Einleitung
Bin ich der Mann, dem Sie vertrauen würden?
Leo Martin ist nicht mein Name. Er wurde von der Abteilung für operative Angelegenheiten entwickelt. Dieser Name bietet für die bevorstehende Mission die bestmöglichen Eigenschaften. Er ist leicht zu verstehen, einfach zu merken, und er verhindert den unkontrollierten Einblick in meine Vergangenheit. Meine bisherigen Tarnnamen hatten andere Kriterien zu erfüllen. Meistens sollten sie genau das Gegenteil erreichen: Eine bestimmte Identität glaubhaft machen und dennoch im Grau der Datenwelt unsichtbar sein.
In den vielen Jahren im »Haus«, wie der Nachrichtendienst intern genannt wird, habe ich mich daran gewöhnt, mit wechselnden Namen angesprochen zu werden. Es fühlt sich nicht mehr ungewohnt an, einen anderen Namen unter Fotos von mir zu lesen, auf Dienstausweisen, Führerscheinen, Pässen und Personalausweisen. Mit diesen Namen melde ich mich am Telefon, buche Hotelzimmer, Mietwagen, unterschreibe Quittungen, was auch immer notwendig ist. Jeder Name ist ein Teil der Mission, in der ich mich befinde. Jeder Arbeitsname ist jedoch auch ein Teil von mir. Bin ICH der Mann, dem SIE vertrauen würden?
Genau darum geht es in diesem Buch. Was ist Vertrauen überhaupt, worauf baut es auf, wovon hängt ab, ob jemand mir vertraut oder nicht?
Leo Martin war nur eine von vielen Identitäten, in die ich für den Nachrichtendienst schlüpfte. Meine Aufgabe bestand darin, Informanten aus dem Milieu anzuwerben: Leute, die für kriminelle Organisationen arbeiten. Informanten sucht man nicht per Zeitungsanzeige, und man klopft ihnen auch nicht von hinten auf die Schulter: »Hallo Sie, hätten Sie vielleicht Lust, mir zu verraten, für wen Sie Waffen schmuggeln und wann die nächste Lieferung kommt?«
In den zehn Jahren beim Nachrichtendienst habe ich reihenweise Informanten angeworben: Kriminelle, die unter normalen Umständen niemals mit mir gesprochen und mir schon gar nicht ihr geheimes Insiderwissen anvertraut hätten. Sie haben es dennoch getan, freiwillig. Manchmal sogar gern. Sie taten es nicht für den Nachrichtendienst oder für Deutschland. Sie taten es für mich. Warum das so ist, erfahren Sie in diesem Buch.
Selbst wenn Sie in Ihrem Alltag nur selten mit Drogenbossen, Hehlern, der Russenmafia oder Autoschieberbanden zu tun haben – Menschen für sich zu gewinnen ist auch in Ihrem Leben ein Schlüssel zum Erfolg. Vielleicht kennen Sie jemanden, der diesen Schlüssel bereits gut geübt in seinem Schloss dreht. Bei solchen Menschen fühlen wir uns rundum wohl und gut aufgehoben, und sie wirken unglaublich vertraut, auch wenn wir ihnen erst vor Kurzem begegnet sind. »Es ist, als würden wir uns schon ewig kennen!«, finden wir und sind glücklich, dass uns so etwas Wunderbares passiert.
Sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, dass das nichts mit Magie, Karma und Seelenverwandtschaft zu tun haben muss, sondern dass auch eine ausgefeilte Strategie dahinterstecken könnte? Dass man dieses Gefühl der Vertrautheit und Nähe mit ein paar einfachen Strategien erzeugen kann? Dass das scheinbar Wunderbare in Wirklichkeit ein blaues Wunder ist, das zu erleben Sie nicht im Traum für möglich gehalten hätten?
Nein? Das ist wiederum nicht verwunderlich, denn nur wenige Menschen sind in diese Zusammenhänge eingeweiht. Vertrauen können wir nicht kaufen, nicht erzwingen und schon gar nicht mit rationalen Argumenten herbeireden. Vertrautheit ist ein Gefühl, das durch Erfahrungen und Erlebnisse entsteht. Mein Auftrag beim Geheimdienst war es, genau dieses vorbehaltlose und wohlwollende Gefühl gezielt zu erzeugen. Unter schwierigsten Ausgangsbedingungen und in einem Minimum an Zeit musste ich Vertrauen zu Typen aufbauen, die überhaupt kein Vertrauen wollten.
In jedem steckt ein Top-Agent
Wussten Sie eigentlich, dass auch in Ihnen ein Top-Agent steckt? Ich bin überzeugt, dass Sie bereits heute einige der kommunikativen Werkzeuge der Nachrichtendienste nutzen – und damit meine ich nicht nur Ihre Fähigkeit, in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen, um vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
Es gibt nämlich noch viel mehr Gelegenheiten: wenn Sie Erkundigungen über die neue Freundin von Ferdinand einholen. Über Ihren neuen Arbeitskollegen oder Kooperationspartner. Wenn Sie mal ganz unauffällig bei Ihrer Vereinskameradin vorfühlen, wie der neue Chef so ist, den sie aus dem Golfklub kennt. Wenn Sie vor der Vertragsverhandlung bei Ihrem Vertrauensmann in der Fachabteilung sondieren, welchen Stückpreis der Einkauf maximal bereit sein wird zu bezahlen. Wenn Sie mal wieder durch den Spion linsen, wer da so spät noch bei den Nachbarn klingelt.
Hier an die Grenzen des Machbaren zu gehen ist hochspannend, immer interessant und kann durchaus Spaß machen, oder? Und es ist fast wie beim Geheimdienst.
Warum zum Spaß nicht noch den Erfolg kommen lassen, indem Sie Ihre unterbewusst ablaufenden Denk- und Handlungsmuster bewusst steuern? Jeden psychologischen Trick und kommunikativen Kniff nutzen, um so direkt auf der Beziehungsebene zu landen, also dort, wo die wichtigen Entscheidungen gefällt werden.
Übrigens gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit in der wirklichen Welt da draußen wesentlich mehr Agentinnen als Agenten. Vielleicht, weil Frauen oft empathischer und verständnisvoller sind als Männer. Deshalb drücken Sie auch hoffentlich ein Auge zu, wenn in diesem Buch nicht jedes Mal die Rede von der Agent/die Agentin ist.
Wenn aus Fremden Freunde werden
Es ist ein großartiges Gefühl, andere Menschen für sich zu gewinnen. Wenn wir wissen, welche Spielregeln dabei zu beachten sind, kann jeder Fremde zu einem Freund werden. Bekanntschaften vertiefen sich, schwierige Kunden werden »handzahm«, neue leicht hinzugewonnen. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen läuft reibungslos. Fremde Menschen, die Sie vielleicht nur vom Telefon kennen, sind bereit, für Sie zu zaubern: In einem überbuchten Restaurant bekommen Sie noch einen Platz an der Bar gedeckt. Und freitags um 18.30 Uhr kurzfristig noch einen Termin in der Autowerkstatt. Unter der Hand vorab eine wichtige Information zugesteckt. Oder der Fremde erfüllt Ihnen einen kleinen Wunsch, ohne erst groß Fragen zu stellen. Und das Tolle: Die Menschen fühlen sich gut dabei. So wie Sie – denn Sie steuern, wie die Dinge laufen.
Beim Geheimdienst wird nichts dem Zufall überlassen. In diesem Buch ist das genauso. Sie halten eine in Extremsituationen geprüfte Anleitung in Händen, die nicht nur bei Schönwetter funktioniert, sondern auch unter schwierigsten Bedingungen, in Krisen- und Konfliktsituationen, also gerade dann, wenn es darauf ankommt. Darauf, dass der andere sich Ihnen gegenüber öffnet, Sie an sich ranlässt oder Persönliches von sich preisgibt. Oder wenn es wichtig ist, dass er sich für Sie einsetzt, auf Ihre Angebote eingeht oder sich Ihre Vorschläge überhaupt nur anhört. All das ist eine Frage Ihrer Wirksamkeit. Schaffen Sie es, dass der andere den Handlungsspielraum, den er tatsächlich hat, auch wirklich voll und ganz für Sie ausschöpft? Oder schaffen Sie das nicht? Hier ist im Alltag oft noch gewaltig Luft nach oben. Egal, ob beruflich oder privat. Gründe dafür gibt es viele: Es ist gerade ungünstig, unbequem, nicht meine Zuständigkeit, oder das machen wir schon immer so …
Deshalb kann dieses Buch Ihr Leben verändern. Vielleicht erobern Sie sich am Ende sogar eine neue Identität hinzu und gehören zu den Menschen, die spielend Kontakte knüpfen, Vertrauen aufbauen und andere für sich gewinnen. Jemand, dem es gelingt, dass andere für ihn bis an die Grenze gehen. Ab sofort kämpfen Sie mit den Geheimwaffen der Kommunikation. Sie setzen sanfte Strategien mit durchschlagender Wirkung für sich ein.
Eins sollte dabei klar sein: Auch wenn ich hier von »Freunde gewinnen« schreibe, geht es nicht um einen Kuschelkurs! Es geht darum, Ziele zu erreichen. Und zwar möglichst smart und clever. Denn je besser die Stimmung ist, desto größer ist auch die Zustimmung. Wo die Grenze zwischen gekonnter Führung und fieser Manipulation zu ziehen ist, klären wir gleich. Jetzt lautet Ihre Mission: Hart in der Sache, weich zum Menschen.
Fesselspiele: Die Kunst, Menschen an sich zu binden
Ich habe die nachrichtendienstliche Arbeit von der Pike auf gelernt: verdeckte Ermittlungen, das Auswerfen von Ködern, Aufstellen von Fallen, technische Überwachung, V-Mann-Führung, Nachrichtenauswertung, strategische Lagearbeit, taktische Fallführung … und schließlich die Königsdisziplin, das Anwerben von Informanten. Die Herausforderung bestand jedes Mal darin, fremde Menschen für mich und meine Ziele zu gewinnen, sie im Optimalfall in Freunde zu verwandeln. Mindestens musste ich sie dazu bringen, mich zu unterstützen. Trotz ungünstiger Rahmenbedingungen. Bei manchen Menschen scheint uns dies unmöglich. Ist es aber nicht. Die Methode funktioniert immer. Bei jedem.
Als Experte für organisierte Kriminalität richtete ich meinen Fokus auf kriminelle Kreise. Hier beschaffte ich mithilfe von V-Leuten brisante Informationen, um vor allem die Machenschaften russischer Mafiagruppierungen aufzuklären.
Meine Erfolgsquote war vielen meiner Kollegen ein Rätsel. Manchmal kam ich morgens ins Büro, und an meiner Tür klebten Zettel mit Smileys: Achtung Seelenfänger oder #Headhunter. Mein Erfolgsgeheimnis war einfach, aber wirkungsvoll. Während einige Kollegen versuchten, Druck zu erzeugen oder mit rationalen Argumenten zu punkten, konzentrierte ich mich darauf, möglichst schnell auf die Beziehungsebene zu gelangen und eine persönliche Bindung...