturverzeichnis163
Anhang172

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