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Größer als das Amt

Auf der Suche nach der Wahrheit - der Ex-FBI-Direktor klagt an

AutorJames Comey
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783426454220
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Spektakulär von Donald Trump gefeuert, legt Ex-FBI-Direktor James Comey die politischen Machenschaften in Washington und das von Donald Trump korrumpierte System offen. Auch der Mueller-Report hat bewiesen: Mit Trump regiert seit 2017 ein Präsident, der wie ein Mafiaboss agiert. Mit scharfem Blick zeichnet Comey nach, wie Machtbesessenheit und Egomanie die demokratischen Grundwerte der USA aushöhlen. Ein Stück Zeitgeschichte, so spannend wie ein Thriller - nun gibt es den SPIEGEL-Bestseller endlich im Taschenbuch. James Comeys brisante Erinnerungen an die vergangenen 20 Jahre im Zentrum der Macht zeigen ihn als unbeugsamen Ermittler, der gegen die Mafia, gegen CIA-Folter und NSA-Überwachung, und zuletzt im Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clintons Umgang mit dienstlichen Emails und Donald Trumps Russland-Verbindungen vorgegangen ist. Der Weg des New Yorker Vorzeigejuristen gleicht einer politischen Achterbahnfahrt: stellvertretender Justizminister unter George W. Bush, zum FBI-Direktor ernannt von Barack Obama und gefeuert von Donald Trump wegen angeblicher Illoyalität. Sein Buch ist ein eindrückliches Lehrstück über den aufrechten Gang in einer verantwortungslosen Regierung. Ein Sachbuch wie ein Kriminalroman der Extraklasse: »Comey schreibt mit der Präzision eines Staatsanwalts und dem Talent eines Romanciers.« - Der Spiegel

James B. Comey, geboren 1960, arbeitete nach seinem Jurastudium bei der New Yorker Staatsanwaltschaft. 2003 stieg er zum stellvertretenden Justizminister auf, 2013 wechselte als Direktor zum FBI. 2017 feuerte Trump ihn, weil Comey nicht bereit war, die Russland-Ermittlungen gegen Trumps Mitarbeiter einzustellen. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder, sein erstes Buch »Größer als das Amt« war ein weltweiter Bestseller.

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Leseprobe

1


The Life

Nicht ans Sterben denken heißt nicht ans Leben denken.

Jann Arden

 

Das Leben beginnt mit einer Lüge.

Diesen Satz hörte ich 1992, als Staatsanwalt in New York. Gesagt hat ihn ein Führungsmitglied eines der berüchtigtsten kriminellen Clans der Vereinigten Staaten, und gemeint war das, was sie The Life nennen.

Salvatore »Sammy the Bull« Gravano war der ranghöchste amerikanische Mafioso, der je Zeuge der Anklage wurde. Er hatte die Seiten gewechselt, weil er nicht lebenslänglich hinter Gitter gehen wollte und nachdem er auf Tonbändern aus den Ermittlungen gehört hatte, wie schlecht sein Boss John Gotti hinter seinem Rücken über ihn redete. Jetzt saß Gravano bei uns in Gewahrsam und führte mich in die Regeln des Mafialebens ein.

Wer als Mitglied bei der Cosa Nostra – noch einer ihrer Begriffe: »Unsere Sache« – aufgenommen werden wollte, musste vor dem Boss, dem Unterboss und dem Consigliere der »Familie« einen Schwur ablegen. Danach war er ein Made Man. Die Initiation erfolgte in einer geheimen Zeremonie, und die erste Frage lautete: »Weißt du, warum du hier bist?« Der Anwärter hatte mit Nein zu antworten. Dabei musste einer schon ein ziemlicher Idiot sein, wie Gravano erklärte, wenn er nicht wusste, warum er sich mitsamt lauter Familienoberhäuptern irgendwo in einem Nachtklubkeller befand.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte die amerikanische Mafia keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. 1957 hatten sich die Bosse darauf verständigt, »die Bücher zu schließen« – die Formulierung verrät, dass sogar echte Unterlagen über die Deck- und Klarnamen der Mitglieder zwischen den Mafiaclans hin und her gingen –, sie waren ernsthaft in Sorge, dass die Geschäfte nicht mehr gut liefen und sie von Informanten infiltriert würden. 1976 kamen sie überein, dass jeder Clan zehn neue Mitglieder aufnehmen durfte und dann die Bücher wieder geschlossen werden sollten. Neue Mitglieder waren nur als Ersatz für verstorbene erlaubt. Diese zehn Neulinge waren in jedem Clan die abgebrühtesten, weil jahrelang gestählten Star-Gangster. Gravano gehörte zu dieser »Spitzenklasse«, als er zur Mafia kam.

Natürlich bedeutete die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern nach so langer Pause zusätzliche Belastungen für die kriminellen Geschäfte. Üblicherweise wurde dem Anwärter beim Einweihungsritual ein Heiligenbildchen mit Blutstropfen von seinem »Abzugsfinger« – dem Zeigefinger – in die offenen Hände gelegt und angezündet. Er musste dazu sagen: »Möge meine Seele brennen wie dieser Heilige, wenn ich je die Cosa Nostra verrate.« Gravano erinnerte sich, dass er am dramatischen Höhepunkt der Zeremonie diese Worte nur über einem brennenden, blutbefleckten Stück Stoff sprechen konnte: Der Gambino-Clan hatte nicht genügend Heiligenbildchen besorgt.

Gravanos Aufnahmeritual begann nicht nur mit einer Lüge, es endete auch mit Lügen. Der Boss las ihm die Regeln der amerikanischen Cosa Nostra vor: »Wir töten nicht mit Sprengstoff, wir töten keine Polizisten, wir töten andere Made Men nur mit Erlaubnis von oben, wir schlafen nicht mit der Frau eines anderen Made Man, und wir handeln nicht mit Drogen.« Die beiden ersten Regeln wurden im Allgemeinen korrekt befolgt. Der Staat hätte jeden vernichtet, der mit Sprengkörpern Unschuldige verletzte oder Angehörige der Strafverfolgungsbehörden tötete. Der Rest des Gelöbnisses – andere Mafiosi nicht zu töten, nicht mit deren Frauen ins Bett zu gehen, nicht mit Drogen zu dealen – war glatt gelogen. Diese drei Regeln wurden von Gravano und seinen Mafiosi regelmäßig gebrochen. Es war, erklärte der mit mir zusammen ermittelnde Staatsanwalt Patrick Fitzgerald, wie beim Hockey: Schubsen und Blocken ist zwar theoretisch verboten, aber auf dem Feld üblich.

Die mit der amerikanischen eng verbundene sizilianische Mafia hatte noch eine Regel, und sie wirft ein Licht auf die fundamentale Funktion der Unehrlichkeit innerhalb der gesamten organisierten Kriminalität auf beiden Seiten des Atlantiks. Neu aufgenommenen Mitgliedern war es verboten, einen anderen Made Man – in Sizilien hieß er »Ehrenmann« – anzulügen, es sei denn, er sollte damit in den Tod gelockt werden. Ein schwerwiegendes »Es sei denn«. Ich habe einmal Francesco Marino Mannoia, einen sizilianischen Mafiakiller, der auch zum Zeugen geworden war, danach gefragt:

»Das heißt also, Franco, Sie können mir vertrauen, es sei denn, wir haben vor, Sie zu töten?«

»Ja«, meine Frage irritierte ihn, »Made Men dürfen nur über die wirklich wichtigen Sachen lügen.«

Leben im Lügengestrüpp. Ein Schweigekreis des Einverständnisses. Totale Kontrolle durch den Boss. Treueschwüre. Eine Weltanschauung nach dem Prinzip »Wir gegen die«. Kleine und große Lügen im Dienst eines verqueren Loyalitätskodex. Solche Regeln und Normen waren charakteristisch für die Mafia, aber ich sollte mich während meiner ganzen Laufbahn immer wieder wundern, wie oft sie auch anderswo galten.

Meine Anfangsjahre als Staatsanwalt, vor allem meine Rolle im Kampf gegen die Mafia, bestärkten mich in der Überzeugung, den richtigen Beruf gewählt zu haben. Die Juristerei war mir nicht in die Wiege gelegt worden. Aber letztlich entschloss ich mich zur juristischen Laufbahn, weil ich glaubte, dadurch anderen Menschen am besten helfen zu können, vor allem denen, die unter den Mächtigen zu leiden hatten, unter Verbrecherbossen und Tyrannen. Vielleicht war meine Entscheidung dafür unausweichlich, aber das war mir damals mit sechzehn nicht klar, als jemand mit der Pistole auf mich zielte. Eine Erfahrung, die mein Leben veränderte.

 

Der Mann mit der Pistole wusste nicht, dass ich an dem Abend zu Hause war. Er hatte durch ein Souterrainfenster beobachtet, wie sich meine Eltern von einer Gestalt verabschiedeten, die im flackernden Fernsehlicht auf dem Wohnzimmerboden lag. Vermutlich hatte er die Gestalt für meine Schwester Trish gehalten. Es war aber mein jüngerer Bruder Pete (Trish war nach den Herbstferien wieder ins College gefahren, und unser jüngster Bruder Chris war bei einem Pfadfindertreffen). Ein paar Minuten nachdem meine Eltern davongefahren waren, trat der Mann die Tür unseres bescheidenen Bungalows ein und ging geradewegs nach unten.

Der Tag, der mein Leben veränderte, war der 28. Oktober 1977, ein Freitag. Die meisten Menschen in New York und Umgebung erlebten die Monate davor als den Summer of Sam, in Angst vor einem Serienmörder, der in der Stadt und den Vororten Pärchen in Autos überfiel. Für die Menschen im nördlichen New Jersey dagegen war es der Sommer – und Herbst – des Ramsey Rapist. Der Täter wurde so genannt wegen eines Dutzends Vergewaltigungen, die im Städtchen Ramsey begonnen hatten. Unser verschlafenes Städtchen Allendale lag gleich südlich davon.

Pete hörte schwere Schritte auf der knarzenden Treppe und ein leises Knurren von unserem Hund, sprang hoch und ging in Deckung. Aber der Einbrecher wusste, dass er da war. Er hielt die Pistole in seine Richtung und herrschte ihn an, er solle aus dem Versteck kommen. Dann fragte er, ob noch jemand im Haus war. Nein, log Pete.

Ich war damals im vierten Highschool-Jahr und ein Nerd, ich hatte kaum Freunde. Wie zum Beweis war ich an diesem Freitagabend zu Hause, um einen Text für die Schülerzeitung zu Ende zu schreiben. Es sollte eine brillante Satire werden, über coole Kids, Mobbing und den erdrückenden Gruppenzwang in der Highschool. Der Text war überfällig und noch nicht gerade brillant, aber ich hatte an diesem Freitagabend nichts anderes vor. Also saß ich in meinem kleinen Zimmer am Schreibtisch und schrieb.

Unten im Keller zwang der Einbrecher Pete, ihm das Schlafzimmer zu zeigen. Kurz darauf hörte ich ihre Schritte, direkt vor meiner Tür gingen zwei Personen in Richtung des Elternschlafzimmers. Dann kamen andere Geräusche, der Wandschrank und die Kommode wurden auf- und zugemacht. Ärgerlich und neugierig stand ich auf und öffnete die Schiebetür zum Bad, das zwischen meinem Zimmer und dem meiner Eltern lag. Dort brannte helles Licht. Ich sah Pete auf einer Seite des Bettes liegen, mit dem Kopf in meine Richtung, aber fest geschlossenen Augen.

Ich ging hinein, sah nach rechts und versteinerte. Ein mittelalter, gedrungener Mann mit Strickmütze und einer Pistole in der Hand starrte in den Kleiderschrank. Dann dehnte sich die Zeit, auf eine Weise, wie ich es nie wieder erlebt habe. Zuerst sah ich gar nichts mehr, dann kam meine Sehkraft wieder, aber seltsam vernebelt, und mein ganzer Körper pulsierte, als wollte mir das Herz im Leibe zerspringen. Als der Mann mit der Pistole mich sah, lief er zu Pete, drückte ihm ein Knie in den Rücken und hielt dem Fünfzehnjährigen mit der linken Hand den Lauf seiner Waffe an den Kopf. Dann sah er mich an.

»Keine Bewegung, Kleiner, oder ich puste ihm das Hirn weg.«

Ich rührte mich nicht.

Der Pistolenmann fing an, Pete zu beschimpfen. »Hattest du nicht gesagt, hier ist sonst keiner im Haus?«

Dann ließ er von ihm ab und befahl mir, mich neben ihn aufs Bett zu legen. Er wollte wissen, wo Geld zu finden wäre. Ich erfuhr erst später, dass Pete die ganze Zeit Geld in der Hosentasche hatte und nicht hergab. Ich gab sofort alles her. Ich nannte jeden Fundort, der mir einfiel – Sparschweine, Portemonnaies, Münzen, die uns unsere Großeltern für Unternehmungen zugesteckt hatten, einfach alles. Mit meinen Informationen versehen, machte sich der Mann auf die Suche und ließ uns auf dem Bett liegen.

Kurze Zeit später war er wieder da, baute sich vor dem Bett auf und richtete seine Waffe auf uns. Ich weiß nicht, wie...

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