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E-Book

Gesundung ist möglich!

Borderline-Betroffene berichten

VerlagBALANCE buch + medien verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783867398145
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Das Buch bietet ein spannendes Kaleidoskop von Gesundungswegen bei Borderline. Es macht jungen Menschen mit dieser psychischen Störung Hoffnung und zeigt, welche Schritte andere Betroffene gegangen sind. Ein wahres Mutmachbuch, das sich gegen die gängigen Vorurteile wendet, dass Borderline nicht behandelbar und auch nicht heilbar sei! Dieses Buch zeigt nicht nur, dass Genesung möglich ist, sondern auch wie sie gelingen kann. Andreas Knuf bat Betroffene, ihren Weg der Gesundung zu schildern. Es erstaunt nicht, dass die Faktoren und Bedingungen, die von allen als wesentlich genannt werden, sich ähneln: Menschen der Umgebung, die den Kontakt nicht abgebrochen haben, Therapeuten, die als Menschen spürbar waren und den Betroffenen wirklich ernst genommen haben, Selbsthilfe und die Entscheidung zur Selbstverantwortung. Nur die Wege dahin sind ganz individuell, ebenso wie Gesundung ein Entwicklungsprozess ist, der unterschiedlich verläuft. Tröstlich für alle ist es zu hören, dass die meisten jenseits der dreißig ein völlig normales Leben führen.

Andreas Knuf (Jahrgang 1966) ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet seit langem in der stationären und ambulanten Psychiatrie, sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Selbsthilfeförderung. Er arbeitet für die Schweizer Stiftung Pro Mente Sana in Zürich.

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Leseprobe

Anders


Nana

27. April 1984

Lieber Gott,

bitte mach, dass ich nicht mehr böse bin und dass die anderen Kinder in der Schule mich mögen. Gestern haben wir einen Kreis gemacht und ein Kind musste in der Mitte sitzen und die anderen durften ihm sagen, was sie an ihm gut finden. Sabine hat gesagt, dass ich so schön malen kann. Und die Lehrerin hat gesagt, dass ich schon gut lesen und schreiben kann. Da habe ich mich gefreut. Danach mussten wir uns noch mal in die Mitte setzen und die anderen durften sagen, was sie nicht so gut finden. Zu mir haben alle gesagt, dass ich verrückt bin, weil ich immer weglaufe aus der Schule oder mich mit den Lehrern prügle. Ich war wie versteinert und habe gar nichts mehr gefühlt.

Ich weiß ja selbst, dass das nicht richtig ist, aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann. Ich habe dann immer das Gefühl, mir selbst dabei zuzuschauen und nichts dagegen machen zu können. So wie neulich, als der Sportlehrer mit uns Purzelbäume machen wollte und ich wollte nicht. Ich mag ihn nicht, ich weiß nicht, wieso. Und dann hat er mich rausgeschickt und hat gesagt, ich kann wieder reinkommen, wenn ich wieder lieb sein will. Aber ich wollte nicht lieb sein und habe mich hinter den Turnmatten versteckt, sodass er mich zur Schulleiterin tragen musste. Alle haben mich angestarrt und ich habe mich geschämt.

Mama und Papa waren sauer und haben immer wieder gefragt, warum ich das gemacht habe, aber ich konnte es selbst nicht erklären. Ich bin einfach nicht so wie andere Kinder, deshalb mag mich auch keiner. Die anderen machen sich immer über mich lustig, weil ich nicht mit Barbies spielen will und »Hanni und Nanni« langweilig finde.

Bitte hilf mir, ein besserer Mensch zu werden. Mama ist immer so traurig, weil ich verrückt bin und ihr das Leben so schwer mache, und Papa wird dann immer so wütend. Ich habe Angst vor ihm, wenn er so wütend wird. Er kann sich dann überhaupt nicht mehr beherrschen. Neulich hat er die Tür eingetreten, weil ich mich im Bad eingeschlossen hatte. Ich dachte, er bringt mich um.

Wenn Du mir hilfst, gehe ich auch jeden Sonntag in die Kirche. Vielen Dank,

Deine Nana

17. Februar 1993

Liebes Tagebuch,

heute war wieder ein schlimmer Tag in der Schule. Dass meine Mitschüler mich hassen, ist ja normal, aber heute hat Herr X. auch angefangen, mich zu beschimpfen. Ich hatte ihn bei der Notenverteilung darauf hingewiesen, dass es ungerecht ist, Alexandra eine schlechtere Note zu geben als mir, obwohl sie sich mündlich viel mehr beteiligt als ich. Er hat versucht, sich mit fadenscheinigen Argumenten rauszureden, aber ich habe nicht lockergelassen. Irgendwann hat er mich dann nur noch angebrüllt, ich wäre ein arrogantes Stück Dreck, das glaubt, sich alles herausnehmen zu können. Und dass er mich am liebsten rausschmeißen würde. Als er fertig war, haben alle geklatscht. Hinterher hat Alexandra gesagt, ich wäre selbst schuld, wenn ich immer Streit vom Zaun breche. Aber es war doch ungerecht!! Ich kann nicht verstehen, dass das die anderen nicht aufregt. Die sagen immer nur, es wäre doch gar nicht so schlimm und ich sollte mich nicht künstlich aufregen. Und dass ich bloß Aufmerksamkeit will. Ich weiß nicht, vielleicht haben sie ja recht? Vielleicht sehe ich die Dinge wirklich falsch? Aber wie können denn meine Gefühle falsch sein? Ich verstehe das alles nicht.

Ich würde mir wünschen, ich könnte mit jemandem über diese Dinge reden. Aber seit Mama so schlimm krank war, ist es zu Hause nur noch furchtbar. Sie tut zwar so, als ob sie wieder gesund wäre, aber das ist sie nicht. Ich denke immer noch, dass es meine Schuld ist, dass Mama krank geworden ist. Sie hatte immer so viel Ärger mit mir und ich habe mich nie um sie gekümmert. Die Ärzte sagen, sie finden nichts und dass das eine psychosomatische Krankheit ist, aber das glaubt Mama nicht. Aber meistens redet sie eh gar nicht darüber. Überhaupt reden wir eigentlich fast gar nicht mehr. Wenn ich aus der Schule komme, esse ich schnell was und verziehe mich dann zu den Pferden. Sabrina hängt immer mit ihren komischen Freunden rum und geht jedes Wochenende in die Disco, dabei ist sie doch erst 13! Mir haben sie das damals nicht erlaubt, aber jetzt ist ja alles anders.

Ich kann kaum glauben, dass ich erst 16 bin und schon keine Träume mehr habe. Ich wollte nie so resignieren wie die ganzen Erwachsenen um mich herum, aber jetzt bin ich froh, wenn der Tag vorbei ist und ich ins Bett gehen kann. Ich wollte immer so viel machen: reisen, anderen Menschen helfen, ganz viel lernen – aber jetzt ist mir das egal.

Gestern haben Mama und Papa gesagt, ich darf nächstes Jahr das Austauschjahr in Australien machen, wenn ich will. Das ist vielleicht die beste Lösung. Ich halte es hier einfach nicht mehr aus.

27. September 1994

Liebe Mama, lieber Papa,

bitte verzeiht mir, dass ich diesen Brief schreiben muss. Ich hätte mir gewünscht, dass ich Euch das nicht antun müsste. Ich weiß, dass es schwer für Euch wird, aber ich kann einfach nicht mehr. Niemand hat mir bisher erklären können, wie diese Welt funktioniert und warum ich nicht hineinpasse. Es tut mir zu weh, jeden Tag aufs Neue zu scheitern.

Ich habe das Gefühl, zu viel sehen zu können, hinter die Masken der Leute um mich herum sehen zu können. Gleichzeitig verstehen sie mich nicht, und ich kann ihnen auch nicht begreiflich machen, was ich sehe. Es macht mich wahnsinnig, als ob jemand mir die Haut abgezogen hätte.

Als ich hierhergekommen bin, war ich neugierig auf das neue Land und die fremden Leute, aber dann habe ich gemerkt, dass auch hier mich niemand versteht. Alle wollen immer nur auf Partys gehen und sich betrinken. Ich glaube, ich gehöre einfach nicht auf diese Welt.

Ich habe mich zum ersten Mal verliebt in diesem Jahr. Auch wenn er über dreißig Jahre älter ist als ich, hat er mich verstanden. Er hat mir das Leben gerettet, sonst wäre ich vor Einsamkeit gestorben! Er war so lieb zu mir, das hat mir so gut getan. Aber er hat seine Frau mit mir betrogen und deswegen schäme ich mich. Ich bin ganz verwirrt, weil er sagt, er liebt mich. Und ich liebe ihn auch, aber ich will ihn nicht wiedersehen. Er wird wieder solche ekligen Sachen mit mir machen wollen.

Ich weiß nicht, warum es mir jetzt auf einmal so schlecht geht. Ich esse viel zu viel und kotze dann heimlich. Und seit ein paar Wochen habe ich angefangen, mich mit einem Messer in den Arm zu schneiden. Ich bin wirklich so abartig! Meine Gastfamilie sagt, ich soll mich nicht so anstellen, Heimweh hat jeder mal. Aber es ist mehr als Heimweh. Ich habe das Gefühl, nicht zu dieser Welt zu gehören, und deshalb werde ich jetzt Schluss machen. Ich glaube, dass das für alle das Beste ist.

Bitte verzeiht mir. Ich liebe Euch,

Eure Nana

5. Dezember 2000

Lieber Herr Dr. Y,

vielen Dank, dass Sie mich für die Aufnahme in die Klinik in H. empfehlen wollen. Ich befinde mich seit einer Vergewaltigung vor sechs Jahren in psychotherapeutischer Behandlung und bin dabei, meine traumatische Kindheit aufzuarbeiten. [Ich bin eine solche Lügnerin. Was, bitte, war denn meine traumatische Kindheit? Und wie kann ich Sex, zu dem ich noch nicht mal Nein gesagt habe, eine »Vergewaltigung« nennen?] Meinem Studium kann ich schon seit einigen Jahren nicht mehr nachgehen [weil ich eine faule Schlampe bin und mich nicht anstrengen will], den Kontakt zu meiner Familie habe ich abgebrochen. Ich verletze mich regelmäßig selbst, habe kaum soziale Kontakte und bin sehr depressiv. [Mann, ich bin so eine wehleidige Heuchlerin. Wenn ich mich wirklich mit meinen Problemen auseinandersetzen wollte, müsste ich erst mal aufhören, mir selbst leidzutun. Dieser ganze Selbstverletzungsscheiß ist doch nur ein Mittel, um mich wichtig zu machen.] Die Beziehung zu meiner Freundin, mit der ich seit vier Jahren zusammen bin, verläuft sehr schwierig, da ich keine wirkliche Nähe zulassen kann. [Ein Wunder, dass sie überhaupt noch mit so einer gestörten Person zusammen sein will. Mal sehen, wann sie mich verlässt.]

Seit einem halben Jahr habe ich ein Verhältnis mit einem Mann und seitdem hat sich meine Symptomatik wieder extrem verstärkt. Ich habe Flashbacks und Panikattacken und habe Angst, ihm gegenüber gewalttätig zu werden. [Wahrscheinlich müsste man mich nur mal richtig übers Knie legen, damit ich mit dem ganzen Scheiß aufhöre.] Meine Therapeutin vermutet einen unaufgedeckten Missbrauch in meiner Kindheit, der aufgrund meiner psychischen Instabilität nur stationär bearbeitet werden kann. [Die Gute findet das bestimmt faszinierend, wie jemand so abartig sein kann und sich immer noch nicht umgebracht hat.]

Derzeit befinde ich mich in der psychiatrischen Klinik in T., wo ich bis zu meiner Aufnahme in H. bleiben kann. [Und vermutlich auch bleiben sollte. Ich habe immer gesagt bekommen, ich sei verrückt, und wahrscheinlich hatten die Leute recht, die mir das gesagt haben.] Für eine baldige Überweisung wäre ich Ihnen sehr dankbar. [Warum mache ich mir eigentlich die Mühe? Mir kann doch eh keiner helfen.]

Mit freundlichen Grüßen [Fahr zur Hölle, Du besserwisserischer Therapeutenlügner!]

Nana M.

7. März 2003

Liebe Silvie, lieber Robert,

jetzt ist es schon fast zwei Jahre her, dass ich aus der Klinik in H. entlassen wurde. Ihr hattet es als meine Therapeuten damals wirklich nicht leicht mit mir! Auch wenn ich viele Fortschritte gemacht habe, bin ich mir nicht sicher, ob es mir heute wirklich gut geht. Silvie, du hast an meinem letzten Tag mit solcher Dringlichkeit zu mir gesagt: »Du musst dich ändern, sonst landest du...

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