Kapitel 2
Ein Evangelium ohne Verfallsdatum
Als ich noch auf der Highschool war, erlebte ich Gott wie einen Freund. Jetzt ist er für mich eher wie ein Großvater, den ich nur ab und zu mal besuche, wenn ich in den Ferien oder zu besonderen Anlässen nach Hause komme.
Emily
Meine Eltern sind beide jeweils in einer christlichen Familie aufgewachsen. Trotzdem haben sie mir eher einen formellen Glauben vermittelt, keine persönliche Beziehung zu Jesus Christus.
Jack
David war ein braver Junge, der aus einem guten Elternhaus stammte. Von klein auf war er es gewohnt, die Gemeinde zu besuchen. Als er neu in unsere Jugendgruppe kam, ging es ihm zunächst eher um die Gemeinschaft mit seinen Freunden als darum, mehr über Gott zu erfahren. Das änderte sich jedoch, als er an einem unserer Sommerlager teilnahm. Dort machte David Ernst mit seinem Glauben (wie er es sagte) und wurde plötzlich zu einer Leitfigur. Er bestärkte nicht nur andere in ihrem Glauben, sondern führte sein Leben so, wie es sich Jugendleiter und Eltern wünschen: David las jeden Morgen in der Bibel und lernte sogar Bibelstellen auswendig. Er führte ein Gebetstagebuch, hielt Vorträge in der Gemeinde und war jederzeit bereit, irgendwo mitzuhelfen. Kurz gesagt: David war ein engagierter junger Christ, wie man ihn sich vorstellt.
Dann ging er aufs College.
Gleich in der ersten Woche fand David neue Freunde. Er gab an, er habe anfangs noch darüber nachgedacht, eine Gemeinde zu besuchen. Nach ein paar Wochen, in denen er die neuen Freiheiten des College-Lebens genoss, habe er diesen Gedanken allerdings ad acta gelegt. Als er zum ersten Mal am Wochenende nach Hause kam, rief ich (Chap) ihn an, um mich mit ihm zu verabreden. Doch David war zu beschäftigt, um sich mit mir zu treffen, geschweige denn, in die Gemeinde zu kommen. Dann, im darauffolgenden Sommer, räumte er mir gegenüber ein, dass er sich gar nicht mehr sicher sei, ob „die Sache mit Gott“ überhaupt wahr sei oder „funktioniere“. Er wolle sich sowieso erst nach dem College „wieder darauf einlassen“.
Bei der Formulierung „sich wieder darauf einlassen“ hätten eigentlich meine Alarmglocken schrillen müssen. Zeigt sie doch, was Glaube für David wirklich bedeutet hat. Ich bin mir sicher, dass es ihm während der Highschool wirklich ernst damit war. Doch dann veränderte sich sein Glaube. Er basierte letztlich vor allem darauf, dass David in der Gemeinde „mitmachte“ und „mitarbeitete“. Die Folge: Innerhalb weniger Monate hatte der einst so engagierte christliche Leiter seinen Glauben hinter sich gelassen. Den tieferen Sinn hinter seinen geistlichen Aktivitäten hatte er anscheinend nicht erfasst.
Kara und ich sind der Ansicht, dass die Basis für die Entwicklung eines tragfähigen Glaubens ein klares und biblisches Verständnis des Evangeliums ist. Erst, wenn wir unseren Kindern bewusst machen, was es eigentlich für sie bedeutet, zu Gottes wunderbarem Reich zu gehören, wird der Glaube für sie anziehend und Leben spendend.
Unsere Erkenntnisse
Viele Jugendliche sind nicht in der Lage zu definieren, was Christsein bedeutet
Bei unseren Befragungen haben wir festgestellt, dass viele Jugendliche – einschließlich derjenigen mit einem gemeindlichen Hintergrund – ganz erstaunliche Ansichten über die Bedeutung des Christseins vertreten. Wir stellten Studenten im dritten Studienjahr, die alle früher eine Jugendgruppe besucht hatten, folgende Frage: „Worum geht es eurer Meinung nach beim Christsein?“ Gut zwei Drittel der Befragten verbanden mit dem Glauben bestimmte Taten, wie „andere lieben“ oder „Jesus als Vorbild nehmen“. Gut ein Drittel erwähnte den Namen Jesus nicht einmal. Und 35 Prozent erwähnten in ihren Antworten weder Gott noch Jesus! Natürlich spielen Nächstenliebe und Dienen beim Christsein eine wichtige Rolle, aber sind „Werke“ wirklich das, was den christlichen Glauben ausmacht?
Als David noch die Highschool besuchte, hatte er den Eindruck, er müsse als Christ die Erwartungen seiner Eltern, der Gemeinde und seiner christlichen Freunde erfüllen. Er setzte Glauben gleich mit geistlichen Aktivitäten, „guten Werken“ und einem Lebensstil, der Gott gefällt. Doch Davids Beispiel – ebenso wie das vieler anderer Jugendlicher auch – hat gezeigt, dass ein auf Äußerlichkeiten basierender Glaube auf Dauer nicht haften bleibt.
Viele Jugendliche haben ein „Evangelium der Sündenbewältigung“ angenommen
Wie ein christlicher Lebensstil auszusehen hat, lernen unsere Kinder meistens durch eine Liste mit Ge- und Verboten.
Die Gebote:
Nimm so oft wie möglich am Gottesdienst und der Jugendgruppe teil; lies in der Bibel; spende Geld; sprich mit anderen über deinen Glauben; erziele gute Noten; zeige Älteren gegenüber Respekt; nutze deine Semesterferien für einen Missionseinsatz, und sei ein braves Kind.
Nicht erlaubt sind:
Falsche Filme, Alkohol, Drogen, Sex, schlechtes Reden, Fluchen, sich mit den „falschen Leuten“ abgeben, die Semesterferien auf dem „Ballermann“ verbringen oder Partys besuchen.
Der Philosoph Dallas Willard hat einen Satz geprägt, der sehr gut beschreibt, was viele von uns mit dem Glauben verbinden: „Im Laufe der Geschichte hat sich bei uns ein Verständnis der christlichen Botschaft entwickelt, bei dem es nur noch um den Umgang mit Sünde geht. Darum, was es bedeutet, Verkehrtes zu tun, ‚verkehrt zu sein‘ und die daraus resultierenden Auswirkungen. Das wirkliche Leben, unsere aktuelle Existenz findet in dieser Form der christlichen Botschaft nicht – oder nur am Rande – statt … Dadurch verwandelt sich das heutige Evangelium in ein ‚Evangelium der Sündenbewältigung‘.“22
Die Jugendlichen basteln sich dieses Evangelium nicht selbst zusammen. Sie übernehmen es von uns – von der Art, wie wir selbst das Evangelium verstehen, darüber sprechen und es ihnen vorleben. Unsere Kinder spiegeln unseren Glauben und unsere Einstellungen wider.
Jugendliche brauchen die Erfahrung, dass sie Jesus vertrauen können
Im Zentrum eines tragfähigen Glaubens steht die Erkenntnis, dass man Gott in allen Dingen vertrauen kann. Gehorsam ist eine Reaktion auf dieses Vertrauen. Das griechische Wort für Glaube ist pisteuo. Im Neuen Testament steht pisteuo für „Glaube“, „überzeugt sein“ und „Vertrauen“. Wenn uns also in der Bibel die Begriffe „Glaube“ oder „überzeugt sein“ begegnen, dann stammen sie von dem Wort pisteuo ab und können auch mit „Vertrauen“ übersetzt werden. Entscheidend für einen tragfähigen Glauben ist letztendlich die Frage: In wen setze ich mein Vertrauen – bei dem, was ich denke, entscheide und tue? Vertraue ich meinem Instinkt, meinen Wünschen, meinen Überzeugungen oder vertraue ich Jesus? Das gilt es, unseren Kindern deutlich zu machen.
Als Jesus von den Menschen gefragt wurde, was sie tun sollten, um Gottes Willen zu erfüllen, antwortete er: „Nur eins erwartet Gott von euch: Ihr sollt an den glauben [oder dem vertrauen, pisteuo], den er gesandt hat“ (Johannes 6,28-29). Gott wünscht sich von unseren Kindern – und von uns – hauptsächlich, dass wir einen Glauben entwickeln, der seine Kraft aus dem Vertrauen in Jesus bezieht.
Im Galaterbrief malt uns Paulus den Gegensatz zwischen einem nur auf Äußerlichkeiten basierenden Christsein und einem tragfähigen Glauben vor Augen. Er betont, wir könnten Gott nur durch Vertrauen und durch das Wirken des Heiligen Geistes näherkommen, und stellt fest: „Wenn wir mit Jesus Christus verbunden sind, ist es völlig gleich, ob wir beschnitten oder unbeschnitten sind“ (Galater 5,6a). Diese Aussage beschränkt sich nicht nur auf das Thema Beschneidung oder alte jüdische Rituale. Sie lässt sich ohne Weiteres auf uns und unsere Zeit übertragen. Nämlich dort, wo wir versuchen, Gerechtigkeit durch ein selbst auferlegtes „Evangelium der Sündenbewältigung“ zu erlangen. Vielleicht würde es Paulus heute so formulieren: „Wenn wir mit Jesus Christus verbunden sind, ist es völlig gleich, ob wir in der Bibel lesen oder nicht.“
Geistliche Übungen an sich verschaffen uns keine Gunst bei Gott. Sie dienen dazu, dass unser Vertrauen in Jesus gestärkt wird. Weder durch Bibellesen noch durch andere Andachtsübungen erlangen wir – oder unsere Kinder – mehr Gerechtigkeit vor Gott. Wenn wir daran festhalten, drücken wir damit eigentlich aus, dass wir Gottes veränderndes Wirken an uns nicht nötig haben. Doch bei einem tragfähigen Evangelium geht es darum, sich nach und nach von Gott verändern zu lassen. Er hat uns zugesagt, dass er dabei immer an unserer Seite ist, unser Vertrauen stärkt, uns Frieden und Geduld schenkt und uns von innen heraus verändert.
Paulus betont in Philipper 3,1–14, dass Gerechtigkeit auf inwendiger Veränderung und nicht auf äußerem Verhalten beruht. Er bezeichnet seine eigene Beschneidung und sein Eifern nach Gerechtigkeit auf Grundlage des Gesetzes als „Dreck“ im Vergleich zum Glauben an Jesus. Er schreibt: „Ich möchte nie mehr die Gemeinschaft mit Jesus verlieren, die ich mir nicht durch meine Gesetzestreue verdient habe, sondern die Gott geschenkt hat. Ich möchte Jesus immer besser kennenlernen …“ (Philipper 3,9f; WD). |
Ein Glaube, der mehr auf Werken als auf Vertrauen beruht, kann leicht ins Wanken geraten. Davids Beispiel vom Anfang des Kapitels hat uns gezeigt,...