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E-Book

Hygg Hygg Hurra!

Glücklich wie die Dänen

AutorHelen Russell
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783104903842
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Mit Hygge zum Glück Dänemark gilt seit 40 Jahren als glücklichstes Land der Welt. Die Journalistin Helen Russell ist dennoch höchst skeptisch, als ihr Mann einen Job bei Lego annimmt - und sie als überzeugte Londoner Großstädterin mit ihm in die dänische Einöde ziehen soll. In Jütland angekommen, findet Helen Russell Schritt für Schritt heraus, was hinter dem geheimnisvollen Wohlfühl-Konzept 'Hygge' steckt, das die Dänen den langen Wintern, der Kälte und Dunkelheit trotzen lässt. Hygge ist... mit Freunden an einem lauen Sommerabend bis spät in die Nacht im Garten zu sitzen. Hygge ist... ein schön gedeckter Tisch für die Familie bei Kerzenschein. Hygge ist... ein gemütlicher Winterabend vor dem Kamin im selbstgestrickten Pulli. Hygge ist... viel Holz, Blumen und Gemütlichkeit. Hygge ist... der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und Zimtschnecken. Hygge ist...die dänische Art, das Leben zu genießen. Ein wunderschönes Memoir einer humorvollen jungen Frau, die die zehn Geheimnisse der glücklichsten Menschen entdeckt. Für alle leidenschaftlichen Skandinavien-Fans, die immer noch etwas Neues über ihre liebste Region erfahren wollen.

Helen Russell lebt noch immer glücklich in Jütland und ist Skandinavien-Korrespondentin für 'The Guardian', 'The Independent' und 'The Telegraph'.

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Leseprobe

1 Januar


Trautes Heim, Hygge allein

Etwas Kaltes, Weiches rieselt auf uns herab, als wir in der Dunkelheit auf einer verlassenen Piste stehen und nicht wissen, wohin mit uns. Bevor wir ins Flugzeug gestiegen sind, war es drückend, hell und laut. Andere Passagiere haben uns angerempelt und weitergeschoben, das Bodenpersonal hat uns in Busse verfrachtet und weitergewunken. An Bord haben sich Flugbegleiter in schicken blauen Uniformen um uns gekümmert und uns mit Pikkolos und kleinen Schweppes-Dosen versorgt. Hier sind wir nun auf uns gestellt und stehen ratlos auf einer eisigen Rollbahn im Nirgendwo herum. Natürlich sind ein paar Leute in unserer Nähe, aber wir kennen sie nicht, und alle sprechen eine Sprache, die wir nicht verstehen. Alles hier glitzert wie Kristall, und die Luft ist so kalt und dünn, dass sie hinten in meiner Kehle brennt, wenn ich zu atmen versuche.

»Und nun?«, will ich fragen, aber der Schnee schluckt meine Stimme. Meine Ohren schmerzen bereits vor Kälte, so dass ich sie in Ermangelung einer Mütze mit Haaren bedecke. Überraschenderweise hilft das, doch nun höre ich noch weniger. Lego Man bewegt den Mund, aber ich verstehe nicht, was er sagt, also verständigen wir uns mit Gesten.

»Da lang?«, lese ich von seinen Lippen, er deutet auf das weiße Gebäude vor uns. Mit einer albernen »Daumen hoch«-Geste signalisiere ich ihm ein Okay.

Wir werden von einer Dame mit Rollkoffer überholt, die entschlossen auf ein hell erleuchtetes Rechteck vor uns zugeht, also folgen wir ihr, und beim Gehen knirscht Schnee unter unseren Schuhen. Einen Shuttlebus oder eine Überdachung sucht man hier vergeblich – Wikinger bahnen sich anscheinend ihren eigenen Weg.

Mein Mann drückt meine schon fast erfrorene Hand, und ich versuche zu lächeln, aber meine Zähne klappern so sehr, dass eher eine Grimasse dabei herauskommt. Ich habe mich ja darauf eingestellt, dass es hier kalt sein würde, aber die Realität ist noch mal eine ganz andere Nummer. Kaum neunzig Sekunden in dieser eisigen Luft, und schon bin ich bis auf die Knochen durchgefroren. Meine Nase fängt an zu laufen, aber dann lässt das Kitzeln an der Nasenspitze nach, und sie fühlt sich völlig taub an. O mein Gott, gefriert in Dänemark sogar der Rotz?, frage ich mich. Ich bin heilfroh, als wir zur Passkontrolle nach drinnen kommen, und meine Zehen und Finger fangen in der mäßigen Wärme vor Erleichterung an zu brennen.

Wir gehen an einem riesigen Werbeplakat für Dänemarks berühmtestes Bier vorbei. »Willkommen im glücklichsten Land der Welt!«, verkündet es. Na ja, denke ich, mal sehen.

Wir kennen niemanden, wir sprechen kein Dänisch, und wir haben kein Zuhause. Die ganze Euphorie, dieses »Das lassen wir mal auf uns zukommen« und »Neues Jahr, neues Ich«, weicht plötzlich dem Gefühl: »O Scheiße, das hier ist real!« Dass wir von zwei Tagen ausgiebigen Abschiedsumtrünken und einem feuchtfröhlichen Mittagessen verkatert sind, macht die Sache natürlich auch nicht besser.

 

Aus der Ankunftshalle treten wir hinaus in ein eisiges, stockdunkles Nichts und machen uns auf die Suche nach unserem Mietwagen, was gar nicht so einfach ist, weil sämtliche Nummernschilder von Schnee überzogen sind – sie sehen aus wie aus Datenschutzgründen unkenntlich gemacht. Als wir das richtige Auto schließlich gefunden haben, fahren wir auf der falschen Straßenseite Richtung Legoland. Mehrmals biegen wir falsch ab, weil wir die Beschilderung nicht lesen können oder sie vom Schnee verdeckt ist, bis wir schließlich den Ort erreichen, der für ein paar Nächte unser Zuhause sein soll.

»Willkommen im Legoland-Hotel«, verkündet der große, kräftige, blonde Rezeptionist strahlend, als wir einchecken. Mir fällt ein Stein vom Herzen, weil er perfekt Englisch spricht. Christian Bjørnskov hatte mir zwar versichert, dass die meisten Dänen ausgezeichnete Fremdsprachenkenntnisse hätten, mich aber auch vorgewarnt, in ländlichen Regionen (also da, wo wir uns gerade befinden) nicht zu viel zu erwarten. Aber noch läuft es gut.

»Wir haben die Prinzessinnen-Suite für euch reserviert«, verkündet der Rezeptionist.

»Prinzessinnen-Suite?«, wiederholt Lego Man verständnislos.

»Ist das vielleicht wie die Präsidentensuite?«, frage ich hoffnungsvoll.

»Nein, es ist ein Themenzimmer.« Er dreht den Bildschirm und zeigt uns ein pastellfarbenes Zimmer mit einem rosa Bett, dessen Kopfteil schlossartige Zinnen aus Plastik aufweist.

»Wow! Jetzt verstehe ich …«

»Die Suite besteht aus 11960 Legosteinen«, fährt der Rezeptionist fort.

»Schon, ja, aber …«

»… und hat Stockbetten«, ergänzt er stolz.

»Das ist ja toll, es ist nur so – wir haben gar keine Kinder …«

Der Rezeptionist sieht uns verwirrt an, als würde er uns nicht verstehen: »Die Wände sind mit Schmetterlingen dekoriert.«

Weil ich befürchte, dass er kurz davor ist, uns ein Gläschen Einhorntränen anzubieten, versuche ich behutsam, ihn in eine andere Richtung zu lenken: »Das klingt wirklich ganz reizend, aber wir brauchen gar nichts so … Raffiniertes. Gibt es noch ein anderes Zimmer?«

Er runzelt die Stirn und tippt etwas in seinen Computer. Dann blickt er wieder hoch und schenkt uns ein strahlendes Lächeln: »Ich kann euch die Piraten-Suite anbieten!«

 

Wir verbringen die erste Nacht in unserer neuen Heimat unter einer riesigen Piratenflagge. Es gibt auch eine Kiste mit Kostümen und jede Menge Papageien, Spielzeugmünzen und ähnlichen Piratenkrimskrams. Am Morgen verlässt Lego Man das Badezimmer mit einer Augenklappe. So oder so sieht bei Tageslicht alles besser aus, wie immer. Wir ziehen die Vorhänge zur Seite und müssen mehrfach blinzeln, um diese neue, blendend weiße Welt erfassen zu können. Gestärkt von einem beeindruckenden Frühstücksbüffet, bei dem wir unter anderem Bekanntschaft mit dem berühmten dänischen sauren Hering machen, fühlen wir uns in der Lage, die diversen administrativen Aufgaben in Angriff zu nehmen, die nötig sind, um in einem anderen Land Fuß zu fassen. Doch dann treten wir vor die Tür.

Der Schnee hat noch einen Zahn zugelegt – es sind nicht mehr die sanften Flocken, wie sie in romantischen Filmkomödien zu fallen pflegen, es ist mehr ein Sturm, wie ihn ein wütendes Kleinkind durch heftiges Schütteln einer Schneekugel hervorruft. Der Himmel scheint es eilig zu haben, seine Ladung loszuwerden, und beschneit uns von allen Seiten. Also gehen wir wieder rein und ziehen sämtliche Kleidungsstücke an, die wir besitzen, um uns eine Stunde später wieder hinauszuwagen. Nun sehen wir zwar aus wie Michelin-Männchen, sind aber für diesen Tag besser gerüstet.

Im Mietwagen versuche ich zu verinnerlichen, dass der Ganghebel nicht links ist und ich auf der rechten Seite fahren muss, während Lego Man die To-do-Liste vorliest, die der fürsorgliche Personalsachbearbeiter, der für ihn zuständig ist, ihm gemailt hat. Das gesamte Dokument ist erschreckende zehn Seiten lang und umfasst, wie wir erfahren, nur »Phase eins«.

»Zuallererst«, verkündet Lego Man, »brauchen wir eine Identifikationsnummer, sonst existieren wir in diesem Land genau genommen überhaupt nicht.«

Es stellt sich heraus, dass hier seit langem eine Ausweisform in Umlauf ist, gegen die die Briten jahrelang Sturm gelaufen waren, bevor sie 2010 schließlich resignierten. Bereits seit 1968 werden alle Dänen in einem Zentralen Bevölkerungsregister (CPR) erfasst und bekommen eine Identifikationsnummer. Sie setzt sich aus dem Geburtsdatum und vier Ziffern zusammen, deren letzte bei Frauen gerade, bei Männern ungerade ist. Die Nummer steht auf einer gelben Plastikkarte, die man »IMMER BEI SICH FÜHREN MUSS« (wie der Personalsachbearbeiter in alarmierenden Großbuchstaben deutlich macht). Unsere Identifikationsnummern brauchen wir für alles, von der Eröffnung eines Kontos über Arztbesuche und das Mieten einer Wohnung bis hin zur Ausleihe von Büchern in der Bibliothek. (Wenn wir doch Bücher auf Dänisch lesen könnten. Oder wüssten, wo die Bibliothek sich befindet. Oder überhaupt das dänische Wort für »Bibliothek« kennen würden.) Ich werde einen Barcode bekommen, den man nur einscannen muss, um meine gesamte Krankengeschichte zu erfahren. Das klingt alles äußerst effizient und wäre vermutlich auch sehr unkompliziert, wenn wir nur wüssten, was zu tun ist und wie wir zu dem Amt kommen, auf dem wir uns registrieren müssen. Letztlich kostet uns das den ganzen Vormittag, womit wir noch Glück haben, denn Immigranten aus Nicht-EU-Ländern müssen monatelang auf ihre Aufenthaltsgenehmigung warten und diese alle paar Jahre verlängern lassen. Einwanderer sollten jedenfalls nicht unter einer Administrationsphobie leiden.

Als Nächstes müssen wir ein Bankkonto eröffnen. In der (einzigen) Bank vor Ort begrüßt uns ein gutaussehender Herr mit Kurzhaarschnitt und einem sehr skandinavischen, eckigen Brillengestell äußerst herzlich. Er stellt sich als Allan vor und deutet zur Bekräftigung auf ein Namensschild. »Allan« schreibt man auf dänische Art mit zwei L, nehme ich zur Kenntnis. Allan mit zwei L erklärt uns, dass er für unser Konto zuständig sein wird, schenkt uns Kaffee ein und bietet uns Pralinen an. Ich denke gerade darüber nach, wie zivilisiert und freundlich das im Vergleich zum Umgangston in meiner Bank zu Hause ist, als er sagt: »Sehe ich das richtig, ihr habt kein Geld in Dänemark?«

In Dänemark duzen sich tatsächlich alle, sogar in der Bank...

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