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Ich suche dich

Die wahre Geschichte einer Liebe im Zweiten Weltkrieg

AutorJames Gillespie, Olga Watkins
VerlagHerbig
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783776682496
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Eine Liebe, die alle Grenzen überwindet. Als die Gestapo den jungen ungarischen Diplomaten Julius verschleppt, beschließt seine 20-jährige Verlobte Olga, ihn zu suchen. Damit beginnt eine verzweifelte Odyssee, die die junge Frau Tausende Kilometer durch das von den Nazis besetzte Europa führt, wobei sie Verhaftung und ihr Leben riskiert. Obwohl sich der Zweite Weltkrieg seinem blutigen Höhepunkt nähert, weigert sie sich, aufzugeben - selbst als ihr Weg vor den Toren des Konzentrationslagers Buchenwald endet. Als die Amerikaner das Lager befreien, findet sie Julius: schwer erkrankt, aber am Leben. Sie heiraten, kehren zurück nach Budapest. Doch dies bedeutet kein Happy-End - das Paar gerät in die Wirren der Nachkriegszeit. Die 93-jährige Olga Watkins erzählt mit bemerkenswerter Klarheit von dem Mut und der Entschlossenheit, mit der sie sich auf die Suche nach dem Mann begab, den sie liebte.

Olga Watkins wurde 1923 in Jugoslawien geboren. Sie lebte in Zagreb und danach in Budapest, bevor sie 1954 nach England emigrierte. Sie lebt heute in der Nähe von London. James Gillespie hat als Journalist für The Independent, The Mail on Sunday, The Daily Mail und The Daily Telegraph gearbeitet.

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Leseprobe

1. KAPITEL

Ich blickte mich fassungslos um, ich konnte nicht begreifen, was ich sah. Überall Wasser. Es bedeckte den gesamten Fußboden unseres kleinen Hauses und schwappte bis zur ersten Treppenstufe empor. Vorsichtig tauchte ich einen Fuß hinein. Es war eisig. Sofort sprang ich auf die Treppe zurück.

»Alles voller Wasser!«, schrie ich aufgeregt.

»Olga? Wovon redest du?«, rief meine Mutter von oben.

Ich vernahm ihre Schritte hinter mir auf dem Treppenabsatz, die polternd hinuntereilten und abrupt innehielten, als meine Mutter das Wasser entdeckte. Sie stöhnte und sah aus, als würde sie in Tränen ausbrechen.

Ich traute meinen Augen immer noch nicht – woher kam all das Wasser? Die Antwort lautete natürlich, von einem der drei Flüsse – Save, Kupa und Odra –, die in meiner Heimatstadt Sisak in Jugoslawien zusammenströmen. Mein Elternhaus war nur eines von Hunderten, die an jenem Tag im Jahre 1926 von einer Überschwemmung heimgesucht wurden.

Für die Kinder stellte sie eine aufregende Abwechslung dar – die älteren hatten an dem Tag schulfrei, und alle nutzten die Gelegenheit, sich in Behelfskanus durch die Straßen treiben zu lassen und Freunden zuzuwinken. Ich war damals drei Jahre alt und hätte mir kein größeres Abenteuer vorstellen können.

Für die Erwachsenen war die Überschwemmung ein Unglück, wenngleich ein vertrautes. Die Flüsse, die in Sisak, ungefähr 56 Kilometer von Zagreb entfernt, zusammentrafen, waren für das Geschäftsleben von Vorteil, da die Stadt einen Hafen besaß, aber von Nachteil für die Häuser, die sich im Umkreis befanden und überflutet wurden. Noch heute gibt es in Sisak nur wenige bemerkenswerte Bauwerke, abgesehen von der mittelalterlichen Festung, die auf einer Anhöhe in der Altstadt errichtet wurde.

Als meine Eltern mit den Aufräumarbeiten begannen, war es daher verzeihlich, dass sie die Flüsse verfluchten, die ständig über die Ufer traten. Mein Vater, Josip Czepf, hatte einen besonders triftigen Grund zu klagen. Er hatte viel Geld ausgegeben, um die Wände unseres Esszimmers mit hochwertigen Paneelen aus der Holzfabrik in Sisak zu verkleiden, und der untere Bereich der Verschalung hatte sich mit Wasser vollgesogen. Die Feuchtigkeit stieg in Windeseile. Er fasste den Entschluss, so bald wie möglich in ein höher gelegenes Haus umzuziehen – mit einem Esszimmer, das groß genug war, um die Holzverkleidung wieder einzubauen.

Als penibler Mensch, der in einer Fabrik vor Ort als Buchhalter arbeitete, war er der Überzeugung, dass eine solche Ausgabe nicht verschwendet werden durfte. Meine Mutter Slava, die in der Verkaufsabteilung des gleichen Betriebes tätig war, wäre sonst zutiefst enttäuscht gewesen.

Sie hatten sich vor acht Jahren in der Shell-Raffinerie in Caprag kennengelernt, einem Außenbezirk von Sisak, wo sie als Dolmetscherin und er in der Buchhaltung angestellt war. Hochgewachsen und von umwerfendem Aussehen, mit strahlenden grünen Augen und jugendlich sprühendem Temperament, hatte sie auf Anhieb Josips Aufmerksamkeit geweckt. Er war acht Jahre älter als sie und ein Mann von kräftiger Statur. Er war groß, hatte dichtes dunkles Haar, einen Schnurrbart, durchdringende braune Augen und eine aufrechte Haltung. Als die beiden heirateten, war sie erst neunzehn, und ich wurde im darauffolgenden Jahr, am 20. März 1923, geboren.

Sisak war eine ruhige Kleinstadt, und wir besuchten regelmäßig den Gottesdienst der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche, wo meine Mutter im Chor sang.

Viele Verwandte meiner Mutter wohnten in der Nähe – entweder im Ort selbst oder auf Bauerngehöften in den umliegenden ländlichen Regionen. Ihre Mutter Amalia kam häufig zu Besuch. Meine Großmutter war eine hochgewachsene, elegante Frau, die sich jedes Mal freute, mich zu sehen, aber nichts von ihrem Schwiegersohn Josip hielt, mit dem sie ständig wegen aller nur erdenklichen Belange aneinandergeriet, angefangen vom häuslichen bis hin zum finanziellen Bereich.

1929 war ich sechs Jahre alt, und da es meiner Familie gut ging, bewohnten wir nun ein Haus in der Nähe des Stadtzentrums, dieses Mal höher gelegen. In der Schule gewann ich rasch neue Freunde und war jedes Mal stolz, wenn mich meine Mutter nach dem Unterricht abholte. Sie war bildhübsch und hob sich in ihrem ganzen Erscheinungsbild von den anderen Müttern ab. Sie zog alle Blicke auf sich, und wenn jemand fragte, erwiderte ich stolz: »Das ist meine Mutter.«

Im Lauf der Zeit wurde meine Großmutter immer gebrechlicher. Als unabhängige Frau hatte sie stets Wert darauf gelegt, alleine zu leben, doch in jenem Jahr erlitt sie einen Schlaganfall und trug eine linksseitige Lähmung davon. Sie konnte sich nicht mehr selber versorgen und deshalb wurde beschlossen, dass sie bei uns wohnen sollte.

Mein Vater war alles andere als begeistert, aber es gab keine Alternative, und so kam meine Großmutter zu uns und bezog einen Raum an der Rückseite des Hauses. Der Schlaganfall hatte ihr aber nicht die Sprache verschlagen, und so flammte der schwelende Konflikt mit meinem Vater umgehend und unerbittlich wieder auf.

Ich war dennoch froh über die Gesellschaft meiner Großmutter, suchte häufig Zuflucht in ihrem Zimmer, las ihr vor und erhielt als Gegenleistung Deutschunterricht.

Falls wir das Gefühl hatten, nach dem Schlaganfall meiner Großmutter sei unsere Pechsträhne zu Ende, sollte sich das als Trugschluss erweisen. Der Wall-Street-Börsenkrach mochte am anderen Ende der Welt erfolgt sein, aber die Schockwellen waren noch in Sisak zu spüren. Die Familie meine Mutter musste miterleben, wie viele ihrer Investitionen über Nacht zunichtegemacht wurden und ein rapider Preisverfall in der Landwirtschaft einsetzte. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Leidensgenossen sah sich unsere gut situierte Mittelklasse-Familie in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen plötzlich der Herausforderung gegenüber, den gewohnten Lebensstandard erheblich zurückzuschrauben.

Die häuslichen Spannungen zwischen meinem Vater und meiner Großmutter nahmen zu. Es war abzusehen, dass sich etwas ändern musste – und das tat es bald darauf.

Als meine Mutter eines Tages vom Markt zurückkehrte, wo sie eingekauft hatte, herrschte Totenstille im Haus. Sie eilte in Großmutters Zimmer und fand sie schlafend vor. Ich war mit Freunden unterwegs. Doch wo steckte Josip?

In der Küche fand sie eine handgeschriebene Mitteilung vor; darin hieß es, er habe keine Lust mehr, für die Pflege ihrer Mutter aufzukommen, könne die ständigen Streitereien nicht länger ertragen und habe daher beschlossen zu gehen. Falls sich die Umstände änderten, sei er möglicherweise bereit, zurückzukehren.

Völlig außer sich, den Zettel in der Hand, lief meine Mutter auf die Straße hinaus, als würde sie erwarten, ihren Mann dort vorzufinden. Sie fragte die Nachbarn, aber niemand hatte Josip gesehen. Sie versuchte es in der Fabrik, aber seine Arbeitskollegen hatten ebenfalls keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte. Verloren kehrte sie nach Hause zurück, wo ich inzwischen eingetroffen war und mit meiner Großmutter plauderte. Josip war spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Mit meiner Mutter im Alter von einem Jahr

Diese dramatische Veränderung unserer Familiensituation ließ mich relativ unberührt. Während meine Mutter um unser Überleben kämpfte, merkte ich, dass ich meinen Vater immer als ziemlich distanziert und abweisend empfunden hatte, und wandte mich bereitwillig der Familie meiner Mutter zu, um Trost zu suchen. Die Deutschstunden im Zimmer meiner Großmutter im ersten Stock wurden binnen kürzester Zeit fortgesetzt, und Verwandte boten uns ihre finanzielle Unterstützung an, die meine Mutter aus Stolz weitgehend ablehnte. Trotz alledem gefiel mir mein neues Leben.

Mein Onkel Drago betrieb ein Restaurant am Ufer der Kupa und hatte häufig einige der angesehensten Bewohner von Sisak zu Gast. Jeden Tag stand Grillfleisch auf der Speisekarte, und gleich nach Schulschluss pflegte ich ins Restaurant zu laufen, um die Reste des Lammkopfes zu essen, die er für mich aufgehoben hatte. Drago freute sich immer, wenn ich auftauchte: Der Rest der Familie hatte nur Söhne – ich war das einzige Mädchen.

Obwohl sich meine Mutter die größte Mühe gab, etwas über den Verbleib meines Vaters zu erfahren, war er unauffindbar. Er hatte uns völlig mittellos zurückgelassen, und es bestand keine Möglichkeit, Unterhalt von ihm zu fordern, solange wir seinen Aufenthaltsort nicht kannten.

Meine Mutter nahm ihre Tätigkeit in der Fabrik wieder auf, doch die Haushaltshilfen, die sie einstellte, damit sie sich um meine Großmutter und mich kümmerten, blieben nie lange. Schließlich sah sie sich gezwungen, zu kündigen und unseren Lebensunterhalt mit Sticken zu verdienen. Als geschickte Schneiderin konnte sie zu Hause arbeiten und, was noch wichtiger war, ich konnte ihr dabei zur Hand gehen. Und so brachte sie mir schon im Alter von sieben Jahren die Kunst und Kniffe der Textilstickerei bei.

1930 hatte die Elektrizität die Haushalte in Sisak noch nicht erreicht, deshalb arbeiteten wir bis spät in die Nacht im Schein einer Petroleumlampe, die hoch oben auf einem Regal stand, um zu verhindern, dass einer der Stoffe Feuer fing. Die Lampe warf ein gelbliches Licht auf den langen Tisch, an dem wir Platz genommen hatten. Ich saß auf einem Kochtopf, den wir auf den Stuhl gestellt hatten, um mich auf Tischhöhe zu bringen, und bestickte das eine Ende des Stoffes, während meine Mutter das gegenüberliegenden Ende mit Zierstichen versah. Ich lernte schnell, und wir plauderten wie langjährige Freundinnen miteinander, während wir...

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