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E-Book

Heute bei uns zu Haus

AutorHans Fallada
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9788026884200
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Heute bei uns zu Haus' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Wir lebten in Frieden miteinander, mein Kühlein und ich. Wir waren mit ihr zufrieden, sie gab alle Tage an die zwanzig Liter Milch, sie war still und sanft, ohne alle Untugenden. Und auch sie schien zufrieden mit uns, gerne fraß sie ihre Portion Futterrüben und Wruken, darauf einen Arm Heu, darauf Stroh, so viel, daß sie satt wurde. Dann legte sie sich hin, käute wieder und produzierte Milch. Gott, sie war keinesfalls das Ideal einer Kuh; die Zeiten sind längst vorüber, da wir die beste Kuh landauf und landab im Stalle hatten. Man hat glückliche Zeiten mit seinem Vieh und weniger glückliche, aber so unselige Zeiten, daß wir mit unserer Kuh in Zwietracht lebten, haben wir jetzt zum erstenmal.' Hans Fallada (1893-1947) war ein Künstler der Neue Sachlichkeit. Er orientiert sich an der Realität, auf die damalige Gesellschaft und auf deren Probleme ein, z. B. die Armut vieler Menschen. Die Voraussetzung dafür war ein kritischer Blick auf die damalige Gegenwart. Die Umgebung wurde nüchtern und realistisch dargestellt. Die soziale, politische und wirtschaftliche Wirklichkeit der Weimarer Republik, die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges und die Inflation waren beliebte Motive. Die Themen, die die Gesellschaft bewegten, fanden sich in der Literatur wieder.

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Leseprobe

II. Kapitel
Ich weiß ein Haus am Wasser


Es ist Sommer geworden, wir wohnen im Hotel ›Schwarzer Bär‹ zu Bergfeld, der Sohn Uli, seine Pflegerin Wendehals und ich. Suse liegt noch immer in der Klinik; die Zwillinge sind gekommen, aber nur eins der beiden kleinen Mädchen lebt, das andere starb schon nach wenigen Stunden. Das hat mich sehr erschüttert, im geheimen messe ich mir eine Schuld am Tod des kleinen Mädchens bei: Suse hatte zuviel Aufregungen in der letzten Zeit.

Auch dies wurde zu einem Wendepunkt, so vieles kann Wendepunkt werden, wenn man nur empfänglich ist. In diesem Sommer wendete sich vieles, in diesem Sommer war ich für Besinnung und Einkehr sehr empfänglich. Solch kleines Wesen – es hatte nur ein paarmal kläglich geschrien, dann war es gestorben – ein Stück von uns.

Jede Woche zwei-, dreimal fahre ich mit Fräulein Wendehals und Uli auf unsern Besitz hinaus, um die Bauarbeiten zu kontrollieren. Nun kenne ich, was ich gekauft habe. In meinen Briefen bereite ich Suse darauf vor, daß bis zum Herbst noch nicht alles in Ordnung kommen wird. Es bleibt Bauerei genug für das nächste Jahr, um das Haus in einen wohnlichen Zustand zu versetzen, von Stall und Scheune ganz zu schweigen. Trotzdem finde ich, ich habe nicht schlecht gekauft.

Andere sind darüber anderer Ansicht. An einem heißen Sommertag trete ich in eine Wirtschaft der Stadt Bergfeld, ich lasse mir ein Glas Bier geben. Ein paar Leute sitzen da, ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht, ich bin ein Kurgast für sie. Eine Stimme erhebt sich und spricht: »Da hat ja so 'n Berliner Dösbartel das Haus von dem Pendel in Mahlendorf gekauft. Zwölftausend Mark soll er dafür gegeben haben. Daß die Dummen nicht alle werden!«

»Dat segg man, Paule!« stimmt der Wirt eifrig zu. »Zwölfdusend Mark – und is doch bloß ne Baracke, die alle Tage einfallen kann! Herrgott, wie groß ist dein Tiergarten!«

»Meine Herren!« sprach ich hoheitsvoll. »Der Dösbartel aus unsers Herrgotts Tiergarten – der bin ich!«

Sah sie alle der Reihe nach sehr an und verschwand unter tiefem Stillschweigen.

Alle drei fahren wir nun durch das sommerliche Land Mahlendorf zu. Das Land sieht flach aus, ab und zu liegt zwischen den reifenden Feldern ein dunkler Waldstreif. Wer es nicht weiß, kann nicht ahnen, daß jeder dieser dunklen Waldstreifen einen tief ins Land eingeschnittenen langen See bedeutet, Seen mit dem tiefsten, klarsten Wasser, von einem bezaubernden Türkisgrün oder Azurblau. Wir sind hier in einem Endmoränengebiet, hier endeten die Gletscher der Eiszeit, tief schnitten ihre Zungen in das Land ein. Heute noch hat das Wasser etwas von der Frische und Klarheit des Eises, unsere Seen sind wie Hochgebirgsseen.

Und das ganze Land, jedes Stückchen Acker ist durchsetzt von Steinen, Blöcken, Felsen: das sind die Geröllmassen, die von den Gletschern aus Schwedens Gebirgen herabgetragen wurden. Sie werden uns noch viel zu schaffen machen, diese Steine und Felsen. Im Dorf behaupten sie, es sei zwecklos, sie aus dem Boden zu schaffen, ›sie wüchsen nach‹. Das werden wir ihnen schon beibringen, das Nachwachsen!

Am Eingang des Dorfes drehte damals noch eine Windmühle ihre Flügel. Die Windmühle war und ist scheußlich, ein schwarzgeteerter Stumpf aus Mauersteinen, wie eine verräucherte Fabrikesse, allein die Flügel versöhnten ein wenig mit ihr. Unterdes sind diese Flügel abgefault und heruntergefallen, und die Windmühle, für die alle Winde umsonst wehen, ist nur noch scheußlich.

Kurz nachdem wir an der Mühle vorbei sind, sage ich zu dem Chauffeur »Hupen!« Er hupt kräftig, und auf dieses Gehupe eilt aus einem Haus eine Frau mit fliegenden Haubenbändern heraus, eilig laufend bindet sie ihre Schürze um. Das ist Frau Tschermak, die bei mir im Tagelohn steht, sie soll den Garten in Ordnung bringen. Da ihr Arbeitgeber aber nicht am Ort wohnt, gibt sie sich immer wieder der Hoffnung hin, ihren Tagelohn empfangen, dafür aber zu Haus sitzenbleiben zu können. Immer wieder denkt sie, ich komme zu meinen Kontrollen mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Wenn ich heute da war, werde ich morgen nicht schon wieder kommen. Wenn es regnet, werde ich auch nicht kommen. Aber schon Frau Tschermaks wegen komme ich ganz unregelmäßig, und immer wieder erwische ich sie.

Nun eilt sie in fliegender Hast hinter meinem Auto her. Fünf Minuten nach mir wird sie auf meinem Besitz eintreffen, stets eine höchst plausible Entschuldigung auf den Lippen. Ihre Sau ist krank, der Briefträger bringt ihr heute Geld, sie mußte nur mal schnell andere Schuhe anziehen. Ich bin immer gespannt, was sie diesmal vorbringen wird, aber ihr Vorrat an Ausreden ist unerschöpflich. Als sie mir aber einreden will, sie habe nur oben in ihrer Wohnung nach der Uhr sehen wollen, weil die Uhren von den Maurern unten alle falsch gingen, trenne ich mich von ihr und mache mir eine Feindin im Dorf. Gute Frau Tschermak, schließlich hat sie mir doch vergeben: heute nach neun Jahren fängt sie schon wieder an, mich zu grüßen!

Unten auf dem Bau wird fleißig gearbeitet. Es wimmelt von Maurern, Zimmerleuten und Handlangern. In diesem Jahr wird noch nichts Neues gebaut, nur wohnlich wird das Wohnhaus gemacht.

Als ich mir die Geschichte näher ansah, hatte ich ein langgestrecktes altes Fachwerkhaus von Herrn Pendel gekauft, das äußerlich gar nicht übel aussah. Früher – es soll 1848 nach einem großen Brand erbaut worden sein – war es ein Zweifamilienhaus, zwei Landarbeiterfamilien wohnten darin. In den letzten Jahrzehnten hatte aber immer nur eine Familie darin gewohnt: ein Viehhändler, ein Seradella-Händler, schließlich Herr Pendel, von dem noch zu reden sein wird. Alle diese Leute hatten wenig Forderungen an Behaglichkeit gestellt. Daß keine Wasserleitung im Hause war, ist verständlich, natürlich gab es überhaupt keine Wasserleitung im ganzen Dorf, nur Brunnen. Daß aber dieser Brunnen bei uns direkt neben einem grün schillernden Jauchetümpel lag, war weniger schön. Auch die bewußten Herzhäuschen direkt bei der Küche gefielen mir nicht so recht, ich mußte immer an die muntere Zirkulation der Fliegen denken. Keine Diele war heil, nur zwei Stuben heizbar, die Räume entweder preußischblau oder schweinfurtergrün gekalkt, soweit der Kalk noch an den Wänden saß. Zum Boden führte eine wacklige Stiege empor. Dort oben gab es Heureste, einen zertretenen Lehmboden und einen Verschlag für das etwaige Mädchen.

Heil war nichts, aber auch gar nichts, in Haus und Hof. Selbst das Vieh – von der Erikuh erzähle ich an anderer Stelle – war voll Überraschungen und Tücken. Noch ein Jahr später lachten Suse und ich, wenn wir irgend etwas aus dem Besitz des Herrn Pendel in die Hand bekamen: es war so sicher kaputt, wie das Amen in der Kirche fällig ist. Da war kein Schaufelstiel, der nicht angebrochen, kein Baumpfahl, der nicht abgefault war. Von den Hämmern flogen die Köpfe durch die Luft, die Wagen wieder waren mit Stricken geflickt und brachen boshaft zusammen, sobald man eilig zur Bahn mußte, die Klositze rutschten überraschend unter einem fort.

Die vornehmste Leidenschaft des Herrn Pendel aber hatte den Nägeln gegolten. Er muß eine wahre Leidenschaft für Nägel gehabt haben. Wo ein andrer Mensch einen Nagel eingeschlagen hätte, schlug er deren zehn ein – worauf die Sache bestimmt nicht hielt. Man mußte sich verdammt vorsehen: überall spießten Nagelspitzen. War man unachtsam, hatte man sie gleich in irgendeinem Körperteil.

Er nagelte alles, was es nur auf der Welt gab: Tische, Stühle, Zäune, Schaufelstiele, Sensen, Fässer, Klodeckel, aber vor allem Obstbäume. Ich ahne es heute noch nicht, warum dieser Mann Dutzende von Nägeln in jeden Obstbaum gehauen hat. Vielleicht reagierte er seinen Zorn auf diese Welt, in der er nicht zurechtkam, damit ab. Manchmal stelle ich ihn mir vor, wie er nach seinem (gänzlich mißglückten) Tagwerk des Abends in den Garten geht, ein gutes Nagelsortiment in der Tasche, einen loseköpfigen Hammer in der Hand. Und nun fängt er an zu nageln, Kirschen, Pflaumen, Äpfel, Birnen – es kam ihm nicht darauf an. Diesen Nagel für die Sense, die in einen Stein ging. Und diesen für die Erikuh, die mich schlug. Und diesen für die Hella, die wieder mal gebockt hat. Und diesen und diesen und diesen für die Patzigkeit meiner Frau!

Noch nach vielen Monaten fanden wir immer neue Nägel in den Obstbäumen. Ja, als wir längst damit durch zu sein glaubten, als der böse Winter 39/40 viele unserer Obstbäume erfrieren ließ, die wir dann zerschnitten, geriet unsere Säge noch tief im Innern der Bäume auf längst verwachsene Nägel. Dann dachte ich wieder an Herrn Pendel ...

Mit Bewußtsein habe ich Herrn Pendel ein erstes und einziges Mal bei der Übergabe seines Besitzes an mich gesehen. Da machte er keinen schlechten Eindruck, ein großer Mann Mitte der Dreißiger, mit einem schwarzen Bärtchen. Ich kam nicht auf den Gedanken, daß dies der Urtypus eines nicht glückhaften Menschen sei. Er hatte ein sonores Organ, er kam mir recht sicher vor. Aber er war es nicht, noch weniger als ich, der bei dieser Übergabe immer von dem Gedanken geplagt war, Herr Pendel könne vielleicht doch gemerkt haben, daß ich ihn und meinen Besitz zum erstenmal sah.

Ein wenig sehr geldgierig kam er mir vor. Ich hatte Haus und Hof mit allem lebenden und toten Inventar gekauft, und ich hatte sofort, ohne alles Handeln, den Preis bewilligt, den er gefordert hatte. Nun aber, bei der Übergabe, kam Herr Pendel mit einer langen Liste von Dingen hervor, die ich noch extra kaufen sollte, die nicht zum Hofinventar gehörten, die sein persönlicher Besitz seien:

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