Wie oben schon dargelegt, ist es zur Operationalisierung und damit zur Messbarkeit von Hochbegabung notwendig, eine Definition bzw. ein Modell von Hochbegabung zugrunde zu legen, an welchem man sich orientieren kann. Nachfolgend sind daher die gängigen in der Literatur genannten Modelle dargestellt, erklärt und Kritikpunkte aufgeführt.
Das Drei-Ringe-Modell bzw. –Konzept nach RENZULLI sollte eine „theoretische Basis für die amerikanische Praxis der Begabtenauslese und -Förderung schaffen“ (SCHÄR, 1991: 57). Der Vorteil sollte demnach darin liegen, dass es auf viele Begabungsbereiche anwendbar und auch leicht verständlich sein sollte. Mit diesem Konzept wollte RENZULLI für mögliche Fördermaßnahmen eine große Zahl von potentiell Hochbegabten identifizieren (zitiert nach HOLLING, 1999: 9). Das Modell sieht wie folgt aus:
Abbildung 2: Drei-Ringe-Konzept der Hochbegabung nach RENZULLI
Jedoch sprach RENZULLI selbst nicht von einem Modell, was ihm von Kritikern vorgeworfen wurde (ROST, 1991: 203), sondern von einer Konzeption (zitiert nach FEGER, 1998: 36). Basierend auf Forschungsergebnissen über Eigenschaften kreativer und besonders leistungsfähiger Personen, filterte RENZULLI drei Fähigkeitsbündel bzw. Cluster heraus, welche er `Above Average Ability´ (überdurchschnittliche Befähigung), `Task Commitment´ (Engagement und Aufgabenmotivation) und `Creativity´ (Kreativität) nannte (1993: 217f.). In Abb. 2 ist dies verdeutlicht. Die Besonderheit des Konzeptes stellt die Dynamik der drei Ringe dar, die sich frei bewegen und ihre Größe verändern können. Dies macht deutlich, dass sich nach RENZULLIs Vorstellung Hochbegabung bei jedem Menschen anders darstellt und dass sich bestimmte Begabungsbereiche im Laufe eines Lebens ändern können (SCHÄR, 1991: 57). RENZULLI lehnte demnach eine Konzentration alleine auf die Intelligenz oder Leistung ab, da alleine damit ja nicht die kreativ Hochbegabten entdeckt würden (ROHRMANN, 2005: 44), (HOLLING, 1999: 9). Das dominierende Element stellt die Interaktion der Cluster dar, wobei RENZULLI selbst sagt, dass „`überdurchschnittliche (intellektuelle) Fähigkeiten´ eine konstante Voraussetzungsbedingung im […] System der Identifizierung darstellen“ (1993: 219).
Doch bei aller Beachtung und Erwähnung in der einschlägigen Literatur rief dieses Konzept auch Kritik hervor. Kritisiert wird zunächst, dass er Begabung und Leistung gleichsetzt. Dadurch würden aber die Underachiever übersehen, die trotz hoher intellektueller und kreativer Fähigkeiten nur geringe Leistungen erbringen. Sie gelten demnach nicht als hochbegabt, so ROHRMANN (2005: 44), HOLLING (1999:8), FEGER (1998: 36) und ROST (1991: 202). Dies relativierte RENZULLI jedoch selbst, als er bemerkte, dass die Zielgruppe der Identifizierung die deutlich über dem Intelligenzdurchschnitt liegende sei und Aufgabenmotivation sowie Kreativität als Entwicklungsziele angesehen werden sollten. Sein Ziel war es demnach, die drei Ringe nach der Identifikation mittels Förderung zusammen zu führen (1993: 219), was meiner Meinung nach ein indirektes Eingeständnis war, im Zusammenhang mit Identifizierung von Hochbegabung doch der Idee von einem bestimmenden Generalfaktor der Intelligenz zu folgen. Der zweite Kritikpunkt betrifft die Kreativität. Dieses Konstrukt ist laut ROST besonders unscharf, über die Entwicklung gesehen instabil, noch nicht vernünftig operationalisiert und erfüllt noch nicht den Anspruch an eine hohe prognostische Validität (1991: 203). Der dritte Kritikpunkt befasst sich mit dem Bereich des `Task Commitment´. ROST stellt in Frage, ob es sinnvoll sei, diesen Bereich für die Identifizierung von besonderer Begabung zu nutzen, da die Kombination aus guten Schulleistungen und hoher Intelligenz ein entsprechend gutes `Task Commitment´ schon enthalte (204).
Die letztgenannte Schwachstelle ist nach ROST (1991: 205) die Grenzwertsetzung von Hochbegabung. So legt er Folgendes dar:
Versteht man unter `hochbegabt´ diejenigen, die in jedem der drei Bereiche mindestens eine Standardabweichung über dem Durchschnitt der Population liegen (was ungefähr einem Prozentrang von rund 85 entspricht), so wären – eine Unabhängigkeit der Merkmale voneinander vorausgesetzt – weniger als 4 von 1000 Kindern `hochbegabt´. Will man 5% eines Jahrgangs als `hochbegabt´ definieren, so würde es unter den gleichen Voraussetzungen schon genügen, in jedem der drei Bereiche zu den 37% Besten zu gehören.
ROST wird allerdings wiederum von MÖNKS kritisiert, wobei dieser ROST im Hinblick auf dessen Aktualität des Forschungsstandes attackiert (MÖNKS, 1991: 237-239), weshalb ich hierauf nicht näher eingehen will.
In diesem Abschnitt sollte das Drei-Ringe-Konzept der Hochbegabung nach RENZULLI dargestellt und Kritikpunkte sollten aufgezeigt werden. Auch hier zeigten sich anhand der Quellen wieder die Divergenzen in der Sicht der Hochbegabung: zum Einen die Anhänger einer Hochbegabung als Einfaktorenkonzept, wie z.B. ROST (1991), und zum Anderen die einer Hochbegabung als Mehrfaktorenkonzept, wie z.B. MÖNKS (1991) und HELLER (1991). Für weitergehende Informationen über diesen Streit sei deshalb auf die erwähnten Quellen verwiesen.
RENZULLI sagt, dass „`überdurchschnittliche (intellektuelle) Fähigkeiten´ eine konstante Voraussetzungsbedingung im […] System der Identifizierung darstellen“ (1993: 219). Dies impliziert meiner Meinung nach die Wichtigkeit des Faktors Intelligenz in diesem Modell. Wenn die Zielgruppe der Diagnostik die deutlich über dem Intelligenzdurchschnitt liegende sein soll, wird diese Wertung noch untermauert. Demnach sind die beiden anderen Ringe in Abb. 2 nur als Ziel einer Förderung anzusehen. Ausgangspunkt ist und bleibt daher die Intelligenz. Diese zu messen sollte also vorrangiges Ziel sein. Demzufolge wäre es nach RENZULLIs Modell auch möglich, im Laufe einer Testreihe Underachiever zu identifizieren. Er schlägt in seinem Identifikationssystem als ersten Schritt in logischer Konsequenz vor, eine Nominierung von Hochbegabten nach Testergebnissen durchzuführen (1993: 220). Diese Methode ist jedoch, wie oben schon dargelegt, unökonomisch, wenn innerhalb eines großen Gebietes eine sehr große Stichprobe getestet werden muss. RENZULLI beschränkt sich daher bei seiner Umsetzung des Modells in eine Identifikationsstrategie auf kleine Talentpools, die schulintern geschaffen und als Grundlage für die Zuteilung zu Enrichment-Programmen gesehen werden. Für diese sollen begabte Schüler diagnostiziert werden. Ich denke, dass in einem solchen Fall eine genügende Berücksichtigung der Underachiever gewährleistet ist, da in erster Linie die Disposition des Schülers und nicht ein Leistungsmerkmal abgeprüft wird. In Kombination mit den von RENZULLI eingeplanten Lehrer- und Elternnominierungen könnte dies neben der Einfachheit seines Modells ein weiterer Grund für dessen Beliebtheit sein. Beachtet man die Relativierung der Faktoren Leistungsmotivation und Kreativität als Entwicklungsziel, ist dieses Modell bei der Diagnose von Hochbegabten m.E. eine Beachtung wert.
MÖNKS geht in seinem Modell davon aus, dass eine besondere Anlage auf einem Gebiet nicht ausreicht, um außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, da dafür eine soziale Umgebung notwendig ist, die diesen Prozess begleitet und fördert (1993: 21). Er folgt darin der Idee, dass Hochbegabung erst dann erkannt werden kann, wenn sie sich in Leistung manifestiert.
Abbildung 3: Triadisches Interdependenzmodell der Hochbegabung nach MÖNKS
Im Zentrum seines Modells steht, angelehnt an RENZULLI, die Triade aus hoher intellektueller Fähigkeit, Kreativität und Motivation (MÖNKS, 1993: 21). Unter hoher intellektueller Fähigkeit versteht er im Rahmen der diagnostischen Arbeit einen IQ-Wert über 130, im Allgemeinen die oberen 5-10% der Population. Im Bereich der Motivation erwähnt MÖNKS Schlagworte wie Wille, Durchsetzungsvermögen, Spaß, Ziele setzen, Pläne machen und Risiken in Kauf nehmen. Die Kreativität stellt den Bereich dar, der für das Auffinden von Problemen und Problemlösungen selbst zuständig ist (22). Um diese Triade herum formt sich die Sozialumgebung des Menschen, die dazu beiträgt, die Anlagen zu verwirklichen. Diese besteht aus den drei Komponenten Familie, Schule und Peers. Die Person interagiert mit dieser äußeren Triade, was nur dann gut verläuft, wenn sie eine gewisse soziale Kompetenz besitzt (22). Abschließend erwähnt MÖNKS, dass „eine positive wechselseitige Beziehung zwischen den beiden Triaden und ein ausgewogenes Verflochtensein bestimmend sind für eine möglichst ungestörte Entwicklung von Hochbegabung“ (25).
Auch dieses Modell wird wie RENZULLIs Drei-Ringe-Konzept in der Literatur häufig erwähnt, so z.B. bei ROHRMANN (2005: 45), FREUND-BRAIER (2001: 27), HOLLING (1999: 11) und FEGER (1998: 37). Doch erfuhr es auch wieder Kritik, allen voran von ROST (1991: 205f.). Neben der inneren Triade, die er schon, wie oben beschrieben, bei RENZULLI...