1 Gesundheit im Kindesalter
In diesem Kapitel werden zunächst rechtliche Rahmenbedingungen zum Thema Gesundheit dargestellt, anschließend wird auf die Begriffsklärung und Definitionen von Gesundheit eingegangen. Es folgen verschiedene Ansätze und Modelle, die sich mit Bedingungen von Gesundheit, deren Herstellung und Aufrechterhaltung beschäftigen. Zu den Einflussfaktoren, die sich auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden von Menschen auswirken, gehören Determinanten wie beispielsweise der sozioökonomische, der familiäre Status oder auch der Migrationshintergrund. Die Bedeutung ausgewählter Determinanten auf die gesundheitliche Lage wird unter Heranziehung von Studienergebnissen präsentiert. Es folgt ein kurzer Überblick über die allgemeine gesundheitliche Lage von Kindern im Vorschulalter und abschließend wird das Beschriebene zusammenfassend diskutiert.
1.1 Recht auf Gesundheit
In Artikel 25 der Menschenrechte wird das Recht eines jeden Menschen »auf eine Lebensführung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet«, formuliert.
In der 1989 verabschiedeten UN-Kinderrechtskonvention verpflichten sich Staaten dazu, alles zu tun, um Kindern menschenwürdige Lebensbedingungen zu ermöglichen. Das grundlegende Recht auf Leben umfasst dabei das Überleben von Kindern, ihr körperliches und seelisches Wohl sowie ihr gesundes Aufwachsen. So wird in Artikel 3 Abs. 1 festgehalten, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist und in Artikel 6 Abs. 2, dass die Vertragsstaaten das Überleben und die Entwicklung des Kindes in größtmöglichem Umfang gewährleisten. Das Recht des Kindes auf ein Höchstmaß an erreichbarer Gesundheit wird in Artikel 24 der Kinderrechtskonvention aufgegriffen:
»Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird« (§24 Abs. 1).
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 beschrieben. Es schützt Menschen vor Eingriffen, welche die Gesundheit beeinträchtigen.
Daneben wird der Gesundheitsschutz von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches und in weiteren Rechtstexten festgehalten. Zum Beispiel wird im Kinder- und Jugendhilfegesetz das Recht von Kindern auf Förderung ihrer Entwicklung (SGB VIII §1) aufgezeigt, und Aufgaben der Jugendhilfe sind die Förderung von Kindern und Jugendlichen in »ihrer individuellen und sozialen Entwicklung« (Abs. 3 S. 1), die Vermeidung und der Abbau von Benachteiligungen sowie der Schutz »vor Gefahren für ihr Wohl« (§1 Abs. 3 S. 3).
Es besteht somit ein Regelwerk von rechtlichen Rahmenbedingungen, mit deren Hilfe die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefördert, aufrechterhalten, Risiken vermieden oder gemindert (s. auch Präventionsgesetz in Kapitel 2.3.1 in diesem Buch) sowie bei Vorliegen von physischen und psychischen Beschwerden, Krankheiten und Störungen eine Heilung oder Linderung bewirkt werden soll.
1.2 Definition von Gesundheit
Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als einen »Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen« (WHO, 1946). Gewinnbringend ist an dieser Definition der WHO, dass Gesundheit als eigenständiger positiver Zustand und das subjektive Wohlbefinden von Menschen bezogen auf körperliche, geistig-seelische Aspekte in der sozialen Einbettung betrachtet werden. Es wird also keine reine Negativdefinition, die Abwesenheit von Krankheit, formuliert. Zu kritisieren ist, dass der Anspruch eines vollkommenen Wohlbefindens illusionär und zugleich auch deterministisch ist, da neben der Annahme des Zustandes völligen Wohlbefindens impliziert wird, dass es diesen statischen Zustand anzustreben gilt (Klotter, 2009). Darüber hinaus ist das »völlige Wohlbefinden« nur schwer zu definieren beziehungsweise zu operationalisieren. Im Gegensatz zu einem statischen Zustand muss Gesundheit als ein dynamischer Prozess verstanden werden, den es immer wieder von einem aktiven, über Regulations-, Adaptions- und Bewältigungsmechanismen verfügenden Menschen herzustellen gilt (vgl. Antonovsky, 1997).
Konsequenterweise modifizierte die WHO die Gesundheitsdefinition und fasst sie nun zusammen als »ein positiver funktioneller Gesamtzustand im Sinne eines dynamischen biopsychologischen Gleichgewichtszustands, der erhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muss« (WHO, 1986). In dieser Beschreibung wird Gesundheit als ein Pol auf einem Kontinuum gesehen, auf dem Menschen sich körperlich, geistig-seelisch und sozial mehr oder weniger wohl fühlen und sich hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung sowie ihrer Selbstverwirklichung unterscheiden.
In anderen Gesundheitsdefinitionen gewichten Autoren Aspekte wie die Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung, Flexibilität und Anpassung sowie Gesundheit als Gleichgewichtzustand unterschiedlich (Franke, 2012).
Eine konsensfähige Definition stammt von Hurrelmann und Richter (2013). Danach bezeichnet Gesundheit
»den Zustand des Wohlbefindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt«.
In der Definition von Hurrelmann und Richter (2013) wird deutlich, dass Menschen ihre Gesundheit kontinuierlich aktiv herstellen, indem sie innere und äußere Anforderungen bewältigen und in Einklang zu bringen versuchen. Die individuelle (Bewältigungs-)Leistung des Individuums angesichts von Risiken unter Heranziehung von Ressourcen und unter Einbeziehung der gesellschaftlichen und sozioökonomischen Faktoren wird betont. Damit wird sowohl eine positive Sichtweise auf Gesundheit (Wohlbefinden und Lebensfreude) präsentiert und ebenfalls die interagierenden inneren und äußeren Bedingungsfaktoren zur Herstellung und Aufrechterhaltung dieser beschrieben.
1.3 Modelle und Theorien zur Gesundheit
Gesundheit ist ein hypothetisches Konstrukt, dessen Bedeutung anhand von theoretischen Modellen analysiert werden soll. Dazu werden im Folgenden Modelle vorgestellt, die Gesundheit mit ihren gesellschaftlichen Bezügen erklären und einzubetten versuchen, die die empirische Forschung angeregt haben und aus denen sich Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention ableiten lassen. Es handelt sich um das salutogenetische Modell, subjektive Theorien von Gesundheit, den Schutzfaktoren-, ressourcenorientierten und Resilienzansatz sowie den Capability- oder Verwirklichungschancen-Ansatz, der als Erklärungsansatz über die genannten Gesundheitsmodelle hinausgeht.
1.3.1 Salutogenetisches Modell von Antonovsky
In seinem Modell zur Salutogenese bzw. zur Gesundheitsentstehung beschäftigt sich Antonovsky (1979, 1997) mit der Fragestellung, was Menschen trotz vieler gesundheitsgefährdender Einflüsse, auch unter schwierigen Lebensbedingungen gesund erhält. Er setzt sich mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit auseinander und geht von einem Kontinuum von Gesundheit und Krankheit aus. Krankheiten, Leiden und Tod sind dem menschlichen Leben inhärent, und jeder Mensch ist andauernd vielfältigen Stimuli ausgesetzt, die eine kontinuierliche Anpassung und aktive Bewältigung erfordern. Von Antonovsky (1997) werden die beiden Endpunkte des Kontinuums Gesundheit und Wohlbefinden (Health-Ease) und Krankheit bzw. körperliches Missempfinden (Dis-Ease, HEDE-Kontinuum) unterschieden, auf dem sich die Menschen als mehr oder weniger gesund einordnen können. Das bedeutet, dass selbst schwer kranke Menschen über gesunde Anteile verfügen. Wichtig ist somit die Verortung auf dem HEDE-Kontinuum und nicht eine dichotome Unterscheidung in gesund oder...