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E-Book

Hitlers Kunsthändler

Hildebrand Gurlitt 1895-1956

AutorMeike Hoffmann, Nicola Kuhn
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl401 Seiten
ISBN9783406690952
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Handel mit geraubter Kunst ist das größte Thema der NS-Vergangenheit, das noch auf seine Aufarbeitung wartet. Der Name Hildebrand Gurlitt steht für dieses ungesühnte Unrecht, seit die Welt von seiner lange verborgenen Kunstsammlung erfuhr. Doch wer war der Mann, der als junger Museumsdirektor für die moderne Kunst kämpfte und sie dann als 'entartet' verkaufte? Der als 'Vierteljude' Raubkunst für Hitlers Führermuseum erwarb und daran Millionen verdiente? Meike Hoffmann und Nicola Kuhn legen die erste Biographie von Hitlers berüchtigtem Kunsthändler vor. Als Pionier der modernen Kunst ist Hildebrand Gurlitt in den 1920er Jahren vielbewundert. 1930 wird er als Museumsdirektor entlassen, als der Gegenwind von rechts zu stark wird, und verliert 1933 erneut seinen Posten. Doch kurz danach beginnt sein zweiter Aufstieg als Kollaborateur und Profiteur im Nationalsozialismus. Er verschafft dem Deutschen Reich Devisen durch den Verkauf von 'Entarteter Kunst', geht nach Paris und erobert sich den Kunstmarkt in den besetzten Gebieten. Er wird reich mit Bildern, die er an Hitlers geplantes Museum in Linz verkauft und ist schon 1948 als Direktor des Kunstvereins in Düsseldorf wieder in Amt und Würden. Gurlitts Biographie ist eine Geschichte von Tragik, Verbrechen und Verdrängung, die ihren Schatten bis in die Gegenwart wirft.

<p><strong>Meike Hoffmann</strong> ist promovierte Kunsthistorikerin und arbeitet seit vielen Jahren &uuml;ber den Kunsthandel im Nationalsozialismus. Nach den Spuren von Hildebrand Gurlitts Leben hat sie in zahlreichen Archiven im In- und Ausland geforscht. Seit 2006 ist sie Projektkoordinatorin der Forschungsstelle &bdquo;Entartete Kunst&ldquo; an der Freien Universit&auml;t Berlin. Sie war Mitglied der internationalen Taskforce &bdquo;Schwabinger Kunstfund&ldquo; und ist Mitarbeiterin der Folgeprojekte zur Erforschung von Gurlitts Kunstsammlung.<br /><br /><strong>Nicola Kuhn</strong> ist Kunstkritikerin und Redakteurin im Feuilleton des &bdquo;Tagesspiegels&ldquo;. Sie hat Kunstgeschichte und Neuere Geschichte studiert und an der Freien Universit&auml;t wie an der Universit&auml;t der K&uuml;nste in Berlin gelehrt. 2013 wurde sie mit dem Kritikerpreis der hbs Kulturstiftung ausgezeichnet.</p>

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Leseprobe

Kapitel 1


Prolog: Eine doppelte Wende


Ein sonniger Tag verspricht es zu werden. Ende April hat das Thermometer in Hamburg schon 18 Grad erreicht. Der Frühling kommt mit aller Kraft, in den Vorgärten und Parks blühen die Rabatten, rund um die Alster, wo sich die Hansestadt von ihrer prächtigsten Seite zeigt, sprießt es. Auch die Häuser sind geschmückt für diesen besonderen Tag, den 1. Mai 1933, allerdings nicht vorsommerlich heiter. Die öffentlichen Gebäude sind beflaggt. Die Anordnung zum Hissen – neben der schwarz-weiß-roten Fahne des Kaiserreichs hat auch die Hakenkreuz-Flagge im Wind zu wehen – kommt direkt aus Berlin und ergeht an alle Städte im Deutschen Reich, denn Hitler hat den 1. Mai zum «Feiertag der deutschen Arbeit» erklärt. Das Reichspropagandaministerium und die Nationalsozialistische Betriebsorganisation haben überall Aufmärsche geplant, eine Machtdemonstration gigantischen Ausmaßes. Mit Paraden und Massenaufzügen im ganzen Land sucht die NSDAP die Arbeiterschaft hinter sich zu scharen, nur um am nächsten Morgen eine brutale Offensive gegen die Gewerkschaften zu eröffnen und sie zu zerschlagen. Die Funktionäre werden verhaftet, die Konten beschlagnahmt, die Gewerkschaftshäuser besetzt.

Ein Tag mit schlimmen Folgen sollte es werden. Welche Fortsetzung dieser 1. Mai 1933 haben würde, konnte damals niemand ahnen, aber eine eigentümliche Stimmung, eine Mischung aus Vorfreude auf das Spektakel, aus Machtlüsternheit, aus banger Sorge, dürfte geherrscht haben. Die Verfolgung von Kommunisten, Künstlern, Andersdenkenden, von Juristen und Finanzbeamten jüdischer Herkunft hatte sogleich nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begonnen. Eine regelrechte Fluchtwelle erfasste das Land nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar, 37.000 Menschen emigrierten im Laufe des Jahres. Am 1. April kam es zu blutigen Ausschreitungen beim reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte. Eine knappe Woche später, am 7. April 1933, wurden mit dem «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» Professoren aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Einstellung ihrer Ämter enthoben. Der zum Feiertag erklärte 1. Mai unter dem Motto «Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter!» diente als weiterer Baustein im nationalsozialistischen Machtgefüge, die Integration der Arbeiter in die neue «Volksgemeinschaft» besaß bei den Nationalsozialisten höchste Priorität. Sie sollten das Fundament für den neuen Staat bilden.

Auch Hamburg präpariert sich für den neu deklarierten Feiertag, neben Berlin und München gilt die größte Stadt im Norden als wichtiger Ausgangsort für die nationalsozialistische Bewegung. Was hier geschieht, wird im Land wahrgenommen. Längst befindet sich Hamburg in Parteihand, seit Carl Vincent Krogmann bei der Senatswahl am 8. März zum Ersten Bürgermeister bestimmt worden ist. Trotzdem vollzieht sich der Wandel in den ersten Monaten langsam. Zwar übernimmt die NSDAP bei der Senatswahl im März die Führung, aber die Bürgerschaft, das Parlament der Hansestadt, hat Anteil an der Regierungsneubildung und stellt sechs der insgesamt zwölf Senatoren. Damit sieht es vorläufig so aus, als bliebe das parlamentarische System erhalten. Erst in einem zweiten Schritt wird Hamburg vollends gleichgeschaltet. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lässt sich bereitwillig täuschen.

In der Hansestadt sind zum 1. Mai wie überall sonst auch Paraden geplant, Musikaufführungen finden statt, öffentliche Bekenntnisse zu Hitler als neuem Führer stehen auf dem Programm. Für die Hamburgische Universität ergreift der Mediziner und Prorektor Ludolph Brauer das Wort: «Wir bekennen uns zu unserem kraftvollen Reichskanzler Adolf Hitler […] Wir haben des Mannes, der uns von der deutschen Zwietracht erlösen sollte, sehnsüchtig geharrt. Nun ist er erstanden. Freudig wollen wir ihm dienen.» Der Anhänger der Deutschnationalen Volkspartei ruft pathetisch zu Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft, Wehrhaftigkeit auf und verspricht stellvertretend für die Alma Mater: «In diesen hohen Idealen werden unsere Universitäten zu allen Zeiten dastehen, weil es Deutsche sind, die an ihnen walten.»[1]

Am 1. Mai bekunden nicht nur die Arbeiter, sondern auch andere gesellschaftliche Gruppen ihre Gefolgschaft gegenüber den neuen Machthabern. Wer sich an diesem Tag verweigert, und das an prominenter Stelle, muss mit Folgen rechnen. Nur fünf Minuten vom Universitätsgebäude entfernt, wo Prorektor Brauer seine flammende Rede hält, befindet sich damals in der Neuen Rabenstraße 25 der Hamburger Kunstverein. Auf dessen Dach flattert keine Fahne. Ohnehin fällt das Gebäude aus der Nachbarschaft heraus. Zwischen den klassizistischen Patriziervillen wirkt die kühle, glatte Fassade aus Glas und hell verputzten Flächen wie eine Kampfansage an die Umgebung, an Tradition und Norm. Die von dem Hamburger Architekten Karl Schneider zum Vereins- und Ausstellungshaus umgebaute Villa ist in ihrer modernen Erscheinung dem lokalen «Kampfbund für Deutsche Kultur» seit jeher ein Dorn im Auge. Und dann noch diese Provokation, eine Form der Sabotage beinahe: Ausgerechnet in dem gediegenen Viertel Rotherbaum mit seinen vielen öffentlichen Gebäuden wie der Universität, dem Fernsprechknotenamt, dem Norddeutschen Rundfunk und zahlreichen Museen bleibt die Fahnenstange hier leer.

Das Nichthissen der Flagge ist ein Akt der Verweigerung; die Nachteile für seine weitere Karriere kann sich Hildebrand Gurlitt, der Direktor des Hamburger Kunstvereins, ausmalen. Aus heutiger Sicht imponiert diese Tat zunächst – dann aber irritiert sie, denn Gurlitt kollaboriert nur wenig später mit den Nationalsozialisten, die ihn zu einem ihrer wichtigen Kunsthändler machen. Was ist das für ein Mensch, der nach bewiesener Standhaftigkeit dann doch überläuft und sich im Laufe der Zeit zunehmend bereichert? Was ist das für eine Tat, die einerseits Signalwirkung besitzt und später umso mehr die verlorene Orientierung bezeugt? Hildebrand Gurlitt trifft innerhalb weniger Jahre zwei Mal für sein Leben folgenschwere Entscheidungen, erst gegen und dann für das NS-Regime. Wie wird ein kritischer Geist zum Mitläufer, ein Vorkämpfer der Moderne zu deren Liquidator, ein Opfer zum Täter? Der abmontierte Fahnenmast steht für eine Haltung, von der am Ende nicht viel übrig bleibt, ein Bekenntnis, das zur Leerstelle mutiert.

Am 1. Mai 1933 jedoch zeugt dieses Bild von Entscheidungskraft. Hildebrand Gurlitt weiß, was er tut, er weiß auch, dass er hier in einer Grauzone agiert, da es sich beim Kunstverein nicht um ein städtisches Gebäude handelt und das Hissen der Hausfahnen darum hier nicht verpflichtend ist. Dass ein solcher Akt die Nationalsozialisten trotzdem an empfindlicher Stelle trifft, zeigen die zahlreichen Denunzierungen und anschließenden Verfahren gegen Personen, die sich am 1. Mai 1933 kritisch zur Hakenkreuz-Fahne geäußert haben sollen. Gurlitt hat seine Kontakte zu den Größen der Hamburger Politik, die er vorher geschickt zu nutzen wusste, unweigerlich zerstört. Es kommt, wie es kommen muss: Als Direktor kann er sich nur noch dreieinhalb Monate halten, dann verliert er seinen Posten. Als er am 15. August 1933 sein Amt niederlegt, geht mit ihm der gesamte Vorstand.[2] Der Wind hat sich endgültig gedreht. Carl Vincent Krogmann, der neue Bürgermeister, der dem gerade erst zwei Jahre amtierenden Hildebrand Gurlitt bislang gewogen war und den Kunstverein unterstützte, lässt ihn fallen. Der Zorn auf den renitenten Direktor ist selbst Wochen nach dessen Entlassung aus dem Amt noch nicht verraucht. Und die Folgen reichen weiter: Eine Laufbahn als Leiter einer Sammlung moderner Kunst, die Gurlitt seit seiner Studienzeit verfolgt hat, ist damit verbaut. Gurlitt hat sich ins Abseits manövriert. Als der Kunstvereinsdirektor gehen muss, wird er mit einem Publikationsverbot belegt, das ihm sowohl das öffentliche Reden als auch das Schreiben untersagt. Auch sein Anspruch auf eine Pension ist verwirkt.[3] Er steht damit zum zweiten Mal vor den Trümmern seiner Karriere, nachdem er schon in Zwickau als Direktor des König-Albert-Museums wegen seines Einsatzes für die moderne Kunst seines Amtes enthoben wurde.

Warum hat es Gurlitt darauf ankommen lassen? Warum gibt er sein Engagement für die Avantgarde vorerst auf? Was hat den als energisch und durchsetzungsstark geltenden Vorkämpfer der Moderne veranlasst, seine Ablösung zu provozieren? Der 1. Mai 1933 wird für Gurlitt zum Wendepunkt. Er muss erkennen, dass seine Vision einer modernen Kunst als Symbol für die deutsche Nation mit der Ideologie der Nationalsozialisten nicht zu vereinbaren ist. Der von Hitler ernannte «Tag der Arbeit» bezeugt ihm durch die schiere Masse seiner Teilnehmer, dass die Mehrheit in eine andere Richtung strebt. Jenes alle gesellschaftliche Schichten umfassende Publikum, das er seit seinen Anfängen als junger Kurator in Zwickau erreichen wollte, wird ihm nicht mehr folgen, er steht auf verlorenem Posten. Den Kunstverein als Instrument seiner pädagogischen Arbeit kann er nicht mehr einsetzen. Mit...

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