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E-Book

Grundriss Heidegger

Ein Handbuch zu Leben und Werk

AutorHelmuth Vetter
VerlagFelix Meiner Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783787333417
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis49,99 EUR
Der 'Grundriss Heidegger' versteht sich als eine Einführung zu Martin Heideggers Leben und vor allem als Nachschlagewerk zu seinen Schriften. Diese haben (Stand Frühjahr 2012) einen Umfang von nahezu 27.000 Seiten, verteilt auf die bisher erschienenen 79 Bände der Gesamtausgabe, wozu noch zahlreiche Einzelveröffentlichungen und Briefbände kommen. Der erste Teil, Synopsis, ist der Versuch, über ein Denken umfassend zu orientieren, das sein Autor unter das Motto 'Wege, nicht Werke' gestellt hat. In acht Hauptteilen (Sein, Welt und Sein, In-der-Welt-Sein, Kehre zum Sein, Sein und Nichts, Ereignis und Sein, Bauen am Sein, Haus des Seins) soll die Einheit dieses Denkens sichtbar werden, die durchlaufend nummerierten Paragraphen folgen mit kleineren sachlich bedingten Abweichungen dem chronologischen Ablauf. Der zweite Teil, Lemmata, ist ein Heidegger-Lexikon mit 241 Stichworten von 'Abendland' bis 'Zwischen'. Um diesen Index in überschaubaren Grenzen zu halten, werden verwandte Stichworte gelegentlich in einem Artikel zusammengefasst; zudem ermöglicht eine Fülle von Verweisstellen eine weitergehende Orientierung. Den Stichworten folgen im Allgemeinen Angaben zur Sekundärliteratur. Der dritte Teil, Daten, umfasst drei Abschnitte: eine Übersicht über die wichtigsten Daten von Heideggers Leben und Wirken, Kurzbiographien wichtiger Personen aus Heideggers engerem Umfeld sowie Kurzbeschreibungen zu allen in den Bänden der Gesamtausgabe enthaltenen und einigen in dieser noch nicht erschienenen kleineren Schriften. Der vierte Teil, Appendices, enthält ein Abkürzungsverzeichnis, ein Verzeichnis aller im Buch zitierten Literatur, das Sachregister zum ersten Teil und das Inhaltsverzeichnis des Grundrisses.

Helmuth Vetter (* 14. Dezember 1942 in Bratislava) ist ein österreichischer Philosoph. Nach Volks- und Hauptschule (Maria Laah, Steyr, Enns) besuchte Helmuth Vetter von 1956 bis 1961 die Bundes-Lehrerbildungsanstalt in Linz und studierte anschließend Philosophie, Germanistik, Klassische Philologie und Pädagogik an der Universität Wien. Von 1966 bis 1968 (Promotion) war er Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Philosophie, seit dem Wintersemester 1968/69 Universitätsassistent. 1978 habilitierte er sich für das Gesamtgebiet der Philosophie und lehrte als Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Philosophie der Universität Wien. Am 1. Oktober 2004 erfolgte aus gesundheitlichen Gründen der Übertritt in den Ruhestand. Er widmet sich nun ganz seiner umfassenden Publikationstätigkeit.

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Leseprobe

Einleitung


§ 1 »Wege – nicht Werke«


»Ein Gebirge erscheint.« Mit dieser Überschrift kündigt der SPIEGEL für 1975 die Edition der Gesamtausgabe von Martin Heideggers Schriften durch den Verlag Vittorio Klostermann an3. Der damals 85jährige Autor schätzt die Gesamtzahl der Bände auf »höchstens 50«, im Verlag ist von 70 Bänden die Rede. Doch knapp vier Jahrzehnte später steht fest, dass diese Erwartungen bei weitem übertroffen wurden: Die GA umfasst bisher 80 Bände mit 27.406 Seiten4; hinzukommen zahlreiche in die GA noch nicht aufgenommene Einzelpublikationen und eine stets wachsende Zahl von Briefbänden.

Wenn bei Heideggers Denkweg5 angesichts des Umfangs der vorliegenden Texte6 die Beschränkung auf das Nötigste unvermeidlich ist, so gilt dies noch mehr für die Auswahl der Sekundärliteratur. Bei allem Bemühen um Ausgewogenheit liegt es auf der Hand, dass jede referierende Darstellung bereits durch die Entscheidung für bestimmte und das Fortlassen anderer Texte eine Art von Interpretation ist.

a) Die Sache des Denkens

i. Unterwegs

Wenige Tage vor seinem Tod stellt Heidegger der Gesamtausgabe letzter Hand diesen Leitspruch voran: »Wege – nicht Werke« (GA 1, 437):

»Die Gesamtausgabe soll auf verschiedenen Wegen zeigen: ein Unterwegs im Wegfeld des sich wandelnden Fragens der mehrdeutigen Seinsfrage. Die Gesamtausgabe soll dadurch anleiten, die Frage aufzunehmen, mitzufragen und vor allem dann fragender zu fragen. 〈 . 〉 Es handelt sich um das Wecken der Auseinandersetzung über die Frage nach der Sache des Denkens (als Bezug zum Sein als Anwesenheit; Parmenides, Heraklit; νοεῖν, λόγος) und nicht um die Mitteilung der Meinung des Autors und nicht um die Kennzeichnung des Standpunktes des Verfassers und nicht um die Einordnung in die Reihe anderer historisch feststellbarer philosophischer Standpunkte. Dergleichen ist freilich, zumal im Zeitalter der Information, jederzeit möglich, aber für die Vorbereitung des fragenden Zugangs zur Sache des Denkens gänzlich ohne Belang.« (GA 1, 437 f.)

Die Unterscheidung in »Wege« und »Werke« ist für Heideggers Schriften bedeutsam: Werke sind in sich geschlossen, auf Wegen ist der Wanderer »unterwegs«. Dies trifft auch auf die »Seinsfrage« zu, die im Zentrum von Heideggers Denken steht. Auch wenn er selbst oft nur diese Kurzform gebraucht, kann nicht von einer allen Veränderungen entzogenen Frage ausgegangen werden. Denn dann besteht die Gefahr einer Substantivierung, indem der Geschehnischarakter des Fragens außer Acht bleibt7. Auch ist Heideggers Weg nicht von vornherein eindeutig – es gibt verschiedene Wege, die auch zu Um- oder gar Irrwegen werden können. Dies alles gehört zum »wundersamen Wegebau« (GA 12, 105).

»Der Denk-Weg zieht sich weder von irgendwoher irgendwohin wie eine festgefahrene Fahrstraße, noch ist er überhaupt irgendwo an sich vorhanden. Erst und nur das Gehen, hier das denkende Fragen, ist die Be-wegung. Sie ist das Aufkommenlassen des Weges.« (GA 8:2, 174)

Der Titel des ersten Hauptwerks, Sein und Zeit, zeigt das Problem an: Welcher Sinn von Sein leitet die Überlieferung? Welche Auffassung der Zeit steht dahinter? Wie ist das und zu verstehen, das »Sein« und »Zeit« eint?

Die Tradition folgt seit Platons ἰδέα und der οὐσία des Aristoteles einem fraglos übernommenen Sinn von Sein. Die Zeit wird im Hinblick auf ihre Messbarkeit definiert (GH I, § 7 b). Der Zusammenhang von Sein und Zeit resultiert daraus, dass »Sein« seit den frühen Griechen im Zeitmodus der Anwesenheit steht und dies die nachfolgende Metaphysik prägt (§ 6). Trotz späterer und teils grundlegender Modifikationen stellt die Überlieferung diese Vorgaben nicht grundsätzlich in Frage.

ii. Metaphysik und Onto-Theo-Logie

Für Heidegger beginnt die Metaphysik mit Platon und endet mit Nietzsche. Seit Aristoteles verbirgt sich in ihr ein ihr selbst unbekanntes Geschick, ihre onto-theo-logische Verfassung. Deren Grund wird im dritten und sechsten Buch der Metaphysik gelegt. Das dritte Buch beginnt mit dem Satz:

Ἔστιν ἐπιστήμη τις ἢ θεωρεῖ τὸ ὂν ᾗ ὄν καὶ τὰ τοῦτῳ ὑπάρχοντα καθ’ αὑτό.8 »Es gibt eine gewisse Wissenschaft, die erforscht das Seiende als Seiendes und dasjenige, was diesem als solchem eignet.« (GA 26, 12)

Diese Wissenschaft wird in der Neuzeit unter dem Namen »Ontologie« zur metaphysica generalis9. Sie ist eines der Hauptthemen der πρώτη φιλοσοφία (der prima philosophia oder Ersten Philosophie, die später den Titel Metaphysik bekam10): die Wissenschaft vom Seienden als solchen, dem ὂν ᾗ ὄν.

Das sechste Buch untersucht das würdigste Seiende (τὸ τιμιώτατον ὄν) als allgemeinstes (κοινότατον)11. Dies ist von fundamentaler Bedeutung: »καθόλου besagt für Aristoteles zugleich: κοινότατον und τιμιώτατον ὄν (GA 11, 63(54)) Die Wissenschaft vom Göttlichen (θεῖον12) gilt jenem Seienden, an dem am reinsten der Grundzug des Seins hervortritt: die Überzeitlichkeit.

»Ontologie« und »Theologie«13 interpretiert Aristoteles am Leitfaden des λόγος qua Aussage: λέγειν τι κατά τινος, »etwas von etwas aussagen«14. Zu dieser »logischen« Einheit des Seienden als solchen (ὂν ᾗ ὄν) und im Ganzen (καθόλου) sagt Heidegger 1957:

»Für den, der lesen kann, heißt dies: Die Metaphysik ist Onto-Theo-Logie.« (63).

Dem λόγος liegt ein bestimmter und nicht weiter befragter Begriff des Seienden als solchen (ὂν ᾗ ὄν) zugrunde; er leitet sich aus dem alltäglichen Umgang mit Gebrauchsdingen her (§ 6 c). Dazu kommt, dass das θεῖον Thema der aristotelischen Physik ist; es ist das Ziel (wie auch in Metaphysik Λ 8), die Göttlichkeit des κόσμος, also der Welt, zu beweisen. Dieser onto-theo-logische Beginn der Metaphysik endet mit Nietzsches Erkenntnis: »Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!«15

Die Herkunft des metaphysischen Gottesbegriffs veranlasst Heidegger, »von Gott im Bereich des Denkens zu schweigen«, und zwar »aus der Erfahrung eines Denkens, dem sich in der Onto-Theo-Logie die noch ungedachte Einheit des Wesens der Metaphysik gezeigt hat (GA 11, 63).

b) Der hermeneutische Zirkel

Schon früh spricht Heidegger von einer »Kreisbewegung des Denkens« (GA 1, 217), später sagt er vom Zirkel, er sei »das Fest des Denkens« (GA 5, 3). Dieser sogenannte hermeneutische Zirkel unterscheidet sich vom circulus vitiosus der Logik16: Es liegt keine petitio a principiis vor, denn das Sein, auf das sich das Fragen richtet, ist beim ersten Mal das Gefragte, erwartet wird als Antwort das Sein als Erfragtes.

Der hermeneutische Zirkel geht auf die Praxis des Lesens zurück. Ein erstes Vorverständnis bringt der Leser mit und reichert es bei fortschreitender Lektüre mit neuen Details an. Steht am Anfang ein weitgehend unbestimmtes »Ganzes« (z. B. ein Inhaltsverzeichnis), so führt die wachsende Kenntnis der »Teile« zu einem genaueren Wissen um das Ganze, was wieder der Detailkenntnis zugute kommt17. Dieser Zirkel ist unvermeidlich:

»Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen« (GA 2, 203)18.

Mit dem Hineinkommen meint Heidegger allerdings mehr als nur den Lesevorgang. Zu ihm gehören die Arbeit der hermeneutischen Phänomenologie (GH I, § 8), die Gewaltsamkeit der Interpretation (§ 2 a) und die formale Anzeige (§ 5 d). Die Auslegung erschließt die dem Verstehen immanente Vorstruktur, um »seine Antizipationen nicht einfach zu vollziehen, sondern sie selber bewusst zu machen, um sie zu kontrollieren und dadurch von den Sachen her das rechte Verständnis zu gewinnen«19. Ziel ist die Destruktion der Metaphysik...

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