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Gesundheitsförderung in der Schule

AutorWolfgang Dür
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl265 Seiten
ISBN9783456945699
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Wolfgang Dür
Gesundheitsförderung in der Schule
Empowerment als systemtheoretisches Konzept und seine empirische Umsetzung
Studien zur Gesundheits- und Pflegewissenschaft. 2008. 264 S., 22 Abb., 20 Grafiken, Kt
ISBN: 978-3-456-84569-2


Der Schlüssel zur schulischen Gesundheitsförderung ist die Stärkung von Kindern und Jugendlichen gegenüber Gesundheitsgefahren.

Empowerment ist ein Schlagwort in der Gesundheitsförderung. Gemeint ist die «Ermächtigung» jener Bevölkerungsteile, die von sich aus zu keinem selbst bestimmten Leben finden und keinen Einfluss auf ihre Lebensumstände ausüben könnten. Neben Minderheiten, MigrantInnen, Menschen mit besonderen Herausforderungen oder in unterprivilegierten Lebenslagen sind vor allem Kinder und Jugendliche angesprochen.

Um Empowerment als theoretisches und praktisches Konzept für die Schule besser nutzbar zu machen, wird die Stellung der SchülerInnen in den pädagogischen und didaktischen Kommunikationen, deren Einfluss auf die Gesundheit und die Bedeutung der Führungsleistung der SchulleiterInnen untersucht. Empowerment wird dabei im Unterschied zu Trivialisierung und Entmutigung als eine basale Leistung der Schule verstanden.

Gesundheitswissenschaften - Studien
Prävention und Gesundheitsförderung

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis und Vorwort
  2. 1. Einführung in das Thema und Problemstellung
  3. 2. Systemtheoretische Grundlegungen
  4. 3. Erziehung als soziales System
  5. 4. Gesundheitsförderung und Empowerment in der Schule
  6. 5. Empowerment in der Schule und die Gesundheit der SchülerInnen. Ergebnisse der österreichischen Studie
  7. 6. Behörde, Familienbetrieb oder Schule. Drei Schulen im Vergleich
  8. 7. Resümee: Empowerment, Gesundheit und Schulerfolg
  9. Literatur
Leseprobe
2. Systemtheoretische Grundlegungen (S. 51-52)

2.1. Die konstruktivistischen Grundlagen der Systemtheorie

Die Systemtheorie in der Form und Ausarbeitung durch Niklas Luhmann ist die umfassendste und tiefgründigste soziologische Theorie, die derzeit – alle Klassiker eingeschlossen – verfügbar ist, und weist mit ihren vielfältigen Bezügen zu Problemstellungen des „alteuropäischen Denkens", wie Luhmann selbst häufig zu schreiben pflegte, und den dafür angebotenen Lösungen weit über die Disziplingrenzen der Soziologie hinaus. Sie gilt jedoch als hochabstrakt und schwer verständlich, weshalb einleitende Bemerkungen zu ihren theoretischen Grundlagen notwendig erscheinen. Die erste Formulierung des gewissermaßen abstrakten Skelettes der Theorie hat Luhmann mit dem Werk „Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie" (Luhmann 1984) vorgelegt, mit dem er seine eigenen Arbeiten zu strukturfunktionalistischen Grundfragen und zur Systemtheorie von Talcott Parsons um zumindest drei wesentliche theoretische Entwicklungen ergänzt hat.

Dieser Umbau der älteren Systemtheorie, durch den sie – wiederum in Luhmanns eigenen Worten – „auf die Höhe ihrer Zeit" gebracht wird, verdankt sich allerdings wissenschaftlichen Entwicklungen, die außerhalb der Soziologie, vor allem in Physik, Biologie, Mathematik und Kybernetik stattgefunden haben, und ist insofern als der Mitvollzug jenes Paradigmenwechsels zu verstehen, den die Wissenschaften im 20. Jahrhundert im Zuge der Entwicklung der so genannten Wissensgesellschaft (Stehr 2001, Bittlingmayer 2005) insgesamt durchlaufen haben.

Alle drei angesprochenen Theorieangebote gelten als Kernstücke des modernen Konstruktivismus: das ist die Kybernetik zweiter Ordnung von Heinz von Foerster (Foerster 1993, Schmidt 1993), das Formenkalkül des Mathematikers George Spencer-Brown (1997) und die logische Figur der Autopoiesis der beiden Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela (Maturana &, Varela 1987). 29

2.1.1. Der Beobachter, Kybernetik zweiter Ordnung

Die erste wesentliche Theorieentscheidung Luhmanns besteht in der Ausarbeitung der gesamten Theorie im Sinne einer operativen – im Gegensatz zu einer kategorialen, onto logischen oder transzendentalen – Logik, was durch die „Entdeckung des Beobachters" (Baecker 1993:17) und dessen Bedeutung für die wissenschaftliche Erkenntnis der Welt spätestens seit Einstein unumgänglich geworden ist. Spätestens, weil sich diese Entdeckung schon lange angekündigt hatte: schon Hegel hatte festgestellt, dass Erkenntnis nicht durch ein Subjekt gegenüber einer objektiven Wirklichkeit stattfinden kann, sondern sich immer innerhalb der Wirklichkeit und als Teil derselben vollziehen muss (Hegel 1979:44). 30 Das Denken muss daher Raum und Zeit in Anspruch nehmen und alles, was man an physikalischen, biologischen etc. Bedingungen benötigt, um darin zu leben. Seine eigene Raumzeitlichkeit sowie sein Verhältnis zur Raumzeitlichkeit des beobachteten Objektes stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen der Beobachter überhaupt Beobachtungen durchführen kann.

Das Problem mit dem Beobachter ist daher ein doppeltes: zum einen verfügt er im Sinne der Kategorien der Vernunft Immanuel Kants über eine eigene Beobachtungslogik, die mit der Struktur ihres Gegenstandes, des „Dinges an sich", nicht übereinstimmen muss, an dieser vielleicht sogar völlig vorbeizielt. Zum anderen – und das zerstört die Möglichkeit des transzendentalen Subjekts 31 – kann der Beobachter nicht anders, als innerhalb der Welt und der Geschichte an einem ganz bestimmten Punkt zu stehen und daher immer eine jeweils höchst eigenwillige Perspektive einzunehmen, die sich von den Perspektiven anderer Beobachter unterscheidet. Dadurch ist nicht nur fraglich, inwieweit seine Beobachtungen mit den Objekten übereinstimmen, die er beobachtet, sondern auch, inwieweit sie mit den Beobachtungen anderer Beobachter übereinstimmen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis und Vorwort8
1. Einführung in das Thema und Problemstellung14
1.1. Vulnerable Gruppen und Gesundheitsrisiken als Herausforderungen für die Schule14
1.2. Zur Größenordnung der Gesundheitsprobleme bei Kindern und Jugendlichen20
1.2.1 Körperliche Gesundheit und Funktion21
1.2.2. Gesundheitsverhalten24
1.2.3. Psychische Probleme, Kompetenzen und Ressourcen27
1.3. Die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen und soziale Ungleichheit, die Familie und Umweltgerechtigkeit31
1.3.1 Soziale Ungleichheit32
1.3.2 Familie und Gesundheit34
1.3.3. Ökologische Faktoren und Umweltgerechtigkeit35
1.4. Die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen und die Rolle der Schule36
1.4.1. Die ökologischen Bedingungen in der Schule37
1.4.2. Die psychosozialen Bedingungen des Schullebens38
1.4.3. Die Bedingungen in den Lehr-/Lernprozessen40
1.4.4. Zusammenfassung und offene Fragen43
1.5. Erfahrungen aus der Praxis der Gesundheitsfördernden Schulen46
1.6. Forschungsfragen: Empowerment als Konzept für die Untersuchung des Zusammenhangs von Gesundheit und Schule, Gesundheitsförderung und Schulentwicklung51
2. Systemtheoretische Grundlegungen52
2.1. Die konstruktivistischen Grundlagen der Systemtheorie52
2.1.1. Der Beobachter, Kybernetik zweiter Ordnung53
2.1.2 Die Gesetze der Form55
2.1.3. Autopoiesis58
2.1.4. Nicht-triviale Maschinen59
2.2. Soziale Systeme in der modernen Gesellschaft63
2.2.1. System/Umwelt63
2.2.2. Operationsmodi64
2.2.3. Soziale Systeme und Selbststeuerung66
2.2.4. Codierung, Kommunikationsmedien und symbiotische Symbole69
2.2.5. Funktionale Differenzierung, Inklusion und Individualität72
3. Erziehung als soziales System76
3.1. Sozialisation und Erziehung77
3.2. Die Rolle der Selektion79
3.3. Codierung über die Operation der Vermittlung83
3.4. Die Rolle der Didaktik als professionelle Form der Vermittlung85
3.5. Das Technologiedefizit des Erziehungssystems, die reformpädagogischen Bestrebungen und die Prozessqualität des Unterrichts89
3.6. Vermittlung als Konstruktionsprozess – lerntheoretische Annahmen94
3.6.1. Die behavioristische Lerntheorie96
3.6.2. Die kognitivistische Lerntheorie97
3.6.3. Die konstruktivistische Lerntheorie98
3.7. Der Vermittlungsprozess und das lernende Bewusstsein99
3.8. Vermittlung, Wissen und Lernfähigkeit103
3.9. Didaktiken im Systemwandel105
3.10. Von der Gleichbehandlung aller SchülerInnen über die Chancengleichheit zur Individualisierung109
3.11. Erziehung und Person: zur Eingrenzung von Funktion und Leistung der Erziehung113
3.12. Die Organisation der Erziehung – Schule und Unterricht119
3.13. Zusammenfassende Darstellung: Erziehung, Unterricht und die Motivation der SchülerInnen124
4. Gesundheitsförderung und Empowerment in der Schule128
4.1. Theorie und Konzeption der Gesundheit128
4.1.1. Körperliche und psychische Krankheiten131
4.1.2. Risiko- bzw. Gesundheitsverhalten131
4.1.3. Wohlbefinden132
4.1.4. Selbst- und Sozialkompetenz132
4.1.5. Soziale Beziehungen in der Schule – Schulklima133
4.1.6. Kernprozess Lehren und Lernen133
4.2. Gesundheitsförderung in der Schule135
4.3. Zur Theorie des Empowerments. Ein konzeptueller Vorschlag142
4.3.1. Empowerment als politisches Konzept142
4.3.2. Empowerment in der Gesundheitsförderungsforschung143
4.3.3. Empowerment in der Management-Literatur144
4.3.4. Empowerment, Macht und Steuerungsprobleme146
4.3.5. Empowerment, Gesundheit und Erziehung148
4.3.6. Beispiele für Empowerment-Maßnahmen für SchülerInnen152
5. Empowerment in der Schule und die Gesundheit der SchülerInnen. Ergebnisse der österreichischen Studie154
5.1. Die HBSC-Studie der WHO154
5.2. Operationalisierung und Messung von Empowerment158
5.3. Messung von ko-variierenden Faktoren: soziale Ungleichheit, Familie, individuelle Ressourcen166
5.4. Das Untersuchungsmodell169
5.5. Ergebnisse172
5.5.1. Empowerment als Dimension (latent trait)172
5.5.2. Validierung des Empowerment-Konzepts durch Vergleich mit Schul-Outcomes174
5.5.3. Empowerment, Geschlecht und Schicht176
5.5.4. Empowerment und Gesundheit in bivariaten Zusammenhängen180
5.5.5. Statistische Modellierung des Einflusses der schulischen Prozessvariablen auf die Gesundheit der SchülerInnen184
6. Behörde, Familienbetrieb oder Schule. Drei Schulen im Vergleich198
6.1. Einleitung198
6.2. Methode und Auswahl der Schulen202
6.3. Schule A: "Wir als Schüler können nie was machen“205
6.3.1. Überregulation: Regeln erzeugen Abweichung, Abweichung Regeln205
6.3.2. Übertretung und Kontrolle: Demokratie oder Bürokratie208
6.3.3. Kontrolle, Konflikte, gestörter Unterricht209
6.4. Schule B: „Es bringt ja nichts im Großen und Ganzen“210
6.4.1. Das „Flegeltum“ und soziale Abgrenzung210
6.4.2. Die schiefe Familienmetapher und ihre Folgen212
6.4.3. Pseudo-familiäre Kommunikation statt Führung214
6.4.4. Interventionismus statt Partizipation und Mitsprache215
6.5. Schule C: „Was gut läuft in unserer Klasse ist, dass Eltern, Schüler und Lehrer gut in einem Team zusammenarbeiten“217
6.5.1. Partizipation und Kontraktdemokratie217
6.5.2. Ein offenes, einladendes Beschwerdesystem218
6.5.3. Das Schul-Büfett219
6.5.4. Mitbestimmung am Beispiel der Laptop-Klasse220
6.5.5. Gestaltung des Klassenzimmers221
6.5.6. Der Umweltpräsident222
6.5.7. Der Kernprozess: Unterricht in der EVA-Klasse223
6.6. Führung als Operation in der Differenz empowernd/trivialisierend zwischen Organisation und Interaktion225
7. Resümee: Empowerment, Gesundheit und Schulerfolg228
Literatur236
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