Verschwenderisch:
Die Schöpfung
»Am Anfang schuf Gott Himmel …«, das sind die ersten Worte der Bibel und sofort tauchen wir hinein in einen unglaublich weiten Raum. Mit Himmel ist der Kosmos gemeint, alles, was sich im Weltall befindet. Wenn ich in einer sternenklaren Nacht hinausschaue und immer mehr Lichter wahrnehme, dann fühle ich mich ganz klein und unbedeutend. Was sind wir Menschen schon angesichts dieses unfassbar weiten Raums? Das ist wirklich groß: 100 Milliarden Galaxien, in denen sich wiederum 100 Milliarden Sonnensysteme befinden. Eine von diesen 100 Milliarden Galaxien ist das, was wir die Milchstraße nennen und innerhalb dieser Galaxie sind wir eines von 100 Milliarden Sonnensystemen allein in der Milchstraße, können Sie das wirklich denken? Ich kann es nicht, es ist einfach unvorstellbar. Es ist so groß und so weit, dass ich es wirklich nicht fassen kann. Und doch ist es so. Die räumlichen Dimensionen, in die wir »eingebettet« sind, bewegen sich in einer Größenordnung, die wir nur noch mit Lichtgeschwindigkeit beschreiben können (zum Beispiel: Die Strecke von der Erde bis zum Mond beträgt etwa 390?000 Kilometer, das entspricht ca. 1,3 Lichtsekunden). »Bewegen« deshalb, weil die Schöpfung ja nicht zu Ende ist. Das Weltall wächst ja, es dehnt sich immer weiter aus.
Wenn wir also beginnen, unser Denken zu erweitern und größer werden zu lassen, dann folgen wir im Grunde einem Naturgesetz und tun das, was unser Umfeld (im weitesten Sinne) seit Milliarden von Jahren tut: Es weitet sich aus, rasant! Wenn ich in einer sternenklaren Nacht hinausschaue und immer mehr Lichter wahrnehme, dann fühle ich mich wie gesagt ganz klein und unbedeutend. Wenn ich dann jedoch in der Bibel lese und erfahre, dass der Schöpfer des Kosmos sich den Menschen auserwählt hat, den Menschen geschaffen hat zu seinem Ebenbild und zwar in der zweifachen Weise als Mann und als Frau, dann fühle ich mich auf einmal »großartig«, von großer Art, große Kunst, das ist die Schöpfung. Das ist der Mensch.
Und wie habe ich mir nun diesen Gott vorzustellen? Die häufigste Darstellung Gottes ist die eines kräftigen älteren Herrn mit Rauschebart und die bekannteste Darstellung ist wohl jene in der sixtinischen Kapelle in Rom von Michelangelo. Doch warum wird und wurde Gott immer als Mann dargestellt, wo doch in den alten biblischen Texten ganz klar und für die damalige Zeit unfassbar revolutionär beschrieben wird: »Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild, als Mann und Frau schuf er sie«? Ich weiß jetzt zwar, dass ich ein Ebenbild Gottes bin, aber wie habe ich mir dann Gott vorzustellen: als Zwitter oder als ungeschlechtliches Zwischenwesen? Könnte das zweite Gebot »Du sollst dir kein Bildnis machen« vielleicht nicht nur in Abgrenzung zu den vielen anderen Religionen, die sich Götzenbilder schufen, die sie anbeteten, formuliert sein, sondern auch in der weisen Absicht, dem Menschen zu raten: Versucht erst gar nicht, euch ein Bild von mir zu machen, denn alle Bilder werden scheitern? Es ist ja auch nicht ausgemacht, dass wir die einzigen Lebewesen im Kosmos sind, die Gott als sein Ebenbild geschaffen hat, vielleicht ist Gott äußerst variabel und wir sind nur eine von 100 Milliarden Ebenbildlichkeiten des einen Gottes. Aber selbst wenn es so wäre, wäre es trotzdem legitim, sich den Schöpfer auch menschlich vorzustellen.
Wahrscheinlich ist, dass wir viel zu klein denken und wahrscheinlich ist auch, dass es angesichts von 100 Milliarden Sonnensystemen in jeweils 100 Milliarden Galaxien im Weltall vor Leben nur so wimmelt. Wenn sich in nur einem von den 100 Milliarden Sonnensystemen die gleichen lebensbegünstigenden Umstände ergeben (haben) wie in unserem Sonnensystem, dann wären das immer noch (bei 100 Milliarden Galaxien) 100 Milliarden unterschiedlichster Formen intelligenten Lebens im Weltraum. Wahrscheinlich ist jedoch, dass es »da draußen« sehr viel mehr Lebensformen gibt. Seien wir erst einmal froh, dass wir nicht (wie man bis zum Mittelalter geglaubt hat) das Zentrum des Kosmos sind, sondern uns in einem Randsonnensystem einer Randgalaxie befinden. Dort lebt es sich, vermute ich, kosmologisch gesehen ruhiger.
Im Weltraum ist eine Party angesagt. Treffen sich zwei schwarze Löcher, sagt das eine: »Du, ich weiß überhaupt nicht, was ich anziehen soll.« Sagt das andere: »Alles!«
Die Bibel beschreibt nicht, wie der Mensch erschaffen wurde, sondern warum. Sie tut das in der ausschmückenden, übertreibenden, orientalischen Erzählweise alter Mythen und trotzdem finden sich immer wieder Hinweise, die im Dialog mit den Erkenntnissen der modernen Astrophysik zumindest interessant und erhellend erscheinen. Dabei ist es sowohl für den Theologen als auch für den Naturwissenschaftler notwendig, größer zu denken und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen:
Der Naturwissenschaftler sieht und beschreibt, überprüft, rechnet nach, experimentiert, rechnet wieder, macht die Gegenprobe, verifiziert und beschreibt schließlich, wie etwas funktioniert oder funktionieren könnte. Der Glaubende erahnt, staunt und traut dem Offenbarten, er sieht hinter der Komplexität des Weltalls den Schöpfer, er denkt nach, sucht das Gespräch mit denen, die mehr wissen und findet eine Antwort auf das Warum. Beide, der Glaubende und der Naturwissenschaftler, stehen vor einem Rätsel. Je mehr sie wissen und voneinander lernen, desto mehr staunen sie. Beide.
Die schönsten und interessantesten »Objekte« im Weltall sind die explodierenden Sterne (Supernovae) und die sogenannten planetarischen Nebel. Jeder Stern heizt sich irgendwann soweit auf, dass er explodiert und sich und sein Umfeld zerstört. Die Sonne ist unser Stern und auch sie wird in etwa fünf Milliarden Jahren explodieren. Das mag erschreckend klingen, aber fünf Milliarden Jahre sind ja auch noch eine ziemlich lange Zeit. Es ist eher wahrscheinlich, dass die Menschheit es bis dahin geschafft hat, sich auf anderem Wege selbst zu beseitigen; oder man hat ein jüngeres Sonnensystem entdeckt, in dem die Menschheit weiterleben kann. Sie merken: Hier ist der reale Boden, aus dem Science-Fiction-Romane erwachsen. Für das Leben im Weltall war und ist es notwendig, dass Sterne sterben, denn nur dann werden jene chemischen Substanzen freigesetzt, aus denen zum Beispiel der Mensch besteht. Im zweiten Schöpfungsbericht lesen wir, dass Gott aus Staub einen Klumpen formt und seinen Atem hineinbläst. Heute wissen wir: Aus Sternenstaub sind wir gemacht. Das alles ist groß, vielleicht zu groß für unser Denken, in jedem Fall ist es ein Anfang, der uns ermutigen und herausfordern will, selbst groß zu denken.
Wo wir Großzügigkeit finden, da begegnen wir Gott. Einen anderen Schluss lässt die Schöpfungsgeschichte nicht zu. Es wird beschrieben, wie die Erde in sechs Tagen, in sechs Etappen und Zeitabschnitten erdacht und geschaffen wurde in einer atemberaubenden Vielfalt, die in uns die Sehnsucht nach allem weckt, was Leben atmet. Wenn wir uns allein die Flora und die Fauna dieser Welt betrachten, mit wie viel spielerischer Kreativität die Wesen und Pflanzen dieser Erde entwickelt wurden und entstanden sind, dann können wir nur staunen. Und wir kennen ja noch längst nicht alle Lebewesen auf diesem Planeten. Man schätzt, dass es allein in der Tiefsee etwa eine Million verschiedener Lebensformen gibt, von denen wir gerade mal 30 Prozent kennen.
Doch zurück zur Erdoberfläche: Wir sind umgeben von einer bunten Vielfalt, einem unglaublichen Artenreichtum. Allein im Reich der Insekten gibt es so viele filigrane und dennoch hochspezialisierte Lebewesen, dass man nur staunen kann.
Sie wiegt 6,8 Gramm bei einer Flügelfläche von 2,5 Quadratzentimetern und einem Winkelabstand von sechs Grad. Nach den Gesetzen der Aerodynamik kann die Hummel nicht fliegen. Die Hummel weiß das nicht!
Die Schöpfungserzählungen wollen nicht erklären, wie die Erde geschaffen wurde, sondern warum. Die wichtigste Aussage der Schöpfungserzählungen war für die Menschen damals: »Und Gott sah, dass es gut war!« In einer Welt, in der man sich vieles nicht erklären konnte, in der man scheinbar hilflos dem Wechsel der Gezeiten, den Launen des Wetters und den Katastrophen ausgeliefert war, zu wissen: Die Schöpfung ist gut, sie ist verlässlich. Das ist die gute Nachricht der Schöpfung: Es ist gut!
Natürlich hat der Mensch versucht, die Natur zu kopieren, aber wenn man das probiert, merkt man eigentlich erst, wie viel dahintersteckt. Wie sagte der Astrophysiker Andreas Burkert so treffend: »Je mehr wir erkennen, desto Wo wir Großzügigkeit finden, da begegnen wir Gott. Einen anderen Schluss lässt die Schöpfungsgeschichte nicht zu. Es wird beschrieben, wie die Erde in sechs Tagen, in sechs Etappen und Zeitabschnitten erdacht und geschaffen wurde in einer atemberaubenden Vielfalt, die in uns diemehr staunen wir!« Die Bibel beschreibt nun, wie groß und vielfältig die Schöpfung gedacht und gemacht wurde und dass alles, was erschaffen wurde, gut war. Alles, auch der Moskito, die Wespe und der Bandwurm, alles hat seinen Zweck, alles ist gut. Ich muss das nicht alles gut finden und ich muss lernen, damit umzugehen, aber ich darf zunächst einmal erkennen: Wo Gott ist, da ist Kreativität, und die denkt groß und atmet Freiheit, nämlich die Freiheit, am siebten Tag zu pausieren und zu ruhen. In einer Welt der Sklaverei und der Fronarbeit war das ein unglaublicher Freiraum: Einen Tag in der Woche soll ich, muss ich, darf ich aussteigen aus dem Hamsterrad und nichts tun, ausruhen, mit den Kindern spielen und das Leben...