November
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Naturgemäß kein Wonnemonat: ein Unfall im Morgengrauen, ein gewalttätiger Mops und ein Hundehasser im Keller, der ab jetzt zum Familienrudel gehört
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2. November
Ich hätte nicht gedacht, dass Kot einmal eine so bedeutende Rolle in meinem Leben spielen würde. Meine Hoffnung war, das Thema mit der letzten Windel beerdigen zu können, aber zusammen mit Hilde ist es geradezu übermächtig wieder zurückgekehrt.
Mir war zum Beispiel nicht klar, wie schwierig es logistisch ist, wenn ein Hundehaufen auf einen Laubhaufen trifft. Es ist nahezu unmöglich, das tückische Exkrement zwischen den nassen braunen Blättern wiederzufinden.
So sieht man mich also in jüngster Zeit mehrmals am Tag auf der Suche nach Kacke durch unseren winzigen Garten schleichen, vorsichtig jeden Fuß vor den anderen setzend, als ginge ich über eine morsche Hängebrücke.
Mindestens einmal pro Woche trete ich bei meiner Jagd auf Haufen in einen Haufen, und alle vierzehn Tage bemerke ich das erst, wenn ich bereits wieder am Schreibtisch sitze, über mehrere Teppiche und Fußmatten gegangen bin und dort deutliche Spuren hinterlassen habe.
Meine Nase gleicht mittlerweile einer auf Hundeexkremente spezialisierten Suchmaschine.
Egal welches Zimmer ich betrete, das Erste, was ich tue, ist, den Raum mit Augen und Nase auf gefährliche Substanzen abzuchecken. Neulich, es war mir ziemlich peinlich, überraschte mich mein Mann, wie ich auf allen vieren durchs Wohnzimmer kroch und den Teppich abschnüffelte.
Ich war mir ganz sicher, dass ein Hauch von etwa dreizehn Stunden altem Urin in der Luft hing, hatte aber keinen Fleck und keine Pfütze finden können. Wer kleine Kinder hat, lernt schnell, dass man vollgepinkelte Laken und Hosen lieber zügig reinigt, denn der Geruch verfliegt nicht mit der Zeit, sondern steigert sich zu einem wuchtigen Fortissimo, das jede Nasenschleimhaut sprengt.
Mein Mann betrat das Zimmer just in dem Moment, als ich tief atmend vor dem Sofa lag, die Nase am Boden. Hilde tänzelte aufgeregt um mich herum und hatte offenbar den Eindruck, ihr vorbildliches Frauchen übe sich gerade im Fährtenlesen.
Nun gehen zwanzig Jahre Ehe an keiner Beziehung spurlos vorbei, aber bei gewissen Tätigkeiten, dazu gehören unter anderen das Abpumpen von Muttermilch, «Sissi» gucken und mit der besten Freundin am Telefon über die ersten Symptome der Wechseljahre sprechen, sollte man dafür Sorge tragen, dass der Partner nicht anwesend ist.
Selbiges gilt für Urinspurensuche im eigenen Wohnzimmer. Man büßt als Frau dabei unnötig viel von der eigenen Weiblichkeit, Menschenwürde und sexuellen Ausstrahlung ein.
«Was machst du da?», fragte mein Mann in einem Tonfall, dem anzumerken war, dass er sich vor der Antwort gruselte.
Ich schreckte hoch, stieß mir den Kopf am Couchtisch, Hilde jaulte empathisch auf und rannte aus dem Zimmer. Ich sagte: «Nichts, wieso? Ich suche bloß einen Ohrring.»
Ich trage niemals Ohrringe, aber mein Mann schwieg und zog es vor, sich zurückzuziehen. Später trug ich unbemerkt die rosa Kuscheldecke in die Waschküche, die Hilde hinter den Vorhängen deponiert und offenbar als mobile Hundetoilette benutzt hatte.
Das Zusammenleben mit einem Welpen bedarf ständiger Aufmerksamkeit und der Bereitschaft, zu jeder Tages- und Nachtzeit schnell und entschlossen zu reagieren.
Gemütlichkeit war gestern. Heute ist eines meiner Augen und eines meiner Ohren rund um die Uhr auf Empfang geschaltet, um Verbote durchzusetzen und Malheurs zu vermeiden.
Beim sonntäglichen «Tatort»-Gucken beispielsweise – ein liebgewonnenes Ritual, das der partnerschaftlichen Entspannung und dem kontemplativen Ausklang des Wochenendes dienen soll – kann ich mich nunmehr weder auf die Handlung noch auf meine Packung Toffifee konzentrieren.
Oft springe ich auf, weil Hilde im Nebenraum Geräusche macht, die wahlweise den Verzehr des Papierkorbes bedeuten, das Auffressen meiner Fotoalben oder das Wieder-Hervorwürgen von etwas, was sie vorher verbotenerweise gefressen hat.
Genauso oft renne ich panisch aus dem Raum, weil Hilde keine Geräusche macht, was mich ebenfalls zutiefst beunruhigt. Das bedeutet nämlich entweder, dass sie sich heimlich und unerlaubt nach oben geschlichen hat, um meine Tagesdecke zu markieren, oder dass sie gerade sonst wo ihre Abendtoilette erledigt.
Meistens, das muss ich ehrlich zugeben, liegt sie einfach friedlich dösend am Fuß der Treppe und fragt sich, warum ihr neurotisches Frauchen sie laufend grundlos stört.
Wachsamkeit ist auch geboten, wenn Hilde versucht, das Wohnzimmer zu betreten. Nachdem wir zwei Fernbedienungen erneuern mussten und sechs Schinkenschnittchen spurlos vom Couchtisch verschwunden waren, haben wir das Wohnzimmer zur welpenfreien Zone erklärt.
Nun erschrecke ich regelmäßig meinen Mann oder ganze Abendgesellschaften, wenn ich unvermittelt kreischend und klatschend aufspringe, um den übergriffigen Welpen aus dem Wohnzimmer zu verscheuchen.
Mittlerweile hat die kleine Dame immerhin begriffen, dass der Raum für sie verboten ist. Nun ist sie dazu übergegangen, sich wie absichtslos in Richtung Sofa rollen zu lassen und so zu tun, als könne sie nichts dafür, weil das ganze Haus offenbar irgendwie dramatisch abschüssig gebaut und sie ein ahnungsloses Opfer der Schwerkraft ist.
Manchmal robbt sie sich auch Zentimeter für Zentimeter vor, wobei ihr das schlechte Gewissen deutlich ins Gesicht geschrieben steht.
Das ist die ersten fünf bis sechs Mal noch wahnsinnig niedlich und unglaublich lustig. Videos und Schnappschüsse werden angefertigt, so wie damals von den Kindern, als sie begannen, mit dem Löffel zu essen und dabei alles außer ihren Mund trafen.
Oft kann ich der Krimihandlung nicht mehr uneingeschränkt folgen und stelle unangemessene Fragen wie «Ist das jetzt der Bruder oder der Liebhaber von dem Angeklagten?» oder «Wie kommen die denn jetzt so plötzlich dahin?» oder «Wie? Schon aus? Und wer ist es gewesen?».
Neulich, als ich während eines tückischen Mordes aufgebracht und gellend «Nein!» schrie und in die Hände klatschte – Hilde hatte mit dem Prozess des Anrobbens begonnen –, verschüttete mein Mann vor Schreck seinen Rotwein auf dem Sofa.
Das fand er überhaupt nicht mehr lustig und verließ in hanseatisch stummem Protest den Raum, um, wie er sagte, in Ruhe ein Buch zu lesen. Hilde wedelte ihm freundlich nach und tat so, als hätte sie mit der ganzen Sache nichts zu tun und nähme ihm seine schlechte Laune auch nicht weiter übel.
Der junge Hund: eine Belastungsprobe für Nerven, Stimme und Ehe.
Ein Welpe braucht sehr viel Aufmerksamkeit, die automatisch an anderer Stelle eingespart werden muss. Hundekinder, Menschenkinder, zeitintensive Nebenbeschäftigungen wie Springreiten, Pokern, einen Geliebten oder einen Schrebergarten haben – das alles kann man sich nur in gefestigten Partnerschaften erlauben, die durststreckenerprobt sind.
In nicht wenigen Beziehungen müssen Partner sogar dauerhaft damit zurechtkommen, dass sie deutlich weniger geliebt werden als der Hund. Und etliche Experten haben mir gegenüber die Vermutung geäußert, dass viele Frauen sich für den Hund entscheiden und ihren Mann in gute Hände abgeben würden, wenn der plötzlich eine dramatische Tierhaarallergie entwickeln würde.
Ich würde lieber meinen Mann behalten. Ja, ich gebe es hier und jetzt ganz offen zu: Ich liebe meinen Mann mehr als meinen Hund. Vielleicht gibt es noch Hoffnung, und das ändert sich eines Tages. Aber im Hier und Jetzt müssen Hilde und ich uns mit diesem emotionalen Defizit meinerseits arrangieren.
Morgens um halb sieben führt mich mein erster Weg zu meinem Arbeitszimmer, in dem Hilde mittlerweile seelenruhig die Nacht verbringt. Allerdings nicht in ihrem Lammfell-Fertighaus. Es hatte keine Woche gedauert, bis mein Welpe die Reißverschlüsse der angeblich einbruch- und ausbruchsicheren Transportkiste von innen öffnen konnte.
Das hatte mich mit nicht wenig Stolz erfüllt. Vielleicht ist Hilde ja doch intelligenter, als die Tatsache vermuten lässt, dass sie sich immer noch mehrmals am Tag von ihrem eigenen Schwanz verfolgt fühlt.
Sie übernachtet nun also bereitwillig bei verschlossener Zimmertür in ihrem Hundebettchen, ist allerdings nach sieben Stunden Nachtruhe froh, sich umgehend im Garten erleichtern zu können.
Manfreds Grünstreifen benutzen wir nicht mehr als Toilette. Zum einen ist mein morgendlicher Anblick mit Augenringen, Bademantel und zwei Gummibooten an den Füßen wirklich niemandem zumutbar. Und zum anderen meine ich stets, Manfreds vorwurfsvollen Blick auf mir zu spüren, sobald Hilde sich auf seinem selbstlos gespendeten Rasen niederlässt.
Ich atme tief die kalte Morgenluft ein.
Hilde rennt in den Garten und ist überrascht, dass das frostige Gras unter ihren Pfoten knistert. Das Laub des Herbstes ist entsorgt, und ich muss sagen, dass es eine wahre Freude ist, die gefrorenen Hundehaufen vom Vortag einzusammeln. Fest und appetitlich wie Murmeln. Und wenn man reintritt, ist es auch egal.
Frauchens Glück.
Ich schreite hinter meinem Hund durch den Garten und mache mich mit der stolzen Beute von drei kristallharten Haufen im Beutel auf den Weg zurück zum Haus.
Auf der Holzterrasse übersehe ich leider eine gefrorene Stelle.
Wie in einem klischeeüberladenen Comic rutsche ich nach hinten aus und stürze mit lächerlich rudernden Armen, in Bademantel und Gummischuhwerk, den Kotbeutel mit meiner rechten...