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Grüß Gott, Herr Imam!

Eine Religion ist angekommen

AutorBenjamin Idriz
VerlagDiederichs Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641052263
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Der Imam der bayerischen Gemeinde Penzberg ist eine Symbolfigur für die geglückte Integration einer muslimischen Gemeinschaft in ein ausgeprägt selbstbewusst-traditionelles Milieu. Er repräsentiert einen weltoffenen, loyalen und transparenten Islam und widerlegt mit seiner Reform-Moschee den Verdacht von der Unvereinbarkeit von Islam und Rechtsstaat. Idriz beschreibt das 'Penzberger Modell' und entwickelt daraus eine realistische und vielversprechende Roadmap für ganz Deutschland.

Benjamin Idriz, geboren 1972 in Skopje/Nordmazedonien ist Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg und Vorsitzender des 'Münchner Forum für Islam'. Er engagiert sich vielfältig im Dialog von Christen und Muslimen. In Büchern wie 'Der Koran und die Frauen' oder 'Wie verstehen Sie den Koran, Herr Imam?' formuliert er die Grundlinien eines zeitgemäßen Koranverständnisses und wendet sich gegen den Missbrauch der Religion für die Begründung extremistischer Haltungen.

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Leseprobe
DIE SCHARIA UND DAS GRUNDGESETZ (S. 90-91)

Die Scharia als Propagandamaterial

Bei dem Begriff Scharia denken viele an eine Regierungsform nach religiösen Regeln. Damit verbundene Vorstellungen wie das Abschneiden von Händen bei Diebstahl, die Todesstrafe für Apostasie, Peitschenhiebe bei Ehebruch u.Ä., die teils religiösen Texten entlehnt sind, teils dem Regierungsstil und der Rechtsprechung des Mittelalters entstammen, lassen ein Bild entstehen, das einer Karikatur des Islam gleichkommt. Da über den Begriff »Scharia« in Europa zumeist in aggressiver Weise geschrieben und gesprochen wird, findet keine objektive oder wissenschaftliche Annäherung statt. Obwohl dieser Begriff im Koran von insgesamt 77 436 Worten nur einmal vorkommt, wird er von allen verwendet, die den Islam anprangern und Ängste in der Öffentlichkeit schüren wollen.

Die Tabuisierung der »Scharia« und anderer mit dem Islam zusammenhängender Begriffe in Europa widerspricht der Gedanken- und Meinungsfreiheit. Der Begriff »Scharia« konnte selbst im kommunistischen Jugoslawien frei von Vorurteilen verwendet werden, einem Land mit Einschränkungen in Gedanken- und Glaubensfreiheit. Die religiöse Trauung vor dem Imam, die zusätzlich zur standesamtlichen gefeiert wurde, hieß z.B. in Serbien, Bosnien oder Kroatien (und heißt dort heute noch so) šerijatsko vjencanje und wurde vom kommunistischen Regime keineswegs als Waffe gegen die muslimische Bevölkerung eingesetzt.

Dort war unter Muslimen ein Scharia-Verständnis üblich, das als Synonym für ethisch-moralische Werte angesehen wurde. In der kommunistischen Zeit gab es auch zahlreiche Veröffentlichungen, die im Titel das Wort Scharia als ethisch-moralischer Code führten. 37 Es ist heute im demokratischen Deutschland schwieriger als im kommunistischen Jugoslawien, diesen Begriff neutral zu verwenden. Auf der anderen Seite wurde der Begriff Scharia, genauso wie der Begriff Dschihad, von muslimischen Kreisen im Laufe der Geschichte missbraucht.

Sein ursprünglicher Sinn wurde entstellt - aus Unwissen, durch Vorurteile, wegen Ressentiments gegen den Islam oder wegen radikalen Bestrebens -, doch so wurde dem Missbrauch und der Diskreditierung dieses Begriffs Tür und Tor geöffnet. Ich habe in der Moschee von Penzberg in den letzten 15 Jahren über tausend Predigten gehalten und Gespräche geführt, und ich erinnere mich nicht, das Wort Scharia, im Sinne eines Rechtssystems vs. Grundgesetz, ein einziges Mal verwendet zu haben.

Das Thema Scharia scheint bei Nicht-Muslimen sogar sehr viel stärker im Vordergrund zu stehen als bei den Muslimen selbst. Dass Scharia als Gegensatz zum Grundgesetzt gedacht wird, ist unter Muslimen eine weitgehend fremde Vorstellung. Die Darstellung in den Medien nimmt nicht zur Kenntnis, dass in der großen Mehrheit der 2600 Moscheen in Deutschland kein Gegenmodell zum Grundgesetz namens Scharia gepredigt wird. Vor wenigen Jahren, als ein hochrangiger Politiker zu einer Wahlveranstaltung nach Penzberg kam, hielt er eine Rede vor der Parteibasis. In seiner einstündigen Rede kam das Wort Scharia dreimal vor.

Man kann nun hochrechnen, wie oft er es in seinem gesamten politischen Leben wohl in den Mund genommen hat. D.h., ein Politiker, der in Glaubenssachen nicht kompetent ist, verwendet diesen religiösen Begriff häufiger als ein Imam oder Gelehrter. Ein anderer Politiker kommentiert einen sog. »Ehrenmord« mit den Worten, das hier sei »kein Land, das mit der Scharia regiert werde« und lässt so in der Öffentlichkeit den abwegigen Eindruck entstehen, die Scharia, also der Islam, befürworte den »Ehrenmord« - für Islamgegner eine willkommene Aussage, die Scharia zu missbrauchen, um weiterhin Angst und Hass zu schüren. Auf der anderen Seite richten radikale Gruppierungen in den Straßen von Somalia, Nigeria oder Pakistan Blutbäder an und versuchen dies mit dem Islam bzw. der Scharia zu legitimieren. Der Begriff befindet sich heute zwischen diesen zwei Extremen, die ihn entweder für die Scharia selbst oder als Waffe gegen die Scharia instrumentalisieren.
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