EIN GESPALTENES LAND
Vorwort zur dritten Auflage
CSU-Parteitag in München. Samstag, der 30. Oktober 2010. Karl-Theodor zu Guttenberg geht durch die Reihen, ein kurzer Halt an der Pressebank, wo die Journalisten arbeiten. Eine Zufallsbegegnung. Was das Buch mache, erkundigt sich der Bundesminister der Verteidigung, höflich und freundlich wie stets, und hört sich an, dass es gut vorangehe. Dann schiebt er, lapidar wie eine Bemerkung über das Wetter, den Satz hinterher, vielleicht werde das Buch ja ohnehin gegenstandslos werden. Wie er das meine? Nun, man müsse solch einen Job ja nicht ewig machen, bedeutet Guttenberg. Wenigstens bis zum März des nächsten Jahres? fragt der Angesprochene. Da solle nämlich das Buch erscheinen.
Der Mann also, der zu jenem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines Ansehens in Deutschland ist, vermutlich aus dem Stand eine Mehrheit bekommen könnte, wenn er Anspruch auf den CSU-Vorsitz erhöbe, dem im Herbst 2010 die baldige Eroberung der bayerischen Staatskanzlei ebenso zugetraut wird wie diejenige des Kanzleramtes, spielt gegenüber Journalisten mit dem Gedanken an das Ende seiner politischen Laufbahn. Abstrus! Immerhin stellt er anschließend in Aussicht, dass er bis März jedenfalls durchhalten werde. Schließlich stehe er wegen der angefangenen Reform der Bundeswehr in der Verantwortung. Wir halten das Ganze für eine weitere seiner zahlreichen koketten Anspielungen, dass er auch ohne die Politik leben könne.
Vier Monate später, der März des Jahres 2011 ist nicht einmal zwölf Stunden alt, lässt Guttenberg eine Pressemitteilung verschicken. Der Minister werde eine Stellungnahme abgeben. So aufgeheizt ist mittlerweile die Diskussion über Guttenberg, über seine schweren Verfehlungen bei der Abfassung seiner Dissertation, über die alles verniedlichende Reaktion der Bundeskanzlerin ihrem Minister gegenüber, dass das nur noch eines bedeuten kann: Karl-Theodor zu Guttenberg tritt diesmal wirklich zurück. So kommt es. Deutschlands politischer Superstar legt am 1. März 2011 alle politischen Ämter nieder. Am Vorabend ist im Berliner Hotel »Adlon« die erste Auflage seiner Biographie, dieses Buches also, präsentiert worden.
Biographien über aktive Politiker zu schreiben, ist immer eine riskante Sache. Wichtige Dinge können kurz nach dem Redaktionsschluss passieren, während das Buch gedruckt wird und die Autoren hilflos auf sein Erscheinen warten. Ein Rücktritt ist naturgemäß das einschneidendste Ereignis. Aber auf den Spuren des Hochgeschwindigkeitspolitikers Karl-Theodor zu Guttenberg musste das ja so kommen. Ein normales Ende eines solchen Abenteuers wäre für ihn nicht angemessen gewesen. Als die Staubwolken, die das Rennen nebst seinem spektakulären Ausgang aufgewirbelt haben, sich legen, schauen die Biographen auf ihr Werk. Ist noch alles in Ordnung, stimmt alles? Oder ist der Rahmen verzogen? Muss nach der Enthüllung, dass seine Doktorarbeit ein großes Plagiat ist, das ihn am Ende das Amt gekostet hat, der Blick auf Guttenberg ein anderer sein? Zwei Tage nach dem Rücktritt erscheint in der »Zeit« eine Rezension unseres Buches. Aus ihr sei an dieser Stelle zitiert: »Die Biografie von Wehner und Lohse muss von morgen an nicht umgeschrieben, nur fortgesetzt werden, und den Autoren nimmt man es ab, wenn sie nun sagen: Die Entzauberung des Märchenprinzen überrasche sie nicht. Die Spuren eines Mannes, der seinen Lebenslauf schönt, durchziehen dieses Buch, ein bisschen Hochstapelei, etwas Lüge, manche Legende, fingerdick Blattgold und Pomade.«
Tatsächlich sind wir bei der langen und intensiven Beobachtung Karl-Theodor zu Guttenbergs bald auf jene Spuren gestoßen, die zeigen, dass er gerne möglichst viel äußeren Glanz in seinen Lebenslauf bringt und es dabei mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt. Er hübscht ein Praktikum zu einer freien Mitarbeit auf, führt für die Zeit vor seinem Abgeordnetendasein ein Engagement im Familienunternehmen auf, das sich nicht recht präzisieren lässt, zeigt große Neigung zu spektakulären Fotoposen und zu politischen Schüssen gegen die eigene Mannschaft, die die eigene Person in ein besonders helles Licht rücken sollen. Das eigene Fehlverhalten in der Bewältigung der Kundus-Affäre gibt Guttenberg dagegen erst unter dem Druck eines Untersuchungsausschusses mit monatelanger Verzögerung zu, während er einstige Schutzbefohlene innerhalb von Stunden fallen lässt und anschließend im grellen Scheinwerferlicht der Talkshows mit Schuldzuweisungen überzieht. Das alles lässt das Bild einer Persönlichkeit entstehen, die neben ihren politischen Fähigkeiten genügend Schillerndes vorhält.
Aber eine angeblich über Jahre entstandene juristische Doktorarbeit, die eine gigantische Ansammlung von Plagiaten ist? Ein Mann, der behauptet, dieses alles selbst gemacht zu haben und zwar ohne jede böse Absicht und das zu einem Zeitpunkt, da er hauptberuflich als Bundestagsabgeordneter an der Entstehung jener Gesetze mitwirkte, mit denen das Land regiert wird? Ein Mann, der nach der Aufdeckung dieses Riesenschwindels erst alle Vorwürfe als »abstrus« zurückweist, um wenig später seinen Doktortitel unter dem Beifall seiner Fans von sich zu schleudern mit dem Kommentar, er habe »Blödsinn« geschrieben? Das ist neu. Das steht nun neben seinen Talenten, die in diesem Buch natürlich auch ausführlich beschrieben werden.
Wie oft hatten wir gerungen mit dem Objekt unserer Beobachtung, hatten diskutiert, uns gefragt, ob er ein großer Politiker oder doch mehr ein begabter Schauspieler sei. Jetzt also noch einmal. Dabei sind wir nicht allein, sondern in der Gesellschaft des restlichen Deutschlands. Spätestens seitdem Mitte Februar die Plagiatsaffäre begonnen hat, ist Deutschland zweigeteilt: Guttenberg-Fans gegen Guttenberg-Kritiker. Es scheint kein Grau, kein Einerseits-Andererseits, sondern nur noch Schwarz und Weiß zu geben. Seit wir kurz nach dem Beginn der Plagiatsaffäre Auszüge aus dem Buch in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« veröffentlichten, die Guttenbergs Neigung zum Polieren seines Lebenslaufs beschreiben und seine Bereitschaft, es bei der Aufarbeitung der Kundus-Affäre mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, hat uns eine Welle der Empörung überrollt. Leser mailen, schreiben Briefe, rufen an. Die überwältigende Mehrheit schimpft aus Leibeskräften, nicht etwa, weil irgendeine unserer Darstellungen der Wahrheit nicht entspreche, sondern weil wir Guttenberg kritisierten. Auch wenn es dem üblichen Ablauf solcher Reaktionen entspricht, dass sich schnell (und oft genug ausschließlich) Kritiker melden, so ist die Wucht von deren Auftreten diesmal ungewöhnlich. Erst nach und nach wenden sich jene Leser an uns, die einen weniger positiven Blick auf den Politiker Guttenberg haben.
Spätestens mit dem jähen Einsetzen seines politischen Todeskampfes – Wiederauferstehung nicht ausgeschlossen – hat Karl-Theodor zu Guttenberg Deutschland gespalten. Seine Anhänger finden sich vor allem im großen Kreis derjenigen, die mit einem gerüttelt Maß an Verachtung auf die etablierte Politik schauen; auf Parteien, die sich ihrer Meinung nach das Land zur Beute gemacht haben, die nicht nur die Herrschaft über die Gesetzgebung entlang der Parteigrenzen untereinander aufteilen, sondern über den Parteienproporz tief in das gesellschaftliche Alltagsleben vordringen, die Verwaltungsapparate von den Bundesministerien bis hinab zu den Rathäusern mit ihren Leuten so besetzen, dass sie ihre Macht möglichst dauerhaft etablieren, die die Herrschaft über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben, indem sie sich die Führungspositionen dort aufteilen. Es ist die Wahrnehmung einer politischen Klasse als graue, aber mächtige Schicht, die ihr Wirken oft zum Lebenszweck, mindestens zum Beruf gemacht hat.
Dass Karl-Theodor zu Guttenberg gerade in Bayern so beliebt ist, mag nicht nur daran liegen, dass er dort geboren wurde und viele Jahre seines Lebens dort verbracht hat, wenngleich er keineswegs als »Bayer« wahrgenommen wird wie etwa Franz Josef. Es dürfte seinen Grund auch darin haben, dass in keinem Bundesland eine Partei so selbstverständlich seit Jahrzehnten die Alleinherrschaft nicht nur über die politischen Institutionen, sondern über das ganze Land hat wie die CSU in Bayern. Die Wahrnehmung, dass »die da oben« sich das Land Untertan gemacht haben, kann vor einem solchen Hintergrund besonders gut entstehen.
Gegen diese – so wahrgenommene – Form von Politik rennen viele Anhänger Guttenbergs im Februar 2011 mit umso größerer Wucht und Verzweiflung an, je mehr sie sehen, dass ihr Held in Bedrängnis gerät. Dass er die rasant wachsenden Schwierigkeiten für sich und sein Amt auch noch selbst zu verantworten hat, die Schuld am Zustandekommen seines Dissertationsplagiats keinem Staatssekretär, Generalinspekteur oder Schiffskapitän in die Schuhe schieben kann, das verstärkt den Ärger vieler Menschen. Manche rasen geradezu vor Wut, bellen in Telefone, drohen das Ende ihres Zeitungsabonnements an. Guttenbergs Vergehen wird kleingeredet. Er habe das nicht bewusst gemacht. Oder: »Haben Sie früher in der Schule etwa nie abgeschrieben?« Ganz so, als ob das mit jahrelangem Diebstahl geistigen Eigentums zu vergleichen wäre, der die Erlangung eines Doktortitels mit höchster Auszeichnung zum Ziel hat.
Selbst diejenigen seiner Fans, die sein Fehlverhalten als Doktorand erkennen, wollen kein Problem für den Politiker Guttenberg sehen. Ein Minister brauche keinen Doktortitel und im Übrigen liege die Angelegenheit ja schon eine Weile zurück. Dass es nur fünf Jahre sind und Guttenberg kein junger Heißsporn, sondern Abgeordneter des höchsten deutschen Parlaments war,...