1 Öko-Rollback – zurück in die Vergangenheit
In einer Ausgabe des Magazins Intelligent Life war vor einigen Jahren ein interessantes Gedankenexperiment zu lesen: »Es wäre einfach, sich eine Parallelwelt vorzustellen, in der die BBC-Nachrichten mit dem Wetterbericht beginnen, der uns über Hitzewellen, Hurrikane und Monsune informiert. Danach würde der Umweltredakteur übernehmen. Er würde analysieren, wie diese sich auf Hunger, Ressourcenvorkommen und Migration auswirken, bevor er schließlich an den Politikredakteur übergibt – mit einer gewissen Erleichterung –, der vor der Downing Street Nr. 10 steht und die letzten Wendungen im Finanzskandal erklärt. Das hätte eine gewisse Logik.«5
Der Autor Robert Butler beobachtet, dass geografische Themen heute selten ohne alarmierenden Unterton diskutiert werden. Sobald ein Gegenstand aus dem Bereich Geografie aufkomme – zum Beispiel Ackerbau, Flüsse, Bevölkerungswachstum –, finde man sich fast zwingend in einem Gespräch über versalzene Ackerböden in Bangladesch, die Versauerung der Ozeane oder die fortschreitende Wüstenbildung in Afrika wieder. Und wo immer man das Gespräch begonnen habe, am Ende lande man unweigerlich beim Topthema: dem Klimawandel. Der BBC hingegen attestiert der Autor eine Perspektive auf das Weltgeschehen, die eher dem 19. Jahrhundert entspreche, die die Politik eher als Zusammentreffen konträrer Meinungen verstehe, die durch Wahlen, Gipfeltreffen und Friedensprozesse verhandelt werden könnten. »Auf diese Weise wird die Umwelt getrennt als eines von vielen Themen behandelt, obwohl die Geschichte zeigt, dass die Überlebensfähigkeit einer Zivilisation davon abhängt, wie sie mit ihrer Umwelt umgeht. Die großen Faktoren, die unser Leben in den nächsten 50 Jahren bestimmen werden, sind vermutlich Dinge, über die wir nur wenig Kontrolle haben. Oder, wie der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einmal sagte: ›Man kann mit dem Iran verhandeln. Man kann nicht mit der Natur verhandeln.‹«
Butlers Artikel erschien 2009. Heute, fünf Jahre später, scheint es, dass die Entwicklung genau die entgegengesetzte Richtung genommen hat. Es ist nicht gelungen, die Lösung der uns bedrängenden Umweltprobleme zum Topthema zu machen, ihr vor allen anderen Themen den Vorzug zu geben, in den Medien nicht und schon gar nicht in Politik und Gesellschaft. Im Gegenteil: In einem Artikel der ZEIT vom 21.11.13 ist zu lesen: »Öko war früher. Von den grünen Bekenntnissen der Menschheit ist wenig geblieben. Die Welt gibt erst mal auf.«6 Die Autoren sprechen vom Öko-Rollback – vom Rückfall in eine Vergangenheit, da Fragen des Umweltschutzes kaum die Gemüter bewegten. Denn selbst hartgesottene Kämpfer für die Umweltsache ziehen sich inzwischen resigniert zurück, wie bei der 2013 im polnischen Warschau veranstalteten Weltklimakonferenz, bei der – zum ersten Mal in der Geschichte der Klimakonferenzen – die NGOs (die Nicht-Regierungs-Organisationen) geschlossen und unter Protest den Saal verließen. Das Zauberwort, mit dem jede vernünftige Umweltpolitik in die Schranken gewiesen wird, lautet »Wachstumshindernisse«. Keine Regierung, auch nicht die deutsche, traut sich eine Politik zu, die sich als Wachstumshindernis für die eigene Volkswirtschaft erweisen könnte. Da mag die ökologische Gefahr noch so groß sein.
Nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko erteilten die USA noch mehr Genehmigungen für die riskante Offshore-Ölförderung als zuvor. Zugleich verbreitet sich im Inland das sogenannte Fracking, die Gewinnung von Erdgas aus besonders tief liegenden Gesteinsschichten. Mit beiden ausgesprochen risikoreichen Techniken sichern die USA der heimischen Industrie die Grundlage zu weiterem unbegrenztem Wachstum. Besonders fatal an dieser Entwicklung: Die neuen Reserven verschaffen der amerikanischen Industrie unerwartete Mengen billige Energie und damit Wettbewerbsvorteile, sodass Länder, die sich für eine vernünftigere, aber teurere Energiepolitik entscheiden, auf dem Weltmarkt ins Hintertreffen geraten, zumindest auf kurze Sicht. Damit üben die USA einen gewaltigen Druck auf den Rest der Welt aus und nehmen letztendlich auch der deutschen Energiewende den Wind aus den Segeln. Die Folgen waren auf der Klimakonferenz in Warschau zu beobachten. Wie in einer Kettenreaktion zog sich Regierung um Regierung von der Verantwortung zurück. Japan gibt sein Ziel auf, den CO2-Ausstoß zu begrenzen, und verkündet, von nun an wieder größere Mengen CO2 zuzulassen. Der polnische Außenminister erklärt die Kohle zur unverzichtbaren Existenzgrundlage seines Landes. Während in Neuseeland gerade der Asylantrag des weltweit ersten Klimaflüchtlings geprüft wird, will das Nachbarland Australien die eben eingeführte CO2-Steuer wieder abschaffen. In Deutschland beschließt die neue Große Koalition, die Energiewende zu bremsen; insbesondere Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, macht sich für die dort ansässige Industrie stark und betont, dass wirtschaftliche Interessen und Arbeitsplätze Vorrang haben vor der Umwelt. Und die CDU handelt nach demselben Prinzip: Unmittelbar nach ihrer Wiederwahl betrieb die Regierung unter Angela Merkel die Änderung eines Abkommens der EU, das die Begrenzung des CO2-Ausstoßes von Neuwagen ab dem Jahr 2020 vorsah. Die Begrenzung von 95 Gramm Kohlendioxid-Ausstoß pro Kilometer müssen die Autobauer nun erst 2021 einhalten. Ein besonders offensichtlicher Fall von Lobbyismus – nur wenige Tage später wurden mehrere Großspenden von Autofirmen an die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei bekannt.
Die Rückwärtsrollen in der Umweltpolitik sind eine beängstigende Entwicklung. Zuvor haben wir lange Zeit ungeheure Anstrengungen erlebt, den drohenden Klimawandel abzuwenden. Seit Jahrzehnten werden Milliarden investiert, um die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren: in Ruß- und Abgasfilter, saubere Energiequellen und Maßnahmen zur Dämmung von Gebäuden. Seit Jahren werden zähe Kämpfe zwischen Bund, Ländern, Kommunen, zwischen Ökolobbyisten, Betreibern von Braunkohlebergwerken und Industrie ausgefochten, und seit Jahren wird auf nationaler, europäischer und globaler Ebene mühsam und mit wenig Erfolg um einen wirksamen Klimaschutz gerungen. Hatte das Welt-Klima-Theater in Warschau seine letzte Vorstellung?
Die Zerstörung der Welt nimmt allerorts zu, doch der aktuellen Resignation scheint die Einsicht zugrunde zu liegen, dass unser Bemühen für den Umweltschutz ein Kampf David gegen Goliath ist: Die Bedrohungen sind gigantisch, die Präventionskosten auch, die Folgekosten noch viel höher, und die Aussichten auf wirklich wirksame Maßnahmen tendieren, so die verbreitete Überzeugung, gegen null. Derweil weist eine aktuelle Studie der Europäischen Kommission potenzielle Nettogewinne für die europäische Industrie von 250 bis 600 Milliarden Euro jährlich aus, wenn realistische Möglichkeiten der Ressourceneinsparung wahrgenommen würden.7
Da klingt es fast schon wie eine Binsenweisheit, wenn ich behaupte: Unsere Umweltpolitik ist auf dem falschen Weg, denn sie ist wenig effektiv im Hinblick auf die Gefahren, die uns durch die Zerstörung der Ökosphäre drohen. Allerdings ist es im biblischen Gleichnis am Ende der scheinbar ohnmächtige David, der die Auseinandersetzung gewinnt, weil er das richtige Mittel gegen den übermächtigen Gegner findet. Ehe ich von Kapitel 3 an alternative Konzepte für einen angemessenen und wirksamen Umgang mit Umweltproblemen vorstellen will, gilt es zunächst, eine klare Diagnose zu stellen. Denn solange wir nicht anfangen, grundsätzlich anders zu handeln, nehmen die Bedrohungen von Minute zu Minute zu.
Was ist Nachhaltigkeit?
Natur, die der Mensch nutzt, steht uns als Natur in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr zur Verfügung. Diese Erfahrung lehrten bereits die Anfänge des Ackerbaus vor rund 12 000 Jahren, als sich erwies, dass das Säen und Ernten von Nahrungsmitteln auf einem Stück Land nicht beliebig oft wiederholbar ist. Es dauerte jedoch fast ebenso lange, bis daraus ein Problem wurde, denn lange Zeit schien der Vorrat an Natur unbegrenzt: War ein Boden unfruchtbar geworden, ein Wald abgeholzt, so zog man einfach weiter. Immerhin: Als die industrielle Revolution den Naturverbrauch im 19. Jahrhundert drastisch beschleunigte, entstand fast zur selben Zeit die »romantische« Sehnsucht nach unberührter Natur. Ahnten die Romantiker bereits, dass Wälder, Wiesen und Auen zu verschwinden drohten?
Die Rede von der »Nachhaltigkeit« unseres Handelns ist in den politischen und gesellschaftlichen Debatten über die Zukunft nahezu allgegenwärtig. Doch aus übermäßigem Gebrauch wird manchmal Missbrauch: Allzu häufig scheint das Gütesiegel der Nachhaltigkeit allein der Bekundung guter Absichten zu dienen; seine Bedeutungen sind dabei nicht nur vielfältig, sondern auch ausgesprochen unklar. Weit verbreitet ist in der aktuellen Diskussion ein sogenanntes Dreisäulenmodell, in dem soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte als gleichbedeutende Dimensionen von Nachhaltigkeit aufgefasst werden. Ich halte dies für falsch, weil die ökologische Stabilität – also die ökologische Nachhaltigkeit – Grundvoraussetzung für das Überleben aller Menschen auf dem Planeten Erde ist und weil uns nur ein einziger Planet zur Verfügung steht. Was nutzen den Bewohnern einer Insel in der Karibik wirtschaftlicher Wohlstand und soziale...