HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN DER HOCHSENSIBILITÄT IM JOB
Es ist unglaublich, wie empfindsame Seelen einander verstehen, ohne viel zu reden. Ein entschlüpftes Wort, eine nachdenkliche Miene, eine undeutliche, zusammenhanglose Bemerkung, ein halbes Bedauern, eine Andeutung, der Tonfall, der Gang, der Blick, die Aufmerksamkeit, das Schweigen – all dies entdeckt sie einander.
DENIS DIDEROT
Viele hochsensible Menschen suchen jahre- oder gar jahrzehntelang nach einem zu ihnen passenden Platz im Berufsleben. Sie erfahren immer wieder, dass sie anders wahrnehmen und anders reagieren als ihre Kollegen, und können nur mit massiver Kraftanstrengung den Ansprüchen ihres Arbeitgebers und dessen Unternehmensumfeld gerecht werden. Auf Dauer laugt dieser Energieaufwand aus. Die Möglichkeiten, diesen hohen Kraftaufwand durch ausreichende Regeneration auszugleichen, sind oft gering, was dazu führt, dass die Schere zwischen diesen Extremen immer mehr auseinanderklafft. Ein innerer Rückzug oder gar Burnout sind so vorprogrammiert.
Dies ist so lange der Fall, bis die positiven Eigenschaften der hochsensiblen Menschen für die moderne Arbeitswelt entdeckt werden.
WAS ES BEDEUTET, IM BERUF HOCHSENSIBEL ZU SEIN
Die wertvollen Zukunftskompetenzen der Hochsensiblen werden im Berufsleben dringend benötigt. Wenn diese produktiv gelebt werden können, ist ein erfülltes Berufsleben für hochsensible Berufstätige keine Utopie, sondern gelebte Realität. Wie kannst du das für dich erreichen?
Werde dir deiner persönlichen hochsensiblen Bedürfnisse und Fähigkeiten bewusst.
Erkenne die damit verbundenen Herausforderungen ebenso wie ihre Chancen.
Versuche dein Arbeitsleben passend oder passender für diese Aspekte einzurichten.
Setze deine hochsensiblen Kernkompetenzen gezielt für deine Karriere ein.
Ein wesentliches Merkmal hochsensibler Menschen im Beruf ist sicher die ausgeprägte und besonders tiefe Wahrnehmungsfähigkeit. Diese kann auch dazu führen, dass sie auf Stress und Belastungen schneller und intensiver reagieren als ihre normalsensiblen Kollegen. Die Herausforderung besteht darin, einen förderlichen Umgang mit den alltäglichen Stress- und Belastungssituationen zu finden.
Folgende Werte und Eigenschaften bilden Stressfaktoren für hochsensible Menschen:
der Zwang, sich frühzeitig für einen Berufsweg entscheiden zu müssen
daraus resultierend die Sorge, nicht alle Talente und Fähigkeiten ausleben zu können
die Notwendigkeit, sich daher quasi zu reduzieren und kleiner zu machen
die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und dafür einzustehen
sich zu positionieren im Unternehmen und eine aktive Rolle einzunehmen
eine gesunde Selbstfürsorge zu etablieren, auch im beruflichen Kontext
eine wirksame Strategie gegen Reizüberflutung zu erarbeiten und zu etablieren
einen hohen Anspruch an sich selbst auf ein förderliches Maß zu reduzieren
die Sinnhaftigkeit in der Tätigkeit zu finden und mit eigenen Werten zu kombinieren
die persönlichen Werte auch dann nicht zu verraten, wenn Gegenwind herrscht
steigenden Arbeitsanforderungen und hohem Leistungsdruck gerecht zu werden
Flexibilität und ständige Lernbereitschaft zu entwickeln
Selbstverständlich sind alle berufstätigen Menschen diesen Forderungen ausgesetzt. Die intensive Wahrnehmungsfähigkeit und das daraus resultierende hohe Stresslevel führen für Hochsensible jedoch viel leichter zu einer deutlichen Überlastung. Diese kann sich auf unterschiedliche Weise ausdrücken: nachlassende Motivation und Leistungsfähigkeit, innere Konflikte, gefühlte Sinnlosigkeit, psychosomatische Beschwerden und dadurch hohe Fehlzeiten, was wiederum zu Angst vor Entlassung führt. Wenn diese Negativschleife erst einmal begonnen hat, besteht die Gefahr, dass Unternehmen wichtige Leistungsträger verlieren. Doch wie können Betroffene diesem scheinbaren Teufelskreis entkommen?
DIE ZWEI SEITEN IM BERUFSALLTAG FÜR HOCHSENSIBLE
Wer sehr sensibel ist, bekommt viel von der Umwelt mit. Das Risiko, Wichtiges zu übersehen oder zu verpassen, ist deutlich reduziert. Auch Einzelheiten, die später wichtig werden können, nehmen Hochsensible wahr und speichern sie im Gedächtnis. Manchen gelingt es sogar, mehrere Gespräche, die parallel in einem Raum geführt werden, zu verfolgen. Sie erzielen dann einen Wissensvorsprung gegenüber denen, die in ihrer Sinneswahrnehmung stärker begrenzt sind. Manchmal spricht sich dies rum und Mitarbeiter wenden sich an hochsensible Kollegen, wenn ihnen eine wichtige Information nicht mehr in Erinnerung ist.
Es gibt aber auch Herausforderungen, denen Hochsensible im Job begegnen müssen. Am Arbeitsplatz ist die Zeit für die Bearbeitung von Aufträgen oft knapp. Von Mitarbeitern wird verlangt, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Hochsensible Menschen neigen dazu, alles sehr genau zu bearbeiten, und benötigen daher oft mehr Zeit. Dadurch geraten sie leicht in die Situation, erklären zu müssen, warum etwas nicht fristgerecht fertiggestellt werden konnte. Andere Hochsensible machen daher auch Überstunden. Dies führt auf die Dauer zu Stressbelastung, Unausgeglichenheit und Konzentrationsschwächen.
Hochsensible Menschen sind schneller im Dysstress. Sie schätzen Situationen eher als bedrohlich ein und erleben diese sorgenvoller als andere Menschen. Auch physiologisch wirkt sich diese Stressanfälligkeit aus, etwa durch einen erhöhten Puls, einen beschleunigten Atem oder zusätzliche Schweißaktivität. Außerdem fühlen Hochsensible sich häufiger überfordert. Da sie Emotionen für einen längeren Zeitraum erleben, haben Konflikte eine höhere Wirkungsdauer. Hochsensible Menschen denken nach einer Auseinandersetzung mit Kollegen oder einem unerfreulichen Gespräch mit dem Chef länger über die Ursachen des Konflikts nach oder empfinden die negativen Emotionen stärker. Dann gelingt es nicht so leicht, nach vorne zu schauen und die nächste Aufgabe anzupacken. Manchmal fällt es auch schwer, die betreffenden Kollegen am nächsten Tag unvoreingenommen anzusprechen.
Die Auswirkungen von Hochsensibilität im Beruf hängen von vielen Faktoren ab. Hierzu gehört die räumliche Situation. In Großraumbüros sind Mitarbeiter besonders vielen Reizen ausgesetzt. Kollegen kann man hier nicht aus dem Weg gehen. Auch die hierarchische Struktur des Unternehmens ist von Bedeutung. Werden hochsensible Mitarbeiter regelmäßig durch ihren Chef beobachtet oder müssen sich Leistungsmessungen unterziehen, dann haben sie viele selbstbezogene Informationen zu verarbeiten. Auch die Dichte an Kontakten mit Kollegen und Kunden ist ein wichtiger Faktor. Ständiges Kommen und Gehen von Kunden und regelmäßiges Telefonklingeln verstärken die Reizintensität. Dann kommt es leicht zu Reizüberflutungen, die in einem Zustand der inneren Erschöpfung münden.
Wenn es in einem Job auf besondere Gründlichkeit ankommt, können Hochsensible ihre Potenziale gut ausschöpfen. Auch kontrollierende Aufgaben sind mit den Fähigkeiten von hochsensiblen Menschen besonders gut kompatibel, da diese über bessere Voraussetzungen verfügen, Unstimmigkeiten schnell und zuverlässig zu entdecken. Auch im direkten Kontakt mit Kunden oder Klienten sind Hochsensible in vieler Hinsicht den anderen Mitarbeitern überlegen, da sie sich besser in andere Menschen hineindenken können.
Im Vertrieb gelingt es ihnen besser, die Bedürfnisse ihres Gesprächspartners zu verstehen, ungestellte Fragen zu erkennen und auf Bedenken zielgerichtet einzugehen. In sozialen und medizinischen Berufen ist diese Empathie besonders wertvoll. Beispielsweise wünschen sich die meisten Patienten einen Arzt oder Therapeuten mit viel Einfühlungsvermögen. Auch in kreativen Jobs können sich Hochsensible profilieren. Wer Informationen schneller verarbeitet und besser verbindet, wird auch viele gute Ideen generieren.
Hochsensible Menschen können schnell in einen Teufelskreis geraten: Wenn sie von Kollegen oder von ihrem Chef auf ihre Sensibilität direkt oder indirekt angesprochen werden, nehmen sie sich dies besonders zu Herzen. Sie steigern sich in die Sorge hinein, dass die Emotionen, die sie selbst erleben, für andere sichtbar sind und zu einer Angriffsfläche werden. Die Verunsicherung oder Enttäuschung über das kritische Feedback kann dazu führen, dass sie sich am Arbeitsplatz so weit wie möglich abkapseln. Auf diese Weise vermeiden sie es, mit weiteren negativen Kommentaren konfrontiert zu werden, die sie erneut für längere Zeit belasten würden. Indem sie sich aber isolieren, bestätigen sie nur den Eindruck ihrer Mitmenschen. Dies kann dazu führen, dass der Chef sie für nicht ausreichend belastbar hält.
Daher ist es wichtig, mit...