Vorwort
Die Augen von Samira Paret leuchten. Die Vierjährige wird von ihrer Mutter früh am Montagmorgen in den Kindergarten gebracht. Das Strahlen Samiras spiegelt sich im Ausdruck ihrer Mutter wider. Samira sprudelt nur so vor Begeisterung, als sie ihrer Erzieherin Petra Berger, die Mutter und Tochter am Eingang begrüßt, erzählt: »Wir haben gestern alle getanzt. Meine Mama, meine große Schwester und Tante Maja. Mein Bruder fand das zwar doof und ist gleich gegangen, aber wir haben weitergemacht. Das hat Spaß gemacht. Wir müssen das nachher hier auch wieder singen. Meine Mama hat in unserer Sprache gesungen, ich so wie im Kindergarten in Deutsch, und meine Schwester hat uns begleitet.« Samira hat sich lebhaft mitgeteilt und rennt weiter – ihre Freundin ist schon da.
»Nun, Frau Paret, da scheinen Sie aber einen munteren Sonntagnachmittag gehabt zu haben. Sie wirken auf mich auch noch ganz froh. Ich habe den Eindruck, das Singspiel von letzter Woche hat bei Ihnen große Kreise gezogen.«
»Ja, Frau Berger. Zuerst hat Samira immer dasselbe gesungen und ist um unseren Tisch getanzt. Ich wollte schon wieder sagen, sie solle ruhig sein. Doch dann habe ich mich erinnert, wie oft ich von Ihnen gehört habe, dass es gut ist, wenn wir unseren Kindern das Gefühl geben, uns für das zu interessieren, was sie tun. Und als die Männer draußen eine rauchen waren, bin ich einfach aufgestanden und habe mit Samira gesungen und getanzt. Ich konnte mich noch erinnern, dass es die gleiche Melodie war wie beim letzten Elternabend. Wir haben dann noch andere Lieder gesungen und getanzt – aus unserer Heimat. Also, wenn Sie Samira diese singen hören …«
»… dann müssen Sie mir demnächst zeigen, wie das geht. Da bin ich mal gespannt. Für Samira scheint es etwas ganz Besonderes gewesen zu sein. Ich freue mich für Sie beide – weiterhin einen guten Tag für Sie.«
Eine gelingende Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen den pädagogischen Fachkräften einer Kindertageseinrichtung und den Eltern – Mutter und Vater – trägt entscheidend dazu bei, dass die Kinder sich frei und offen all den Dingen zuwenden können, die von ihnen entdeckt werden wollen und die ihnen die Kindertageseinrichtung bietet. Sie können sich frei zwischen den Welten des Elternhauses und der Kindertageseinrichtung bewegen. Sie bringen Erlebtes von der einen Welt in die andere, mischen beides und setzen ihre eigene Welt zusammen. Gelingt den Erwachsenen eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft, dann müssen Kinder nicht darauf achten, ob Loyalitäten verletzt werden; sie brauchen auf die Erwachsenen nicht acht zu geben, denn die kommen miteinander zurecht. Die Erwachsenen übernehmen die Verantwortung dafür, dass es dem Kind gut geht, und unterstützen es – auf ihre je eigene Weise – in seiner individuellen Entwicklung. Es ist wichtig, dass pädagogische Fachkräfte die Herausforderungen annehmen, die sich in der Zusammenarbeit mit Eltern stellen, weil eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft für die Kinder ein Gewinn ist und bei allen Beteiligten die Zufriedenheit erhöht.
An vielen Stellen ist bereits über die Elternarbeit oder die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern geschrieben worden; vielfach aus der Perspektive eines bestimmten Themas, zum Beispiel der Perspektive der Eingewöhnung der Kinder, der Beobachtung und Dokumentation oder des Elterngesprächs, des Übergangs in die Grundschule etc. Das heißt, es steht in aller Regel ein pädagogisches Thema aus dem Kita-Alltag im Fokus, und die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Eltern für dieses Thema wird aufgezeigt. Was zeichnet nun das vorliegende Handbuch aus?
Sinn, Ziel und Zweck dieses Handbuches: Die Kooperation mit den Eltern eigens in den Blick nehmen
Sinn, Ziel und Zweck dieses Handbuches ist es, die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern eigens in den Blick zu nehmen. Die pädagogischen Fachkräfte wissen um ihre Bedeutung für das Kind, dennoch wird ihr Einfluss im Alltag vielfach unterschätzt. Die eigenständige Betrachtung der Zusammenarbeit mit den Eltern und Familien der Kinder – und zwar mit allen Eltern – wird dann überflüssig, wenn dies zur Selbstverständlichkeit im pädagogischen Alltag geworden ist. Dann überwiegt vielleicht auch das Gefühl der Entlastung bei allen Beteiligten; insbesondere bei den pädagogischen Fachkräften, die für die Gestaltung der Partnerschaft Verantwortung tragen. Soweit ist es jedoch noch nicht. Vielfach wird diese Kooperation noch als Belastung, Anstrengung oder lästiges Anhängsel bei der Arbeit mit den Kindern erlebt.
Die Chancen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft entdecken
Deshalb möchte dieses Handbuch zugleich Mut machen. Es lädt ein, die Chancen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zu entdecken, gegebenenfalls auch immer wieder neu. Bildungs- und Erziehungspartnerschaft entsteht nicht von selbst. Als Bild hilft vielleicht hier das Gärtnern: Es geht darum, eine Saat zu legen, damit Partnerschaft keimen kann, es geht um Pflege und Düngung, vielleicht sogar um einen Zuschnitt, wenn der kritische Diskurs im Vordergrund steht – immer getragen von dem Ziel eines guten Wuchses bzw. zahlreicher Blüten oder Früchte. Im Blick habe ich als Autorin bei diesem Bild allerdings das eigenständige Wachsen aller Beteiligten, also einen bunten, im ersten Moment eigenwillig wilden Garten, und nicht das Biegen, Ziehen und Wachsen auf Spur und Linie. Anstrengend darf es übrigens auch manchmal sein. Aber es gibt Anstrengungen, die uns die Kräfte rauben und uns ermatten lassen. Und es gibt Anstrengungen, die uns ein Stück kräftiger werden lassen. Das Arbeiten an gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaften stärkt die Beteiligten. Eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern aufzubauen und zu gestalten ist als eine Entwicklungsaufgabe anzusehen. Ihr ist mit Blick auf faire Bildungschancen für alle Kinder eine hohe Aufmerksamkeit zuzugestehen. Diese Entwicklungsaufgabe respektiert, dass die Bildung und Erziehung eines Kindes ohne oder gegen seine Familie nicht machbar ist.
Es geht um ein beständiges Üben in der Haltung des Respekts, des Dialoges, des vorurteilsbewussten und kultursensiblen Handelns
Es geht in diesem Handbuch nicht um Methoden und schnell einsetzbares Handwerkszeug. Es geht um eine Haltung und ein beständiges Üben in dieser Haltung. Eine Haltung des Respekts, des Dialoges, des vorurteilsbewussten sowie kultursensiblen und dem Menschen zugewandten Handelns. Sich mit einer solchen Haltung auseinanderzusetzen, einen bewussten Umgang zu pflegen und ein Sich-Üben in dieser Haltung – das ist der rote Faden dieses Buches. Und ich möchte Sie ermutigen: Die Arbeit an der eigenen Haltung unterstützt nicht nur gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Eltern, es ist dieselbe Haltung, die im pädagogischen Alltag professioneller Frühpädagogik mit Kindern gefordert ist und die im persönlichen Alltag eines jeden Menschen wertvoll sein kann. Zum Gelingen von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften trägt die Aneignung von Wissen ebenso bei wie die Selbstreflexion des eigenen Tun und Erlebens. Es geht um Herz, Sinn und Verstand. Das Befassen mit und der Einsatz für gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Eltern wirken sich förderlich auf viele Bereiche des pädagogischen Handelns aus und können maßgeblich zur Entlastung der Fachkräfte in diesem anspruchsvollen Berufsalltag beitragen. Denn wer in Partnerschaft investiert, erhält in aller Regel etwas zurück.
Auf diesem Hintergrund entwickelt sich die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und Eltern zu einer vielgestaltigen Kooperationslandschaft: Nicht über die Eltern reden, sondern mit ihnen. Funktionen und Ziele einer solchen Partnerschaft sind die gemeinsame Förderung des einzelnen Kindes, die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern sowie die Mitgestaltung und Mitbestimmung. Kindertageseinrichtungen werden durch ein solches Verständnis zu Orten für Familien, zu Orten der Bildung und Erziehung von Kindern und Eltern. Eine demokratisch-partizipative Bildungs- und Erziehungspartnerschaft wirkt so auch präventiv auf Erziehungs- und Bildungsbenachteiligung. Eine gute Zusammenarbeit mit Familien ist ein Qualitätsmerkmal der Arbeit einer Kindertageseinrichtung. Studien legen nahe, dass dort, wo der Austausch zwischen Elternhaus und Kindertageseinrichtung funktioniert, auch die pädagogische Qualität insgesamt höher ist (Viernickel 2009, S. 62; Sylva & Taggart 2010, S. 9).
Basis jeder Bildungs- und Erziehungspartnerschaft ist das Grundverständnis, mit dem die pädagogischen Fachkräfte einer Kindertageseinrichtung den Eltern begegnen – diesem ist denn auch Kapitel 1 dieses Handbuches gewidmet. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist nicht nur ein pädagogischer Anspruch, sie ist als rechtlicher Anspruch der Eltern verankert. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Kapitel 3 nimmt dann die Erziehungs- und Bildungspartner in den Blick. Zunächst geht es um die pädagogischen Fachkräfte als verantwortliche Gestalter der Partnerschaft. Es folgt eine Annäherung an die Gruppe der Eltern, die – ihrerseits vielfältig in unserer modernen Gesellschaft gefordert – selbst Erwartungen und Ansprüche an die Kindertageseinrichtung stellen. Pädagogische Fachkräfte haben in vielfältigen Situationen des Kita-Alltags die...