Psychobiologie (S. 35)
Psychobiology
Thomas Köhler
Die Psychobiologie (etwa synonym: Biopsychologie) ist ein großes Gebiet, sie beschäftigt sich u. a. mit den biologischen Grundlagen von Emotionen, Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnis (Themeninhalte der Allgemeinen Psychologie), von Persönlichkeitseigenschaften (Gegenstand der Differenziellen Psychologie), hat zudem eine enge Beziehung zur Entwicklungspsychologie und liefert schließlich Beiträge zum Verständnis klinisch-psychologischer Sachverhalte.
Hier gibt sie insbesondere Hinweise auf die biologischen Grundlagen psychischer Störungen (u. a. des Abhängigkeitssyndroms), auf Ansatzpunkte biologischer Therapien, aber auch auf mögliche Mechanismen, die psychotherapeutisch induzierten Veränderungen zu Grunde liegen könnten (z.B. auf die biologischen Grundlagen von Verstärkungsprozessen).
Der vorliegende Artikel wird sich vornehmlich mit der klinischen Biopsychologie befassen, angesichts des gesetzten Rahmens sind diese Ausführungen knapp und werden nicht in Details belegt (s. dazu ausführlicher die entsprechenden Abschnitte in Köhler, 1999, 2003). Zunächst sollen die biologischen Grundlagen einiger psychischer Zustände und Prozesse dargestellt werden, die im Kontext psychischer Störungen und ihrer Behandlung von Bedeutung sind, dies sind insbesondere die biologischen Äquivalente von Euphorisierung (Lustempfinden, Erleben von Verstärkung), Aktivierung, Sedierung und Anxiolyse sowie von Aggressivität und mangelnder Impulskontrolle.
Sodann werden die biologischen Grundlagen ausgewählter psychischer Störungen kurz angedeutet und erklärt, wo man die Angriffspunkte biologischer, speziell pharmakologischer Therapie vermutet, manches zu letzterem Thema findet sich genauer im Beitrag ,- Psychotherapie und Pharmakotherapie.
1 Biologische Grundlagen ausgewählter psychischer Zustände und Prozesse
Euphorisierung: Die biologischen Grundlagen von Lust/Unlust (weniger mentalistisch ausgedrückt: von Euphorisierung, lerntheoretisch formuliert: von verstärkenden Reizen) sind uns aus Tierversuchen mit intrakranieller Selbstreizung deutlich verständlicher geworden: Dabei erhalten Tiere die Gelegenheit, mittels implantierter Elektroden Hirnareale selbst zu reizen. Offenbar ist diese Selbstreizungsrate speziell dann hoch, wenn damit Bahnen aktiviert werden, die vom ventralen Tegmentum (einem Teil des Mittelhirns = Mesencephalon) ins Endhirn (Telencephalon) ziehen und Dopamin als Transmitter benutzen (daher auch der Name mesotelencephales dopaminerges Belohnungssystem).
Besonders lustvolle (verstärkende) Effekte scheint die Aktivierung jener Bahn hervorzurufen, welche das kleine Kerngebiet des Nucleus accumbens an der Basis des Endhirns erreicht, die Zerstörung dieser Bahn führt nämlich im Allgemeinen zur Beendigung der intrakraniellen Selbstreizung. Als recht gut gesichert ist anzusehen, dass die euphorisierenden (und damit vermutlich suchterzeugenden) Wirkungen vieler psychotroper Substanzen an diesem mesotelencephalen dopaminergen Belohnungssystem ansetzen.
So erhöht Kokain durch Reuptake-Hemmung die synaptische Konzentration von Dopamin im Zentralnervensystem und führt damit u. a. zu verstärkter Aktivierung im Nucleus accumbens, Nikotin scheint durch Besetzung von Rezeptoren im Mittelhirn die Feuerungsrate der Bahnen zum Nucleus accumbens zu erhöhen, ein ähnlicher Wirkmechanismus wird für die exogenen Opiate wie Morphin und Heroin angenommen, auch Alkohol dürfte indirekt seinen Angriffspunkt im Mesencephalon haben (s. dazu Köhler, 2000, dort auch die Angabe weiterer Literatur zu diesen hier vereinfacht dargestellten Sachverhalten).
Mittlerweile gibt es zunehmend Hinweise, dass die verstärkende Wirkung anderer Reize (z. B. von sexueller Aktivität, Nahrungsaufnahme) in der Aktivierung des genannten Belohnungssystems besteht. Tierversuche zeigen nämlich, dass eine Abschwächung der synaptischen Übertragung an diesen Bahnen, z. B. mittels der die Dopaminrezeptoren blockierenden Neuroleptika,Verstärkung durch solche Reize aufhebt (s. etwa Carlson, 2004).