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Heidas Traum

Eine Schäferin auf Island kämpft für die Natur

AutorSteinunn Sigurðardóttir
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783446261495
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Die isländische Schäferin Heida ist ein Freigeist und eine Kämpferin. Allein mit 500 Schafen auf einer abgelegenen Farm trotzt sie nicht nur Wind und Wetter, sondern auch einem Energieunternehmen, das in ihrem Tal einen Staudamm bauen will. Nach einer Modelkarriere in New York kehrte sie auf die heimatliche Farm zurück und lebt heute eng verbunden mit der Natur an der Grenze zur bewohnbaren Welt. Steinunn Sigurðardóttir, eine der wichtigsten Autorinnen Islands, erzählt Heidas Geschichte mit großem poetischem Gespür. Sie weckt mit jeder Zeile Sehnsucht nach Island - nach der wilden Natur, der Einsamkeit und den Menschen. Dieses Buch ist ein Schatz für Naturliebhaber und Island-Enthusiasten.

Steinunn Sigurðardóttir, 1950 in Reykjavik geboren, ist eine der wichtigsten isländischen Autorinnen. 1995 wurde sie für ihren Roman Herzort (Ammann, 2001) mit dem Isländischen Literaturpreis ausgezeichnet. Zu ihren bekanntesten Roman gehören Der Zeitdieb (Ammann, 1997) und Der gute Liebhaber (Rowohlt, 2011). Ihre Biographie über die Schäferin Heida wurde in Island zum Bestseller. Nach sieben Jahren in Berlin lebt sie inzwischen in Island und Frankreich. Heiða Guðnýjar Ásgeirsdóttir war Model in New York und lebt heute im südlichen Island, wo sie allein eine Farm mit mehr als 500 Schafen bewirtschaftet, einem Energieriesen die Stirn bietet und den langen isländischen Wintern trotzt.

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Leseprobe

Traktor


Der Sommer ist eine großartige Jahreszeit, mit seinem Wachstum, dem vielen Licht. Aber ich habe keine Zeit, mich nackt im Tau zu wälzen, wie man es dem Volksglauben nach in der Mittsommernacht tun soll, um heilende Energie zu tanken. Ich muss nachts schlafen und wäre viel zu müde dafür. Im Sommer halte ich mich überwiegend im Haus auf, und zwar im Führerhaus meines Traktors.

Ich bin auf dem Traktor groß geworden. Auf einem Massey Ferguson ohne Bremse. Der hatte allerdings kein Führerhaus, deshalb saß ich unter freiem Himmel, bekam viel Sonne ab und wurde knackbraun. Aber im Führerhaus – keine Chance.

Ich fahre gern Traktor. Dabei kann man noch ganz andere Dinge machen, als zu mähen und schwaden … zum Beispiel sich am Steuer Verse ausdenken.

Wir Schwestern können alle gut reimen. Arndís, die mit siebzehn starb, war auch eine gute Dichterin. Ásta, Fanney und ich gehen öfter zu Poesietreffen und tragen dort zum Spaß Verse vor.

Meine Eltern brachten uns Mädchen systematisch Verse und Gedichte bei. Der Rhythmus bleibt einem im Gedächtnis haften.

Nun entfacht den Renner die eigene Glut.

Der Huf trifft den Pfad wie peitschender Wind.

Die Reiter verstummen und sind auf der Hut.

Wie geschwungene Wipfel die Mähnen sind.

Es brandet ein Schaum um die fauchenden Lippen.

Die Haut spannt sich gläsern auf stählernen Rippen.

Und jede Bewegung schreibt sicher und blind

ihrer Vollendung Ruhm auf die bröckelnden Klippen.

(Rösser von Einar Benediktsson [1864–1940],

übersetzt von Jóhann Jónsson)

Gibt es etwas Eindrucksvolleres? Fantastisch, wie der Rhythmus langsam einsetzt und sich dann immer weiter steigert.

Das Dichterblut haben wir von unserem Urgroßvater mütterlicherseits, Bjarni von Vogur. In der Familie meines Vaters gab es auch gute Dichter, und Papa war unglaublich schlagfertig und scharfzüngig. Mama liebt die isländische Sprache und ist ein Bücherwurm. Früher hat sie auch gern Verse geschmiedet, meint aber, sie hätte es aufgegeben, als meine Schwestern und ich besser wurden.

Ich konnte immer gut Wörter aneinanderreihen und Verse dichten. Schon als Kind habe ich gehört, ob etwas gut oder schlecht gereimt war. Entweder man hat’s, oder man hat’s nicht.

Aber ich mache auch noch andere Dinge auf dem Trecker. Wer so tanzwütig ist wie ich, der tanzt dort natürlich auch. Dafür dürfte das Führerhaus allerdings ein bisschen größer sein. Mein Nachbar hat einen großen Traktor, den er mir mal geliehen hat … das war richtiger Luxus, auf dem zu tanzen.

Wenn es irgendwie möglich ist, mache ich auf dem Traktor Multitasking … ich hänge viel am Handy und schreibe Mails, während ich gleichzeitig schwade, wende und mähe, aber natürlich nur auf dem Feld, nicht auf den Wegen. In der Gemeindepolitik muss man viel telefonieren und bei dem Kampf um das Búland-Kraftwerk auch. Klar, dass die Telefoniererei nicht weniger wurde, nachdem man mich gebeten hatte, bei der Parlamentswahl im Oktober 2016 einen vorderen Listenplatz für die Links-Grünen im Wahlkreis Süd einzunehmen.

Inzwischen kriege ich es sogar hin, beim Treckerfahren auf Snapchat zu posten. Dabei esse ich Obst, werfe die Bananen- und Orangenschalen und Apfelkitsche aus dem Fenster … zur Verzierung des Heus.

Ich habe einen Valtra A95, Jahrgang 2007. Mein guter alter Gráni ist ein Wirtschaftsboom-Traktor, was man am Jahrgang erkennen kann, einer von vielen auf isländischen Bauernhöfen. Er ist der Haupttraktor und wird für alles benutzt bis aufs Heuwenden, dafür nehme ich meinen anderen Traktor, einen Massey Ferguson 165, Jahrgang 1974. Er heißt Grímur und ist der einzige von den alten Treckern aus meiner Kindheit, der noch übrig ist. Die anderen wurden verkauft … den letzten musste ich für die Komplettüberholung von Grímur hergeben, der in einem ziemlich schlechten Zustand war.

Mit dem alten Gráni gehe ich sorgsam um. Meistens ist er sauber und poliert, gut in Schuss, aber natürlich schon ziemlich alt, neun Jahre und viel gefahren. Es ist extrem wichtig, dass der Traktor gut gepflegt wird, er ist ja stunden- und tagelang am Stück mein Arbeitsplatz. Gráni ist ein echter Harlem-Trecker, Typ billig und schlicht, ruckelig und ohne jeden Luxus, dafür aber robust, zuverlässig und wartungsarm. Er tut’s und funktioniert, und das ist völlig ausreichend, ich hätte aber schon gern einen bequemeren und besseren Traktor. Zum Beispiel einen neuen und größeren Valtra. Oder irgendein zuverlässiges, stabiles Modell mit hydraulischer Wendeschaltung. Ein stufenloses Getriebe wäre auch super, gefederte Vorderachse und Luftsitz. Genau das Richtige für eine Frau, die sehr bald ins mittlere Alter kommt. Eine Stereoanlage mit USB-Anschluss und ein etwas komfortablerer Hundeplatz für meinen geliebten Fífill wären das Sahnehäubchen.

Laut Stundenzähler ist Gráni in den letzten neun Jahren durchschnittlich fünfhundertsiebzehn Stunden pro Jahr gelaufen. Das sind circa einundzwanzig Tage und Nächte oder zweiundvierzig zwölfstündige Arbeitstage. Natürlich schwankt die Nutzung je nach Jahreszeit … aber der Sommer findet größtenteils auf dem Trecker statt.

In Island ist es regional unterschiedlich, wie stark Frauen an der Arbeit mit den Landmaschinen beteiligt sind, hier in Skaftártunga war es jedenfalls immer üblich, dass Mädchen Traktor fahren.

In meiner Gegend gibt es grundsätzlich keine Unterscheidung in Männer- und Frauenarbeit. Diese Begriffe kannte ich gar nicht. Als ich sie zum ersten Mal hörte, auf der Landwirtschaftshochschule in Hvanneyri, da dachte ich, das wäre ein Witz. Es hat nur keiner gelacht, außer mir.

Diese Traktorsitze sind eine echte Belastung für den Körper. Man kann zwölf Stunden durchhalten, aber wenn es noch länger wird, tut einem alles weh. Die Heuernte ist so stressig, dass man den Traktor nur im Notfall verlässt … um kurz zu tanken oder etwas zu essen. Dann kommt Mama mit dem Jeep und bringt mir Verpflegung aufs Feld. Heu mache ich zusammen mit meinem Nachbarn Palli … der ist bei der Heuernte auch allein, so wie ich. Wenn wir bei ihm Heu machen und seine Frau auf der Arbeit ist, kümmern sich seine Eltern ums Essen und bringen uns Proviant.

Die lange Sitzerei auf dem ruckelnden Traktor ist natürlich schlecht für den Rücken. Zum Ausgleich hängt man sich zwischendurch mal an den Frontlader, wie Wäsche an der Leine.

Bei Sonne wird es auf dem Trecker unangenehm warm. Meiner ist nicht klimatisiert, so wie bessere Traktoren. Normalerweise kann ich die Fenster nicht auflassen, weil er sehr laut ist, vor allem wenn er schwere Maschinen zieht und bei hoher Drehzahl läuft. Teurere Traktoren haben eine bessere Motorschalldämmung, während so ein Harlem-Trecker wie meiner mehr knattert. Aber ich mag diesen Motor, auch wenn er laut ist. Er ist verlässlich und stark … völlig okay, solange er anspringt und seinen Job macht.

Fífill, mein Schäferhund, den ich jetzt ein knappes Jahr habe, fährt mit mir Trecker, seit er ganz klein war. Mittlerweile ist er schon so groß, dass er fast den gesamten Innenraum einnimmt. Aber er hat schnell gelernt, wie er liegen muss, damit alles passt. Letztens gab es allerdings eine Schrecksekunde, weil Fífill so müde war, dass er sich unabsichtlich gedreht hat und genau auf meinem Fuß auf dem Gaspedal gelandet ist. Der Hund ist so schwer, dass ich mit meinem Fuß Powerlifting machen musste. Aber es war letztendlich nicht wirklich gefährlich, der Traktor fährt ja langsam und hat eine lange Reaktionszeit, außerdem habe ich jahrelange Fahrpraxis.

Ab und zu lasse ich den Hund raus, dann läuft er mit und rennt durch die Gegend. Er springt selbst vom Traktor und würde natürlich auch aus eigener Kraft wieder hochkommen, aber ich will sichergehen, dass ihm nichts passiert. Deshalb stellt er die Vorderbeine aufs Trittbrett, und ich hebe ihn hinten an, sodass er reinkommt. Er hat gerade genug Platz, um sich einmal umzudrehen. Sobald ich wieder eingestiegen bin, stellt er sich unter meine Beine, mit dem Kopf zur Tür, und legt sich hin, den Schwanz auf dem Gaspedal.

Fífill wird noch kräftiger und schwerer werden und bald vierzig Kilo wiegen. Er bekommt zweimal täglich Futter, frisst ein Kilo Innereien am Tag, doppelt so viel wie mein alter Hund. Wenn er ausgewachsen ist, frisst er weniger. Meine Freundin Adda von Herjólfsstaðir hat erzählt, dass Schäferhunde bis zu einem Alter von zwei Jahren wachsen.

Dieser wunderschöne Hund stammt aus einer guten Zucht … er wurde gezüchtet, um perfekt zu sein. Die Züchterin, von der ich ihn habe, züchtet seit zwanzig Jahren Schäferhunde.

Mein Fífill ist ein ganz besonderes Tier, sanft und freundlich und ein unglaublich guter Kamerad. Von der Appetitlosigkeit und dem Gewichtsverlust im Frühjahr hat er sich wieder gut erholt. Zur Lammzeit bin ich natürlich sehr viel draußen, und dann will er immer dabei sein … deshalb hat er nicht genug geschlafen, sich überanstrengt und abgenommen. Jetzt ist er wieder gut genährt und sieht super aus.

Fífill ist mir beim Tanzen nicht im Weg, weil ich auf dem Trecker sowieso nur mit dem Oberkörper tanzen kann. Und er mag es, wenn ich aus vollem Hals singe … ich singe gern, und auf dem Trecker singt es sich besonders gut.

Als ich klein war, haben wir viel gesungen. Es wurde andauernd gesungen, zu Hause und im Auto. Papa hatte eine sehr schöne Tenorstimme, kam ganz hoch und ganz tief. Wenn er Gesang studiert hätte, hätte er...

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