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Ich diene Deutschland

Ein Plädoyer für die Bundeswehr - und warum sie sich ändern muss

AutorNariman Hammouti-Reinke
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644404663
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Was läuft schief in der Bundeswehr? Eine Soldatin mit Migrationshintergrund spricht Klartext. Neonazis und sadistische Offiziere: So sieht das Bild aus, das viele von der Bundeswehr malen. Natürlich gibt und gab es Skandale, die scharf zu verurteilen sind - aber Nariman Hammouti weiß: Das ist nicht das ganze Bild, sondern nur ein Bruchteil dessen, was die Bundeswehr ausmacht. Wie wäre es, wenn man sich einmal ohne ideologische Scheuklappen mit dem auseinandersetzt, was die Bundeswehr tut? Woran es liegt, dass Soldaten eine solche Verachtung entgegenschlägt? Und wo liegt die gesellschaftliche Verantwortung jedes Einzelnen? Nariman Hammouti, Soldatin und Muslima, hat darauf Antworten - denn für sie ist es «die höchste Form der Integration, dass ich in der Bundeswehr diene und bereit bin, für Deutschland zu sterben».

Nariman Hammouti wurde 1979 als Kind marokkanischer Eltern bei Hannover geboren. Sie ist seit 2005 bei der Bundeswehr, war zwei Mal im Afghanistan-Einsatz und ist heute Leutnant zur See. Als Vorsitzende des Vereins Deutscher.Soldat.e.V in der «Kommission für Migration und Teilhabe des Niedersächsischen Landtags» engagiert sie sich sehr aktiv für eine moderne Integrationspolitik in Deutschland.

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Leseprobe

Die Deutschen und ihre Streitkräfte


In einer Hinsicht ist es bei der Bundeswehr wie beim Fußball: Die Experten sitzen außerhalb des Spielfelds. Es gibt etliche Millionen Zuschauer, die ganz genau beurteilen können, wie sehr die Spielerpfeifen auf dem Platz herumstümpern, wie viele Chancen sie verpatzen und welche Fehler der Schiedsrichter und seine Assistenten am laufenden Band produzieren. Auch die Angehörigen der Bundeswehr können dieses Bild nachzeichnen: Jeder draußen weiß genau, wie wir sind. Je nach Perspektive werden wir eingeordnet als faul, verweichlicht, rechtsradikal, sexistisch, unnütz, mordlustig, menschenverachtend, kriegsverherrlichend, vernagelt, dumpfbackig … Habe ich etwas vergessen? Manche fügen vielleicht noch Etiketten wie «autoritäre Sadisten» oder «unselbständige Befehlsempfänger» hinzu. Also 170000 mehr oder weniger gefährliche Idioten, wenn man nur den militärischen Teil berücksichtigt. 170000 Männer und Frauen, die zwar mit einer Ausbildung in die Bundeswehr eintreten oder dort eine erwerben, auch zum Beispiel ein Studium absolvieren, die aber trotzdem so blöd sind, dass sie offenbar zu nichts anderem taugen. Und deren vornehmliches Interesse darin besteht, ihre Unfähigkeit zu bemänteln oder ihren niederen Instinkten freien Lauf zu lassen.

Wie plausibel kann das wohl sein? In der Welt gibt es eine gewisse Menge mehr oder weniger Verrückter und charakterlicher Versager, das ist sicher. Aber warum sollten die sich alle bei der Bundeswehr treffen? Hat dieses Bild irgendwas mit der Realität zu tun, oder handelt es sich um groß aufgeblasene Vorurteile, zufällige Einzelbegegnungen und hemmungslos verallgemeinerte negative Vorkommnisse? Ich bin eigentlich von Natur aus optimistisch und positiv. Und ich glaube (und hoffe), dass eine Menge Deutsche nichts gegen die Bundeswehr hat. Aber viele, meiner Ansicht nach viel zu viele Menschen stehen ihr gleichgültig gegenüber – und etliche lehnen sie mehr oder weniger heftig ab. Diese Mischung ist schlecht.

Wir Angehörigen der Bundeswehr könnten nämlich Kritiker und Schmäher besser ertragen, wenn es mehr Befürworter und Unterstützer gäbe, die sich ebenfalls laut und deutlich zu Wort meldeten. Wobei es keineswegs nur ein persönliches Problem der Soldaten ist, wenn sie sich nicht wertgeschätzt fühlen. Ich meine vielmehr, dass es ein gravierendes Problem aller Deutschen ist, wenn sie ihre Streitkräfte so missachten. Schließlich sind es ja ihre. Wir Soldaten sind dafür da, ihre Freiheit und ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Die Bundeswehr ist weder die persönliche Streitkraft der Verteidigungsministerin noch des Bundespräsidenten. Wir sind die Parlamentsarmee! Das heißt, die Abgeordneten im Bundestag entscheiden über den Verteidigungshaushalt, sie genehmigen alle unsere Einsätze. Außerdem wählen sie den Bundeswehrbeauftragten, der einmal im Jahr seinen umfangreichen Bericht vorlegt und seine Erkenntnisse mit ihnen diskutiert. Wir sind also auch in dieser Hinsicht ein Teil des Volkes. Trotzdem tun viele so, als ob wir aussätzig wären und nicht dazugehörten. Aber warum? Mit dieser Haltung schneidet man sich doch selbst von einem Teil seiner staatlichen Existenzbedingungen ab. Wir gehören zum System unserer Demokratie.

Dass in der Bevölkerung solche Vorbehalte bestehen, hängt natürlich mit der deutschen Geschichte zusammen. Die Widerstände waren groß, als in den 50er Jahren in Westdeutschland die Wiederbewaffnung beschlossen wurde. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und nach zwei Weltkriegen war diese Zurückhaltung eine respektable, verantwortungsbewusste Position. Deshalb wurde ja auch eine solch ausgefeilte Konstruktion für die Bundeswehr entwickelt. Die neu zu gründenden Streitkräfte sollten in der Demokratie verankert sein und für sie einstehen. Im Vordergrund stand die parlamentarische Kontrolle. Auf keinen Fall sollte es eine Neuauflage der Wehrmacht oder Reichswehr werden. Darum wurden von Anfang an Leitlinien wie «Staatsbürger in Uniform» als Teil der «Inneren Führung» aufgestellt und eben die Institutionalisierung als Parlamentsarmee beschlossen. Darüber hinaus gibt es sogar den bereits erwähnten Wehrbeauftragten, das ist eine deutsche Besonderheit. Sein Amt ist nicht einfach irgendeine Planstelle in einem Ministerium, sondern im Grundgesetz verankert, § 45b. Es gibt auch in anderen Staaten Wehrbeauftragte, allerdings sind die rechtlichen Möglichkeiten des deutschen Wehrbeauftragten besonders ausgeprägt.

Der Wehrbeauftragte ist so etwas wie der Anwalt der Soldaten. Er deckt Mängel auf, die ihm – meistens in Form einer Beschwerde – zugetragen werden oder die er und sein Team selbst ermitteln. Wenn also der jährliche Bericht erscheint, stürzen sich Medien und Kritiker darauf und kommen zwangsläufig zu dem Schluss: Meine Güte, bei denen funktioniert ja gar nichts. Ja, so sieht es aus, wenn man die Berichte liest. Hundert oder mehr Seiten mit Problemen, Unzulänglichkeiten, bürokratischen Absurditäten und teilweise erheblichen Missständen. Wer auf der Suche nach Fehlern im System ist, für den stellt der Bericht eine wahre Goldgrube dar.

Man sollte dabei jedoch nicht vergessen, dass es genau darum geht: Unzulänglichkeiten aufzudecken. Es geht nicht darum herauszustellen, was alles gut läuft, selbst wenn auch positive Aspekte enthalten sind. Der Bericht beschreibt vielmehr die Mängel, damit sie abgestellt werden und wir alle unter besseren Bedingungen arbeiten können. Darum sind wir Soldaten sehr froh über den Bericht, obwohl er ungewollt die Vorurteile vieler Menschen bestätigt. Er ist im Grunde eine Aufforderung an den Bundestag und die Regierung: Kümmert euch darum! Sorgt euch um uns! Wenn ihr nicht daran arbeitet, dass diese Probleme behoben werden, bekommen wir noch viel größere Schwierigkeiten.

Die demokratische Absicherung nach allen Seiten ist richtig und absolut notwendig. Doch das allein reicht eben nicht. «Wir sind das Stiefkind der Nation», so bringt es Major Marcel Bohnert, Leiter des Bereichs neue Medien im Generalstab, in einem Interview auf den Punkt. Ja, das kann ich aus eigenen Begegnungen bestätigen. Militär ist irgendwie peinlich, es schickt sich nicht, dafür einzutreten oder gar dazuzugehören, das zeugt von reaktionärer Gesinnung. Jeder aufrechte Mensch ist doch Pazifist, keiner will Krieg, und Soldaten sind Mörder. Wenn jemand freiwillig beim Bund ist, dann stimmt irgendwas nicht mit ihm. Seitdem die Wehrpflicht ausgesetzt ist, muss jeder gute Gründe formulieren können, wenn er zugibt, dass er Deutschland als Soldat dient. Müssen sich ein Friseur oder eine Wirtschaftsanwältin für ihre Arbeit rechtfertigen? Nicht dass ich wüsste. Wir schon, wir müssen uns nahezu immer verteidigen.

Ich nehme die Beziehung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft in vieler Hinsicht als paradox wahr. Einerseits stehen wir unter wahnsinnig genauer Beobachtung. Jeder Fehltritt und jede Panne werden unnachsichtig in allen Medien rauf und runter behandelt. Andererseits kümmert man sich im Normalfall nur wenig darum, wie es um die Bundeswehr steht, sondern will am liebsten gar nichts mit ihr zu tun haben. Uns wird vorgeworfen, dass wir eine Art geschlossene Gesellschaft darstellen, aber Kontakt wird möglichst vermieden. Dass es wenig Kontakt gibt, hängt allerdings auch damit zusammen, dass wir mittlerweile so wenige sind. Wir sind die kleinste Bundeswehr aller Zeiten. Unmittelbar nach der Wende kamen wir durch die Vereinigung von Nationaler Volksarmee und Bundeswehr auf eine Truppenstärke von 600000 Mann. Entsprechend dem Zwei-plus-Vier-Vertrag musste diese Zahl bis 1994 auf 370000 reduziert werden. Und es ging noch weiter runter: Der Tiefststand war Mitte 2017 mit 166000 erreicht. Im April 2018 umfasste die Bundeswehr 170000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie knapp 9000 freiwillig Wehrdienstleistende.

170000 unter 82 Millionen Einwohnern, das ist wenig. Im Bauhandwerk beispielsweise arbeiten viermal so viele Menschen. Aufgrund unserer geringen Zahl sind wir in der Fläche kaum mehr wahrnehmbar. Und manche von uns machen sich absichtlich unsichtbar, weil sie die Debatten und Anschuldigungen einfach leid sind. Etliche Kameraden beispielsweise tragen keine Uniform mehr, wenn sie von zu Hause zum Dienst fahren, sondern ziehen sich erst in der Kaserne um. Warum? Weil sie unterwegs nicht angepöbelt werden wollen.

Der Mann einer entfernten Bekannten ist Berufssoldat. Wenn ihn jemand bei der ersten Begegnung nach seinem Beruf fragt, antwortet er in der Regel: «Ich bin Ingenieur.» Das ist nicht direkt gelogen, nur nicht ganz präzise. Er ist nämlich Bauingenieur im Infrastrukturstab des Verteidigungsministeriums. Dieser Bereich plant und koordiniert die verschiedenen baulichen Maßnahmen, die mit Kasernen und anderen Gebäuden verbunden sind. Früher hat er seinen «richtigen» Beruf genannt, aber irgendwann war er es leid, immer diese moralisch grundierten Fragen zu beantworten, warum denn Bundeswehr, ob es nichts anderes gebe usw. Oder sich gar gegen die Unterstellung zur Wehr zu setzen, dass nur solche zur Bundeswehr gingen, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Abgesehen davon, dass so etwas eine Unverschämtheit ist, ist es auch falsch. Das Gegenteil trifft zu. Zeitsoldaten etwa haben nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr sehr gute Aussichten, weil die Unternehmen ihre Fachkompetenz und Zuverlässigkeit außerordentlich schätzen. Der Mann meiner Bekannten hat übrigens auch mehrere Einsätze im Ausland hinter sich, der letzte fand in Mali statt. Ich habe viele Kameraden, die sich so oder so ähnlich verhalten wie er.

Teilweise kommt es zu grotesken Missverständnissen und zur...

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