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Hier stehe ich, es war ganz anders

Irrtümer über Luther

AutorAndreas Malessa
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783775172738
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Hämmerte Martin Luther seine 95 Thesen wirklich an eine Kirchentür? Warf er ein Tintenfass nach dem Teufel? Floh seine Frau Katharina in einem Heringsfass aus dem Kloster und pflanzte Luther wirklich ein Apfelbäumchen? Alles fröhlicher Unsinn. Hörfunk- und TV-Journalist Andreas Malessa erzählt uns in solide recherchierten Fakten wie es wirklich war. Unbeschreiblich unterhaltsam, kenntnisreich und voller Anerkennung für den großen Reformator. Kein Irrtum übrigens: Käthe und Martin hatten Zuschauer in ihrer Hochzeitsnacht...! Mit Illustrationen von Thees Carstens.

Andreas Malessa, Jahrgang 1955, wurde bekannnt als Teil des Gesangs-Duos 'Arno & Andreas' und gab rund 1400 Konzerte im In-und Ausland. Er ist Hörfunkjournalist beim DeutschlandRadio/Kultur in Berlin und beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Seine Fernseh-Sendungen 'Um Himmels Willen', 'Paternoster', 'Um Elf' und 'Lebensfragen' machten ihn als kompetenten Fachjournalisten für Religion und Kultur bekannt. Seine Reportagen aus der Dritten Welt und seine scharfzüngigen Satiren werden von den Lesern zahlreicher Zeitschriften geschätzt. Nach Abitur und Theologiestudium in Hamburg zog der 'überzeugte Norddeutsche' als Wahl-Schwabe in die Nähe von Stuttgart, ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert verheiratet, hat zwei fast erwachsene Töchter, liebt Fern-Reisen, gute Romane, Rotwein und kritisch mitdenkende Zuhörer. Als Buchautor und Publizist ist der evangelisch-freikirchliche Theologe ein vielgefragter Fachreferent für religiös-kulturelle, sozialethische und kirchliche Themen.

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Leseprobe

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Luther regte sich über den Sünden-Ablass auf


Den gibt es gar nicht. Es gibt Ablass von Strafen für Sünden.

Als guter Katholik glaubte Luther fest daran, dass die Kirche »Ablass« gewähren kann, also eine Minderung und Verkürzung des Fegefeuers zusagen darf. Als Priester hat Luther im Beichtstuhl bedenkenlos Ablässe ausgesprochen und sogar Spenden für den Bau des Petersdoms in Rom kassiert. Aufgeregt hat er sich über den Ablass-Handel. Sein Ärger darüber hat eine Lawine losgetreten, die die Welt veränderte, wie wir im Rückblick wissen.

Was sagt die Bibel zum Ablass?

Bei aller gebotenen Wertschätzung meiner vielen katholischen Brüder und Schwestern: sorry – nichts. Manche der ersten Christen in der griechischen Hafenstadt Korinth waren sehr von ihrem tadellosen Lebensstil, ihrer vorbildlichen Haltung und ihren guten Werken überzeugt. Der Apostel Paulus kannte aber auch die Schattenseiten dieser Gemeinde und schrieb ihr im 1. Korintherbrief Kapitel 3, Verse 12 bis 15: »Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird’s klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.«

Ob Paulus beim »Feuer« an eine jenseitige Hölle dachte? Oder an eine apokalyptische Katastrophe, den Weltuntergang? Oder dachte er schlicht und praktisch an die nächste Christenverfolgung im Römischen Reich? Wissen wir nicht genau. Die Historiker und Theologen streiten drüber. Was wir genau wissen: Aus diesen vier Versen des Paulus entwickelte Kirchenvater Origines von Alexandrien im 3. Jahrhundert die Idee eines »Fegefeuers« im Jenseits. Eine Zwischenstation auf dem Weg ins Paradies. Dabei ist diese Vorstellung einer Läuterung der Seele durch Feuer weder im Alten noch im Neuen Testament zu finden!

Über die Eroberung und Deportation der Juden ins babylonische Exil im 6. Jahrhundert vor Christus sagt Gott in Jesaja 48,10: »Ich habe dich geläutert (…) im Glutofen des Elends.« Über die Christenverfolgungen durch wahnsinnige römische Kaiser im 1. Jahrhundert schreibt der Apostel Petrus: »Euer Glaube (wird) als echt und viel kostbarer befunden als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird« (1. Petr 1,7). Aber eine postmortale Seelen-Entschlackung durch Feuer nach dem Tod? Fehlanzeige, was die Bibel betrifft.

Macht nix: Origines veranschlagte mal fürs Erste »ein Jahr Fegefeuer pro Sündentag auf Erden«. Bei, sagen wir, 75 mal 365 Sündentagen pro Menschenleben kommt da einiges zusammen. Damit war der Wunsch nach Abkürzung geboren. Ein verständlicher Wunsch …

Und was ist mit der Vergebung?

Wenn ich jemanden verletzt oder ihm geschadet habe, wenn ich Gottes Gebote missachtete, wenn ich »sündigte« und dies bereue – dann bitte ich den Geschädigten um Verzeihung. Dann hoffe ich, er »ent-schuldet« mich. Geht das nicht (mehr), will oder kann das Opfer meines Fehlverhaltens mir nicht vergeben, lässt sich ein Schaden durch nichts mehr wiedergutmachen, dann möchte ich, dass Gott mir diese Schuld vergibt. Ich bekenne sie ihm im Gebet und bitte um Vergebung. Woher weiß ich aber, ob Gott das wirklich tut? Durch jemanden, der mir autorisiert und ganz amtlich »im Namen Gottes« die befreiende Lossprechung zusagt! »Ego te absolvo«, sagt der Priester im Beichtstuhl, »ich spreche dich los, ich ent-binde dich von der Schuld.« Warum kann der Priester diese »Absolution« erteilen? Weil sich die Kirche als Verwalterin des göttlichen »Gnadenschatzes« versteht. Gottes Barmherzigkeit und Nachsicht, das Sterben des Jesus von Nazareth am Kreuz, die Lebensopfer der Märtyrer und Heiligen – alles zusammen ist eine Art himmlische Schatztruhe, aus der die irdische Kirche Kleingeld für den Alltag verteilt. So weit, so schön.

Nur: Die römisch-katholische (und zu Luthers Zeiten hierzulande einzige) Kirche versteht sich auch als Verwalterin von »Strafen«! Von Auflagen also, die ich ertragen, erfüllen, ableisten muss. Im mittelalterlichen Extremfall konnte das heißen, mein Leben als »Büßer« in einer Eremitage oder im Kloster zu führen. Oder als »Geißler«, als »Flagellant« an einer Karfreitags- oder Fronleichnamsprozession teilzunehmen und mir mit einer kurzen Peitsche Schultern und Rücken blutig zu schlagen. Für Adlige, Ritter und Vermögende konnte es – 500 Jahre vor Luther – bedeuten, an einem Kreuzzug in den Nahen Osten teilzunehmen. Im Normalfall aber waren es schlicht Aufforderungen, wie beispielsweise eine Wallfahrt zu unternehmen, zu heiligen Stätten zu pilgern, Hilfsdienste in sozialen Einrichtungen zu leisten, Geld zu spenden oder verordnete Gebete zu sprechen.

Fairerweise muss man festhalten: Die Sündenvergebung in Beichte und Absolution, die stand nie infrage. Eine Ermessensfrage des Priesters sind »nur« die Sündenstrafen. Verhandelbar sind ihre Schwere und Härte im Diesseits und ihre Dauer im (Fegefeuer-)Jenseits. Kurz: Sündenstrafen werden erst verhängt und dann gemildert. Die Milderung nennt man »Ablass«. Übrigens bis heute. Im Gesetzbuch des römisch-katholischen Kirchenrechts von 1983 (!) steht unter Canon 922 etwas umständlicher das, was im aktuell gültigen Katholischen Weltkatechismus unter § 1471 einfach und knapp so zu finden ist: »Ablass ist der Erlass einer zeitlichen Strafe vor Gott. Für Sünden, die hinsichtlich der Schuld schon getilgt sind.« Papst Benedikt XVI. rief das Jahr 2008 zum »2000. Geburtsjahr des Apostels Paulus« aus und zu diesem Anlass verkündete Bischof Gregor Maria Hanke im bayerischen Eichstätt: »Zur Eröffnung und zum Abschluss des Paulusjahres kann der vollkommene Ablass in jeder Kirche oder Kapelle unserer Diözese gewonnen (…) werden, wenn man dort andächtig an einer heiligen Messe, einem Stundengebet oder einer Andacht zu Ehren des heiligen Paulus teilnimmt.«16

Und wieso hat Luther diese Vorstellung gekippt?

Machen wir uns klar: All das ist für Luther bis zum Spätsommer 1517 völlig unstrittig! Während seines Aufenthalts in Rom im Dezember 1510 ist er so ergriffen von der Möglichkeit, die Sündenstrafen verstorbener Vorfahren mildern zu können, dass »es mir schier leidtat, dass mein Vater und meine Mutter noch lebten! Ich hätte sie gerne aus dem Fegefeuer erlöset mit meinen Messen und anderen trefflichen (guten) Werken und Gebeten«17, erinnert er sich später kopfschüttelnd. Luther liebt es, als Priester die Beichte zu hören und im Namen Gottes Sünden zu vergeben. Er ist ein verantwortlicher Seelsorger für Menschen in Gewissensnöten. Er freut sich, Leute trösten und zurechtbringen zu dürfen, sie zu geistlichen Übungen (»Exerzitien«) zu motivieren.

Blöd nur: Es kommen immer weniger. Nicht mal zur Fastenzeit in den sieben Wochen vor Ostern 1517. Ein gewisser Markus Menner zeigt dem Priester der Schlosskirche Wittenberg auch gern, warum er nicht mehr beichten kommt: »Wir tun kraft der uns verliehenen Gewalt durch diesen Brief kund und zu wissen, dass Markus Menner von dem durch ihn verübten Totschlag freigesprochen ist. Wir befehlen allen und jedem, dass niemand – kirchliche Amtspersonen oder Laien – ihn wegen dieses Totschlags anklage, verurteile oder verdamme.«18 Ein Papier, unterschrieben von einem Dominikanermönch namens Johann Tetzel im Auftrag des Bischofs Albrecht von Mainz und Magdeburg.

Luther ist baff. Vor ihm steht ein Mörder und der dreht dem lieben Gott eine Nase! Der nette Herr Menner hatte sieben Dukaten gezahlt und weiß die Preisliste des Bischofs auch noch halbwegs auswendig: Kirchenraub neun Dukaten, Mord oder Totschlag sieben, Hexerei sechs, Ehebruch und Kindesmisshandlung je nach Sachlage, aber Diebstahl und Schmuggel – die sind günstig, da kann man einen Teil der Ware oder des Hehlergewinns der Kirche spenden. Provision für den Papst sozusagen, auf Verhandlungsbasis.19

Martin Luther erinnert sich: 1506 hat Papst Julius II. den sogenannten »Petersablass« erfunden, d. h., gegen eine namhafte Spende für den Bau des Petersdoms in Rom spricht der Priester im Beichtstuhl nach der Absolution auch eine Milderung zeitlicher Sündenstrafen aus. Aber ist Gottes Erbarmen damit schon käuflich? Na ja, Schwaben würden sagen, es hat ein »G’schmäckle«. PR-Medienberater des 21. Jahrhunderts würden warnen, so was sei »spooky«. Aber mal halblang: Damit sind weder die Reue noch die Beichte noch die Lossprechung ausgehebelt. Es kommt lediglich nach der Beichte kräftig Geld rein. Luther selbst, seit dem 3. April 1507 ein geweihter katholischer Priester, hat das so gemacht!

Als der baufreudige Papst Julius II. tot ist, »verschärft« sein Nachfolger Leo X. das europaweite Fundraising noch um die Nuance, dass sich großzügige Spender den Ablass schriftlich beurkunden lassen können. Damit ist der »Ablassbrief« in der Welt. Und Luther fand nicht mal den anstößig. Am Vorabend des...

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