Fassen wir all das einmal zusammen, dann stellen wir fest, dass Hunde von Natur aus
Konflikt vermeidende Wesen sind
sehr viele verschiedene Verhaltensweisen zeigen, die allein durch genaueste Beobachtung und ausschließlich im Zusammenhang gesehen, erkennbar sind
viele Verhaltensweisen zeigen, die für uns Menschen vieldeutig sein können
Gleichzeitig können wir sehen, dass es teilweise zu erheblichen Diskrepanzen zwischen wissenschaftlichen Ergebnissen und unseren Erfahrungen kommt. Das liegt allein daran, dass viele Wissenschaftler einfach das nicht natürliche Verhalten von Gehegewölfen auf unsere Haushunde übertragen. Selbst das Verhalten frei lebender Wölfe ist nicht auf unsere Hunde übertragbar. Es gibt Gemeinsamkeiten – durch das enge Zusammenleben des Hundes mit dem Menschen und der Degeneration der Hunde hat sich aber auch das Verhalten sehr verändert.
Da sich die Forschungsergebnisse aber leider hartnäckig halten, viele Bücher ähnliche Inhalte haben, treiben diese Ergebnisse seltsame Früchte. Dem Menschen wird immer mehr suggeriert, dass der Hund ein dominantes Tier ist, das die Weltherrschaft an sich reißen will. Die Medien unterstützen diese Denkweise durch reißerische Berichte über Beißunfälle, deren Ursachen jedoch ungeklärt bleiben. Blickt man einmal etliche Jahre zurück, stellt man fest, dass sich die Beißunfälle mehren, seitdem das Bild des Hundes in der Öffentlichkeit vom lieben Begleiter zur Kampfmaschine gewandelt wurde. Völlig normale Verhaltensweisen werden falsch interpretiert – die menschliche Reaktion ist für den Hund nicht nachvollziehbar – das löst beim Hund Angst oder Aggression aus – Unfall vorprogrammiert.
In der Geschichte der Menschen gab und gibt es immer Lebewesen, die wegen ihres Verhaltens geächtet, ja getötet werden. Seit einigen Jahren, scheint mir, ist der Hund auf der Liste der „Andersartigen“ ganz oben. Speziell in Deutschland hat man allmählich das Gefühl, dass man den Hund schlicht „ausrotten“ will, andere Länder folgen. Die Gesetzgebung laboriert seit Jahren an den Symptomen der Beißunfälle herum, ohne jedoch auch nur andeutungsweise die Ursachen zu erkennen. Schlimm finde ich nur, dass Hundesportvereine, Kynologenverbände usw. nicht nur tatenlos zusehen, sondern gar durch ihre Propaganda diesen Wahnsinn unterstützen. Es gibt Studien zum Thema Beißunfälle, die klar herausstellen, dass jedes Mal der Mensch der Verursacher der Unfälle war – getötet wurde jeweils der „böse“ Hund – die Ergebnisse dieser Studien sind noch niemals in die Gesetzgebung eingeflossen.
Was diese Art im Umgang mit Hunden anrichtet und wie man Hunde richtig behandelt, wurde in unserem Bookmag „Babysteps zur Harmonie“ ausführlich beschrieben.
Gehen wir also zurück zum Hundeverhalten. Wie wir gesehen haben, ist ein Hund, der mit der Rute wedelt, nicht unbedingt freundlich und ein Hund, der knurrt, nicht unbedingt unfreundlich.
Wie sollen wir aber nun jedes Verhalten unserer Freunde richtig einschätzen? Dazu gehört zunächst einmal die ständige Beobachtung, denn jeder Hund hat eine etwas individuelle „Sprache“, gerade im Umgang mit uns Menschen.
Wir müssen lernen, das Verhalten richtig zu deuten – gut ausgebildete Trainer sind dabei sehr hilfreich. Leider sind diese Trainer aber auch sehr rar. Es braucht Trainer, die gelernt haben, jeden Hund individuell zu betrachten und vorurteilsfrei zu beurteilen. Es braucht Trainer, die mehr können, als einem Hund „Sitz“ und „Platz“ beizubringen. Und es braucht Hundehalter, die ihrem Hund in erster Linie Liebe, Vertrauen und Respekt entgegenbringen. Es braucht Halter, die nicht jeden Unfug glauben, der ihnen erzählt wird und die bereit sind, ihren Partner Hund vor anderen Menschen und Hunden jederzeit zu beschützen – kurz: Halter, die verantwortungsbewusst mit ihrem Liebling umgehen.
Ein Hund braucht Führung – ja, er braucht keinen menschlichen „Alpha“ und kein dominantes Herrli oder Frauli – er braucht Führung wie ein kleines Kind. Ein Hund strebt nicht nach der Weltherrschaft – die ist ihm völlig schnuppe. Dem Hund ist es egal, wer zuerst durch eine Tür geht – sollte er der erste sein, heißt das noch lange nicht, dass er uns Menschen jetzt unterordnet. Ein Hund, der im Bett seines Menschen schlafen darf, ist nicht auf dem Weg zum Haustyrannen – er schläft lediglich mit seinem Menschen im Bett. Ein Hund, der sein Futter vor der Mahlzeit seines Menschen bekommt, wird nicht am nächsten Tag das Menschenmahl verputzen und vom Menschen verlangen, vor dem Hundenapf auf dem Boden sein Mittagessen zu verspeisen. Ein Hund hat ein Recht darauf, wie ein Hund behandelt zu werden – er wird deshalb keine menschlichen Züge annehmen.
Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor:
Wir kommen nach mehreren Stunden, in denen Bello (ein Chihuahua) allein war, nach Hause. Bello freut sich, uns zu sehen. Wild wedelnd springt er uns entgegen, hüpft freudig an uns hoch. Wir beugen uns zu ihm herunter, nehmen ihn vielleicht auf den Arm und zeigen ihm so, dass auch wir uns freuen, ihn zu sehen.
So weit – so gut.
Nehmen wir jetzt aber einmal an, Bello ist eine Deutsche Dogge. Er zeigt das gleiche Verhalten, springt wild wedelnd an uns hoch. Wir fallen zurück in den Flur, die Treppe herunter und brechen uns den Hals. Das gleiche Verhalten des Hundes, aber eine völlig andere Reaktion unsererseits. Die Nachbarn werden sagen, Bello habe uns ermordet. Bei Chihuahua Bello werden die Nachbarn verzückt rufen: wie niedlich….
Fazit:
Der kleine Chihuahua darf sein natürliches Verhalten zeigen – die Deutsche Dogge besser nicht. Hat die Bello-Dogge nun falsch gehandelt oder haben wir bei der Erziehung unseres Hundes einen Fehler gemacht??? Beide Hunde zeigen bei Freude das gleiche, völlig natürliche, Verhalten. Würden wir Dogge Bello von Welpen an wie Chihuahua Bello behandeln, dann öffnen wir die Tür, beugen uns zu Baby-Dogge Bello hinunter und streicheln oder knuddeln ihn. Er hat also keinen Grund, an uns hoch zu hüpfen und wird es auch später nicht tun.
Wie wir im ersten Teil gelernt haben, sind die meisten Verhaltensweisen unserer Hunde, die wir für unangebracht halten, völlig natürlich. Durch unser Fehlverhalten motivieren wir die Hunde, „unerwünschtes Verhalten“ vermehrt zu zeigen, dieses zu etablieren.
Wenn unser Hund uns anknurrt, ist das für uns ein Grund zu erschrecken (sofort kommt der Gedanke an die „Bestie“ Hund wieder in uns hoch) und wir strafen das Tier – sofort! Stattdessen sollten wir uns zunächst einmal fragen, w a r u m unser Hund uns angeknurrt hat. Vielleicht wollte er schlafen und wir haben ihn erschreckt? Vielleicht ist ihm etwas was wir tun sehr unangenehm oder bereitet ihm Angst? Vielleicht fühlt er sich in die Ecke gedrängt und weiß nicht, wie er sich verhalten soll? Knurren ist kein Zeichen von Angriff sondern lediglich eine Warnung: Vorsicht – ich mag das nicht. Erklären wir dem Hund, warum etwas sein muss, was ihn zum knurren veranlasst, so wird er – hat er genug Vertrauen zu uns - die Warnung unterlassen. Einen Hund für ein natürliches Verhalten zu strafen ist FALSCH! Auch der Hund muss das Recht haben, seine Gefühle zu äußern – wie aber soll er das uns gegenüber tun, spricht er doch nicht unsere Sprache? Es ist unsere Pflicht, unseren Hund so gut zu verstehen, dass wir seine Sprache erkennen und richtig deuten. Ein Hund, der sich uns gegenüber nicht äußern darf, ist ein zum Gegenstand degradiertes Lebewesen!
Die folgende Tabelle zeigt deutlich, w i e „unerwünschtes Verhalten“ entsteht, wie der Mensch üblicherweise reagiert und wie man „Missverständnisse“ ganz einfach vermeiden könnte. Die genannten Beispiele entsprechen unserer Praxis – wir erleben dies immer wieder.
Bei den folgenden Beispielen gehen wir zunächst davon aus, dass der Hund von Beginn an bei uns ist, also bereits als Welpe adoptiert wurde.
Diese Liste kann beliebig fortgeführt werden – jedes Problem, das uns unser Hund beschert, ist eigentlich ein von uns selbst verursachtes Problem.
Entweder wurden in frühster Jugend des Hundes bereits Fehler bei der Erziehung gemacht oder im Laufe der Zeit haben sich „Untugenden“ eingeschlichen, die wir anfangs nicht bemerkt haben.
Oft ist es aber das natürliche Verhalten unseres Vierbeiners, das uns (oder unsere Umwelt) stört. Die üblichen Übungen wie „Sitz“, „Platz“ oder „Bei Fuß“ helfen uns da überhaupt nicht weiter. Es ist deshalb auch unsinnig, bei Welpen bereits mit diesen Übungen anzufangen, anstatt sie – wie Kinder auch – sorgsam und behutsam auf ein Leben mit dem Menschen und seiner spezifischen Umwelt vorzubereiten. Ein Hund braucht keinen...