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E-Book

Gesundheitsökonomie

AutorGuido Büscher, Markus Lüngen
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783170250482
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Das Gesundheitswesen hat einerseits hohe Bedeutung für die Bürger und Patienten, andererseits ist es ein zunehmend bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Häufige Reformen und vielfältige Berichterstattung lassen den Eindruck entstehen, dass eine rationale Steuerung der gesundheitlichen Versorgung kaum noch gelingen kann. Die Autoren des Buches machen die zentralen Mechanismen des Gesundheitssystems transparent und stellen ein Handwerkszeug für das Verständnis des Funktionierens der Gesundheitsversorgung vor.

Prof. Dr. Markus Lüngen hat eine Professur für Volkswirtschaft, insbes. Gesundheitsökonomie, an der Hochschule Osnabrück inne. Guido Büscher, Dipl.-Statistiker, war von 2006 bis 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie der Universität zu Köln, ist seit 2013 Referent bei einem Krankenkassenverband in Berlin.

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Leseprobe

2         Steuerung von Gesundheitssystemen


 

 

 

 

2.1        Grundlagen der Steuerung von Gesundheitssystemen


Die Steuerung der Ausgaben für Gesundheitsversorgung findet in jedem Gesundheitssystem statt. Unterschieden werden kann, ob diese Steuerung explizit oder implizit erfolgt.

Eine explizite Steuerung erfolgt meist durch den Staat oder von ihm legitimierte Organisationen. In Deutschland sind dies bspw. Krankenkassen oder auch die Selbstverwaltung. Ziel der expliziten Steuerung ist meist die Umsetzung eines politischen Willens oder demokratischer Entscheidungen und damit die Abkehr vom individuellen Willen eines jeden Bürgers.

Eine implizite Steuerung der Gesundheitsversorgung erfolgt in der Regel durch den Markt. Besteht keine explizite staatliche Regelung, entwickelt sich dieser Markt selbstständig. In entwickelten Ländern wird dieser Prozess durch rechtliche Vorgaben eher eingeschränkt, in Ländern mit wenig ausgeprägten Sozialversicherungen kann ein freier Markt für Gesundheitsleistungen die dominierende Form der Zusammenführung von Angebot und Nachfrage sein.

Beispiel


Auch in einem Land ohne existierende Sozialversicherung würde eine Gesundheitsversorgung bestehen. Personen mit Zahlungsbereitschaft und entsprechendem Vermögen würden Preise für eine Zahnbehandlung ebenso aushandeln wie für Arzneimittel. Paradoxerweise finden sich in entwickelten Gesellschaften mit hohem Wohlstand eher komplexe und marktferne Regelungen für das Gesundheitswesen. Tendenziell haben weniger entwickelte Gesellschaften mit geringem Wohlstand eher marktnahe Regelungen. Dies ist überraschend, denn mit zunehmendem Wohlstand steigt auch die Möglichkeit der marktlichen Ausübung von Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und zudem die Kompetenz, eigenständig über medizinische Versorgung für sich und die Familie zu entscheiden.

In einer historischen Betrachtung ist zu erkennen, dass bis in die 1970er Jahre hinein ein optimistischer Glaube an die gesellschaftliche Steuerung, verbunden mit einem Glauben an die Finanzierbarkeit staatlicher Leistungen, vorherrschte. Die Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre, hier wiederum verbunden mit einer aufkommenden Skepsis über die Grenzen des Wachstums, haben auch das Gesundheitswesen maßgeblich beeinflusst.

Das Gesundheitswesen wurde damals noch als eine ausschließlich öffentliche und vorwiegend staatliche Aufgabe wahrgenommen, vergleichbar mit der Versorgung mit Strom, Wasser, Straßen, Sicherheit, Postdiensten und Telekommunikation. Die ökonomische Theorie, jedoch insbesondere auch politische Programme, haben ab den 1980er Jahren diese Grundsätze öffentlicher Zuständigkeit in Frage gestellt. Gesundheitliche Versorgung wurde nicht mehr zwingend als staatliche Aufgabe eingestuft, sondern konnte, bei geeigneten Rahmenbedingungen, auch als private Aufgabe gedacht werden. Welche Rahmenbedingungen geeignet sind, war allerdings Gegenstand heftiger sozialpolitischer Diskussionen, politischer Wahlkämpfe und nicht zuletzt auch ideologischer Auseinandersetzungen.

2.1.1      Steuerung über Märkte


Märkte streben nach Effizienz, das heißt der Optimierung der Allokation. Eine optimale Allokation ist erreicht, wenn Ressourcen in den Verwendungsformen eingesetzt werden, in denen sie den höchsten Nutzen erbringen. Damit diese Zuordnung von Ressourcen auf den besten Verwendungszweck erfolgen kann, wird auf transparenten Märkten mittels des Preismechanismus über Angebot und Nachfrage entschieden.

Beispiel


In einem marktlichen System könnte ein vermögender Patient für eine Hüftoperation 15.000 € bieten und ein Krankenhaus erklärte sich bereit, zu diesem Preis tätig zu werden. Andere Patienten mit weniger Vermögen gingen womöglich leer aus. Ihnen würde zunächst keine Operation angeboten. Wären in dem Krankenhaus noch Kapazitäten für Operationen vorhanden, würde das Krankenhaus evtl. auch niedrigere Preise akzeptieren.

Das Beispiel macht deutlich, dass effiziente Märkte nicht bedeuten, dass das Marktergebnis auch gerecht ist. Die Steuerung des Gesundheitswesens erfordert daher eine ständige Abwägung zwischen der gewünschten Gerechtigkeit und den Erfordernissen einer effizienten Steuerung. Beide Dimensionen müssen nicht immer im Widerspruch stehen, doch sind sie keineswegs immer gleichzeitig zu erreichen.

Die Krankenversicherung in Deutschland ist, wie das Wort sagt, eine Versicherung. Versicherungen haben im Kern die Aufgabe, für das Individuum größere (finanzielle) Schäden abzumildern und die Unsicherheit kalkulierbar zu machen (Cutler und Zeckhauser 2000). Dies wird im Grundsatz erreicht, indem von einem Kollektiv durch regelmäßige Beitragszahlungen ein Pool an Mitteln gebildet wird, der zur Behebung der Schäden dieser Beitragszahler zur Verfügung steht. Der Markt für Gesundheitsleistungen wird aus Sicht der Bürger in Deutschland weitgehend transformiert in einen Markt für Versicherungsleistungen.

Damit eine Versicherung funktionieren kann, sind mehrere Voraussetzungen notwendig. Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, steigen die Prämien höher als notwendig oder der Markt selbst bricht sogar zusammen. Man spricht von Marktversagen (Rice 2003).

•  Der Schadensfall muss kalkulierbar sein bzw. statistisch greifbar: Wenn Schäden weder in ihrer Häufigkeit noch in ihrer Schadenshöhe abbildbar sind, fällt es sehr schwer, die passenden Beiträge zu kalkulieren. In der Krankenversicherung scheint, insbesondere durch die große Zahl an Versicherten, die Häufigkeit von zukünftigen Ereignissen vergleichsweise gut abschätzbar. Durch weitgehend administrierte Preise bzw. Erlöse für Leistungen ist auch die Kalkulation der Prämien aus Sicht der Krankenversicherungen möglich.

•  Die Versicherung darf nicht ausgenutzt werden (Moral-Hazard-Verhalten): Sofern eine Versicherung ausgenutzt wird, indem mehr Leistungen als notwendig abgerufen werden, wird die Versicherung zu teuer und im extremen Fall nicht mehr angeboten. Dieses Verhalten wird Moral Hazard genannt. Moral Hazard kann bereits vor Eintreten des Versicherungsfalles eintreten, etwa wenn ein junger Mann eine Risikosportart ausübt, weil er weiß, dass die potentiellen Kosten einer Verletzung von der Krankenversicherung getragen werden. Müsste er die Behandlungskosten selbst tragen, würde er evtl. auf die Ausübung der Sportart verzichten (ex ante Moral Hazard). Auch nach dem Schadenseintritt kann Moral Hazard auftreten, etwa wenn der Patient vom Arzt mehr Leistungen (etwa eine zusätzliche Verschreibung von Physiotherapie) einfordert (und der Arzt ihm diese gewährt), als notwendig gewesen wären (ex post Moral Hazard). Moral Hazard beschreibt somit die Situation, dass durch die Verlagerung der Behandlungskosten auf die Versicherung sich das Verhalten der Versicherungsnehmer ändert. Ökonomisch gesprochen verhalten sie sich abweichend gegenüber ihren ursprünglichen Präferenzen und ihrer Zahlungsbereitschaft.

•  Erbringung zu vieler Leistungen: Wenn Ärzte gegenüber Patienten darauf dringen, mehr Leistungen in Anspruch zu nehmen, als diese Patienten bei besserem Kenntnisstand und bei Beachtung ihrer Präferenzen in Anspruch genommen hätten, dann verfälscht der Anbieter (der Arzt) die Nachfrage (die Inanspruchnahme der Leistung durch den Patienten). Der Anbieter beeinflusst somit den wahren Willen des Nachfragers, mit anderen Worten induziert der Anbieter zusätzliche Nachfrage (anbieterinduzierte Nachfrage). Angebot und Nachfrage müssen auf funktionierenden Märkten jedoch unabhängig voneinander sein. Es wird vermutet, dass diese Unabhängigkeit im Gesundheitswesen häufig durchbrochen wird. Das Ausmaß von anbieterinduzierter Nachfrage kann jedoch empirisch kaum abgeschätzt werden. Anbieterinduzierte Nachfrage führt dazu, dass Ressourcen nicht dort eingesetzt werden, wo sie den höchsten Nutzen stiften würden, mithin stellen auch sie eine Form des Marktversagens dar.

Moral-Hazard-Verhalten und anbieterinduzierte Nachfrage sind zwei Formen von Marktversagen, die auf fehlenden oder ungleich (asymmetrisch) verteilten Informationen beruhen. Eine Marktseite hat weniger oder mehr Informationen als die Gegenseite und gibt diese Information nicht preis oder nur selektiv zum eigenen Gunsten. Der Markt ist nicht transparent.

Dass Gesundheitsmärkte und Versicherungsmärkte aufgrund mangelnder Transparenz nicht perfekt funktionieren, ist unter Wissenschaftlern kaum umstritten. Der Streit geht vielmehr darum, welche Lehren man aus diesem Versagen von Märkten für...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Inhalt6
Geleitwort zur Reihe8
Die Autoren9
Vorwort10
1 Finanzierung von Krankenversicherungsleistungen12
1.1 Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung12
1.1.1 Versichertenkreis13
1.1.2 Versicherungspflichtgrenze16
1.1.3 Beitragsfreie Mitversicherung18
1.1.4 Gesetzlicher Rahmen der Beitragserhebung19
1.1.5 Krankenkassen29
1.1.6 Gesundheitsfonds33
1.1.7 Risikostrukturausgleich36
1.1.8 Mengengerüst GKV46
1.1.9 Determinanten der Einnahmenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung48
1.2 Grundlagen der privaten Krankenversicherung50
1.2.1 Prinzipien der PKV51
1.2.2 Mengengerüst PKV53
1.3 Leistungen außerhalb der Krankenversicherung57
1.3.1 Steuerung des Leistungskatalogs57
1.3.2 Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)57
1.3.3 Serviceleistungen eines Gesundheitsmarktes59
1.4 Diskussion: Kopfpauschalen, Bürgerversicherung, Grundversicherung61
1.4.1 Hintergrund: Anreizwirkung von Einnahmengestaltung61
1.4.2 Bürgerversicherung62
1.4.3 Gesundheitsprämien62
1.4.4 Grundversicherung63
1.4.5 Gesundheitskonten (Health Savings Accounts)64
2 Steuerung von Gesundheitssystemen65
2.1 Grundlagen der Steuerung von Gesundheitssystemen65
2.1.1 Steuerung über Märkte66
2.1.2 Staatliche Steuerung68
2.1.3 Deutschland: Selbstverwaltung als Sonderweg69
2.1.4 Institutionelle Umsetzung der Steuerung72
2.1.5 Mengengerüst Ausgaben84
2.1.6 Determinanten der Ausgabenentwicklung86
2.2 Ausgabensteuerung für ambulante Leistungen91
2.2.1 Vergütung ambulanter Leistungen93
2.2.2 Privatliquidation100
2.2.3 Steuerung der flächendeckenden Versorgung101
2.2.4 Mengengerüst ambulante Versorgung106
2.3 Ausgabensteuerung für stationäre Leistungen110
2.3.1 Investitionsfinanzierung111
2.3.2 Fallpauschalen (Diagnosis-Related Groups), Budgetverhandlungen113
2.3.3 Ambulante Leistungen im Krankenhaus119
2.3.4 Steuerung der flächendeckenden Versorgung (Krankenhausplanung)122
2.3.5 Mengengerüst stationäre Versorgung124
2.4 Diskussion: Neue Formen der Steuerung126
2.4.1 Managed Care127
2.4.2 Disease-Management-Programme134
2.4.3 Hausarztzentrierte Versorgung135
3 Methoden der Gesundheitsökonomie (Kosten-Effektivitäts-Analysen)137
3.1 Perspektive der Evaluation138
3.2 Kosten140
3.3 Nutzen141
3.3.1 Qualitätsbereinigte Lebensjahre (QALY)142
3.3.2 Messung der Lebensqualität146
3.4 Diskontierung von Kosten und Nutzen147
3.5 Zeithorizont149
3.6 Studienformen150
3.6.1 Nicht-vergleichende Studien150
3.6.2 Vergleichende Studien153
3.7 Auswahl der besten Handlungsalternative156
3.8 Modellierung159
3.8.1 Entscheidungsbäume159
3.8.2 Markov-Modelle162
3.9 Unsicherheit166
3.9.1 Deterministische Sensitivitätsanalyse167
3.9.2 Probabilistische Sensitivitätsanalyse169
3.9.3 Kosten-Effektivitäts-Akzeptanzkurven171
Literatur175
Stichwortregister178

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