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Das Glück in der Philosophie
Die Philosophie ist dazu da, das Leben glücklich zu machen!
Montaigne
Im Rahmen meines Psychologiestudiums hatten wir auch Philosophie als Zusatzfach. Der Professor, bei dem ich studierte, vermittelte uns die Überzeugung, dass die Philosophie die eigentliche, wahre und wichtigste Wissenschaft sei, denn sie sei die einzige Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie wir am besten leben. Alle anderen behandelten nur Teilaspekte dieses Lebens. Der Professor, der uns diese Auffassung nahe brachte, verkörperte selbst einen Menschen, der es wahrhaftig verstand zu leben. Er war damals ca. 45 Jahre alt, sah jünger aus, war immer urlaubsbraun und hatte eine sportliche Figur. Wir Studenten haben ihn bewundert, ihm gerne gelauscht und ich persönlich habe sicher viel von seinen Lehren übernommen, wenn ich mich auch nicht mehr an Einzelheiten erinnern kann, so wie ich auch leider seinen Namen vergessen habe.
In diesem Buch liegt der Schwerpunkt nicht auf der Philosophie, sondern auf der empirischen Psychologie. Allerdings ist es sicher hilfreich, kurz die Erkenntnisse der Philosophen der vergangenen Jahrhunderte zu streifen. Indem wir ihre Aussagen mit den Ergebnissen der Psychologie vergleichen, werden wir sehen, dass viele Erkenntnisse vom Glück schon Jahrhunderte alt sind.
Fast alle großen Philosophen haben auch über das Glück geschrieben. In einer Tabelle habe ich die wichtigsten Denker der verschiedenen Jahrhunderte, angefangen bei Lao-Tse bis zu den Psychologen der heutigen Zeit mit ihren Aussagen zum Glück und entsprechenden Zitaten, aufgeführt. Ich habe einige Psychologen mit in die Tabellen am Ende des Kapitels aufgenommen, da sie heute weitgehend die Rolle der Philosophen übernommen haben.
Hier einige Anmerkungen zu einzelnen Philosophen, die über die sehr kurz gefassten Inhalte der Tabelle hinausgehen.
Lao-Tse
Lao-Tse (1959) lehrte, das Dao sei die Wurzel von allem. Er ermahnte die Menschen, dass sich die himmlischen und irdischen Gesetze nicht nach ihren Wünschen und Vorstellungen verändern lassen. Das Leben und das Sterben aller Dinge sowie das alltägliche Leben der Menschen folgen dem natürlichen Lauf, dem man sich unterwerfen müsse. Lao-Tse weist im Dao De King darauf hin, dass das Unglück die Voraussetzung für das Glück sei und dass das Glück auch Elemente des Unglücks beinhalte. Er wendet sich gegen die Allmachtvorstellung mancher Menschen, die vor allem heute weit verbreitet ist. »Ich betrachte Untätigkeit als das wahre Glück, während die Welt sie als großes Unglück ansieht.«
Diese Philosophie widerspricht dem, was weiter unten über die Gestaltergrundhaltung aufgeführt wird. Die meisten Menschen des westlichen Kulturkreises, die in den zitierten Befragungen untersucht wurden, sind dann glücklich, wenn sie aktiv sein und etwas bewirken können.
Die Nikomachische Ethik von Aristoteles
Nach der »Nikomachischen Ethik« von Aristoteles gibt es sieben Bestimmungen des Glücks:
1. Das Glück ist ein wählbares Gut.
Es geht dabei um die richtige Orientierung des individuellen Lebens. Wir können uns auf unser Wohlbefinden hin orientieren, wir können es im den Mittelpunkt unseres Lebens stellen und haben dabei eine Reihe von positiven »Nebeneffekten«.
Aristoteles kennt drei Lebensformen:
• die der Lust zugeneigt,
• die der gesellschaftlichen Arbeit gewidmete und
• die theoretische.
Alle drei Lebensformen können zum Glück beitragen.
2. Das Glück ist eine spezifische Tätigkeit.
Glück ist keine Haltung allein.
»Wichtig ist die Arbeit am Glück, die Einsicht, dass man für dieses Glück etwas tun muss, seelisch, alltäglich, ein Leben lang.«
3. Das Glück ist ein Leben in der Verflochtenheit.
Glück kann es nur im Netz der sozialen Beziehungen, in der Familie, im Freundeskreis, in der Gesellschaft geben. Die Freundschaft besitzt dabei für Aristoteles eine herausgehobene Bedeutung. »Die Grundlage dafür, Freundschaft mit Anderen überhaupt schließen zu können, ist jedoch die Freundschaft mit sich selbst«.
4. Das Glück besteht aus dreierlei Gütern:
• seelischen Gütern (»Glück ist als ein Leben zu verstehen, das das Beste, Schönste und Lustvollste realisiert«.)
• körperliche Güter (dazu gehört die seelisch-körperliche Gesundheit und Schönheit) und
• äußerliche (materielle) Güter. (»Wie kann man durch edle Taten glänzen, wenn man über keine Hilfsmittel verfügt«) Dazu zählt Aristoteles auch »wohlgeratene Kinder«.
5. Das Glück ist etwas, das man lernen kann.
6. Das Glück ist ein »erfülltes Leben«.
Hierzu gehört sich auch das »Sinn erleben«.
7. Das Glück ist etwas Göttliches.
Aristoteles war einer der ersten, die einen aufgearbeiteten Begriff des Glücks in einem Text vorgelegt haben, der uns überliefert ist, und der bis heute seine Gültigkeit besitzt. Aus ihm wird deutlich, dass es zwischen Philosophie und Psychologie fließende Übergänge gibt.
Epikur und seine Schüler
Epikur und seine Schüler, die Epikureer, waren überzeugt davon, dass das Streben nach Glück, verstanden als die Suche nach Genuss, das Ziel aller Menschen sei. »Jedes lebende Wesen strebt, sobald es geboren ist, nach Lust und freut sich daran als dem höchsten Gut, während es den Schmerz als das höchste Übel vermeidet.« Am Eingang zu seinem berühmten Garten, in dem man sich traf, um zu philosophieren, war zu lesen: »Freund, das ist ein guter Ort: Hier wird nichts mehr verehrt als das Glück.«
Der berühmteste Epikureer im Altertum war der römische Kaiser Marc Aurel, aber auch in der Neuzeit bekannten sich einige prominente Philosophen zu Epikur, wie Georg Büchner, Karl Marx, der eine Doktorarbeit über Epikur geschrieben hat, und Friedrich Nietzsche.
Häufig wurde den Epikureern vorgeworfen, dass sie genusssüchtige Egoisten sind. Sie unterscheiden jedoch zwischen kurzfristigen und langfristigen Egoisten. Nach ihrer Meinung sind nur die kurzsichtigen Egoisten zu verteufeln, die den Schmerz nicht beachten, den sie mit ihrem (kurzfristigen) Egoismus bei anderen und letztlich auch bei sich selbst auslösen.
Augustinus
Augustinus (zitiert nach Jaspers, 1957, S. 146) sieht im menschlichen Leben nichts, worin nicht Liebe ist, und damit, so möchte ich ergänzen, setzt er Liebe und das Streben nach Glück weitgehend gleich. Der Mensch ist in allem, was er ist, Wille (man würde heute wohl sagen: Motivation), und das Innerste des Willens ist die Liebe. Liebe ist Streben zu etwas, das man nicht hat. Wie das Gewicht die Körper bewegt, so die Liebe die Seelen. Sie ist nichts anderes als Willenskraft. Lieben ist Begierde, wo sie nach dem Besitz des Geliebten drängt, sie ist Freude, wo sie es besitzt; sie ist Furcht, wo sie den Besitz bedroht sieht; sie ist Trauer, wo sie den eingetroffenen Verlust empfindet. Die Liebe richtet sich allumgreifend auf Sachen und Personen, auf gedachte Dinge und leibhaftige Wirklichkeit, auf alles, was für uns darum besteht, weil es uns nicht gleichgültig ist.
Dieser sehr weit gefasste Begriff von Liebe durch Augustinus entspricht weitgehend dem, was die vielen Untersuchungen zum Thema Glück ergeben haben. Wir sind dann glücklich, wenn wir uns in voller Hingabe mit etwas beschäftigen, was außerhalb von uns liegt und wenn wir das mit Herz und Seele tun.
Die Kunst glücklich zu sein4
Eine Übersicht der wichtigsten Philosophen und Psychologen mit ihrer Auffassung von Glück im Vergleich mit den Ergebnissen der Psychologie.
Tab. 2.1: China, ca. 500 vor bzw. 600 n. Chr.
Tab. 2.2: Athen und Rom, von 500 v. Chr. bis Christi Geburt
Tab. 2.3: Mittelalter
Tab. 2.4: Philosophie in Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert, Psychoanalyse
Tab. 2.5: Esoterische Konzepte in der westlichen Welt, 1960er Jahre
Tab. 2.6: Psychologisch orientierte Selbsthilfebücher in der westlichen Welt, 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart
4 Die Tabelle wurde entsprechend einer Aufstellung im Journal of Happiness Studies: Special issue on advice for a happy life, Bd. 9/3, 2008, entwickelt und wesentlich...