Sie sind hier
E-Book

Greater than Rome

Neubestimmungen britischer Imperialität 1870-1914

AutorEva Marlene Hausteiner
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl411 Seiten
ISBN9783593430294
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Die politiktheoretische Studie demonstriert anhand des Falls des British Empire, wie imperiale Eliten ihr Tun erfassen und rechtfertigen, welche Rolle historische Beispiele in diesem Prozess spielen und welche Entwürfe imperialer Herrschaft um Deutungshoheit konkurrieren. Die Analyse des Elitendiskurses im British Empire erhellt jene Modi, in denen zentrale Akteure das Weltreich legitimieren und im eigenen Selbstverständnis konzipieren: Niedergangserfahrungen, infrastrukturelle Errungenschaften, aber auch die Frage globaler Vorherrschaft werden zu Elementen einer technokratischhierarchischen Imperiumsvision, die von alten Mustern liberaler Zivilisierung und Missionierung nachdrücklich Abschied nimmt.

Eva Marlene Hausteiner ist Politikwissenschaftlerin am Sonderforschungsbereich »Transformationen der Antike« und Lehrbeauftragte am Institut für Sozialwissenschaften der HU Berlin.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
1.Imperialität und Geschichte
'Ubi imperium, ibi Roma.'?
Römisch ist Britannien seit zwei Jahrtausenden: Materiell verbindet Briten und Römer - die Beherrscher des ausgedehntesten Reiches der Antike und jene des langlebigsten Imperiums der Neuzeit - die Geschichte direkter Kolonisierung, die mit der römischen Invasion in Rutupiae, dem späteren Richborough, im Jahr 43 vor Christus einsetzt. Die römische Nachwirkung auf die Briten und insbesondere auf ihren imperialen Herrschaftsstil und ihre imperiale Selbstreflexion geht indes weit über direkte historische oder gar genealogische Verknüpfungen hinaus: Die Blütephase britischer Anverwandlungen römischer Motivik in imperialen Fragen fällt zusammen mit der Phase des Hochimperialismus, also rund anderthalb Jahrtausende nach dem Ende römischer Herrschaft auf Teilen der britischen Inseln. Sie vollzieht sich in systematischen Selbstvergleichen und Analogiebildungen zwischen dem Imperium Romanum und dem Imperium Großbritanniens. In den Debatten um das British Empire avanciert Rom bei imperialen Eliten zur äußerst populären Legitimationsressource. Der römische Topos wird aber auch, von innen wie von außen, als Waffe der Imperiumskritik ins Feld geführt: Genau zur Jahrhundertwende, am 1. Januar 1900, fällt der holländische Kommentator Abraham Kuyper - wenig später Premierminister seines Landes - in der französischen Revue des Deux Mondes ein vernichtendes Urteil über den britischen Jingoismus im Umfeld des südafrikanischen Krieges gegen die Buren. Gerade England, diese beste aller Nationen, eifere als einzige den zum Despotismus degenerierten Römern nach und korrumpiere sich so selbst - 'cet impérialisme est une obsession': 'Il faut que l'Angleterre revienne à elle-même et renonce à son reve d'Impérialisme; sinon, l'Impérialisme finira par la perdre, com­me il perdit la Rome de l'antiquité.' Englands koloniale Hochkommissare seien nicht besser als römische Prokonsuln, die self-governing colonies nicht freier als die provinciae populi Romani, der urbane Luxus Londons lasse einen ähnlichen Untergang wie jenen Roms befürchten. Die römischen Motive, die der externe Beobachter gegen die Briten verwendet - Verurteilung der Provinzpolitik, Kritik des Weltherrschaftsanspruches und die Warnung vor Zerfall, jeweils gespickt mit lateinischen Zitatfragmenten unterschiedlichster Provenienz - gleichen aufs Engste jenen, die die britischen Elitenmitglieder selbst heranziehen, um bestimmte imperiumspolitische Kurse zu legitimieren. Kuypers Tirade erweckt in der Übernahme der Argumente des britischen jingoism den Eindruck einer Parodie. So flexibel der Topos Rom in der nachantiken Anverwandlung also ist: Angesichts imperiumspolitischer Ereignisse steht um die Jahrhundertwende der britische Imperialismus - in der Fremdbetrachtung, vor allem aber in der Selbstbetrachtung - im Zentrum politischer Romreflexion.
Eine systematische Untersuchung, die die Affinität britischer Imperialisten und Imperiumskritiker zu Vergleichen mit Rom als ideengeschichtliches und imperiumspolitisches Phänomen umfassend politiktheoretisch prüft, steht bislang aus. Die Reflexion imperialer Eliten über Imperiumspolitik und ihre eigene Rolle darin ist aber, wie auch die Versuche imperialer Legitimation, für Beobachter im 21. Jahrhundert - dessen Prägung durch Großmächte- und Imperialpolitik, durch die Bildung von Einflusssphären wie durch globale Interventionen zunehmend evident wird - von zentralem Interesse. In den Verweisen britischer Eliten auf das antike Imperium kondensieren nämlich zentrale Strategien und Argumente imperialer Legitimation und Problemlösungsversuche, von der Bedeutung imperialer Infrastruktur bis hin zur Stabilisierung eines ausgeprägten imperialen Exzeptionalismus selbst und gerade unter Bedingungen evidenter weltpolitischer Konkurrenz - und diese Argumente und Deutungsmuster haben seit dem Zeitalter des Hochimperialismus die politischen Debatten keineswegs verlassen. Dass imperiale Ambitionen weiterhin die politische Realität prägen, gilt nicht nur für die US-amerikanische Debatte: Giorgio Agambens Vorschlag, im Anschluss an ein Plädoyer Alexandre Kojèves aus dem Jahr 1945 ein anti-deutsches 'lateinisches Imperium' zu gründen, stützt sich auf das Ideal imperialer Leistungsfähigkeit und kultureller Superiorität; und die neuen Großmachtsbestrebungen der Russischen Föderation sind geprägt von einer Rhetorik der Stärke und grenzüberschreitenden Sicherheitsgarantien.
Ziel des vorliegenden Buches ist es, die Frage nach der funktionalen Attraktivität von Geschichte in den Prozessen der Selbstreflexion, Legitimation und Politikstilentwürfe der Imperialelite zu beantworten. Imperialität als politisches Ordnungsschema geht dabei, so eine leitende These, mit der Entwicklung bestimmter argumentativer Muster einher. Die folgenden Überlegungen sollen demonstrieren, dass der Vergleichstopos Rom jenseits bloßer Ornamentik signifikante Aussagekraft besitzt - sowohl diskurshistorisch in den rund 40 Jahren vor Beginn des Ersten Weltkrieges als auch auf dem Feld der Imperientheorie. Das komplexe Diskursgewebe britischer Romverarbeitungen zu einem Zeitpunkt imperialer Maximalexpansion und gleichzeitiger Krisenstimmung erweist die politische Funktionalität historischer Referenz in dieser Konstellation; es soll im Folgenden gezeigt werden, dass angesichts konkurrierender Visionen von Imperialität der Verweis auf das unterschiedlich imaginierte Imperium der Antike den Protagonisten als Ressource dient, um eine spezifische Imperialitätsvorstellung opportun zu definieren. Ihre Konturierung bildet den Kern dieses Buches.
1.1Reflexionen über Imperien und imperiale Reflexionen
Imperiumspolitische und imperiengeschichtliche Fragestellungen sind ein kontinuierlich an Bedeutung gewinnender Bestandteil geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Obwohl die Diagnose eines imperial turn? nicht die inhaltlichen Kontinuitäten und die beträchtliche Tradition imperiums­zentrierter Forschungs­geschichte von der klassischen imperial history? bis hin zu den postkolonialen Studien verdecken sollte, ist es richtig, dass es sich bei der Konjunktur des Imperiumsfokus - wie auch bei anderen kulturwissenschaftlichen turns? - nicht nur um eine Wiederbelebung des zumindest im Politischen lange tabuisierten Imperienbegriffs handelt, sondern auch um eine tatsächliche methodische Neuausrichtung. Manifest wird dieser Perspektivwandel in den Geistes- und Sozialwissenschaften in Form von Fragestellungen und Herangehensweisen, die teilweise auf älteren Forschungstraditionen wie der Weltgeschichtsschreibung oder den postkolonialen Studien aufbauen, teilweise aber deutlich über sie hinausgehen.
Die politische Theorie hat zu dieser jüngeren Neuevaluierung der Bedeutung von Imperien und Imperialismen erst spät eigene Ansätze beigetragen: Das Diktum des britischen Historikers Keith Hancock, Imperialismus sei 'no word for scholars' erweist sich als treffende Beschreibung vor allem der politikwissenschaftlichen Interessenskonjunkturen des 20. Jahrhunderts. In der politischen Ideengeschichte ist Imperialität zwar seit geraumer Zeit ein wiederkehrendes Thema, doch erst seit circa 2001 werden imperiale Strukturen und Dynamiken vermehrt theoretisiert: Die Spannung zwischen Imperium und Liberalismus, die Ausformung globaler Regime als quasi-imperiale Prozesse, im Lichte dessen aber insbesondere idealtypische Konzeptionalisierungen der politischen Ordnungsform des Imperiums und deren historischer Vergleich sind die Themenbereiche, die in den vergangenen Jahren zu zentralen Betätigungsfeldern politischer Theorie in der Frage imperialer Ordnungen wurden. Die politische Theorie als politikwissenschaftliche Teildisziplin muss sich mit imperialen Konstellationen aber nicht allein darum befassen, um beim imperial turn disziplinär nicht ins Hintertreffen zu geraten. Sie erfüllt eine spezifische Aufgabe, die sich von jener der Geschichts- oder Literaturwissenschaften unterscheidet: Als Sozialwissenschaft verfügt sie über die Möglichkeit, gemeinsam mit der Ideen- und Ereignisgeschichte politische Realität der Gegenwart im Zusammenspiel mit gegenwärtiger Ideenpolitik zu analysieren und in ihren Grundstrukturen, wiederkehrenden Mustern und Dynamiken, Möglichkeiten und entscheidenden Konfliktlinien deutlich und vergleichbar zu machen. Die Ausdifferenzierung von Kategorien, die auch als heuristische Instrumente zur Gegenwartsanalyse taugen, gehört zum Aufgabenbereich der politischen Theorie, die gleichermaßen als ideengeschichtliches Archiv und theoretisches Arsenal dienen kann und sich somit nicht allein auf die normativen Ansätze politischer Philosophie oder auf ideengeschichtliche Exegese beschränken darf.
Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Geographie - Wirtschaftsgeographie - politische Geografie

Landschaftsformen

E-Book Landschaftsformen
Unsere Erde im Wandel - den gestaltenden Kräften auf der Spur Format: PDF

Wie entstehen Gebirge, Wüsten, Gletscher oder Vulkane? Welche Naturkräfte haben den beeindruckenden Grand Canyon geschaffen? So vielfältig wie das Gesicht der Erde sind die Antworten in diesem…

Landschaftsformen

E-Book Landschaftsformen
Unsere Erde im Wandel - den gestaltenden Kräften auf der Spur Format: PDF

Wie entstehen Gebirge, Wüsten, Gletscher oder Vulkane? Welche Naturkräfte haben den beeindruckenden Grand Canyon geschaffen? So vielfältig wie das Gesicht der Erde sind die Antworten in diesem…

Alle, nicht jeder

E-Book Alle, nicht jeder
Einführung in die Methoden der Demoskopie Format: PDF

Allein mit der Beobachtungsgabe können wir die soziale Wi- lichkeit nicht wahrnehmen. Wir müssen uns mit Geräten aus- sten, die unsere natürlichen Fähigkeiten verstärken, so wie es für die…

Alle, nicht jeder

E-Book Alle, nicht jeder
Einführung in die Methoden der Demoskopie Format: PDF

Allein mit der Beobachtungsgabe können wir die soziale Wi- lichkeit nicht wahrnehmen. Wir müssen uns mit Geräten aus- sten, die unsere natürlichen Fähigkeiten verstärken, so wie es für die…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Freiraum und Naturschutz

E-Book Freiraum und Naturschutz
Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft Format: PDF

Flächenverbrauch sowie Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft führen für viele Tier- und Pflanzenarten zu einschneidenden Konsequenzen. Erhöhte Mortalität, Dezimierung von Lebensräumen,…

Wissen Hoch 12

E-Book Wissen Hoch 12
Ergebnisse und Trends in Forschung und Technik Chronik der Wissenschaft 2006 mit einem Ausblick auf das Jahr 2007 Format: PDF

Welche Themen bewegten die Welt der Wissenschaft im Jahr 2006? Meilensteine und heiße Diskussionen. Anschaulich, verständlich und übersichtlich ist dieser Überblick über die spannendsten Themen und…

Wissen Hoch 12

E-Book Wissen Hoch 12
Ergebnisse und Trends in Forschung und Technik Chronik der Wissenschaft 2006 mit einem Ausblick auf das Jahr 2007 Format: PDF

Welche Themen bewegten die Welt der Wissenschaft im Jahr 2006? Meilensteine und heiße Diskussionen. Anschaulich, verständlich und übersichtlich ist dieser Überblick über die spannendsten Themen und…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

Berufsstart Bewerbung

Berufsstart Bewerbung

»Berufsstart Bewerbung« erscheint jährlich zum Wintersemester im November mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Bibel für heute

Bibel für heute

BIBEL FÜR HEUTE ist die Bibellese für alle, die die tägliche Routine durchbrechen wollen: Um sich intensiver mit einem Bibeltext zu beschäftigen. Um beim Bibel lesen Einblicke in Gottes ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...